Wir befinden uns in einer Zeit permanenter Turbulenzen und in einer anhaltenden Wirtschaftskrise. Mehr als 70% aller Arbeitnehmer geraten früher oder später in eine Jobkrise. Manche Menschen haben eine ewige Sinnkrise, die meisten landen eines Tages in der Midlife-Krise, von zunehmenden Beziehungskrisen ganz zu schweigen. So wie es aussieht, kriselt es allerorts. Da aber Entwicklung immer von Krise zu Krise stattfindet, ist eine Krise per se nichts Schlimmes. Ob daraus eine Katastrophe oder eine neue Chance wird, hängt von ihrer individuellen Krisenfitness ab. Und diese kann man lernen!
Resilienz ist nicht nur für belastete Personen "wirksam", sondern stellt für alle Mitarbeitergruppen eine Schlüsselkompetenz für die bessere Bewältigung der Arbeitsanforderungen dar.
"Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen." (Max Frisch).
Die Autoren dieser Gemeinschaftspublikation sind Persönlichkeiten, die ich sehr bewundere, zumal sie alle selber schon etliche Schwierigkeiten, Hürden und Scheitererfahrungen zu meistern hatten, um resistenter zu werden. Gescheitert hat aber auch viel mit "gescheiter" zu tun. Als krisenerprobtes Team in vielerlei Hinsicht haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, ein sehr persönliches Buch zu schreiben, und die Leser an unseren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Das macht meines Erachtens auch den Unterschied zu den anderen Resilienz-Büchern aus, die gerade am Markt sind. Theoretisches Wissen bekommen sie von uns nur "nebenbei" in der Schilderung des persönlichen Erlebens und Erfahrens vermittelt.
Profitieren Sie von den persönlichen Erfahrungsberichten, übernehmen Sie Haltungen, Übungen und Techniken zum Ausbau innerer Stärke!
Kommen Sie mit uns in die Kraftkammer für ein gesundes Ich!
Treten Sie täglich auf der Übungsmatte des Lebens an!
Es zahlt sich aus und macht uns stark.
Trainieren Sie mit den Gewichten des Lebens! Irgendwann, irgendwo, irgendwie schnappt die Falle bei jedem zu.
INHALT
VORWORT
INTRO - what doesn't kill you, makes you stronger!?
01: Personliche Resilienzerfahrungen in Kindheit, Jugend und jungem Erwachsenenalter von Harald Danzmayr
02: Resilienz - wie Phoenix aus der Asche: Heraus aus der Krise, hinein ins Leben! von Daniela Werner
03: Die Resilienzsaule „Zukunft gestalten“ - eine LOCOMOTION-Toolbox von Margarete und Thomas Muhlberger
04: Was uns innen halt und auBen tragt - Resilienz aus einer weiblichen Perspektive von Birgit Kropik
05: GO CRISES! Warum wir Krisen „brauchen“ oder: Von der bedrohlichen Gefahr zur willkommenen Chance 121 von Harald Danzmayr
06: Erzahlungen des verruckten Onkels und das Leben im Moment von Philipp Torggler
07: Resilienz und Raum. 1st Raum ein Resilienzfaktor? von Philipp Torggler
08: Korperliche Resilienz von Sandra Csillag
09: Mit einem Lacheln im Sturm - Resilienz in Organisationen von Gunter Kerschbaummayr
10: Obenauf geschwommen, viel erfahren, gut gelaufen: Personlichkeitsstarkung und Charakterbildung durch Triathlonsport von Harald Danzmayr
VORWORT
von Harald Danzmayr
Resilienz, was ist das? Schon wieder so ein Modewort? Es klingt ein bisschen nach Resistenz, und erinnert an Residenz oder gar an Re- nitenz? |m vorliegenden Buch beschaftigen wir uns intensiv mit der neuen Schlusselkompetenz in der Arbeitswelt von Heute, namlich in- nere Starke und psychische Widerstandskraft zu entwickeln zum Um- gang mit den steigenden Belastungen, um daraus eine entsprechende Krisenfitness aufbauen.
Resilienz bezeichnet DIE zentrale Kraft des Lebens, namlich wieder aufzustehen, wenn wir mal zu Boden gegangen sind. Diese hilft uns nicht nur weitere Krisen und Schwierigkeiten zu uberwinden, sondern auch gestarkt daraus hervorzugehen!
