Als einen "fast perfekten Roman" bezeichnete der große italienische Dichter Eugenio Montale das Werk Senilità. Nachdem dieses in den ersten zwanzig Jahren nach seinem Erscheinen von der ‚offiziellen‘ Kritik fast vollständig ignoriert worden war, gilt es heute als Schlüssel zum Verständnis des gesamten Svevo-Werkes, insbesondere seines Meisterwerks "La coscienza di Zeno", und als eine der wichtigsten literarischen Produktionen Italiens seiner Zeit.
Diese Arbeit möchte eine kurze, aber möglichst facettenreiche Vorstellung des Romans Senilità geben. Es soll zunächst seine Entstehungsgeschichte mitsamt den Schwierigkeiten bzgl. der Rezeption dargestellt und anschließend seine Handlung skizziert werden. Das Hauptmerkmal des Romans, die Modellierung des Protagonisten als schwachen Helden, steht dann im Mittelpunkt des Hauptteils der Arbeit, wobei auch der Frage nachgegangen wird, woher diese besondere Weltsicht kommt. Abschließend werden dann einige Bemerkungen zur Sprache angeführt. Das Fazit soll nicht nur ein Resümee der Erkenntnisse der Arbeit bieten, sondern auch einige grundsätzliche Überlegungen zum Wert und Zweck des Romans und des literarischen Arbeitens an sich.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Entstehung und Aufbau von Senilità
2.1 Die Entstehung und die erste Rezeption
2.2 Die Handlung
3. Die Figur des „inetto“
4. Senilità und die zeitgenössische Kultur: Die Krise der bürgerlichen Gesellschaft
5. Der Stil und die Sprache
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Als einen ‚fast perfekten Roman‘ bezeichnete der große italienische Dichter Eugenio Montale das Werk Senilità [1]. Nachdem dieses in den ersten zwanzig Jahren nach seinem Erscheinen von der ‚offiziellen‘ Kritik fast vollständig ignoriert worden war, gilt es heute als Schlüssel zum Verständnis des gesamten Svevo-Werkes, insbesondere seines Meisterwerks La coscienza di Zeno, und als eine der wichtigsten literarischen Produktionen Italiens seiner Zeit.
Mit seinen frühen Romanen Una Vita und Senilità überwindet der Triester Kaufmann und ‚Hobby-Literat‘ Ettore Schmitz (Italo Svevo) in Italien zum ersten Mal entschieden die veristische Schule des neunzehnten Jahrhunderts, die in Giovanni Verga ihren bedeutendsten Autor hatte, gegen Ende des Jahrhunderts aber nur noch müde Nachahmerromane hervorbrachte, und schließt wieder zur europäischen Literatur auf, vor allem an Proust, Joyce, Kafka und Musil, die der ‚Weltbürger‘ Svevo selbstverständlich kannte. Una Vita und Senilità, sowie das 1904 erschienene Werk Il fu Mattia Pascal von Luigi Pirandello stellen die Meilensteine dieses Weges hin zu einer anderen Konzeption des Romans, die das Innenleben der Protagonisten neben der realen Welt zum Hauptschauplatz der Ereignisse erhebt. Verarbeitet werden in diesen ‚neuen‘ Romanen auch wissenschaftliche Neuentdeckungen, wie der rasante Fortschritt in den Naturwissenschaften oder die Psychoanalyse, sowie generell die Krise der bürgerlichen Gesellschaft am fin de siècle [2].
Diese Arbeit möchte eine kurze, aber möglichst facettenreiche Vorstellung des Romans Senilità geben. Es soll zunächst seine Entstehungsgeschichte mitsamt der Schwierigkeiten bzgl. der Rezeption dargestellt und anschließend seine Handlung skizziert werden. Das Hauptmerkmal des Romans, die Modellierung des Protagonisten als schwachen Helden, steht dann im Mittelpunkt des Hauptteils der Arbeit, wobei auch der Frage nachgegangen wird, woher diese besondere Weltsicht kommt. Abschließend werden dann einige Bemerkungen zur Sprache angeführt. Das Fazit soll nicht nur ein Resümee der Erkenntnisse der Arbeit bieten, sondern auch einige grundsätzliche Überlegungen zum Wert und Zweck des Romans und des literarischen Arbeitens an sich.
2. Entstehung und Aufbau von Senilità
2.1 Die Entstehung und die erste Rezeption
Aron Hector Schmitz kam 1861 als Sohn eines österreichischen Beamten und einer Italienerin, beide jüdischen Ursprungs, in Triest zur Welt[3]. Er wurde ausgebildet und arbeitete sein ganzes Leben als Kaufmann, erst bei der Triester Filiale der Wiener Union Bank, dann im Betrieb seines Schwiegervaters. Vor allem hier war er viel im europäischen Ausland tätig, so daß seine schon an sich ‚multikulturelle‘ Grundeinstellung – Triest war damals ein Knotenpunkt zwischen der italienischen, der deutschen und der slawischen Welt – durch sein Berufsleben sogar noch verstärkt wurde, so daß aus ihm ein wirklich europäischer Intellektueller werden konnte[4].
