Seit mehreren Jahren stellt sich die Frage, ob das Deutsche einem Sprachverfall unterliegt. Bis heute behaupten Befürworter dieser These, dass die deutsche Sprache zu stark simplifiziert wird und gerade Jugendliche keinen grammatisch richtigen deutschen Satz mehr zu Stande bringen. Diese Arbeit soll zeigen, dass es sich jedoch vielmehr um einen Sprachwandel handelt, der sich seit Beginn der deutschen Sprache vollzieht und ohne diesen sie sich nicht hätte entwickeln können. „Unter Entwicklung sind ... Prozesse zu verstehen, zu denen eine Vielzahl einzelner Veränderungen gehören, die in ihrer Gesamtheit für eine Weiterentwicklung der Sprache zeugen“ (Starke 1986:605)
Die Schriftsprache entspricht einer festgelegten Norm, die schwer zu verändern ist, außer natürlich durch neue Festlegungen, wie die Rechtschreibreform. Die mündliche Kommunikation ist zwar auch standardsprachlich festgelegt, sie unterliegt jedoch nicht solch starren Regeln. Demnach ist klar, dass sich Sprachwandel zuerst in der gesprochenen Sprache vollzieht. Meist zuerst in vereinzelten Regionen (Dialekt) oder in einigen sozialen Schichten (Soziolekt) gebräuchlich, breiten sich Neuerungen auf größere Gebiete oder eine größere Anzahl von Menschen aus. Jedoch können auch Entlehnungen aus anderen Sprachen, Sprachökonomie sowie das Stilbewusstsein der Sprecher Veränderungen der Sprache mit sich bringen.
Es sollen nun Entwicklungstendenzen am Beispiel der Verben aufgezeigt werden, die hauptsächlich im Gegenwartsdeutschen festzustellen sind, jedoch muss an bestimmten Stellen auf frühere Entwicklungen eingegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Verb
3. Entwicklungstendenzen des Verbs im Gegenwartsdeutschen
3.1 Starke und Schwache Verben
3.1.1 Vollständige Überführung
3.1.2 Starke neben schwachen Varianten
3.1.3 Schwache Formen in der Umgangssprache
3.1.4 Umgekehrte Tendenz
3.1.5 Fazit
3.2 Der Imperativ
3.3 Der Konjunktiv
3.3.1 Formen des Konjunktivs
3.4. Tempus
3.4.1 Vergangenheitsformen
3.4.2 Futur I und Futur II
3.4.3 Die Verlaufsform
3.4.4 Fazit
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Seit mehreren Jahren stellt sich die Frage, ob das Deutsche einem Sprachverfall unterliegt. Bis heute behaupten Befürworter dieser These, dass die deutsche Sprache zu stark simplifiziert wird und gerade Jugendliche keinen grammatisch richtigen deutschen Satz mehr zu Stande bringen. Diese Arbeit soll zeigen, dass es sich jedoch vielmehr um einen Sprachwandel handelt, der sich seit Beginn der deutschen Sprache vollzieht und ohne diesen sie sich nicht hätte entwickeln können. „Unter Entwicklung sind ... Prozesse zu verstehen, zu denen eine Vielzahl einzelner Veränderungen gehören, die in ihrer Gesamtheit für eine Weiterentwicklung der Sprache zeugen“[1]
Die Schriftsprache entspricht einer festgelegten Norm, die schwer zu verändern ist, außer natürlich durch neue Festlegungen, wie die Rechtschreibreform. Die mündliche Kommunikation ist zwar auch standardsprachlich festgelegt, sie unterliegt jedoch nicht solch starren Regeln. Demnach ist klar, dass sich Sprachwandel zuerst in der gesprochenen Sprache vollzieht. Meist zuerst in vereinzelten Regionen (Dialekt) oder in einigen sozialen Schichten (Soziolekt) gebräuchlich, breiten sich Neuerungen auf größere Gebiete oder eine größere Anzahl von Menschen aus. Jedoch können auch Entlehnungen aus anderen Sprachen, Sprachökonomie sowie das Stilbewusstsein der Sprecher Veränderungen der Sprache mit sich bringen.
Es sollen nun Entwicklungstendenzen am Beispiel der Verben aufgezeigt werden, die hauptsächlich im Gegenwartsdeutschen festzustellen sind, jedoch muss an bestimmten Stellen auf frühere Entwicklungen eingegangen werden.
