Ziel dieser Arbeit ist es, die Ursachen für den Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges (ab 1975) zu ergründen. Dazu werden bereits gegebene Antworten, vor allem von Wissenschaftlern und Journalisten wiedergegeben, verglichen und bewertet. Geleitet wird die Arbeit von der Fragestellung, ob es einen gewissen Konsens der Fachleute darüber gibt, wie es zum libanesischen Bürgerkrieg kam. Dazu sollen die existierenden Publikationen, die sich mit dem Libanon beschäftigen eingeordnet und verglichen werden. Die Arbeit endet zeitlich mit dem Beginn des Krieges, also im April 1975. Auf die Abläufe des Krieges wird nicht eingegangen, auch nicht auf die Schilderung sonstiger Ereignisse im Nahen Osten und der Welt vor oder während des Bürgerkrieges, da es hier nur um die Ursachen für den Krieg gehen soll. Auf die erwähnte Fragestellung hin wurden sowohl Werke aus der Zeit vor, während und nach dem Bürgerkrieg untersucht, sowohl von libanesischen und arabischen, als auc h von europäischen und amerikanischen Autoren. Die Auswahl der Publikationen, bzw. die Nichtberücksichtigung anderer ergibt sich aus der auferlegten Beschränkung der Zeit und des Umfangs für die Arbeit, sowie aus der Verfügbarkeit von Literatur in Leipzig. Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, alle wichtigen Publikationen zum libanesischen Bürgerkrieg erfasst zu haben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Bemerkungen zur Literatur
2.1 Widersprüche
2.2 Prophezeiungen
2.3 Beschreibung und Analyse des Krieges, Schwierigkeiten
3. Mögliche Erklärungen
3.1 Historische Dimension
3.2 Nationalismus, Identität des Libanons und maron. Vormachtstellung
3.3 Mosaikstruktur, Religionsgemeinschaften, Zu’ama und Qabadais
3.4 Die „palästinensische Frage“, Nahostsituation und Panarabismus
3.5 Ineffizienz, Immobilität und Schwäche des libanesischen Systems
3.6 Wirtschaftliche Faktoren
3.7 Unterrepräsentierte fordern Macht, Radikalisierung der Muslime
3.8 Andere externe Faktoren
3.9 Muslime gegen Christen?
3.10 Probleme durch die Offenheit des Systems
3.11 Zusammenbruch des Staates?
3.12 Subjektive Wahrnehmung
3.13 Parteien und Kriegsbündnisse
3.14 Transformationsprozesse
3.15 Falsches
3.16 Originelles, Unkonventionelles
4. Ergebnis
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
«Niemand wird wohl genau ergründen, was die Bombe Beirut eigentlich zum Explo-
dieren brachte. Die Lunte war lange gelegt, und ein Funke genügte, sie zu zünden“[1]
Alexander Niemetz
“Those who do not learn from history are doomed to repeat it”
George Santayana
Ziel dieser Arbeit ist es, die Ursachen für den Ausbruch des libanesischen Bürgerkrieges (ab 1975) zu ergründen. Dazu werden bereits gegebene Antworten, vor allem von Wissenschaftlern und Journalisten wiedergegeben, verglichen und bewertet.
Geleitet wird die Arbeit von der Fragestellung, ob es einen gewissen Konsens der Fachleute darüber gibt, wie es zum libanesischen Bürgerkrieg kam. Dazu sollen die existierenden Publikationen, die sich mit dem Libanon beschäftigen eingeordnet und verglichen werden.
Die Arbeit endet zeitlich mit dem Beginn des Krieges, also im April 1975. Auf die Abläufe des Krieges wird nicht eingegangen, auch nicht auf die Schilderung sonstiger Ereignisse im Nahen Osten und der Welt vor oder während des Bürgerkrieges, da es hier nur um die Ursachen für den Krieg gehen soll.
