In dieser Arbeit wird untersucht, inwieweit interkulturelles Missverstehen eine Rolle für das Scheitern der Kommunikation spielt. Im ersten Teil werden die Mechanismen des Missverstehens erläutert, um danach das Missverstehen in der interkulturellen Kommunikation zu beschreiben. Das Problem des Verstehens der fremden Kultur wird als eine Diskussion unterschiedlicher Ansätze vorgestellt. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf einige konkrete Beispiele für das Missverstehen im Film eingegangen.
nhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Mechanismen des Missverstehens
2. Interkulturelles Missverständnis
2.1. Verstehen der fremdem Kultur
3. Missverstehen in Nostalghia
3.1. Analyse der Missverständnisse
3.2. Scheitern der interkulturellen Begegnung
3.3. Unmöglichkeit des Verstehens einer fremden Kultur
Fazit
Literaturverzeichnis.
Einleitung
Nostalghia (1983) ist der erste Spielfilm, den der russische Regisseur Andrej Tarkowskij im Ausland gedreht hat. In einem Interview für Gideon Bachmann(Bachmann 1982) während der Dreharbeiten behauptete der Regisseur, der Film sei in der aller erster Linie über den tiefsitzenden Konflikt zwischen zwei verschiedenen Kulturen, zwei verschiedenen Lebens- und Denkweisen. Und zweitens sei der Film über die Schwierigkeiten, die den menschlichen Beziehungen innewohnen. Wie der Film zeigt, steht Tarkowskij den Beziehungen und der Kommunikation zwischen Menschen sehr pessimistisch gegenüber. Davon ausgehend, das seine Skepsis berechtigt ist, stellt sich die Frage, ob diesen Schwierigkeiten die kulturelle Differenz zugrunde liegt.
In dieser Arbeit wird nun untersucht, inwieweit interkulturelles Missverstehen eine Rolle für das Scheitern der Kommunikation spielt. Im ersten Teil werden die Mechanismen des Missverstehens erläutert, um danach das Missverstehen in der interkulturellen Kommunikation zu beschreiben. Das Problem des Verstehens der fremden Kultur wird als eine Diskussion unterschiedlicher Ansätze vorgestellt. Im zweiten Teil der Arbeit wird auf einige konkrete Beispiele für das Missverstehen im Film eingegangen. Es wird gezeigt, welche unterschiedliche Gründe die Missverständnisse haben und warum die Kommunikation zwischen den Hauptcharakteren scheitert. Sind die Missverständnisse rein interkultureller Art oder spielen dabei auch intrakulturelle Faktoren (wie Geschlechterrollen oder sozialer Status) eine wichtige Rolle?
1. Mechanismen des Missverstehens
Um sich dem Problem der interkulturellen Missverständnisse anzunähern, muss man zunächst die allgemeinen Mechanismen des Missverstehens beschreiben. Wie die Recherche der wissenschaftlichen Literatur zeigt, werden diese Mechanismen unter verschiedenen Aspekten diskutiert, so dass es keine klare allgemein gültige Definition gibt. Der von Weigand (1999) angenommene Ansatz, das Missverstehen durch das Konzept vom Verstehen anzugehen, scheint am produktivsten zu sein und wird im Folgenden behandelt.
