Das Gedicht Regen-Sommer und der Zyklus Waldlieder I & II, deren Interpretation
und Vergleich der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegen, entstanden im August des
Jahres 1845, innerhalb Kellers erster lyrischer Schaffensperiode, in Zürich. Sie wurden
erstmals, zusammen mit anderen Zeit- und Natur- sowie politischen Gedichten, in
Kellers Sammelband Gedichte im Jahr 1846 veröffentlicht. Kellers Naturauffassung ist von der Strömung des Realismus deutlich geprägt. Seine Abwendung vom christlichen Jenseitsglauben führte zu einer starken Hinwendung zur gegenwärtig-realen Welt. Er sah in der Natur nicht das Göttliche bzw. Transzendentale in dem Sinne der von ihm negativ empfundenen Lehre der Kirche, sondern
empfand sie auf eine ungezwungene Art geheimnisvo ll und faszinierend. In der
Ganzheit der Natur fand er sein religiöses Erleben; dort fühlte er sich aufgenommen
und geborgen. Diese Erfahrbarkeit der irdischen Natur, deren Schönheit es zu erfassen
und zu beschreiben galt, rückte in den Vordergrund seiner Naturgedichte.
Inhaltsverzeichnis
I Einleitung
II Hauptteil – Interpretation
1 Regen-Sommer
1.1 Formale Analyse
1.1.1 Aufbau des Gedichtes
1.1.2 Bildlichkeit/ Motivik
1.2 Interpretation
2 Waldlieder I
2.1 Formale Analyse
2.1.1 Aufbau
2.1.2 Bildlichkeit/ Motivik
2.2 Interpretation
3 Waldlieder II
3.1 Formale Analyse
3.1.1 Aufbau
3.1.2 Bildlichkeit/ Motivik
3.2 Interpretation
III Vergleich der Gedichte
Anhang (Gedichte)
Literaturverzeichnis
I Einleitung
Das Gedicht Regen-Sommer und der Zyklus Waldlieder I & II, deren Interpretation und Vergleich der vorliegenden Arbeit zu Grunde liegen, entstanden im August des Jahres 1845, innerhalb Kellers erster lyrischer Schaffensperiode, in Zürich. Sie wur- den erstmals, zusammen mit anderen Zeit- und Natur- sowie politischen Gedichten, in Kellers Sammelband Gedichte im Jahr 1846 veröffentlicht.
Kellers Naturauffassung ist von der Strömung des Realismus deutlich geprägt. Seine Abwendung vom christlichen Jenseitsglauben führte zu einer starken Hinwendung zur gegenwärtig-realen Welt. Er sah in der Natur nicht das Göttliche bzw. Transzenden- tale in dem Sinne der von ihm negativ empfundenen Lehre der Kirche, sondern empfand sie auf eine ungezwungene Art geheimnisvoll und faszinierend. In der Ganzheit der Natur fand er sein religiöses Erleben; dort fühlte er sich aufgenommen und geborgen. Diese Erfahrbarkeit der irdischen Natur, deren Schönheit es zu erfassen und zu beschreiben galt, rückte in den Vordergrund seiner Naturgedichte.
II Hauptteil – Interpretation
1 Regen-Sommer
1.1 Formale Analyse
1.1.1 Aufbau
Das Gedicht ist in vier Strophen unterteilt, die jeweils sechs Verse beinhalten. Diese Verse sind auftaktlos und gekennzeichnet durch einen regelmäßig alternierenden, vier- hebigen Trochäus. Die ersten beiden Verse sowie der vierte und fünfte Vers jeder Strophe weisen weibliche Kadenzen, der dritte und sechste Vers weisen männliche Kadenzen auf. Dieser Wechsel variiert den Rhythmus und gibt der Strophe eine Form. Unterstützt wird der Kadenzwechsel vom Reimschema. Vers eins und zwei sowie vier und fünf bilden jeweils einen weiblichen Paarreim; die Verse drei und sechs reimen männlich und bilden mit dem vierten und fünften den umarmenden Reim. Der Satzbau ist parataktisch. Enjambements lassen sich nur vereinzelt vorfinden.
1.1.2 Bildlichkeit/ Motivik
Zur Hervorhebung und Verdeutlichung des Gedichtinhaltes treten eine Fülle von Amplikationsfiguren auf, wie hauptsächlich die Assonanz, Alliteration, Gemination, Ellipse, Inversion, Tautologie und Apostrophe. Die Bildlichkeit entsteht vor allem durch die Personifikation, außerdem durch die Metapher, das Oxymoron, den Ver- gleich, die Synästhesie, die Negation und die Synekdoche.
1.2 Interpretation
Die Bildlichkeit der vier Strophen des Gedichtes Regen-Sommer weist drei unter- schiedliche Bereiche auf, die aber alle einen Bezug zueinander haben. Zunächst wird die durch den Regen trostlos gewordene Natur geschildert, dann die davon abhängige Situation und Stimmung der Menschen und schließlich die Möglichkeit einer Besserung durch den Glauben an Gott.