Wir befinden uns in einer Zeit permanenter Turbulenzen und in einer anhaltenden Wirtschaftskrise. Ein Blick auf PISA (falls wir dort noch hin schauen wollen ...) beschert uns eine Bildungskrise, fast 70% al- ler Arbeitnehmer geraten fruher oder spater in eine Jobkrise. Manche Menschen haben eine ewige Sinnkrise, die meisten landen eines Ta- ges in der Midlife-Krise, von zunehmenden Beziehungskrisen ganz zu schweigen. So wie es aussieht, kriselt es allerorts.
Da aber Entwicklung immer von Krise zu Krise stattfindet, ist eine Krise per se nichts Schlimmes. Ob daraus eine Katastrophe oder eine neue Chance wird, hangt von der individuellen Krisen-Fitness ab. Und diese kann man lernen! Resilienz ist nicht nur fur belastete Personen „wirksam“, sondern stellt fur alle Mitarbeitergruppen eine Schlusselkompetenz fur die bessere Bewaltigung der Arbeitsanforderungen dar.
„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihr nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“ (Max Frisch)
Die Autoren dieser Gemeinschaftspublikation sind Personlichkeiten, die ich sehr bewundere, zumal sie alle selber schon etliche Schwierigkeiten, Hurden und Scheitererfahrungen zu meistern hatten, um resilienter zu werden. Gescheitert hat aber auch etwas mit geschei- ter zu tun. Als krisenerprobtes Team in vielerlei Hinsicht (wirtschaft- liche und private Verluste, schmerzhafte Trennungen und Abschiede, Krankheiten, Jobverluste ...) haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, ein sehr personliches Buch zu schreiben, und die Leser an unseren Erfahrungen teilhaben zu lassen. Das macht meines Erachtens auch den Unterschied aus zu den anderen Resilienz-Buchern, die gerade am Markt sind. Theoretisches Wissen bekommen Sie von uns nur „ne- benbei“ in der Schilderung des personlichen Erlebens und Erfahrens vermittelt.
Das Buch ist in einer fur uns typischen „freien Fehlerkultur“ entstan- den. Wir haben keinerlei Anspruch etwas besser zu wissen als an- dere. Wir verfolgen hier weder eine wissenschaftliche Absicht, noch halten wir uns an die Regeln erfolgreicher Sachbucher. Dieses Buch ist uns quasi passiert, es wollte sein. Wir mochten uns dazu in die Dis- kussion einbringen, auf unsere ganz spezielle LOCO-ART. Jeder der 6 Autoren leistet aufgrund seiner ganz personlichen Geschichte einen wertvollen Beitrag zum Verstandnis, wie jeder auch etwas anders mit Krisen umgeht. Gleichzeitig erfahren wir, wie sich die Haltungen und Fahigkeiten fur einen konstruktiven Umgang mit Belastungen aber doch auch ahnlich sind. Durch das authentische Wirken dieser Per- sonen haben wir einen Unterschied fur Tausende andere Menschen gemacht, in unseren Seminaren, Trainings und Workshops.
Was erwartet Sie?
- Gunter Kerschbaummayr gibt uns als ehemaliger CFO einen Ein- blick in die pathogenen Mechanismen von etlichen Organisationen und leitet davon recht g’scheit, aber auch auf legere Weise, ein Modell resilienter Organisationen ab.
- Philipp Torggler liefert 2 Beitrage: einerseits Raum und Resilienz - also: wie wirken Raume, Anordnungen etc. auf die psychosoziale Ge- sundheit von Mitarbeitern? Wie muss eine personlichkeits-starkende Architektur aussehen? Anderseits erzahlt er uns ein paar Geschichten vom „verruckten Onkel“ also jenem schrulligen Kerl in unserem Ober- stubchen, der uns immerzu blode Dinge einredet, die gar nicht stim- men, und wie wir mit ihm zurecht kommen konnen.