Auf die erwähnte Fragestellung hin wurden sowohl Werke aus der Zeit vor, während und nach dem Bürgerkrieg untersucht, sowohl von libanesischen und arabischen, als auch von europäischen und amerikanischen Autoren. Die Auswahl der Publikationen, bzw. die Nichtberücksichtigung anderer ergibt sich aus der auferlegten Beschränkung der Zeit und des Umfangs für die Arbeit, sowie aus der Verfügbarkeit von Literatur in Leipzig. Die Arbeit erhebt nicht den Anspruch, alle wichtigen Publikationen zum libanesischen Bürgerkrieg erfasst zu haben.
2. Bemerkungen zur Literatur
2.1 Widersprüche
Bei der Sichtung der Literatur zum libanesischen Bürgerkrieg springen schnell die zum Teil diametral gegensätzlichen und widersprüchlichen Auffassungen und Erklärungen ins Auge. Bei der deskriptiven Schilderung fallen keine nennenswerten Unterschiede auf, wohl aber bei der Interpretation der Ereignisse. Dies verdeutlicht das breite Spektrum, in das das multiple Kriegsgeschehen eingeordnet werden kann. Zur Verdeutlichung seien an dieser Stelle einige völlig gegensätzliche Äußerungen zitiert, die jeweils das äußerste Ende eines Erklärungsspektrums darstellen. Die anderen Publikationen liegen meist irgendwo „dazwischen“.
Über die Zeit vor dem Beginn des Bürgerkrieges schreibt Abraham zum Beispiel:
Like a fine Swiss timepiece, Lebanon, which is a cultural, ethnic and religious mosaic, functioned well. However, this is not to imply that Lebanon was a fairy-tale land, but rather, that it faced far fewer domestic problems among its sects and groups than any of its neighbors.[2]
Dahingegen spricht Hudson von einer schon lange währenden schwelenden Spannung[3] und bei Khalaf heißt es:
The social and political history of Lebanon – despite occasional manifestations of consensus, balance and harmony – has always been characterized by successive outbursts of civil strife and political violence. The brutality and duration of almost two decades of senseless bloodletting might have obscured some of the earlier episodes.[4]
Ähnlich Khazen:
Historically, no victory was complete, no revolt was finished, and no order was orderly. Instead, ambivalence predominated both in times of peace and war.[5]
Über den Nationalpakt heißt es z.B. bei Klaff, dass er zur „Spaltung in Christen und Muslime mit jeweils eigener Identität“ kam t r o t z des Nationalpaktes.[6] Köhler ist hingegen der Ansicht, dass der Nationalpakt „den bis heute in Politik und Gesellschaft praktizierten Konfessionalismus“ bestätigte.[7]
Auch bei der wichtigen Frage der Gewichtung von externen und internen Faktoren, die zum Krieg führten, ist ein deutlicher Unterschied erkennbar. Einige Autoren machen die externen Faktoren fast ausschließlich für den Ausbruch des Krieges verantwortlich, so z.B. Abraham:
However, by the mid-1970s, Lebanon’s tranquillity began to evaporate as external forces began to impinge on the factional, sectarian structure of the state. Finally, external conspiracies set Lebanon ablaze, launching it on a countdown to destruction that, in the long run, served to extract it from the Free World’s western front in the Middle East.[8]
Andere hingegen halten die innerlibanesischen Faktoren für wichtiger. So schreibt Abul-Husn:
The origin of the war, however, did not lie with these external forces, who had their own goals, but with the conflict within and between Lebanon’s communal groups.[9]
Jung hingegen hält die analytische Aufspaltung in innere und äußere Ursachen für nicht sinnvoll[10] und urteilt: „Die Ursachen des Krieges selbst sind aber das Ergebnis der inneren gesellschaftlichen Struktur des Libanons.“[11]
Zum Ausbruch des Krieges heißt es z.B. bei Schlicht: „Als 1975 in [sic] Libanon ein offener Konflikt ausbrach, konnte dies keinen aufmerksamen Beobachter überraschen.“[12] Khalidi jedoch hat den Krieg nicht vorhergesehen und meint, dass der „cumulative temporal confluence of the external and internal factors that hit Lebanon with such devastating effect, taking Lebanon watchers by surprise.”.[13]
2.2 Prophezeiungen
Haben Fachleute vor 1975 geahnt, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen würde? Zunächst seien zwei Publikationen genannt, die völlig falsch lagen. Zum einen Hitti, der 1965 in seiner Geschichte des Libanons zusammenfassend schreibt:
