Bei bestimmten Problemen besteht zwischen Bürgerinnen eines Staates normalerweise Einigkeit darüber, dass es moralisch geboten ist, sich gegenseitig zu unterstützen. Im Hinblick auf die Zukunft der EU stellt sich ganz allgemein die Frage, wie sich moralische Pflichten im Staat und jene innerhalb der EU zueinander verhalten. Daran anknüpfend wird in dieser Arbeit untersucht, inwiefern sich innerhalb der EU trotz der fortgeschrittenen Integration weiterhin besondere moralische Pflichten gegenüber Landsleuten begründen lassen, die sich von denen gegenüber allen EU-Bürgerinnen unterscheiden.
Hier wird sich von der Tradition gelöst, der zufolge besondere Pflichten vor allem gegenüber der eigenen Familie und Landsleuten bestehen. Um die Fragestellung zu untersuchen, geht diese Arbeit wie folgt vor: Als theoretische Grundlage werden zwei zentrale Texte von Thomas Nagel und David Miller herangezogen (Broszies und Hahn 2010). Dass, wie diese jeweils begründen, die entsprechenden Kriterien für besondere Pflichten innerhalb von Nationalstaaten erfüllt sind, wird in dieser Arbeit nicht hinterfragt. Vielmehr wird untersucht, ob nicht dieselben Pflichten auch gegenüber allen EU-Bürgerinnen gelten, so dass kein Unterschied besteht. Dazu wird zunächst dargelegt, wie ganz allgemein besondere Pflichten gegenüber einer bestimmten Gruppe von Menschen hergeleitet werden. Anschließend wird überprüft, ob diese Kriterien für Beziehungen zwischen EU-Bürgerinnern erfüllt sind und sich so überhaupt besondere Pflichten ihnen gegenüber ableiten lassen und falls ja, ob diese mit denen gegenüber Landsleuten identisch sind. Ist dies der Fall, wäre es auf dieser theoretischen Basis moralisch nicht mehr begründbar, im Hinblick auf besondere moralische Pflichten einen Unterschied zwischen Landsleuten und EU-Bürgerinnen zu machen.
Dabei zeigt sich, dass sich auf Grundlage von Nagels Überlegungen auch bei fortgeschrittener Integration innerhalb der EU gegenüber Landsleuten besondere moralische Pflich- ten rechtfertigen lassen. Auf Basis von Millers Gedanken ist aber der entgegengesetzte Schluss möglich. Ein anschließender Vergleich liefert eine mögliche Erklärung für diese unterschiedlichen Resultate. Abschließend werden beide Ansätze auf Grundlage der Anwendung in dieser Arbeit bewertet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die theoretische Herleitung besonderer moralischer Pflichten gegenüber einer bestimmten Gruppe von Menschen
- Die Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach David Miller
- Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach Thomas Nagel
- Methodik und argumentative Vorgehensweise
- Analyse der Beziehungen zwischen Bürgerinnen der Europäischen Union im Hinblick auf besondere moralische Pflichten
- Anwendung der Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach David Miller auf Beziehungen innerhalb der Europäischen Union
- Der intrinsische Wert der Beziehungen
- Moralische Pflichten als integraler Bestandteil der Beziehungen
- Ungerechtigkeit nicht als elementare Basis der Beziehungen
- Bewertung der Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung
- Anwendung der Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach Thomas Nagel auf Beziehungen innerhalb der Europäischen Union
- Die Bedingung eines gemeinsamen Souveräns
- Die Bedingung geteilter Institutionen
- Die Bedingung des „doppelten Zwangs"
- Bewertung der Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung
- Vergleich der Ergebnisse der Untersuchung und Bewertung der beiden Argumentationen von Miller und Nagel
- Anwendung der Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach David Miller auf Beziehungen innerhalb der Europäischen Union
- Schluss
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit untersucht, ob sich aus partikularistischer Sicht innerhalb der Europäischen Union (EU) trotz der fortgeschrittenen Integration weiterhin besondere moralische Pflichten gegenüber Landsleuten begründen lassen, die sich von denen gegenüber allen EU-Bürgerinnen unterscheiden.
- Besondere moralische Pflichten gegenüber Landsleuten innerhalb der EU
- Die Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach David Miller und Thomas Nagel
- Anwendung der Kriterien auf Beziehungen zwischen EU-Bürgerinnen
- Vergleich der Ergebnisse der Untersuchung und Bewertung der beiden Argumentationen
- Relevanz der Fragestellung für die aktuelle Politik und die Zukunft der EU
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Fragestellung ein und beleuchtet die Relevanz der Untersuchung im Kontext der aktuellen politischen Diskussion und der theoretischen Debatte um besondere moralische Pflichten.
Das zweite Kapitel stellt die theoretischen Grundlagen der Untersuchung dar, indem es die Kriterien zur Begründung besonderer moralischer Pflichten nach David Miller und Thomas Nagel vorstellt. Miller legt dabei den Fokus auf die Eigenschaften der Bindungen zwischen den Personen, denen gegenüber besondere Pflichten bestehen, während Nagel sich auf die Bedingungen für ein System konzentriert, dessen Mitglieder besondere Verpflichtungen zueinander haben.
Das dritte Kapitel beschreibt die Methodik und argumentative Vorgehensweise der Arbeit. Es wird erläutert, wie die Kriterien der beiden Autoren auf die EU übertragen werden und welche Quellen für die Untersuchung herangezogen werden. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf den Vergleich der EU mit ihren Mitgliedsstaaten und berücksichtigt die Unpräzision und Abstraktheit der theoretischen Kriterien.
Das vierte Kapitel analysiert die Beziehungen zwischen EU-Bürgerinnen im Hinblick auf besondere moralische Pflichten. Es wird untersucht, ob die Kriterien von Miller und Nagel für Beziehungen zwischen EU-Bürgerinnen erfüllt sind und ob sich daraus gleiche oder unterschiedliche Pflichten gegenüber Landsleuten und Nicht-Landsleuten ableiten lassen.
Das fünfte Kapitel fasst die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und bewertet die beiden Ansätze von Miller und Nagel auf Grundlage ihrer Anwendung in der Arbeit. Es werden die Vor- und Nachteile der beiden Ansätze herausgestellt und die Relevanz der Untersuchung für die aktuelle politische Diskussion und die Zukunft der EU diskutiert.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen besondere moralische Pflichten, partikularistischer Ansatz, Europäische Union, Integration, Landsleute, EU-Bürgerinnen, David Miller, Thomas Nagel, sozio-ökonomische Gerechtigkeit, Souveränität, Institutionen, "doppelter Zwang". Die Arbeit untersucht, inwiefern sich aus partikularistischer Sicht innerhalb der EU trotz der fortgeschrittenen Integration weiterhin besondere moralische Pflichten gegenüber Landsleuten begründen lassen, die sich von denen gegenüber allen EU-Bürgerinnen unterscheiden. Die Analyse konzentriert sich auf die Kriterien von David Miller und Thomas Nagel, die zur Begründung besonderer moralischer Pflichten herangezogen werden, und untersucht deren Anwendung auf Beziehungen zwischen EU-Bürgerinnen. Die Ergebnisse der Untersuchung werden miteinander verglichen und bewertet, um die Relevanz der Fragestellung für die aktuelle Politik und die Zukunft der EU zu diskutieren.
- Arbeit zitieren
- Tobias Herbst (Autor:in), 2013, In Verantwortung geeint? Besondere moralische Pflichten innerhalb der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274384
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