Mit der Erzählung "Romeo und Julia auf dem Dorfe" nahm Gottfried Keller das traditionsreiche Motiv zweier junger Menschen auf, deren Liebe sich wegen der unüberwindbaren Feindschaft zwischen ihren Familien nicht verwirklichen kann und deren gemeinsamer Weg unwiderruflich auf ein tragisches Ende zuläuft. Dieses Grundmotiv wird in zwei miteinander verflochtenen und verwobenen Handlungssträngen entwickelt. Ausgangsbasis und Ursache dieses unaufhaltsamen Verfallsprozesses ist die Streitgeschichte der Väter, mit der sie sich selbstzerstörerisch auf abschüssiger Bahn ins materielle und moralische Elend und ins gesellschaftliche Abseits manövrieren und ihren Kindern die Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft zerstören. Der zweite Handlungsstrang, die Liebesgeschichte der beiden Kinder, bildet die verhängnisvolle Fortsetzung dieser gestörten Familienbeziehung im Sinne einer sich fortzeugenden "Schuld", die sich auf die nachfolgende Generation überträgt und sie dazu führt, im Gegensatz zu dem einstmals erlebten Zustand kindlicher Unschuld ihrerseits "Schuld" auf sich zu laden und das erlittene Leid zu vergrößern. Dieses Geschehen spielt sich auf einem zeitgeschichtlichen Hintergrund ab, in dem das rigide Werte- und Normensystem der bäuerlichen Welt den Liebenden keine Möglichkeit lässt, ihr Zusammenleben in gesellschaftlich sanktionierte Bahnen zu lenken. Damit wird ihre gleichsam schicksalhaft vorbestimmte und zugleich unmögliche Liebe zu ihrem Verhängnis, dem sie nicht "entfliehen" können.
Der Autor war sich darüber im Klaren, dass er sich mit dem auf Shakespeares berühmtes Drama anspielenden Titel seiner Erzählung auf eine jener "Fabeln" eingelassen hatte, "auf welche die großen alten Werke gebaut sind" (Einleitung zur Erzählung, Seite 3). Er löste den Stoff jedoch aus dem feudalen Milieu zweier Veroneser Adelsgeschlechter bei dem von ihm sehr verehrten literarischen Vorgänger und verpflanzte ihn in eine fiktive ländliche Umgebung seiner schweizerischen Heimat mit völlig unterschiedlichen Lebensverhältnissen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitender Überblick
- Zur Entstehungsgeschichte
- Aktualität des Stoffes
- Versuche
- Veröffentlichung im Erzählband "Die Leute von Seldwyla" (1856)
- Inhaltliche Zusammenfassung
- Zwei und vier
- Die pflügenden Bauern und die spielenden Kinder auf dem Acker (3 - 11)
- Prügelei am Bach (11 - 30)
- Liebesszene im Kornfeld (30 - 44)
- Letzter Tag: Wanderung, Tanz, Vermählung und Tod (44 - 80)
- Aufbau, Struktur und Perspektive
- Symmetrie der Teile
- Strukturschema eines Dramas
- Zeitraffendes und zeitdehnendes Erzählen
- Filmisches Erzählen: Wechsel zwischen Nah- und Fernsicht
- Wechsel der Erzählhaltung
- Theatralisches Erzählen
- Bilder, Symbole und Leitmotive
- Die Sternbilder
- Der verwilderte Acker
- Der Fluss
- Das Haus
- Farbsymbolik
- Poetischer Realismus
- Anhang: Das Liebestod-Motiv von der Antike bis zur Gegenwart
- Hero und Leander
- Pyramus und Thisbe
- Troilus und Criseyde
- Tristan und Isolde
- Romeo und Julia
- Verwendete Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe" von Gottfried Keller erzählt die Geschichte einer unglücklichen Liebe, die sich aufgrund der unüberwindbaren Feindschaft zwischen den Familien der beiden Protagonisten nicht verwirklichen kann und in einem tragischen Ende gipfelt. Die Novelle bietet einen tiefgründigen Einblick in die soziale und moralische Welt des 19. Jahrhunderts und beleuchtet die Auswirkungen von gesellschaftlichen Normen und Konventionen auf das Leben und die Liebe von Menschen.
- Die Folgen von Feindschaft und Rivalität zwischen Familien
- Die Grenzen der Liebe in einer konventionellen Gesellschaft
- Die Bedeutung von sozialen Normen und Moralvorstellungen
- Die Auswirkungen von Armut und sozialer Ausgrenzung
- Die Suche nach Liebe und Glück in einer Welt voller Konflikte
Zusammenfassung der Kapitel
Die Novelle beginnt mit der Darstellung der beiden Bauern Manz und Marti, die in harmonischer Einmütigkeit ihre Äcker bearbeiten. Zwischen ihren Feldern liegt ein brachliegender Acker, der zum Sinnbild für die später ausbrechende Feindschaft wird. Die Kinder Sali und Vrenchen, die aus diesen Familien stammen, spielen auf dem verwilderten Acker und erleben bereits früh die Auswirkungen von Grausamkeit und Gewalt. Der Streit zwischen den Vätern um den brachliegenden Acker eskaliert und führt zu einem jahrelangen Rechtsstreit, der beide Familien in den Ruin treibt.
Nach einem Zeitsprung von drei Jahren treffen sich Sali und Vrenchen wieder und entdecken ihre Liebe zueinander. Ihre Liebe wird jedoch durch die Feindschaft ihrer Väter und die gesellschaftlichen Normen der Zeit bedroht. Sali begeht einen "Frevel", indem er Vrenchens Vater mit einem Stein niederschlägt. Dieser Vorfall führt zum endgültigen Bruch zwischen den Familien und zerstört jede Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft für Sali und Vrenchen.
In den letzten Kapiteln der Novelle begeben sich Sali und Vrenchen auf eine gemeinsame Wanderung, die sie in ein Wirtshaus führt, in dem sie von dem "schwarzen Geiger" empfangen werden. Der schwarze Geiger, eine rätselhafte Gestalt, verkörpert die Welt der Heimatlosen und Außenseiter und bietet Sali und Vrenchen eine Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft. Die beiden Liebenden fühlen sich jedoch an die Konventionen ihrer Zeit gebunden und erkennen, dass ihre Liebe in dieser Welt keinen Platz hat. Sie beschließen, ihren gemeinsamen Tod im Fluss zu suchen.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die unglückliche Liebe, die Feindschaft zwischen Familien, die soziale Ausgrenzung, die gesellschaftlichen Normen des 19. Jahrhunderts, die Auswirkungen von Armut und die Suche nach Glück und Freiheit. Die Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe" beleuchtet die Tragik des menschlichen Daseins in einer Welt voller Konflikte und zeigt die Grenzen der Liebe in einer konventionellen Gesellschaft.
- Quote paper
- Hans-Georg Wendland (Author), 2014, Gottfried Kellers Novelle "Romeo und Julia auf dem Dorfe". Geschichte einer unglücklichen Liebe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/274300