The measure of progress achieved by the tiny twenty-year-old republic under the cedar flag may seem minimal and snail-paced in an age of atomic power and jet propulsion, but not if the adverse circumstances are adequately considered. The republic has been one, in name and in fact. It has maintained democracy in an inhospitable environment and upheld constitutional rule, while military and authoritarian regimes became fashionable. The Lebanese community has evolved from a static state based on “soil and blood” (agriculture and kinship) to one, mobile and dynamic, based on trade and services. With the collaboration of its overseas segments, it has begun to participate in world culture. Its businessmen have operated under a free enterprise system and exchanged commodities between East and West, as its enlightened men exchanged intellectual products. The country’s standard of living has risen to an enviable high and so has its rate of literacy. Its religious elements have worked out techniques for Christian-Moslem co-operation in politics and other phases of life, techniques which could be used on a wider scale in other countries of the Arab world, and perhaps in solving the international problem of reconciling Near Eastern and Western European ways of life, including coexistence between modern Islam and Christianity. Such a record in the past holds the promise of further contributions in the future, provided it deserves the sympathetic appreciation of other like-minded peoples of the world.[14]
Ebenso falsch liegen die Smocks, die noch im Jahre 1974 aus heutiger Sicht fast naiv in ihrer vergleichenden Studie schreiben:
A will to live together pervades the Lebanese system. One of the most important shared understandings is the urge for reconciliation and the desire on all sides of responsible opinion to pull back if it looks as if events are leading to conflict that might get out of control (...) There is also a growing appreciation among all communities of the value of a viable and cohesive state and the kind of intergroup accommodation upon which it depends.[15]
Im Folgenden seien nun zwei Autoren genannt, deren Prophezeiungen sich bewahrheiten sollten. Zum einen der Journalist Randal, der schreibt:
Out of pure journalistic sixth sense, during a week’s visit in September 1974 I had predicted the coming civil war in print – and was banned from Lebanon until my prophecy came true half a year later.[16]
Zum anderen fällt Kewenig auf, der in seiner gelungenen Studie zu den Religionsgemeinschaften im Libanon sich gegen Ende des Buches fragt, ob der „’libanesische Fall’ mehr als nur eine interessante Erfahrung, ein bemerkenswertes Experiment, ob die gefundene –und realisierte- Lösung tatsächlich die „richtige“ ist.“[17] Er diskutiert die Krise von 1958,[18] die seiner Meinung nach den „sichtbaren Gegensatz zwischen arabischen und libanesischem Nationalismus, zwischen Arabern und Libanesen, zwischen Christen und Muslims“[19] verstärkt hat. Er spricht von einer „ungeheuren Spannung“[20] zwischen den „heute etwa gleichstarken libanesischen Bevölkerungsteile, des christlichen und des muhammedanischen ‚Blocks’“[21] Diese Trennung sei aber nicht aufgrund von religiösen Differenzen, sondern eine rein politische Entscheidung, nämlich zwischen arabischem und libanesischem Nationalismus[22]. Abschließend stellt er die Frage nach der zukünftigen „Lebensfähigkeit des libanesischen Staatsgebildes“[23] verneint diese zunächst, äußert sich dann aber hoffnungsvoll.[24]
2.3 Beschreibung und Analyse des Krieges, Schwierigkeiten der Beschreibung
Einigermaßen Einigkeit scheint zu bestehen bei der Feststellung, dass der Libanon einmal als die „Schweiz“ und Beirut als das „Paris des Nahen Ostens“ galt und das sich durch den Bürgerkrieg dieses Image sehr schnell komplett gewandelt hat. So schreibt Esposito:
Like Iran, Lebanon had been regarded as among the most stable, developed and prosperous Middle East countries. Beirut, its capital, often was referred to as the Paris of the Middle East, a center of commerce, banking, and education. Lebanon was also multireligious as well as multilingual country celebrated as a land where Christians, Muslims, and Druze lived side-by-side.[25]
Ähnlich treffend beschreibt Hanf den “Imageverlust” des Libanons:
