Die EuGH-Urteile Inspire Art 1 und Überseering 2 bilden den bisherigen Schlusspunkt in einer Reihe von Entscheidungen, die der EuGH in den letzten knapp 20 Jahren zum europäischen Gesellschaftsrecht getroffen hat. Während die Entscheidung Daily Mail 3 mehrheitlich noch als Billigung des Vorranges der Sitztheorie gegenüber der durch die Art. 43, 48 EGV statuierten Niederlassungsfreiheit angesehen wurde, brachte die Rechtssache Centros 4 einen Paradigmenwechsel. Diese grundlegende Neuausrichtung des EuGH wurde jedoch von vielen zunächst verkannt. Unterschiede im Hinblick auf Sachverhalt und Rechtsfragen wurden entweder unzutreffend oder überhaupt nicht wahrgenommen, zahlreiche - z.T. ideologisch eingefärbte -Fehlinterpretationen waren die Folge. Die Verfechter der Sitztheorie taten sich anfangs sehr schwer und waren auch nicht Willens dem durch Centros verursachten Kurswechsel zu folgen. Selbst nach den eindeutig richtungweisenden Entscheidungen Überseering und Inspire Art wurde - teilweise von namhaften Stimmen - weiterhin der Versuch unternommen, die Sitztheorie oder besser das, was von ihr übrig war, aus der Schusslinie zu bringen 5 . Von beiden Seiten wird die Diskussion dabei mit einem Engagement geführt, als ginge es um (das eigene) Menschenleben. Derart kontrovers waren und sind die vertretenen Standpunkte, dass mitunter angezweifelt wurde, ob die Autoren „ein- und dasselbe Urteil besprachen“ 6 . Auf den ersten Blick und für juristische Verhältnisse ein eher ungewöhnlicher Vorgang. Macht man sich den Hintergrund bewusst, wird vieles klarer. Neben der Richtigkeit der persönlichen Meinung geht es doch im Ergebnis um nicht weniger als den Fortbestand jahrzehntelang und gegen heftigen Widerstand erkämpfter Arbeitnehmerrechte (Stichwort: Mitbestimmung), die Zukunft des deutschen Gesellschaftsrechts an sich (Stichwort: Konkurrenz der europäischen Rechtssysteme) und um den Schutz von Gläubigern und Konsumenten vor rechtsmissbräuchlich agierenden Gesellschaften [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Recht der freien Niederlassung - eine europäische Grundfreiheit
- Kollisionsrechtlicher Hintergrund – Sitztheorie versus Gründungstheorie
- Sitztheorie
- Gründungstheorie
- Stand der Diskussion in Deutschland
- Verlegung des Verwaltungssitzes bei in Deutschland gegründeten Gesellschaften
- Verlegung des Satzungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft
- Bisherige Rechtsprechung des EuGH
- Daily Mail
- Centros
- Der Fall Überseering
- Sachverhalt
- Vorlagefragen
- Urteil des EuGH
- Umsetzung der Vorgaben durch den BGH
- Würdigung des Urteils und Konsequenzen für die deutsche Rechtsprechung
- Inspire Art (Achtung "Inspire Art": Fremdautor!!!)
- Sachverhalt
- Vorlagefragen
- Urteil des EuGH
- Würdigung des Urteils und Konsequenzen für die deutsche Rechtsprechung
- Ausblick und Konsequenzen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit analysiert die EuGH-Urteile „Überseering“ und „Inspire Art“ im Kontext des europäischen Gesellschaftsrechts. Ziel ist es, die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf die freie Niederlassung von Gesellschaften und die Kollision der Sitztheorie mit der Gründungstheorie zu beleuchten.
- Das Recht der freien Niederlassung als europäische Grundfreiheit
- Die Kollision der Sitztheorie und der Gründungstheorie
- Die Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH in den Fällen Daily Mail, Centros, Überseering und Inspire Art
- Die Auswirkungen der EuGH-Urteile auf das deutsche Gesellschaftsrecht
- Die zukünftigen Herausforderungen und Konsequenzen für die europäische Rechtsordnung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung liefert einen einführenden Überblick über die Problematik und die Relevanz der EuGH-Urteile Überseering und Inspire Art. Sie beleuchtet die Kontroversen und die verschiedenen Standpunkte in der Diskussion um die Sitztheorie und die Gründungstheorie.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Recht der freien Niederlassung als europäische Grundfreiheit. Es erläutert die Bedeutung der Niederlassungsfreiheit im Rahmen des europäischen Binnenmarktes.
Kapitel drei widmet sich dem kollisionsrechtlichen Hintergrund der Sitztheorie und der Gründungstheorie. Es analysiert die jeweiligen Theorien und ihre Implikationen für das Gesellschaftsrecht.
Kapitel vier gibt einen Überblick über die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu den Fällen Daily Mail und Centros. Es zeigt auf, wie der EuGH die Niederlassungsfreiheit in diesen Urteilen interpretiert hat.
Kapitel fünf analysiert den Fall Überseering im Detail. Es umfasst die Darstellung des Sachverhalts, der Vorlagefragen, des Urteils des EuGH und der Umsetzung des Urteils durch den BGH.
Kapitel sechs widmet sich dem Fall Inspire Art. Es enthält eine detaillierte Beschreibung des Sachverhalts, der Vorlagefragen und des Urteils des EuGH. Die Würdigung des Urteils und die Konsequenzen für die deutsche Rechtsprechung werden ebenfalls behandelt.
Schlüsselwörter
Europäisches Gesellschaftsrecht, Freie Niederlassung, Sitztheorie, Gründungstheorie, EuGH, Daily Mail, Centros, Überseering, Inspire Art, Kollisionsrecht, Arbeitnehmerrechte, Mitbestimmung, Briefkastengesellschaften, Rechtsmissbrauch, europäische Rechtsordnung
- Citation du texte
- LL.B. (Melb.); LL.M. (Melb.)/Dipl. Wirtschaftsjurist (FH) Florian Schwarz (Auteur), 2004, Die EuGH-Urteile "Überseering" und "Inspire Art", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27804