2. Das Verb
Im Indoeuropäischen oder auch Indogermanischen konnten die verschiedenen Rollen des Verbs am Basismorphem selbst gekennzeichnet werden. Tempussuffixe, Modussuffixe und Personalendungen wurden demnach an das Basismorphem angehängt. Durch die geänderten Akzentverhältnisse im Germanischen kam es, im Laufe der Zeit, zu einer Abschwächung der Endsilben. Dies hatte die Verschmelzung der grammatischen Elemente und den Abbau der Formenvielfalt zur Folge. Das Verb hat die verschiedenen Funktionsweisen nach und nach auf seine Umgebung übertragen. Insgesamt geht die Entwicklung immer mehr in die Richtung des analytischen Sprachbaus.
3. Entwicklungstendenzen des Verbs im Gegenwartsdeutschen
Es zeichnen sich verschiedene Entwicklungstendenzen in der Verbbildung sowie auch in der Verwendung ab.
Zum einen ist ein Übergang der starken Verben in die schwache Konjugation festzustellen, der sich schon seit dem Frühneuhochdeutschen abzeichnet und im Gegenwartdeutschen weiter fortschreitet. Hinzu kommt die Tendenz, im Imperativ Singular bei starken Verben den e/i – Wechsel nicht zu vollziehen. Auch der Konjunktiv muss betrachtet werden. Hier ist seit längerer Zeit der Rückgang des Konjunktiv I–Gebrauchs, hin zum analytisch gebildeten Konjunktiv zu beobachten. Des Weiteren werden die Tempusformen des Deutschen näher betrachtet, da auch hier die Tendenz zur Analytisierung besteht und der Gebrauch bestimmter Tempora abnimmt.
Diese Tendenzen werden im Folgenden näher erläutert.
3.1 Starke und Schwache Verben
Die Sprachwissenschaft unterscheidet zwischen starken und schwachen Verben. Sprachhistorisch gesehen stammen die starken Verben aus dem indogermanischen Sprachbestand, wohingegen die schwachen Verben „verbale Ableitungen jüngerer Zeit“[2] sind. Heute gilt die Tempusbildung als distinktives Merkmal. Starke Verben bilden ihren Präteritalstamm „aus eigener Kraft“[3] mit Hilfe der Alternation des Wurzelvokals, wohingegen schwache Verben ein formales Zusatzelement benötigen, das Dentalsuffix –te.
Im Gegenwartdeutschen besteht die Tendenz, dass immer mehr starke Verben in die schwache Konjugation übergehen. Langer[4] unterscheidet hierbei drei Entwicklungs-stufen.
3.1.1 Vollständige Überführung
Ehemals starke Verben sind vollständig in die schwache Verbklasse übergegangen. Dies geschieht jedoch meist bei weniger zentralen Verben, d.h. bei den Verben, die nicht sehr häufig gebraucht werden, wie zum Beispiel:
sieden, siedete, gesiedet statt: sott, gesotten
triefen, triefte, getrieft statt: troff, getroffen
küren, kürte, gekürt statt: kor, gekoren
glimmen, glimmte, geglimmt statt: glomm, geglommen
Die Ursache für die Verringerung des Bestandes der starken Verben lässt sich zum einen durch die Unproduktivität dieser Gruppe erklären und zum anderen dadurch, dass „den Sprechern das Gefühl für ablautende Formen (...) verloren geht.“[5]
3.1.2 Starke neben schwachen Varianten
Die Partizip II Formen sowie die Präteritumformen in den folgenden Beispielen sind noch nicht vollständig in die schwache Konjugation überführt, sie existieren demnach nebeneinander. Durch die Unsicherheit der Sprecher sind in der schriftlichen, besonders aber in der mündlichen Kommunikation alle jeweiligen Flexionskombinationen denkbar.
senden, sendete, gesendet neben: sandte, gesandt
kreischen, kreischte, gekreischt neben: krisch, gekrischen
gären gärte, gegärt neben: gor, gegoren
melken, melkte, gemelkt neben: molk, gemolken
3.1.3 Schwache Formen in der Umgangssprache
Die folgenden Formen des eigentlich starken Verbs scheinen, werden bisher nur in der Umgangssprache gebildet.
scheinen, schien, geschienen neben: scheinte, gescheint
[...]
[1] Starke, Günter: Entwicklungstendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. In: Deutschunterricht 39, 1986, Seite 605
[2] Theobald, E.: Sprachwandel bei deutschen Verben. Tübingen: Gunter Narr Verlag, 1992, Seite 29
[3] Bußmann, H.: Lexikon der Sprachwissenschaft, 2002, Seite 649
[4] vgl. Sommerfeldt, K.: Entwicklungstendenzen in der deutschen Gegenwartssprache. VEB Bibliographisches Institut: Leipzig, 1988, Seite 208
[5] Drosdowski, G./Henne, H.: Tendenzen der deutschen Gegenwartssprache. In: Althaus et al (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik, Band III, Tübingen 1980², Seite 625
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