Über drei Jahrzehnte lang galt er als ein Beispiel erfolgreicher, friedlicher und demokratischer Koexistenz, als einer der wenigen gelungenen Fälle einer Konkordanzdemokratie außerhalb Europas; in den letzten vierzehn Jahren ist er hingegen zum abschreckenden Beispiel eines von mörderischen Kriegen zerrissenen Landes geworden – in anderen Vielvölkerstaaten wird heute von einer „Libanisierung“ gewarnt.“[26]
Durch den Bürgerkrieg, der als “one of the bitterest, most destructive civil wars of modern times”[27] beschrieben wird, wurde der Libanon dann Symbol von Gewalt und Anarchie:
For many people in the world, Lebanon became synonymous with anarchy, reflected in incidents ranging from random violence, car bombings and kidnapping to major military conflicts such as the 1982 Israeli invasion. Lebanon was regarded by many people as a hotbed of anti-Westernism which should be ostracised by the international community.[28]
Wie kann man sich nun den Erklärungen der multiplen und komplexen Ursachen des Bürgerkrieges nähern? Der Journalist Randal dazu: „’I left for the complicated Orient with simple ideas,’ General de Gaulle wrote in his World War II memoirs. By the 1970s Lebanon certainly had become too complicated for easy explanation, much less remedy.”[29]
Khazen urteilt ähnlich gut:
Lebanon is a complex country to understand, let alone to study – whether in time of peace or war. In comparison with other conflicts involving large military confrontations, the war in Lebanon involved a comparatively large number of internal and external parties as well as various state and non-state actors. It was also a war that underwent continuous change.[30]
Wenn man sich mit den Gründen für den Ausbruch des Krieges beschäftigt, erkennt man schnell die Komplexität und den „unentwirrbaren Knoten“[31] dieses Krieges. Die wichtigsten Fragen, die man an den Krieg zu richten hat, stellt Khazen:
The constantly changing internal and external setting of conflict makes it difficult to characterise Lebanon’s war. Was it a classic civil war in which protagonists fought over well-defined objects, or an internal war serving an avenue to settle old scores? Was it an insurgence that never took off, or a revolution that never succeeded? Was it a regional war reflecting the unsettled conflicts in the Middle East, or a broader international war involving the major powers? In some ways, the war was none of these. In others, it was all of them.”[32]
Abschließend urteilt er, der Krieg war “a conflict of communities, ideologies, religions, power politics, parochial interests, and values. It was infused with passion and blurred by extremism and political expediency.”[33]
3. Mögliche Erklärungen
3.1 Historische Dimension
Die aus historischer Entwicklung heraus argumentierenden Autoren beginnen in der Regel mit dem Sonderstatus des Libanongebirges im Osmanischen Reich um 1860, mit der Erschaffung des „Grand Liban“ durch die Franzosen im Jahre 1920 oder aber mit der Unabhängigkeit des Libanon 1943 und hier vor allem mit Hinweis auf den „Nationalpakt“. Betont wird an vielen Stellen der „Sondercharakter“ des Libanons, so z.B. bei Hitti:
Of the Near East states, Lebanon is in a class by itself. Its historic experience, mountainous geography and the composition of its population combine to give it an identity and a personality of its own.[34]
Schon vor der Erschaffung des Großlibanons im Jahre 1920 habe es gewisse Trennungen zwischen Religionsgemeinschaften gegeben. Bartels verweist in seiner Abhandlung z.B. auf juristisch unterschiedlichen Regelungen für Drusen und Maroniten zur osmanischen Zeit hin, bedingt durch den dhimmi-Status und die drusisch-maronitische Teilautonomie.[35] Bardehle sieht hier die Begründung der „Jahrhunderte alte[n] Rivalität zwischen Christen und Moslems“[36] Kewenig zieht dann eine direkte Verbindungslinie zu den späteren Konflikten. Er schreibt, dass das „Neben- und Miteinander von Christen und Muslims (…) zwar immer schon d a s Problem des Libanon [war], doch stellte es sich bisher nicht in dieser Schärfe.“[37] Vorher sei es vor allem um die Koexistenz von Drusen und Christen gegangen, aber mit der Schaffung des Grand Liban 1920 sei das Problem verstärkt worden[38] und wird später zu den großen religiösen Trennlinien: „arabischer gegen libanesischen Nationalismus, „Anschluss“ gegen Unabhängigkeit, „Foyer Chrétien“ gegen „Liban Arabe“.