- Sandra Csillag schreibt uber den Zusammenhang von Lebensfeuer (HerzRatenVariabilitat) und Resilienz, und welche neurobiologischen Parameter mit Resilienz korrelieren. Sie zeigt uns auch, wie die Grafik des Lebensfeuers zu lesen ist. Auf diese Art entwickelt sie ein Kon- zept der „korperlichen Resilienz", um die man sich auBerst professi- onell in der Ordination Dr. Christian Csillag in St. Valentin annimmt.
- Thomas und Margarete Muhlberger berichten uber ihre Erfahrung mit dem unternehmerischen Scheitern ihres Modehauses und diver- sen Kollateralschaden, aber auch uber die groBe Kraft der Liebe und der bedingungslosen Zusammengehorigkeit, um uber solche Krisen hinwegzukommen. Davon leiten sie Empfehlungen ab, wie eine be- triebliche Aus- und Weiterbildung sein soll, um junge Menschen in ihrer seelischen Widerstandskraft zu starken.
- Daniela Werner berichtet uber ihr Burn-Out und dessen Konse- quenzen in ihrem Leben. Weiters erzahlt sie von einem angewandten LOCO-Resilienz-Training mit Mitarbeitern eines Top-Unternehmens, die gerade eine harte Umstrukturierung „erfahren“- inkl. Feedback der Teilnehmer. Spannend!
- Birgit Kropik hat auch 2 Themen gewahlt: 1., weil sie damit jahrelan- ge personliche Erfahrung hat, schreibt sie uber Meditation, „Innen- schau“ als haltgebenden Anker besonders in Krisenzeiten; als Mittel, um bei sich selbst anzukommen, mit den eigenen Gefuhlen in Kontakt zu kommen und damit in der Lage zu sein, Krisen zu bewaltigen und 2. uber soziale Beziehungen (Frauen-Selbsterfahrungsgruppe) als Resilienzfaktor.
- Meine eigenen Beitrage sind recht unterschiedlich: |n der Einleitung gebe ich einen Qberblick uber das Thema und bringe es in Zusammenhang mit Betrieblicher Gesundheitsforderung.
Ein Beitrag beschaftigt sich mit dem Thema Bewegung und Sport (am Beispiel Triathlon) - zum Aufbau personlicher Starke und see- lischer Kraft. Ein weiterer thematisiert recht offen personliche Res- ilienzerfahrungen in meiner Kindheit und Jugend. Zuletzt folgt eine Abhandlung uber die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Krisen mit Fallbeispielen aus der Wirtschaft sowie einem Grundungsreport von gesundheitskoller.com, der zeigt, wie man aus einer bedrohlichen Krise eine willkommene Chance machen kann.
Profitieren Sie von den personlichen Erfahrungsberichten, uberneh- men Sie Haltungen, Qbungen und Techniken und bauen Sie |hre inne- re Starke auf und aus.
Kommen Sie mit uns in die Kraftkammer fur ein gesundes |ch!
Treten Sie taglich auf der Qbungsmatte des Lebens an!
Es zahlt sich aus und macht uns stark.
Trainieren Sie mit den Gewichten des Lebens! |rgendwann, irgendwo schnappt die Falle bei jedem zu.
Entwickeln Sie einen spielerischen Umgang mit Schwierigkeiten und Hurden!
Eignen Sie sich wirksame Techniken an, um wieder in Balance zu kommen!
Es braucht Qbung und Anleitung, so ganz alleine wird’s schwierig. So wie wir unsere Muskeln und unsere Kondition nur durch permanente Qbung trainieren konnen (,use it or loose it") ist es auch mit unserer psychischen Kraft und inneren Starke. Sie wachst, indem man konst- ruktiv mit ihr „arbeitet“, und macht Sie stark fur die Wechselfalle und Unvohersehrbarkeiten des Lebens.
Jeder profitiert davon, seine Resilienz zu starken und besser zu wer- den in seinem personlichen Krisen-Management, egal wie intelligent, reich oder verwohnt jemand ist.
Innigster Dank an die Co-Autoren dieses Buches. Sie bereichern mich, mein Leben, meine Arbeit auBerordentlich.
Danke auch an Claudia Hauer fur die wie immer sehr originelle Grafik, ihr Verstandnis und ihre Geduld!
Ein riesen Danke geht an alle Unterstutzer und Forderer unseres Teams, unsere lieben LOCOMOTION-Kunden und Freunde.
