Am 4. November 2011 urteilte das Landgericht Mannheim, Apple habe es zu unterlassen, in Deutschland solche iPhones und iPads anzubieten und/oder zu liefern, die sich des GPRS-Standards bedienten und dadurch Patente von Motorola verletzten.
Was wie ein Paukenschlag in der Mobilfunkbranche anmutet, ist in seinem Bestand nur vorübergehender Dauer, in seinem Verhältnis zu anderen „Paukenschlägen“ hingegen grauer Alltag. Gerade in Deutschland verklagen sich die Elektroriesen der Welt fortwährend in wechselnden Parteirollen. Der diese Praxis dokumentierende Begriff der Patentkriege beschreibt die Strategie von IT-Giganten, ihre Patentarsenale aufzurüsten und derart einzusetzen, dass die Konkurrenz einen Angriff scheut, oder aber nach einem (gerichtlichen) Schlagabtausch ihre besten Schlachtrösser auf dem Markt verliert und folglich den Rückzug vom selben anzutreten, oder den Tribut in Form hoher Lizenzgebühren zu zahlen hat. Die besten Waffen, einen solchen Krieg zu führen, sind sog. standard-essentielle Patente, kurz SEP. Sie bilden die Bestandteile eines Standards und ermöglichen es ihrem Inhaber, die Konkurrenz durch eine Lizenzierungsverweigerung oder die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen daran zu hindern, selbst unter Verwendung des Standards auf dem darauf zugeschnittenen, dem Lizenzmarkt nachgelagerten Markt Produkte anzubieten: Ein Handy, das in 3G empfängt. Eine WLAN-Station, die in 8o2.11n sendet. Ein Smartphone, das Filme aufnehmen und komprimieren kann. Aus diesem Grund besteht unter bestimmten Bedingungen ein kartellrechtlicher Anspruch des Lizenzsuchers auf Abschluss eines Lizenzvertrags (Zwangslizenz), der nach der Orange-Book-Standard-Entscheidung des BGH grundsätzlich als Einwand dem Unterlassungsbegehren des Patentinhabers im Patentverletzungsprozess entgegen gehalten werden kann (kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand). Da dieser Einwand seinerseits missbraucht werden kann, um möglichst schnell und günstig auf SEPs zurückgreifen zu können, und der Patentinhaber ein Mindestmaß an Sicherheit für seine Zahlungsansprüche haben muss, ist es erforderlich, gewisse Anforderungen an seine Erhebung zu stellen.
Welche dies sind, und ob es des dem BGH gelungen ist, mit dem Orange-Book-Verfahren einen angemessenen Interessenausgleich zwischen Lizenzsucher und dem Inhaber eines standard-essentiellen Patents herzustellen, soll Gegenstand des vorliegenden Werkes sein.
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Ausarbeitung
- A. Einführung in das Thema und seinen Kontext
- I. Problemaufriss
- II. Ziel der Arbeit
- B. Der Interessenausgleich durch die „Orange-Book-Standard“-Entscheidung des BGH
- I. Gegensätzlichkeit der einbezogenen Interessen und der sie schützenden Rechtsregime
- 1. Schutzrechtsinhaber
- a. Interessen
- b. Patentrecht
- aa. Patentrechtliche Absicherung dieser Interessen
- bb. Das Wesen standard-essentieller Patente
- i. Formelle Standards
- ii. De-facto-Standards
- cc. Vor- und Nachteile von SEPs
- 2. Lizenzsucher
- a. Interessen
- b. Kartellrecht
- 3. Das Spannungsverhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht
- a. Von der Gegensätzlichkeit prima facie zum Komplementaritätsverhältnis
- b. Die kartellrechtliche Zwangslizenz als Ventil für Spannungen
- c. Anspruchsgrundlage des kartellrechtlichen Zwangslizenz
- aa. Das europäische Missbrauchsverbot nach Art. 102 AEUV
- bb. Das deutsche Missbrauchsverbot nach §§ 19, 20 GWB
- II. Streit- und Meinungsstand bzgl. der Anforderungen an den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand
- 1. Kriterien der Rechtsprechung
- a. Die Orange-Book-Entscheidung des BGH
- aa. Sachverhalt
- bb. Voraussetzungen des Zwangslizenzeinwands nach der Konzeption des BGH
