Schon im 19. Jahrhundert verstand Alexis de TOCQUEVILLE Vereine als „Schulen der Demokratie“, in denen die Bürger Fähigkeiten und Kompetenzen individuell erwerben und diese in gesamtgesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen anwenden können. Bis heute sind die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen als stabilisierende und reproduzierende Funktionsträger in einem demokratischen System nicht mehr wegzudenken. Das Interesse von Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik am bürgerschaftlichen Engagement als universalen Lernort ist in den letzten Jahren gestiegen. So wird mit Initiativen wie dem diesjährigen europaweiten „Jahr des Ehrenamtes“ versucht, mehr Bürgerinnen und Bürger für diese Form der Partizipation zu gewinnen und an den diesbezüglichen Lernchancen teilhaben zu lassen. Auch auf pädagogischer Ebene rückt das bürgerschaftliche Engagement in den Fokus. So sehen Vertreter der der Demokratiepädagogik hier eine Möglichkeit, dass gemeinschaftliche Erfahrungen in elementaren politischen Organisationsformen vom sozialen Nahraum auf größere politische Belange übertragen werden kann. Mit dem Konzept des „Service Learning“ wurde ein schulisches bzw. universitäres Programm aus dem nordamerikanischen Raum übernommen und auf deutsche Verhältnisse angepasst, welches das bürgerschaftliche Engagement als Ort von politischen Lernprozesse identifiziert, in dem Jugendliche demokratische Kompetenzen erwerben können.
Abgesehen von der Frage, ob die oben beschriebenen an das Ehrenamt herangetragenen Erwartungen als plausibel einzustufen sind, entbehren sie zumeist sowohl einer Beschreibung, um welche politischen Kompetenzen es sich im Detail handelt, die hier erworben werden sollen, als auch einer empirischen Grundlage, die die Vermutung von individuellen Lernchancen im bürgerschaftlichen Engagement verifizieren könnte. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an und geht dabei den folgenden Fragestellungen nach: Findet im bürgerschaftlichen Engagement politisches Lernens statt? Welche Ausdifferenzierung und Nuancierung von Lernchancen ist dabei bezüglich des Gesamtspektrums politischer Kompetenzen festzustellen? Haben Bevölkerungsschichten gleichermaßen Zugang zum bürgerschaftlichen Engagement und den damit verbundenen Lernprozessen? Unter welchen Umständen und Bedingungsfaktoren kann politisches Lernen im Bürgerschaftlichen Engagement stattfinden und kann das Erlernte auf die gesellschaftliche und politische Umwelt transferiert werden?
Inhaltsverzeichnis
- Abbildungsverzeichnis
- Tabellenverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Theoretische Betrachtungen zum bürgerschaftlichen Engagement
- 2.1. Zum Begriff des bürgerschaftlichen Engagement
- 2.2. Die Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Ordnungssystem
- 2.3. Die Lernerwartungen an das bürgerschaftliche Engagement
- 3. Empirische Ergebnisse zum bürgerschaftlichen Engagement in der Demokratie - zwischen Wunsch und Wirklichkeit?
- 3.1. Bereiche des Engagements
- 3.2. Sozio-demographische Bedingungsfaktoren
- 3.3. Tätigkeitstypen und Organisationsformen in Vereinen
- 4. Politisches Lernen
- 4.1. Zum Begriff des Politischen Lernens
- 4.2. Lernbegriff und -formen
- 4.3. Der außerschulische Lernort in der politischen Bildung
- 5. Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement
- 5.1. Vorbemerkungen
- 5.2. Konzeptuelles Deutungswissen
- 5.3. Sozialwissenschaftliches Analysieren und politische Urteilsfähigkeit
- 5.4. Partizipationsfähigkeit
- 5.5. Perspektivenübernahme und Konfliktfähigkeit
- 5.6. Bewertung der Lernpotentiale auf Grundlage der empirischen Studien
- 6. Transfer und Reflexion von sozialen und politisches Lernerfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement
- 6.1. Transfermöglichkeiten
- 6.2. Reflexion
- 6.3. Sozialität
- 6.4. Sozialisation versus Selektion
- 7. Service Learning – „Lernen durch Engagement!“ ?