Danke auch an die Zweifler, Norgler und Bremser da drauBen. |hr gebt uns den notigen Kick, an unserer Sache dranzubleiben.
Ein Dank gebuhrt auch mir selbst. Danke Danzmayr ;-)
Ich wunsche |hnen viel Erfolg und Erfullung bei der Bewaltigung |hrer Aufgaben!
Herzlich, Harald Danzmayr
TRAIN TO GAIN !
INTRO: What doesn‘t kill you, makes you stronger!?
von Harald Danzmayr
PREVIEW:
Starke statt Harte | Konigsweg Reflexion | Guten Morgen ohne Sorgen | zeitlos | Eklektizismus der positiven Psychologie | vom Kampfen und Aufgeben | W-Fragen | Definitionen von Krise | ein Polster fur schlechte Zeiten | psycho-soziale Gesundheit | Zahlen, Daten, Fakten | Arbeit ist gesund | die Kunst der Krisenkommunikation | ENWHP | Resilienz-Trai- ning auf individueller, Gruppen- und Organisationsebene |
Manchmal wird unser leicht provokanter Untertitel „What doesnt‘ kill you makes you stronger!?" falsch ubersetzt mit: „Was dich nicht um- bringt, macht dich harter“.Nein, es macht uns nicht harter, sondern starker. Und diese Starke gewinnen wir aus einer sanften Kraft, die sich langsam durch die Bewaltigung von Belastungen aufbaut und an den uberwundenen Hindernissen und Widerstanden wachst, d.h. wir werden nicht harter, sondern weicher. Der Begriff „elastisch“ ge- fallt mir hier auch recht geht. Die Metapher vom Bambus-Prinzip be- schreibt Resilienz auch recht schon. Der Satz selbst stammt ubrigens aus Nietzsches Gotzendammerung: „Was mich nicht umbringt, macht mich starker. “
Beim Resilienz-Thema geht es zwar auch um Fahigkeiten und Ver- halten, aber primar um die entsprechende Einstellung und Haltung. Die systemische Lernpsychologie spricht von sogenannten Double- Loop-Schleifen. Man setzt durch intensive BewuBtseinsarbeit zuerst bei der Haltung an und ubt im 2. Schritt das entsprechende Verhalten dazu.Hier gehen wir den Konigsweg der Reflexion, jener Fahigkeit, die direkt an das Vorhandensein einer GroBhirnrinde geknupft ist, die - sofern man sie benutzt - uns Menschen als neurologische Unikate auszeichnet ...
Zum Resilienztraining gehort ein MindestmaB an Reflexions-Bega- bung, und glauben Sie mir, diese nimmt dramatisch ab. Qber sich und seine Erfahrungen sowie sein Verhalten nachzudenken, diese in einen groBeren Zusammenhang zu stellen und ggfs. Erkenntnisse abzulei- ten, ev. Korrekturen einzuleiten, ist ganz schon harte Arbeit. Da neh- men es viele lieber (scheinbar) gelassen „es kommt eh wie es kommt“ oder nivellieren alles Erleben und Erfahren auf „es paBt eh ois“. So kann man aber nichts lernen und sich naturlich auch nicht weiter ent- wickeln, bzw. gestarkt aus Krisen hervorgehen.
Wir sind bereits zu Beginn dieser Einleitung beim zentralen Scheiter- kriterium oder um es positiv zu formulieren - dem entscheidenden Erfolgsfaktor von Resilienz gelandet: Die Fahigkeit und Bereitschaft zur Reflexion. Das erklart auch den uberstrapazierten Satz aus vielen anderen Resilienz-Bucher: Resilienz kann man lernen. Auch wir kon- nen hier nicht druber hinweg sehen. Sorry for worry.
Gerade bei der Resilienzsaule „Optimismus“ kann man diesen Ge- danken leicht nachvollziehen, dass ein in seiner Grundhaltung op- timistischer Mensch ein anderes Verhalten zeigen wird als ein pes- simistischer Mensch. Wobei es gerade hier nicht nur diese beiden Haltungs-Pole, sondern eine Art Kontinuum dazwischen gibt sowie auch die Qbertreibung beider Haltungen. Dieses Kontinuum flieBt dann zwischen exzessiver Besorgnis und Sorglosigkeit.