Seine großen Leidenschaften waren allerdings zeitlebens die Musik und die Literatur. Er begann schon sehr früh, Klassiker und zeitgenössische Autoren der europäischen Literatur zu lesen und selbst Kurzgeschichten und Theaterstücke zu verfassen. 1893 veröffentlichte er seinen ersten Roman Una Vita unter dem Pseudonym Italo Svevo[5], der allerdings von der ‚offiziellen‘ Kritik so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommen wurde. Das gleiche geschah mit seinem zweiten Roman, Senilità, der vom 15.06. bis zum 16.09.1898 in insgesamt 78 Teilen in der Zeitschrift „L’Indipendente“, dann im Oktober des gleichen Jahres beim Verleger Vram erschien.
Von diesem Mißerfolg getroffen, widmete sich Svevo in den darauffolgenden Jahren der Lektüre und dem Geigenspiel, wobei er, entgegen seinen Behauptungen[6], durch das Schreiben kleinerer Geschichten und Bühnenspielen literarisch stets aktiv blieb. Die Wende in seiner Laufbahn als Schriftsteller bahnte sich 1905 durch die Begegnung mit James Joyce an, der an der Berlitz School in Triest als Englischlehrer arbeitete. Dieser legte Svevo Teile der Dubliners und des Portrait of the Artist as a Young Man vor und las im Gegenzug seine ersten beiden Romane. Sein Urteil war positiv, besonders in Bezug auf Senilità, und er ermunterte Svevo dazu, seine literarische Tätigkeit fortzusetzen.
In den Jahren 1919-1922 entstand dann Svevos Hauptwerk La Coscienza di Zeno, das 1923 veröffentlicht wurde. Auch dieses wurde in den bedeutenden italienischen Kulturkreisen nur vereinzelt wahrgenommen und kommentiert. Da bat Svevo seinen Freund Joyce um Hilfe, der ihm umgehend sein Lob für den Roman aussprach und ihn einer Reihe von europäischen Italianisten empfahl, unter anderen den Franzosen Valéry Larbaud und Benjamin Crémieux. Parallel dazu hatte der Dichter Eugenio Montale, angeleitet vom triestinischen Intellektuellen Roberto Bazlen, ebenfalls Svevos Produktion entdeckt, und widmete ihm einen Artikel in der Zeitschrift „L’Esame‘ vom November-Dezember 1925 (Omaggio a Italo Svevo), in dem er unter anderem seine Vorliebe für Senilità unterstrich. Langsam begann sich das Blatt zu wenden: Die Februarausgabe des Jahres 1926 der französischen Zeitschrift „Le Navire d’Argent“ beschäftigte sich ausschließlich mit Italo Svevo; neben einem Aufsatz von Crémieux enthielt sie die Übersetzungen von drei Kapiteln aus La Coscienza die Zeno und einem aus Senilità. In den darauffolgenden Jahren wurde Svevo dann endlich auch von den bedeutendsten Literaturkritikern Italiens rezipiert, u.a. von Sergio Solmi, Giansiro Ferrara, Giacomo Debenedetti und Elio Vittorini. 1937 verfaßte Emilio Cecchi für die Enciclopedia Italiana das Lemma „Italo Svevo“.
Svevo hatte inzwischen 1927 eine sprachlich überarbeitete Auflage des Romans Senilità herausgebracht, die bei Morreale, einem angeseheneren Verlag, erschien. Er stattete sie mit einem Vorwort aus, in dem er seine eigene und die Geschichte des Werkes nachzeichnete[7].
2.2 Die Handlung
Der Büroangestellte Emilio Brentani führt eine graue Existenz an der Seite seiner unverheirateten Schwester Amalia. Er hat einige Jahre vorher einen Roman veröffentlicht, der ihn in der Stadt (Triest) ein wenig bekannt gemacht hat, und von diesem kleinen Ruhm zehrt er noch. Er pflegt eine Freundschaft mit dem Bildhauer Stefano Balli[8], der zwar beruflich nicht besonders erfolgreich ist, dafür mit dem weiblichen Geschlecht viel Glück hat.
Emilios eintöniges, ereignisarmes Leben wird eines Tages durch eine plötzlich begonnene Affäre mit Angiolina Zarri, eine attraktive, lebenslustige Frau aus dem Volk, belebt. Er geht diese Beziehung vorsichtig, voller moralischer Vorsätze an, wie es seiner Persönlichkeit entspricht.