- 7.1. Entstehungszusammenhang
- 7.2. Ziele und Qualitätsstandards
- 7.3. Projektauswahl
- 7.3.1. Projekt-,,Schüler als Gemeindedetektive"
- 7.3.2. Projekt-,,Santa Cruz River"
- 7.4. Politische Lerneffekte: Ergebnisse von sozialwissenschaftlichen Studien zum Service Learning
- 7.5. Ein Zwang zur Freiwilligkeit?
- 7.6. Eine Bewertung des Service Learning Konzeptes
- 8. Fazit und Ausblick - Bestimmungsfaktoren für politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement
- 9. Zusammenfassung
- 10. Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende wissenschaftliche Arbeit befasst sich mit der Frage, ob und inwiefern bürgerschaftliches Engagement als Lernort für politische Bildung fungieren kann. Ziel ist es, die Lernpotenziale des Engagements im Hinblick auf den Erwerb politischer Kompetenzen zu untersuchen und die dafür relevanten Bedingungen und Einflussfaktoren zu analysieren.
- Bedeutung des bürgerschaftlichen Engagements für ein demokratisches Ordnungssystem
- Lernpotenziale des bürgerschaftlichen Engagements für den Erwerb politischer Kompetenzen
- Bedingungsfaktoren für politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement
- Transfer von Lernerfahrungen in die gesellschaftliche und politische Umwelt
- Bewertung des Service Learning-Konzepts als pädagogisches Instrument zur Förderung politischen Lernens im bürgerschaftlichen Engagement
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des bürgerschaftlichen Engagements als Lernort der politischen Bildung ein und stellt die zentralen Fragestellungen der Arbeit vor. Kapitel 2 beleuchtet den Begriff des bürgerschaftlichen Engagements und seine Bedeutung für ein demokratisches Ordnungssystem. Es werden die verschiedenen Formen des Engagements sowie die damit verbundenen Lernerwartungen diskutiert. Kapitel 3 präsentiert empirische Ergebnisse zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland und analysiert die sozio-demographischen Bedingungsfaktoren sowie die Tätigkeitstypen und Organisationsformen in Vereinen. Kapitel 4 beschäftigt sich mit dem Begriff des Politischen Lernens und den verschiedenen Lernformen. Es wird der außerschulische Lernort in der politischen Bildung beleuchtet. Kapitel 5 untersucht den Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen Engagement und analysiert die verschiedenen Kompetenzen, die durch Engagement erworben werden können. Kapitel 6 befasst sich mit dem Transfer und der Reflexion von sozialen und politischen Lernerfahrungen im bürgerschaftlichen Engagement. Es werden die Möglichkeiten des Transfers sowie die Bedeutung der Reflexion für den Lernprozess diskutiert. Kapitel 7 stellt das Service Learning-Konzept vor und analysiert seine Ziele, Qualitätsstandards und Lerneffekte. Es werden die Ergebnisse von sozialwissenschaftlichen Studien zum Service Learning präsentiert und die Frage nach einem Zwang zur Freiwilligkeit diskutiert. Das Fazit fasst die wichtigsten Ergebnisse der Arbeit zusammen und gibt einen Ausblick auf zukünftige Forschungsfelder.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen das bürgerschaftliche Engagement, politisches Lernen, politische Bildung, Kompetenzerwerb, Service Learning, Demokratie, Partizipation, Transfer, Reflexion, Sozialisation, Selektion. Die Arbeit analysiert die Lernpotenziale des bürgerschaftlichen Engagements für den Erwerb politischer Kompetenzen und untersucht die dafür relevanten Bedingungen und Einflussfaktoren. Ein besonderer Fokus liegt auf der Frage, ob und inwiefern das Erlernte auf die gesellschaftliche und politische Umwelt transferiert werden kann. Die Arbeit beleuchtet auch das Service Learning-Konzept als pädagogisches Instrument zur Förderung politischen Lernens im bürgerschaftlichen Engagement.
- Quote paper
- André Beyer (Author), 2011, Politisches Lernen im bürgerschaftlichen Engagement, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/277325
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