Zum Thema Sorge sei an dieser Stelle bereits verraten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Dale Carnegie: Sorge dich nicht, lebe!)
Was mir personlich am Resilienz-Konzept so gefallt ist:
A) seine Zeitlosigkeit: Der Begriff ist im Gegensatz zum relativ „mo- dernen“ Burn-out-Begriff ein in vielen wissenschaftlichen Bereichen etablierter. Semantisch wird er uber seine Kern-Bedeutung der „Elas- tizitat“ und „Widerstandskraft“ in der Physik, Medizin, Okologie, Psy- chologie und Padagogik verwendet, um nur einige zu nennen.
B) Sein Eklektizismus: Das Beste aus der Salutogenese, Coping, Work-Life-Balance, Burn-Out-Pravention und der Existenzanalyse von Viktor Frankl ist in das Resilienz-Konzept eingeflossen. Damit ist die Resilienz-Forschung Teil der positiven Psychologie, also jenem Gebiet, das nach den Bedingungen und Moglichkeiten der Gesunder- haltung fragt und nicht nach den Krankheitsfaktoren. Es handelt sich hier v.a. um den stark wachsenden 2. Gesundheitsmarkt mit praventi- vem Charakter im Gegensatz zum 1. Gesundheitsmarkt, der therapeu- tisch-kurativ ausgerichtet ist.
C) Sein kampferischer Ansatz: nicht aufgeben, sondern immer wieder aufstehen und weitermachen, aus den Erfahrungen lernen und besser werden, sich nicht als Opfer fuhlen, sondern selbstverantwortlicher (Mit-)Gestalter werden. „Jetzt erst recht!“ lautet die Parole und hat auch mich personlich ein Leben lang begleitet, und wird es wahr- scheinlich weiterhin tun. |n Sportlerkreisen wie bei uns im Triathlon- verein heiBt es gerne: ,.Aufgeben tut man nur einen Brief!“; Resilient zu werden bedeutet auch, um die eigene Existenz(-berechtigung) zu kampfen, um die Liebe kampfen, um Menschen kampfen, fur seine Sache einstehen ... ABER: und das ist auch wieder das weiche, nach- giebige Element im Resilienzkonzept: verlorene und aussichtslose Kampfe aufgeben und loslassen, sich erholen und die Lektion daraus lernen, im Vertrauen darauf, dass es letztlich Sinn fur mich macht. Dinge und Menschen ziehen lassen, die nicht bei einem bleiben wol- len, aber auch selber weitergehen, wenn sich die Aufgabe erfullt hat.
Und diese Aufgabe zu erkennen ist eine entscheidende Reflexions- kompetenz a posteriori oder lessons learned, wie es bei uns im Muhl- viertel heiBt ;-)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Ein Klassiker vom osterreichischen Guru der systemisch-konstrukti- vistischen Kommunikationspsychologie Paul Watzlawick hat auch in unseren Trainings immer einen Platz, namlich „Das Gute im Schlech- ten“ zu identifizieren. Das gelingt naturlich immer erst nach einiger Distanz. |m akuten Krisengeschehen von schmerzlichen Verlusten und Trennungen ist der emotionale Schmerz haufig zu groB fur rationale Erkenntnisgewinne; in solchen Fallen bedarf es oft einer akuten Krisenintervention, in der ganz andere |nstrumente eingesetzt wer- den als im Resilienz-Training, in welchem Tools furs personliche Kri- senmangement geubt werden.
Resilienz heiBt also gar nicht immer stark zu sein. |n schweren Krisen sind Zusammenbruch, Verzweiflung und Desorientierung zeitweilig angemessen und sogar heilsam. Sie sind eine Voraussetzung, um Wiederherstellung und Erneuerung in ihrer ganzen Tiefe und Trag- weite zu erleben. Erst dadurch wird die Krise wirklich verarbeitet und die neuen Aspekt werden integriert. Gerade durch die Krisenerfah- rung kommt der Zuwachs an Resilienz Mit der Art der Verarbeitung entscheiden Sie daruber, ob Sie eine Erschutterung ubergehen, sie lediglich uberstehen oder gestarkt da- raus hervorgehen. Es bedeutet mehr als nur mit dem Dasein zurecht- zukommen und sein Leben unter Schadensbegrenzung irgendwie zu bewaltigen. Es bedeutet zu gedeihen, und seinen Weg zu finden.