Das Verstehenskonzept ist von dem jeweiligen Model des Sprachgebrauchs abhängig. Laut Weigand (1999:768) dient der Sprachgebrauch der Erfüllung der kommunikativen Ziele. Die Verfolgung dieser Ziele mit Kommunikationsmitteln führt zu kommunikativen Handlungen, deren Zweck darin besteht, eine Verständigung zu erreichen. Hier liegt der Unterschied zu dem Begriff Verstehen, der den kognitiven Zielen entspricht, während sich Verständigung als ein interaktiver sozialer Prozess auffassen lässt und für die Erfüllung der kommunikativen Zielen unerlässlich ist. Im Idealfall, solange die Kommunikationsmittel nur aus sprachlichen Mitteln bestehen, ist das Verstehen vorauszusetzen, da die Konventionen des Sprachgebrauchs für beide Gesprächspartner gelten, aufgrund ihrer Sprach- und Kommunikationskompetenz (davon ausgehend, die beiden Gesprächspartner kennen die Sprache). Wenn allerdings andere Kommunikationsmittel, wie kognitive und wahrnehmende Mittel, ins Spiel kommen, wird die kommunikative Handlung zu einem Aufeinandertreffen verschiedener Welten (Weigand 1999:769), aufgrund der Unterschiede zwischen den Gesprächspartnern. Auf der anderen Seite muss man auch die Mannigfaltigkeit der Welt einrechnen, was Tatsachen und Beziehungen beinhaltet, die gemeint werden und verstanden werden sollen. Aus diesen zwei Voraussetzungen folgt, dass nicht alles im Dialog gesagt wird, aufgrund der Sprachökonomie oder Konventionen. Da der Prozess der Verständigung im Dialog zu dem zentralen Punkt wird, wird dabei eine bestimmte Anzahl von Missverständnissen mit einberechnet, die dem Sprachgebrauch inhärent sind.
Diese Art von Missverstehen besitzt nach Weigand (1999:760-770) folgende Eigenschaften:
- Missverstehen ist eine Form von Verstehen, das teilweise oder vollständig davon abweicht, was der Sprecher mitteilen wollte;
- als Form von Verstehen stellt Missverstehen ein kognitives Phänomen dar, das dem missverstehenden Gesprächspartner eigen ist;
- der Gesprächspartner, der missversteht, ist sich dessen nicht bewusst;
- Missverstehen kann nicht als ein kognitiver Akt betrachtet werden, weil sich der Hörer dessen nicht bewusst ist; es repräsentiert die (Un)fähigkeit des Hörers korrekt zu verstehen;
- Missverständnis wird normalerweise im Dialog korrigiert und dadurch Verständigung erreicht.
Missverstehen unterscheidet sich vom Nichtverstehen in zwei entscheidenden Punkten:
- Nichtverstehen kann nicht als Form von Verstehen betrachtet werden;
- der Gesprächspartner, der nicht versteht, ist sich dessen bewusst.
Daraus folgt, dass sogar das Nichtverstehen, wenn der Hörer dies signalisiert, im Dialog geklärt werden und so dem Prozess der Verständigung dienen kann.
Des weiteren untersucht Weigand den Begriff Misskommunikation (1999:770), der im Gegensatz zu Missverstehen, das eine kognitive Fähigkeit des Hörers ist, ein interaktives Phänomen zwischen dem Sprecher und dem Hörer bezeichnet. Misskommunikation entsteht, wenn Missverständnisse nicht korrigiert werden. Dabei läuft die Unterhaltung weiter, ohne dass der Hörer weiß, dass er missverstanden hat, und ohne dass der Sprecher das Missverständnis erkannt hat. Im Gegensatz zu Missverstehen (und Nichtverstehen) kann Misskommunikation nicht dem Ziel der Verständigung dienen.
Das Positive an Weigands Model ist das Einbeziehen von Missverstehen: das Risiko von Missverstehen wird akzeptiert, weil bei den Gesprächspartnern das Überwinden von Missverständnissen normalerweise vorausgesetzt wird. Diese Schlussfolgerung wird auch von Dascal (1999) geteilt, laut dem das Missverstehen immer möglich sei, weil nicht alles explizit gesagt werden kann, und sich die Kommunikationspartner so auf die Schlussfolgerungen verlassen müssen, die auf den fehleranfälligen Annahmen basieren.
An diesem Punkt ist es notwendig, die Differenzierung zwischen Missverstehen und Missverständnis zu erörtern. Falkner (1997:1) spricht von einem Missverständnis, "wenn sich zumindest für eine/n der Beteiligten in irgendeiner Form manifestiert, dass das vom S[precher] Gemeinte und das vom H[örer] Verstandene nicht übereinstimmen". Missverstehen bezeichnet dagegen "das Phänomen des scheinbaren gegenseitigen Verstehens in einem weiteren Sinn, auch wenn es von niemanden als scheinbar erkannt wird". In anderen Worten, diese beiden Begriffe stehen in einem hyponymischen Verhältnis zueinander: Missverstehen ist der Oberbegriff; Missverständnis ist eine konkrete Manifestation von Missverstehen.