„Subito, con le prime parole che le rivolse, volle avvisarla che non intendeva compromettersi in una relazione troppo seria.[9]“
„Se la fanciulla, come si sarebbe dovuto credere dal suo occhio limpido, era onesta, certo non sarebbe stato lui che si sarebbe esposto al pericolo di depravarla; se invece il profilo e l’occhio mentivano, tanto meglio. C’era da divertirsi in ambedue i casi, da pericolare in nessuno dei due.[10]“
Er muß aber mehr und mehr feststellen, daß Angiolina nicht seinen Vorstellungen entspricht und von seinen moralischen ‚Schulungen‘ relativ unberührt bleibt. Sie ist stolz auf ihren Erfolg bei Männern und trägt die Reihe ihrer früheren Liebhaber offen zur Schau. Sie pflegt auch während ihrer Affäre mit Emilio eine Reihe von Parallelbeziehungen und bietet sich sogar seinem Freund Balli an.
Das müßten für Brentani allesamt Gründe sein, die Geschichte mit Angiolina zu beenden, denn sie ist nach eigenem Bekunden sowieso nur ein Spiel und nichts Ernstes.
„Egli s’era avvicinato a lei con l’idea di trovare un’avventura facile e breve, di quelle che egli aveva sentito descrivere tanto spesso e che a lui non erano toccate mai [...].[11]“
„«Mi piaci molto, ma nella mia vita non potrai essere giammai più importante di un giocattolo. Ho altri doveri io, la mia carriera, la mia famiglia».[12]“
Doch er tut es nicht, im Gegenteil, er steigert sich immer mehr hinein, trotz der Warnungen Ballis, der, dank seiner Erfahrung, Angiolina sofort durchschaut hat und um die Schwäche seines Freundes weiß.
„Commosso, Emilio si confessò. Sì. Ora lo sentiva chiaramente. La cosa era divenuta per lui molto seria, e descrisse il proprio amore, l’ansietà di vederla, di parlarle, la gelosia [...].[13]“
„Ma Stefano diede subito prova della sua intelligenza superiore [...].«Lo sapevo io che questa specie di avventure non era fatta per te.»[14]“
Anstatt also die Dinge in der Realität geradezurücken, tut Emilio dies in seinen Träumen und Theorien, in die er, seiner Natur entsprechend, immer mehr flüchtet. Hier wird Angiolina zum Idealbild einer Frau: Sie behält ihre Stärken, die Attraktivität, die Lebensfreude, die Sympathie, verliert aber ihre Schwächen, vor allem ihre moralisch bedenkliche Persönlichkeit.
[...]
[1] Vgl. MONTALE/SVEVO 1966, 109.
[2] Vgl. dazu ausführlich Kapitel 3 und 4.
[3] Kurzbiographien von A.H. Schmitz bzw. Italo Svevo finden sich z.B. in GIUDICE/BRUNI 1973, 304; CONTINI 1988, 7-15; VANALESTI 1997, 81-82. Eine sehr interessante Biographie des Literaten wurde von seiner Frau Livia Veneziani verfaßt: VENEZIANI SVEVO 1951.
[4] Vgl. CONTINI 1988, 8.
[5] Mit dem Namen Italo Svevo, also dem „schwäbischen Italiener“, wollte er seine doppelte Herkunft, deutsch und italienisch, zum Ausdruck bringen (vgl. GIUDICE/BRUNI 1973, 304; SCHÄRER 1978, 1).
[6] In seinem Vorwort zur zweiten Auflage von Senilità bezeichnet er die 25 Jahre zwischen dem Erscheinen seines zweiten Romans und dem des La Coscienza di Zeno 1923 als Jahre der „Abstinenz vom Schreiben“ (vgl. SVEVO 1999, 3).
[7] Vgl. SVEVO 1999, 3-5.
[8] Wie die meisten Werke Italo Svevos trägt auch Senilità starke autobiographische Züge. So ist die Figur Ballis stark an die Umberto Verudas angelehnt, einem zeitgenössischen Künstler, mit dem Svevo befreundet war. Für Angiolina stand dagegen Giuseppina Zergol Modell, eine Frau aus dem Volk, in die sich Svevo in seiner Jugend verliebte. Insgesamt meinte dieser, in Triest seien die wahren Namen aller vier Protagonisten bekannt (vgl. CONTINI 1988, 10 und 40).
[9] SVEVO 1999, 7.
[10] Ebd., 10.
[11] Ebd., 9.
[12] Ebd., 7.
[13] Ebd., 42.
[14] Ebd., 43.
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