Ein resilienter Lebensstil durchzieht alle Lebensbereiche: Arbeit, Privatleben, Familie, Freunde, Teams. Ein Mangel in einem dieser Felder greift auf die anderen uber.
Stellen wir uns mit Monika Gruhl („Die Strategie der Stehaufmen- schen“) nun folgende W-Fragen:
Wieviele Schwierigkeiten haben Sie schon uberwunden, bis Sie dahin kamen, wo Sie jetzt sind? Welche Hindernisse im Alltagsleben haben Sie bereits beiseite geraumt? Einige wahrscheinlich davon immer wieder? Welche Schicksalsschlage haben Sie vielleicht schon einste- cken mussen und sich dann im Leben neu orientiert? Welche Krisen uberwunden?
Die Strategie, die Sie dazu genutzt haben und die Eigenschaften und Fahigkeiten, die Sie dafur aktviert haben, sicher auch unbewusst - gehoren zu |hrem Repertoire an Resilienz. Mit Resilienz werden die |NNEREN KRAFTE bezeichnet, die es uns ermoglichen, Krisen und Schwierigkeiten nicht zu uberwinden, sondern gestarkt daraus her- vorzugehen.
Im beruflichen Umfeld - betriebsbedingte Kundigungen, steigende Arbeitsbelastungen ... im Privatleben - Beziehungsprobleme, finan- zielle Einschrankungen ... einschneidende Ereignisse wie Krankheit, Tod, schwerwiegende Verluste ...
Ohne es bewusst anzustreben, trainieren Sie |hre innere Starke immer dann, wenn Sie sich den Aufgaben und Herausforderungen |hres Le- bens stellen.
Resilienz-Training ist eine beachtliche, personliche Veranderungsiniti- ative. |ndem Sie neue Gewohnheiten in |hrer Art zu denken, zu fuhlen, zu fragen und zu reagieren entwickeln, lassen Sie manches Alte hin- ter sich. Ein gut gepflegter Fundus an Bewaltigungsstrategien ist die Grundlage fur ein reiches und gelingendes Leben, was immer es fur Sie bereithalt.
Eine Krise kann sowohl ein positives, als auch ein negatives Ereignis mit sich bringen (sowohl eine Entlassung als auch eine Beforderung) im allgemeinen Sprachgebrauch wird Krise aber „als gefahrliche Situation“ eingestuft. Das Wort Krise hat seinen Wortstamm im grie- chischen „krinein“, was soviel bedeutet wie scheiden, entscheiden. Krisen sind Storungen, die dann entstehen, wenn bestimmte Steue- rungsorganisationen nicht mehr funktionieren. Weil sich die Umfelder geandert haben. Weil die Akteure sich selbst weiterentwickelt haben, so dass sie nun nicht mehr mit ihrer - stehengebliebenen - Umwelt zusammenpassen. Das ganze System wird krank. Ganzheitlicher - wie immer - die Chinesen, in deren Schriftzeichen fur Krise sowohl das Bild fur Gefahr als auch fur Chance drinsteckt.
Die Widerstandsfahigkeit eines Menschen, einer Gruppe oder eines Systems wird betrachtet, analysiert und im |dealfall gesteigert. Der Grundgedanke ist in allen Professionen der gleiche: Diese Widerstandsfahigkeit zu starken. Hinzu kommt wie gesagt der Ansatz, dass Menschen aus Krisen gestarkt hervorgehen konnen.
Nicht nur unvorhergesehene Veranderungen und Umbruche haben groBen Einfluss auf unser Leben sondern auch die sog. „normativen Krisen“- oder die positiven Transitkrisen: vorhersehbare Lebenswen- depunkte wie Pubertat, Heirat, Kinderkriegen, Umzuge, Berufswech- sel, Ende der Berufstatigkeit ... an ihnen wird deutlich, wie unerlasslich es fur jeden ist, sich immer wieder an neue Lebensumstande anzupas- sen. Wir mussen Vertrautes aufgeben. Unser Selbstbild oder unsere personlichen Lebensziele korrigieren, liebgewordenen Beziehungen enden, und andere werden neu geknupft. Die Dinge ordnen sich neu und das schmerzt. Menschen versuchen diesen Schmerz zu vermei- den. Aber gerade deshalb gilt: Menschen, die keine Krisen durchlebt haben, wirken flach und „unwirklich“.