Genauso wie Weigand, unterstützt Falkner die Behauptung, Missverständnisse seien keineswegs nur kommunikative Unfälle (1997:4). Ferner bewirken Missverständnisse einen sehr komplexen sozialen Vorgang, indem sie den Gesprächspartnern bewusst machen, dass die Kommunikation schief gelaufen ist. Das veranlasst die Beteiligten dazu, miteinander auszuhandeln, an welchem Punkt das Problem aufgetreten ist und wie es zu lösen ist. Die Fähigkeit, solche Auswirkungen von Missverständnissen zu überwinden, ist ein wichtiger Bestandteil sozialer Kompetenz. So können Missverständnisse zu Situationen führen, in denen die Gesprächspartner mit sehr viel komplizierteren kommunikativen Handlungen konfrontiert werden, als dies aufgrund ihrer Beziehungen normalerweise zu erwarten wäre. Es erfordert ein hohes Maß an Sensibilität, mit solchen Missverständnissen sinnvoll umzugehen.
Obwohl Missverständnisse vor allem in der Sprache vorkommen, ist Missverstehen nicht nur ein sprachliches Phänomen. In ihm können darüber hinaus auch Probleme zum Vorschein kommen, die soziologisch, psychologisch, philosophisch, oder politisch relevant sind. Die bisher dargestellten Theorien behandeln vorwiegend den Standardfall der Kommunikation, wo die Kooperationsmaximen eingehalten werden. Allerdings sind auch Fälle des Sprachgebrauchs häufig, wo diese Maximen absichtlich verletzt werden, wie bei Doppelzüngigkeit, Demagogie, einigen Arten von Werbung oder anderen Formen der Täuschung (vgl. Dascal 1999:757). Andererseits, wenn die Basis der Kommunikation weder Kooperation noch Täuschung sondern Konfrontation ist, wird Missverstehen viel häufiger und nicht zufällig vorkommen. Dabei besteht einer der einfachsten Wege, über den Gesprächspartner zu siegen, darin, sich auf seine ungeschickten Formulierungen zu fokussieren. Solche Ungeschicklichkeiten, die normalerweise übersehen oder geklärt werden, werden in diesem Fall benutzt, um den Gesprächspartner der Unstimmigkeit, der Inkompetenz, der Irreführung, fehlender Vertrauenswürdigkeit o.ä., zu beschuldigen. Im Gegensatz zu dem Standardfall profitiert die Konfliktkommunikation von Ausnutzung und Verschärfung solcher Missverständnisse. Diese Art von Kommunikation ist sehr weit verbreitet, weil die Beteiligten oft von solchen Missverständnissen profitieren möchten. Dieser Prozess soll von der Auffassung der Misskommunikation bei Weigand (s. Seite 5) unterschieden werden, da sich bei Misskommunikation beide Gesprächspartner des Missverstehens nicht bewusst sind, dagegen wird Missverstehen bei der Konfliktkommunikation erkannt und bewusst nicht geklärt, sondern ausgenutzt.
Eine andere häufige Abweichung von dem Standardfall ist interkulturelle Kommunikation, wo Missverstehen allgemein als Manifestation kultureller Differenz thematisiert wird.
2. Interkulturelles Missverständnis
Seit dem Anfang 90er Jahre, aufgrund der immer häufigeren Kontakte zwischen Menschen verschiedenen Kulturen, sind mehrere Bücher zum Thema "Interkulturelle Kommunikation" erschienen. Die Mehrzahl von ihnen sind Handbücher für "Praktiker", die im Ausland arbeiten oder dies beabsichtigen, und nach einem besseren Verständnis einer fremden Kultur suchen (vgl. Maletzke 1996:7). Von interkultureller Kommunikation ist die Rede, wenn die Beteiligten verschiedenen Kulturen angehören und wenn sie sich des Andersseins des anderen Gesprächspartners bewusst sind. "Als interkulturell werden alle Beziehungen verstanden, in denen die Beteiligten nicht ausschließlich auf ihre eigenen Codes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern in denen andere Codes, Konventionen, Einstellungen und Alltagsverhaltensweisen erfahren werden." Wenn man Missverstehen als kognitive Unfähigkeit des Gesprächspartners, die ihm nicht bewusst ist, erfasst (siehe die Eigenschaften des Missverstehens nach Weigand, S.3), ergibt sich eine Definition des interkulturellen Missverstehens wie folgt:
Missverstehen in der interkulturellen Kommunikation ist die Unfähigkeit zumindest eines der Gesprächspartner den Code, die Konventionen, die Einstellungen oder die Verhaltensformen, die für die Kultur des anderen eigen oder typisch sind, zu verstehen, ohne dass er sich dessen bewusst ist.
