Die Frage, wie Juden Nichtjuden gesehen haben, wird bislang in der Forschung erstaunlich wenig thematisiert. Meist wird vielmehr umgekehrt erörtert, wie Nichtjuden Juden gesehen haben. Bereits Hannah Arendt beklagte diesen Trend in der Geschichtswissenschaft und betonte, dass die Abneigung der Christen gegenüber den Juden durchaus auf Gegenseitigkeit beruht habe und die Juden ihren christlichen Nachbarn in ihrem religiösen Fanatismus allgemein sehr ähnlich gewesen seien. Die Gründe dafür sind mit Sicherheit auch in der Befürchtung zu suchen, bei der Untersuchung dieser Frage auf negative Einstellungen von Juden über Nichtjuden zu stoßen und sich somit möglicherweise dem Vorwurf des Antisemitismus auszusetzen. Gut möglich, dass sich diese Tendenz auch hinsichtlich der Erforschung anderer, gerade religiöser Minderheiten weltweit beobachten lasse, da man menschlich immer geneigt ist, einem verfolgten Menschen keine negativen Eigenschaften zuzutrauen. Dabei ist es bei der Betrachtung zwischenmenschlicher Konflikte natürlich immer notwendig, die Ansichten beider Seiten im Blick zu haben, auch wenn eine Seite in jeder Hinsicht vom Wohlwollen der anderen abhängig ist.
Der hier untersuchte Zeitraum erstreckt sich vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 17. Jh. Das ist der Zeitraum, den die neben den jüdischen Märchen verwendeten Quellen abdecken. Untersucht wird das aschkenasische Judentum in den deutschsprachigen Gebieten, Polen sowie Böhmen/Mähren.
Zunächst einmal soll ein Überblick über die Art der vorliegenden Märchen verschafft werden, wobei hier auch auf die Frage eingegangen werden soll, inwiefern es sich überhaupt um Märchen handle. Untersucht werden soll dann anschließend im Einzelnen (in der Reihenfolge) die Sichtweise der Juden auf die nichtjüdische Obrigkeit, auf Nichtjuden im Allgemeinen sowie auf die christliche Religion. Dies bietet sich an, da es in der Einstellung der Juden zu den jeweiligen Herrschern der von ihnen bewohnten Länder einerseits und den restlichen Nichtjuden andererseits Unterschiede gab, wie wir noch sehen werden. Weiterhin versteht es sich von selbst, dass in diesem behandelten Zeitraum die Religion eine außerordentlich wichtige Rolle spielte, nicht zuletzt wegen der Reformation. Aus diesem Grunde muss auch die Sichtweise der Juden auf die christliche Religion untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Grundsätzliches über die vorliegenden Märchen
- Die Einstellung der Juden zur nichtjüdischen Obrigkeit
- Die Einstellung der Juden zu Nichtjuden allgemein
- Jüdische Einstellung zum Christentum
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, wie Juden in der Frühen Neuzeit Nichtjuden wahrgenommen haben. Hierzu werden jüdische Märchen analysiert, um Einblicke in die Einstellungen und Perspektiven der jüdischen Bevölkerung zu gewinnen. Die Studie konzentriert sich auf das aschkenasische Judentum in deutschsprachigen Gebieten, Polen und Böhmen/Mähren im Zeitraum vom 16. Jahrhundert bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
- Die Sichtweise der Juden auf die nichtjüdische Obrigkeit
- Die allgemeine Einstellung der Juden zu Nichtjuden
- Die jüdische Sicht auf das Christentum
- Die Rolle von Märchen als Quelle für die Erforschung der jüdischen Mentalität in der Frühen Neuzeit
- Die Frage nach dem Wahrheitsgehalt der verwendeten Märchen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung führt in die Forschungslücke ein, die sich mit der Untersuchung der jüdischen Perspektive auf Nichtjuden beschäftigt. Sie beleuchtet die Schwierigkeit des Themas und die Notwendigkeit, beide Seiten des Konflikts zu betrachten. Der Fokus liegt auf dem Zeitraum vom 16. bis zur ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
- Grundsätzliches über die vorliegenden Märchen: Dieses Kapitel bietet einen Überblick über die verwendeten Märchen aus den Büchern „Der Born Judas“ von Micha Josef bin Gorion und „Der Golem. Jüdische Sagen und Märchen aus dem alten Prag“. Es diskutiert die Herkunft der Märchen, ihre Entstehungszeit und die Frage, ob sie als Quellen für die Untersuchung der Frühen Neuzeit geeignet sind.
Schlüsselwörter
Jüdische Märchen, Frühe Neuzeit, aschkenasisches Judentum, Nichtjuden, christliche Obrigkeit, Einstellungen, Perspektiven, Wahrheitsgehalt, Sagen, Religion, Judentum, Antisemitismus, historische Quellen, Forschungslücke.
- Arbeit zitieren
- Karl Hollerung (Autor:in), 2013, Wie sahen Juden in der frühen Neuzeit Nichtjuden? Eine Untersuchung anhand jüdischer Märchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/278653