- i. Anwendbarkeit auf Unterlassungsansprüche
- ii. Konkrete Ausgestaltung und Kriterien
- (1) Das unbedingte Angebot
- (a) Bedingtheit des Angebots
- (b) Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit
- (c) Nichtausschlagbarkeit nach Kartellrecht
- (2) Vorweggenommene Erfüllungshandlungen
- b. Zwischenergebnis
- 2. Kritik der EU-Kommission und Rechtsprechung des EuGH
- 3. Kriterien im EU-Ausland
- 4. Kritik an den Orange-Book-Standard-Kriterien aus der Literatur und Würdigung
- a. Uneinheitliche Beurteilung
- b. Kritik
- aa. Unklarheiten für die praktische Handhabung
- i. Kritikpunkte
- ii. Würdigung
- bb. Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht
- i. Effet utile und § 242 BGB
- ii. Würdigung
- cc. Zu hohe Hürden für den Lizenzsucher
- i. Bedingungen
- ii. Erfüllungshandlung
- iii. Beweislast
- iv. Würdigung
- dd. Ergebnis
- III. Lösungsvorschlag
- 1. Lösungsansatz für FRAND-Situationen
- 2. Lösungsansatz für de-facto-Standard-Situationen
- 3. Lösungsansatz über § 712 ZPO
- C. Schlussbetrachtung
- Spannungsverhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht
- Kriterien des kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwands
- Interessenausgleich zwischen Lizenzsucher und Patentinhaber
- Orange Book-Standard-Entscheidung des BGH
- Machtmissbrauch durch standard-essentielle Patente
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit befasst sich mit der Frage, ob das Orange Book-Verfahren zu einem angemessenen Interessenausgleich zwischen Lizenzsucher und dem Inhaber eines standard-essentiellen Patents führt. Die Arbeit zielt darauf ab, die Interessen der Beteiligten zu analysieren, das Spannungsverhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht zu beleuchten und die Kriterien für den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand zu untersuchen.
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einführung in das Thema und seinen Kontext, indem sie den Problemaufriss und das Ziel der Arbeit darlegt. Anschließend werden die gegenläufigen Interessen von Lizenzsucher und Patentinhaber im Bereich standard-essentieller Patente (SEPs) beleuchtet und das Spannungsverhältnis zwischen Patent- und Kartellrecht betrachtet. Dabei wird die kartellrechtliche Zwangslizenz als Ventil für Konflikte zwischen den beiden Rechtsgebieten hervorgehoben.
Das nächste Kapitel untersucht die Kriterien für den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, insbesondere im Kontext der Orange-Book-Standard-Entscheidung des BGH. Die Arbeit analysiert die Anforderungen des BGH an den Lizenzsucher, die Kritik der EU-Kommission und der Rechtsprechung des EuGH sowie die Kritik aus der Literatur. Die Analyse zeigt die Schwächen des BGH-Ansatzes auf und führt zu der Schlussfolgerung, dass die Anforderungen des BGH zu hoch und die Anwendung des Zwangslizenzeinwands de facto leerläuft.
Abschließend wird ein eigener Lösungsvorschlag entwickelt, der die Unterscheidung zwischen formellen und de-facto-Standards berücksichtigt und differenzierte Kriterien für die Anwendung des Zwangslizenzeinwands in beiden Konstellationen vorschlägt. Außerdem wird ein alternativer Lösungsansatz über § 712 ZPO diskutiert, der die Möglichkeit bietet, die vorläufige Vollstreckung eines Unterlassungsanspruchs zu suspendieren.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Schlüsselthemen standard-essentielle Patente (SEPs), FRAND-Bedingungen, kartellrechtlicher Zwangslizenzeinwand, Orange Book-Standard, Unterlassungsanspruch, Patentverletzungsprozess, Marktmissbrauch, Interessenausgleich, Patent- und Kartellrecht.
- Quote paper
- Veit Quirin Lindholz (Author), 2014, Kriegsschauplätze standard-essentieller-Patente und der "Orange-Book-Standard" des BGH, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/279949