Neue Belastungen verlangen die Aktivierung neuer Ressourcen. Da- her ist die Entwicklung von Resilienz nie abgeschlossen. Keiner kann vorhersagen, wer welchem Druck ausgesetzt sein wird oder wen wel- che Ereignisse besonders hart treffen. Wir brauchen eine Reserve- Fahigkeit. |ndem Sie |hre Resilienz starken, schaffen Sie sich Bewalti- gungsreserven, ein Polster fur schlechtere Zeiten.
Widrigkeiten und Krisen gehoren nun mal zum Leben dazu. Die meis- ten Menschen mussen im Laufe ihres Lebens mit korperlichen, see- lischen oder geistigen Storungen oder Beeintrachtigungen bei sich selbst oder in ihrem Umfeld zurechtkommen und bilden ein Reservoir an emotionaler Starke und praktischen Fahigkeiten. Sich erfolgreich an neue Situationen anpassen konnen, ist eine Kernfahigkeit der Le- bensbewaltigung und eine Schlusselkompetenz der modernen Ar- beitswelt. Und Humor hat noch nie geschadet, im Gegenteil - wie uns P. Tschechow demonstriert:
„Eine Krise kann jeder |diot haben. Was uns zu schaffen macht, ist der Alltag.“
Angesichts des letalen Finales, das fur jeden von uns fruher oder spa- ter kommt, verlieren auch „Talebs Schwarze Schwane“ an Bedeutung ... also die Unvorhersehbarkeit und die Unvorhersagbarkeit neuer auftauchender Krisen ... denn es war immer so und wird immer so bleiben: Menschen kommen und gehen, Unternehmen kommen und gehen, nach einem Tief kommt ein Hoch etc. Die Krise ist und bleibt immanenter Bestandteil von Entwicklung.
Was bedeutet das nun fur den unternehmerischen Kontext? Wie wirkt sich diese Krisendynamik auf die Menschen aus, die in den Unterneh- men arbeiten? Wir sind in den letzten 15 Jahren haufig fur Projekte und Trainings im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsforderung engagiert worden und konnen analog zu den Evaluierungen der eu- ropaischen Kommission bestatigen, dass das Thema „psycho-soziale Gesundheit“ immer wichtiger geworden ist.
Wird der europaische Markt betrachtet, sind die Ausgaben fur psy- chische Gesundheit und Wohlbefinden signifikant gestiegen. Einen GroBteil dieser Kosten ubernehmen neben der gesamten Gesellschaft auch die Arbeitgeber. (Infos siehe www.who.int)
- 25 - 30% der europaischen Burger erleben ein psychisches Problem wahrend ihres Lebens
- D-e WHO geht davon aus, dass Depressionen bis zum Jahr 2020 die zweithaufigste Ursache fur Arbeitsunfahigkeit oder verminderte Leistungsfahigkeit auf dem Arbeitsmarkt sein werden.
- Fehlzeiten, arbeitsbedingter Stress und psychische Probleme in Europa wachsen kontinuierlich
- Die Kosten fur psychische Erkrankungen in Europa betragen ca. 240 Milliarden Euro pro Jahr. 136 Milliarden davon konnen auf Ein- schnitte in der betrieblichen Produktivitat durch krankheitsbedingte Fehlzeiten zuruckgefuhrt werden. Neben den personellen Engpassen kommen also auch okonomische Auswirkungen dazu.
Aber: Das Arbeitsumfeld ist nur zum Teil ursachlich fur diese Erkrankungen. Dennoch ist es von grundlegender Bedeutung fur die Losung des Problems. Der Arbeitsplatz in seiner Vielschichtigkeit tragt we- sentlich zur psychischen Gesundheit und Gesundwerdung bei. Durch die Festigung des Selbstwertgefuhls, Moglichkeiten fur soziale Kon- takte, Wertschatzung und Anerkennung zu erfahren, Verantwortung zu ubernehmen fur ein groBeres Ganzes ist Arbeit im besten Fall et- was sehr Gesundes.