Nach der Beschreibung des Systems der Koexistenz und dessen historische Entwicklung und rechtliche Grundlagen, deutet Kewenig in seinen Fragen ein entscheidendes Problem an:
Bildet das System innerstaatlicher Koexistenz eine brauchbare Grundlage für ein modernes Staatswesen? Oder zugespitzt: Ist ein auf der Koexistenz weitgehend eigenständiger Gemeinschaften aufgebautes Staatsgefüge widerstandsfähig genug, um auch Schwierigkeiten, ja ausgesprochene Krisen durchstehen zu können?[39]
Schlicht befindet, dass seit den Krisen von 1840 und 1860 im Libanongebirge
bezüglich der Grundmuster eine Kontinuität vorliegt: Innere Entwicklungen – seien sie demographischer oder sozialer Art, oder seien sie im Gefüge der der traditionellen Stammes- oder Clan-Rivalitäten entstanden – schaffen interne Spannungen, die das notwendige innere Gleichgewicht zu gefährden drohen, auf dem der libanesische Konsens beruht. Äußere Interventionen – sowohl regionaler als auch internationaler Art – können in einer solchen Situation katalysatorische Wirkung haben. Diese wird verstärkt durch die unterschiedlichen Außenbindungen der libanesischen Religionsgemeinschaften.[40]
Auch den Konfessionalismus sieht er hierin begründet:
Die Ta’ifiya, der (politische) Konfessionalismus, d.h. im Extremfall die faktische Aufspaltung Libanons in die Religionsgruppen, aus denen es sich zusammensetzt (…) hat ihre entscheidenden Entwicklungsimpulse im 19. Jahrhundert erhalten, als die äußere Einmischung zu einer tiefen inneren Spaltung führte, die wohl vorübergehend überdeckt schien, nie aber wirklich überwunden war. Immer wiederkehrende Konfrontationen, meist auch in Bezug zu Problemen äußerer Bindung, haben dies gezeigt.[41]
Ähnlich zutreffend erklärt auch Najem das Entstehen des Konfessionalismus im Libanon:
Lebanese society has been deeply divided for centuries along vertical lines: clans, villages, tribes, sects, and ethnic groups. The most prominent division, at least for purposes of political analysis, is sectarian, and an important feature of Lebanese society is the relationship among the various religious sects who make up the population.[42]
Zu diesen „Startschwierigkeiten“ des Libanon bemerkt Hanf: „Der neue Staat war also von Beginn an von profunden Gegensätzen über die Legitimität dieses Staates selbst gekennzeichnet.“[43] Weiter stellt er fest: „Angesichts der Komplexität dieser Ausgangslage ist der Optimismus und die Zuversichtlichkeit bemerkendwert, mit der die christlichen Führungsgruppen den Aufbau des neuen Staates in Angriff nahmen.“[44]
Weitaus positiver, aber deswegen nicht zwangsläufig korrekter, beschreibt Abraham den facettenreichen Libanon: “Throughout its history, Lebanon has been a bridge of civilizations, linking Eastern and Western cultures, arts, and sciences with one another.[45]
Vielfach wird in der Literatur zum Libanon der so genannte Nationalpakt von 1943 diskutiert[46], den Hottinger zutreffend als „doppelte Negation“[47] bezeichnet. Danach hätten die Libanesen „mehr oder minder friedlich zusammengelebt“[48]. Das politische Systen des Libanon in der Zeit von 1943-75 wird dann vielmals als „consociational democracy“[49] bezeichnet.