Der Titel Regen-Sommer stellt eine widersprüchliche Wortkombination dar: in Ver- bindung mit dem Sommer, der schönen Jahreszeit, wird normalerweise der Sonnen- schein gebracht; der Regen ist ein Naturphänomen, das meist im Herbst auftritt und einen eher negativen Charakter hat. In der ersten Strophe setzt sich dieses wider- sprüchliche Bild gleich zu Beginn mit dem Oxymoron Nasser Staub[1] (Vers 1) fort. Die Nässe des Regens verbindet sich mit dem Staub, der sich durch eine längere Trocken- zeit bildet und Bezug auf den Sommer nimmt. Diese Verbindung läßt eine schmutzige Spur auf allen Wegen (V. 1) zurück. Der Regen läßt Dorn und Distel (V. 2) nach unten hängen, wobei durch die Nennung des Dorns der negative, stechende Teil der ursprünglich schönen Rose hervorgehoben wird. Die Alliteration sowie das Hinunter- hängen der Blumen und Pflanzen verdeutlichen noch das negative, traurige Bild eines zu Ende gehenden Sommers. Im dritten Vers wird der Bach mit dem Schreien eines Kindes verglichen. Diese Personifikation führt zu einer akustischen Wahrnehmung, denn der sacht fließende Bach wird aufgrund der Aufnahme des Regens zu einer lauten und schnellen Strömung, deren Getöse dem Schreien eines Kindes gleicht.
Der Regenbogen, der innerhalb der beschriebenen Natur nicht vorhanden ist, tritt aber gerade durch die Erwähnung des Nichtvorhandenseins im Naturbild des Gedichtes auf, was an dieser Stelle indirekt auf einen beschreibenden subjektiven Beobachter hinweist, wie auch der Ausruf Ach (V. 5). Die Erklärung für das Ausbleiben des vermißten Regenbogens findet sich in der weggezogenen Sonne: Die Voraussetzung für die Existenz des Regenbogens sind die Komponenten Licht und Wasser, d.h. Sonne und Regen, von denen die positive Sonnenkomponente hinter den Regen- wolken verschwunden ist. Sie spendet kein Licht mehr und läßt den Himmel taub und blind (V. 6) werden. Dieser letzte Vers der ersten Strophe bezieht sich nicht nur for- mal, sondern auch inhaltlich auf den dritten Vers: Der Himmel wird ebenfalls personi- fiziert und kann aufgrund seiner Taubheit das Schreien des Kindes nicht hören. Die durch die weggezogene Sonne verursachte Blindheit deutet auf die Sonne als Augen- licht des Himmels hin.
Die düstere und traurige Stimmung setzt sich in der zweiten Strophe fort. Das Adjek- tiv traurig (V. 7) paßt zum Regen, der auch für das Weinen des Himmels steht. Alles Lebendige des Waldes ist zur Ruhe gekommen. Es herrscht Stille, da die schönen Me- lodien der Waldtiere und -pflanzen verstummt sind. Auch die Saat auf dem Feld, der Ursprung von Neuem, die im Frühjahr gesät wurde, bildet keine Sprößlinge und liegt siech darnieder (V. 8), weil sie durch den Regen des Sommers zu feucht geworden ist. Der Regen als ursprüngliche Notwendigkeit für das Keimen der Saat führt zur gegen- sätzlichen Wirkung, nämlich zur Zerstörung. Die durch die Kälte frierende Brut der Wachteln entspricht im Tierbereich der feuchten Saat auf dem Feld; sie ist auch der Ursprung von Neuem.
Der nächste Vers läßt mit den Wörtern Jahreshoffnung und Schimmer (V. 10) erstmals einen Lichtblick entstehen, der aber nur blass und farblos zu erkennen ist; sogleich wird das positive Bild wiederum abgeschwächt durch einen negativen Ausdruck. Der bisherigen Naturbeschreibung und der Tiere werden im elften Vers die Menschen gegenübergestellt. Die Trostlosigkeit der Natur ist noch harmlos im Vergleich zu der Situation der Menschen, mit ihnen steht’s noch schlimmer (V. 11), so daß deren Hoff- nung – bezogen auf den vorigen Vers – noch kleiner ist. Durch das Bild des Blutes gelangt unvermittelt Farbe in diese Eintönigkeit der Naturdarstellung, allerdings im negativen Sinn. Das Blut, die Grundlage des Lebens, besitzt keine Wärme mehr und schleicht nur noch, erstarrt beinahe. Eine Gleichgültigkeit und Unempfindlichkeit seitens der Menschen wird damit deutlich gemacht.
Strophe drei zeigt einen Übergang von den Menschen im allgemeinen zum Einzelnen sowie die Verschmelzung von Mensch und Natur. Eine kranke, schwache Frau befin- det sich mit dem Säugling (V. 14) in der tristen Natur am Findelsteine (V. 13) und wird durch weine! (V. 14) direkt angesprochen. Infolge der Erwähnung des Findel- steines wird der Säugling zu einem Findelkind, das die Frau in der grauen und kalten Natur zurücklassen will. Die zerstörte Saat auf dem Feld erbringt keine Nahrung mehr; sie ist die Ursache für die Krankheit der Frau, die daher auch ihren Säugling nicht mehr ernähren kann und bereit ist, ihren Nachwuchs herzlos auszusetzen.
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[1] Alle Zitate nach: Gottfried Keller. Sämtliche Werke in sieben Bänden, hg. von Thomas Böning u.a. Frankfurt a.M. 1995, Bd. 1.
- Arbeit zitieren
- Lena Langensiepen (Autor:in), 2002, Die Natur als Thema bei Gottfried Keller, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27488
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