Diese Arbeit lässt sich in eine primäre Fragestellung (a) mit einer darauf bezogenen sekundären Fragestellung (b) strukturieren.
Meine primäre Frage lautet:
a.) Auf welche sozioreligiösen Phänomene Indiens rekurriert der westlich geprägte Begriff «Kaste»? Bzw., welche emischen Begriffe lassen sich mit dem (etischen) Kastenbegriff in Verbindung bringen? Daraus lassen sich weitere Folgefragen generieren, auf welche ich im Hauptteil dieser Arbeit eingehen werde: Wie lässt sich die Sozialstruktur Indiens unter Einbezug auf kultureigene(emische) Begriffe, wie jāti, varna, jajmānī etc. präzise beschreiben? Auf welche ‹religiösen› Schriften (śhāstras bzw. smritis oder vedas) und auf welche mythologischen Deutungen lassen sich die varnas zurückführen? Was ist über ihre historische Genese bekannt? Wie ist die Bedeutung von «Farbe» für varna zu interpretieren – bezieht sich dieser Begriff wirklich auf die «Hautfarbe» oder die «Rasse»? Inwiefern hängen jāti, varna, dvija oder pañcama mit verschiedenen Konzepten über Qualitäten (guna) oder mit Reinheit (kula) und Unreinheit (ācauca) zusammen? Die sekundäre Fragestellung kann man genau genommen nicht von der primärenFragestellung trennen. Sie lautet:
b.) Welche konstruierten (von der Kolonialzeit geprägten) Kastenbegriffe bzw. schematischen varna-Begriffe lassen sich aufgrund der hohen Komplexität dieses sozioreligiösen Phänomens und nach dem heutigen Stand der Forschung nicht (mehr) aufrechterhalten? Im spezifischen läuft dies auf folgende Fragen hinaus: Woher stammt der Begriff «Kaste»? Ist es berechtigt, die varnas als soziale Gruppen oder mit dem (etischen) Begriff der «Kasten» zu identifizieren? Lässt sich tatsächlich (a) eine eindeutige und (b) von allen akzeptierte Hierarchie des «Kastensystems» feststellen?
Erstens erörtere ich einige wenige Aspekte der Genese und der Begriffsgeschichte des Ausdrucks «Kaste» und die, mit diesem zusammenhängenden rassischen, teilweise rassistischen Konnotationen westlicher Indiengelehrter des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Diesen, auf unser Thema hinführenden Teil bezeichne ich als etische Begriffsgeschichte (Kapitel 2), da die Termini «Kaste», «berufsständischen Typen» «Hierarchie»,«Rasse» etc. aus dem Begriffsuniversum der (damaligen) Europäer stammen, diese aber gleichzeitig als universal gültige Begriffe galten, sowie deutend auf die soziokulturellen Verhältnisse von Indien angewandt wurden.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung: missverständliche Kastenbegriffe
- 1.1. Fragestellung
- 1.2. Vorgehen
- 1.2.1. Theoretischer Bezugsrahmen
- 1.2.2. Zeichensetzung
- 2. Etische Begriffsgeschichte
- 2.1. Genese des Begriffs «Kaste»
- 2.2. Rassentheoretisch gefärbte Kastenbegriffe der Kolonialzeit
- 3. Emisches Begriffsspektrum
- 3.1. Chātur-varṇa
- 3.1.1. Mythos
- 3.1.2. Geschichte und Ideologie
- 3.1.3. Guna und Varṇa
- 3.2. Dvija und Upanayana
- 3.3. Pañcama
- 3.4. Acauca, Kula, Carīra und Artha
- 3.5. Jāti und Gotra
- 3.6. Jajmānī und Dānadharma
- 4. Schlussteil
- 4.1. Vereinfachte und konstruierte Kastenbegriffe
- 4.1.1. Eindeutige Hierarchie?
- 4.1.2. Varṇa-Schemen: «Kasten» oder «Rassen»?
- 4.2. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich kritisch mit dem Begriff «Kaste» und analysiert seine westliche Vereinfachung im Kontext der indischen Gesellschaft. Ziel ist es, gängige Missverständnisse und Verzerrungen des Kastenbegriffs aufzudecken und ein differenzierteres Verständnis dieses komplexen soziokulturellen Phänomens zu fördern.
- Die Entstehung und Entwicklung des Kastenbegriffs im Westen
- Die Bedeutung von «Jāti» und «Varṇa» im indischen Kontext
- Die Kritik an eurozentrischen Vereinfachungen des Kastenbegriffs
- Die Rolle des Kastenwesens in der modernen indischen Gesellschaft
- Die Auswirkungen des Kastenbegriffs auf die Religionslandschaft Indiens
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die weit verbreiteten Missverständnisse des Kastenbegriffs anhand eines Beispiels aus der Brockhaus Enzyklopädie. Sie identifiziert sechs problematische Definitionsteile, die durch neuere Forschung oft heftig bestritten werden.
Kapitel 2 befasst sich mit der etischen Begriffsgeschichte des «Kasten» und untersucht seine Genese sowie die rassentheoretisch gefärbten Kastenbegriffe der Kolonialzeit.
Kapitel 3 widmet sich dem emischen Begriffsspektrum und analysiert verschiedene indische Konzepte, die mit dem Kastenwesen zusammenhängen, wie z.B. Chātur-varṇa, Dvija, Pañcama und Jāti.
Schlüsselwörter
Kastenbegriff, Jāti, Varṇa, indische Gesellschaft, soziokulturelles Phänomen, eurozentrische Vereinfachung, Religionslandschaft Indiens, Rassentheorie, Kolonialzeit, emische Perspektive, moderne Gesellschaft.
- Arbeit zitieren
- Edwin Egeter (Autor:in), 2010, Indiens "Kasten", eine westliche Vereinfachung? Eine kritische Analyse des Kastenbegriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/276154