Wenn es also angenommen werden kann, dass beide Gesprächspartner kooperativ sind, besteht das Missverstehen in der unabsichtlichen Missinterpretation der Sprache und des Verhaltens des anderen, welche dem missverstehenden Partner nicht bewusst ist. Ganz offensichtlich ist der Fall, wo rein sprachliche Kommunikationsmittel das Missverstehen verursachen, die mit der Beherrschung von Aussprache, Wortschatz und grammatischen Regeln zu tun haben. Diese Ursachen sind leicht nachvollziehbar und werden hier nicht weiter analysiert. Viel wichtiger erscheinen die Faktoren, die den sprachlichen Idiosynkrasien der fremden Kultur zugrunde liegen und die deshalb schwieriger zu verstehen sind. Im Folgenden wird die Problematik vom Verstehen der fremden Kultur erläutert.
2.1. Verstehen der fremdem Kultur
Verstehen kann im Allgemeinen als Prozess aufgefasst werden, in dem das Neue, das dem Menschen begegnet, in Beziehung zu dem bereits Bekannten gestellt wird. Das Problem des Verstehens der anderen Kultur wird in der entsprechenden Literatur unterschiedlich behandelt. In den "Handbüchern" dominiert die optimistische Position, die Verständigung lege in der Hand der Menschen und jeder könne sich auf die interkulturellen Kontakte vorbereiten. Im Einklang mit der steigenden Häufigkeit von interkulturellen Beziehungen werden heutzutage verschiedene Seminare und Trainings zu der interkulturellen Interaktion angeboten. Dagegen sind rein wissenschaftliche Quellen wesentlich skeptischer, da sie zwischen Verständigung und den Möglichkeiten des wirklichen Verstehens differenzieren.
Schon der Titel des Aufsatzes von Lothar Bredella Ist das Verstehen fremder Kulturen wünschenswert? ist sehr pessimistisch. Das Argument hinter dieser Frage besteht darin, "das Verstehen nicht als Überwindung des Ethnozentrismus, sondern selbst als eine Form des Ethnozentrismus zu begreifen sei" (Bredella 1993:11). Diese Einstellung vieler Menschen, die eigene Kultur als den Mittelpunkt der Welt und als den Maßstab aller Dinge zu betrachten, spielt bei den interkulturellen Begegnungen eine sehr bedeutsame Rolle. In diesem Zusammenhang behauptet Bredella (1993:11), dass der Anspruch, den Anderen verstehen zu wollen, schon "eine privilegierte Position gegenüber dem Anderen beansprucht und ihn damit zu beherrschen sucht". Wenn Verstehen des Fremden an die eigenen Konzepte und Kategorien gebunden ist, dann verläuft es durch Angleichen und Vereinnahmen, was eventuell eine Form der Machtausübung sein könnte. Als eine mögliche Alternative zum Verstehen erscheint hier die "Anerkennung der unüberbrückbaren Differenz zwischen Eigenem und Fremdem" und "die Anerkennung der Rätselhaftigkeit des Anderen" (1993:13). Der Verzicht auf das Verstehen kann allerdings zu Barrieren zwischen dem Eigenen und dem Fremden und so zum Ausschluss des Fremden führen.
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- Quote paper
- MA Irina Giertz (Author), 2004, Interkulturelles Missverständnis in Tarkowskijs NOSTALGHIA, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27538
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