3.2 Nationalismus, Identität des Libanons und maronitische Vormachtstellung
Vielfach wird in der Literatur das Fehlen einer „gemeinsame[n] libanesische[n] Identität“[50] als problematisch genannt. Hudson schreibt dazu: “Lebanon is not a nation but an uneasy association of communities and classes, and Lebanese politics during the period of the liberal republic was primarily concerned with holding this association together.”[51] “Khalaf beschreibt die libanesische Gesellschaft als “small, communal and highly factionalized”[52] Oft wird dann auch auf die Vormachtstellung der Maroniten innerhalb dieses Systems hingewiesen.[53] Friedmann stellt vor allem auf den Nationalpakt ab und darauf, dass die Maroniten mehr Macht als die Sunniten hatten, obwohl sie nicht mehr die Mehrheit waren.[54]. Eine Ursache des Bürgerkriegs sieht er dann zutreffend in dem Zusammenstoß von Forderung nach Beibehaltung des Systems gegenüber der Forderung nach Veränderung und Abschaffung des Proporzsystems.[55] Auch Hanf betont die Probleme, die aus Rivalitäten um die Machtverteilung und aus dem Fehlen von Volkszählungen resultieren.[56] Klaff hingegen sieht den Gegensatz eher in der Forderung nach einem maronitischen Libanon, die später zu einem sektenübergreifenden libanesischen Nationalismus wurde und den sunnitischen, drusischen etc. Interessen, die für einen Anschluss an Syrien seien.[57] Khalidi weist auf einen Identitätskonflikt hin. Hauptgrund für die libanesischen Probleme sei die „“anonymity” as a nation”[58]:
And if the Moslem Lebanese was at a loss as to which identity card to pick up – the Islamic, Arab, or Lebanese, - the Maronite was equally ambivalent with regard to the Lebanese identity that he openly urged on his Moslem compatriots but secretly did not dare look fully in the face himself.[59]
[...]
[1] Niemetz, Alexander, Brennpunkt Nahost. Geschichte und Hintergründe politischer und religiöser Konfrontationen, München 1991, 23.
[2] Abraham, A. J., The Lebanon War, Westport, Conneticut, London 1996, preface XI.
[3] Hudson, Michael C., Arab Politics. The Search for Legitimacy, New Haven, London 1977, 283.
[4] Khalaf, Civil and Uncivil Violence in Lebanon. A History of the Internationalization of Communal Conflict, New York 2002, 1.
[5] Khazen, Farid el, The Breakdown of the State in Lebanon 1967-1976, London, New York 2000, 3.
[6] Klaff, René, Konfliktstrukturen und Aussenpolitik im Nahen Osten: das Beispiel Syrien, Berlin 1993, 177.
[7] Köhler, Wolfgang, Art. „Libanon“ in: Handbuch der Dritten Welt, hrsg. von Dieter Nohlen und Franz Nuscheler, Bd. 4. Unterentwicklung und Entwicklung in Asien. Halbbd. 2. Libanon-Ozeanien, Hamburg 1978, 425.
[8] Abraham, The Lebanon War, preface XI.
[9] Abul-Husn, Latif, The Lebanese Conflict. Looking Inward, Boulder, London 1998, 1.
[10] Jung, Dietrich, Der Krieg im Libanon. Exemplarischer Versuch einer gesellschaftstheoretisch fundierten Kriegsursachenanalyse, Hamburg 1992 (Forschungsstelle Kriege, Rüstung und Entwicklung, Arbeitspapiere 61), 125.
[11] Ebd., 126.
[12] Schlicht, Alfred, Libanon. Zwischen Bürgerkrieg und Internationalem Konflikt, Bonn 1986 (Arbeitspapiere zur Internationalen Politik Bd. 40), 9.
[13] Khalidi, Walid, Conflict and Violence in Lebanon: Confrontation in the Middle East, Cambridge MA 21981, 101.
[14] Hitti, Philip K., A Short History of Lebanon, New York 1965, 236.
[15] Smock,, David R. und Audrey C. Smock, The Politics of Pluralism. A Comparative Study of Lebanon and Ghana, New York u.a. 1975, 323.
[16] Randal, Jonathan C., Going All the Way. Christian Warlords, Israeli Adventurers, and the War in Lebanon, New York 1983, preface XI-XII.
[17] Kewenig, Wilhelm, Die Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon, Berlin 1965, 112.
[18] Ebd., 116.
[19] Ebd., 135.
[20] Ebd.
[21] Ebd., 136.
[22] Ebd.
[23] Ebd., 184.
[24] Ebd., 184ff.
[25] Vorwort von John Esposito, in: Dagher, Carole H., Bring down the Walls. Lebanon’s Postwar Challenge, New York 2000, XIII.
[26] Hanf, Theodor, Koexistenz im Krieg. Staatszerfall und Entstehen einer Nation im Libanon, Baden Baden 1990, 62.
[27] Hudson, Arab Politics, 281.
[28] Najem, Tom, The Collapse and Reconstruction of Lebanon, Durham 1998 (Durham Middle East Paper 59), 1.
[29] Randal, Going All the Way, preface XI.
[30] Khazen, The Breakdown of the State in Lebanon, 3.
[31] Hess, Martin, Die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts, insbesondere in gemischten Konflikten. Eine Untersuchung der Anwendbarkeit der Genfer und Haager Konventionen anhand der Konflikte in Afghanistan, Angola, Kampuchea, im Libanon und im Tschad, Diss. Zürich 1985, 233.
[32] Khazen, The Breakdown of the State in Lebanon, 3.
[33] Khazen, The Breakdown of the State in Lebanon, 3.
[34] Hitti, A Short History of Lebanon, preface IX.
[35] Bartels, Herwig, Das Waqfrecht und seine Entwicklung in der libanesischen Republik, Berlin 1967 (Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen Heft 51), 4-5; ähnlich: Bleckmann, Albert, Das französische Kolonialreich und die Gründung neuer Staaten. Die Rechtsentwicklung in Syrien/Libanon, Indochina und Schwarzafrika, Köln u.a. 1969 (Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht Nr. 50 des Max-Planck-Institut für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht), 5-76.
[36] Bardehle, Peter, Internationale Konsensbildung. UN-Peacekeeping als Musterfall für internationalen Konsens und seine Entstehung, Baden Baden Diss 1991, 55.
[37] Kewenig, Die Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon, 114.
[38] Ebd., 114-115.
[39] Kewenig, Die Koexistenz der Religionsgemeinschaften im Libanon, 111.
[40] Schlicht, Libanon, 2.
[41] Ebd., 5.
[42] Najem, The Collapse and Reconstruction of Lebanon, 4.
[43] Hanf, Koexistenz im Krieg, 91.
[44] Ebd., 92.
[45] Abraham, The Lebanon War, preface XV.
[46] Z.B. Najem, The Collapse and Reconstruction of Lebanon, 7.
[47] Hottinger, Arnold, Der Bürgerkrieg im Libanon, in: Europa Archiv. Zeitschrift für Internationale Politik (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik) 1976/3. Folge, Beiträge und Berichte, Bonn, 76.
[48] Stäheli, Martin, Die syrische Aussenpolitik unter Präsident Hafez Assad : Balanceakte im globalen Umbruch, Stuttgart 2001, 262.
[49] Z.B. Najem, The Collapse and Reconstruction of Lebanon, 3.
[50] Klaff, Konfliktstrukturen und Aussenpolitik im Nahen Osten, 176.
[51] Hudson, Arab Politics, 281.
[52] Khalaf, Civil and Uncivil Violence in Lebanon, 1.
[53] Z.B. Dubois, Christophe, La survie libanaise ou l’expérience de la différence. Un nécessaire élan vers l’harmonie multiconfessionnelle, Brüssel 2002, 41-42; Klaff, Konfliktstrukturen und Aussenpolitik im Nahen Osten, 174-175.
[54] Friedman, Thomas L., Von Beirut nach Jerusalem. Der Nahostkonflikt – Geschichte und Gegenwart, München 1989, 23.
[55] Ebd.
[56] Hanf, Koexistenz im Krieg, 116f.
[57] Klaff, Konfliktstrukturen und Aussenpolitik im Nahen Osten, 174-175.
[58] Khalidi, Conflict and Violence in Lebanon, 95.
[59] Ebd.
- Quote paper
- Andre Kahlmeyer (Author), 2004, Wie kam es zum libanesischen Bürgerkrieg (ab 1975)? - Vergleich bisheriger Erklärungsansätze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27726
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