Die ,.Luxembourg Declaration on Workplace Health Promotion (WHP)“ umfasst die gemeinsamen Anstrengungen von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Gesellschaft zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens des Menschen bei der Arbeit.
Diese kann durch die
- Kombination von Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Arbeitsumgebung
- Forderung einer aktiven Mitarbeiter-Beteiligung und der + Starkung personlicher Kompetenzen erreicht werden (www.enwhp. org), wobei wir wieder beim Thema Resilienz waren, bei einem mei- ner Lieblingszitate, kurz und bundig:
„Die Menschen starken, die Sachen klaren.“ Hartmut von Hentig Ein wichtiger Ursprung der psychosozialen Gesundheit liegt in der Entwicklung der Lebens- und Arbeitsbedingungen in den vergan- genen Jahren, aber auch in der zukunftigen Entwicklung (steigen- de Anforderungen an Mitarbeiter und Fuhrungskrafte, technischer Fortschritt, standige Erreichbarkeit, schnelle elektronische Kommu- nikatio ...) Demografischer Wandel, Qberalterung der Gesellschaft in Wohlstandsstaaten ... das sind nur einige Schlagworte, welche dieses akute Phanomen beschreiben sollen. GroBe Unternehmen wie BMW beschaftigen Demografiemanager, um die „Konsequenzen des dra- matischen Alterungsprozesses fur das Unternehmen so undramatisch wie moglich zu gestalten,“ wie es in einer Aussendung dazu heiBt. Nebenbei bemerkt, investiert dieses internationale Top-Unternehmen gerade in die Aufqualifizierung von 1500 Fuhrungskraften zum The- ma „Gesunde Fuhrung“, wie ich gerade von einer Kollegin erfahren habe .
Im Dezember 2010 hat die Publizistin Nicole Bonnard einen Artikel mit dem Titel „Lernen aus der Krise oder wie man aus dem Mist der Ver- gangenheit den Danger fur die Zukunft macht“ geschrieben. Dieser bezieht sich darauf, dass auch negative Ereignisse durch einen pro- fessionellen Umgang mit der Situation schlussendlich imagefordernd sein konnen. Ganz entscheidend ist hier die Krisenkommunikation. Wenn wir uns an den gefallenen Engel Andreas Goldberger erinnern, als er nach dem Gestandnis seines Kokainkonsums von ganz unten im offentlichen |mage mit Hilfe eines sehr offenen (und v.a. einsichtigen und reuevollen) Umgangs mit der ganzen Sache wie Phonix aus der Asche aufgestiegen ist und kurze Zeit spater noch viel popularer war als je zuvor. Das war in Summe eine gelungene Krisenkommunikation. Auch dem einen oder anderen groBeren Unternehmen ist das in den letzten Krisenjahren gelungen, durch ehrliche, transparente Kommu- nikation der Chancen und Risiken und abgestimmte MaBnahmenpla- ne keinen |mageschaden zu erleiden.
Das ENWHP (The Edinburgh Deklaration on the Promotion of Workplace Mental Health and Wellbeeing) - auf deren Basis die EU ihre
Programme zur Betrieblichen Gesundheitsforderung entwickelt- hat Ansatze zur Verbesserung der psychischen Gesundheit am Arbeits- platz formuliert:
1. Arbeitgeber sollen dazu ermutigt werden, ernsthafte Angebote in Bezug auf die BGF an Mitarbeiter zu unterbreiten und die Arbeitsor- ganisation i.S. der Gsundheit von Mitarbeitern zu verandern.
2. Bereitstellung von Ressourcen fur die Entwicklung von Fahigkei- ten, einschlieBlich Selbstvertrauen und sozialer Kompetenz
3. Forderung einer starkeren Beteiligung der Arbeitnehmer an Ent- scheidungsprozessen
4. Schaffung eines Bewusstseins der wichtigen Rolle der Fuhrungs- krafte bei der Unterstutzung der Mitarbeiter
5. Schaffung eines positiven Arbeitsumfeldes mit klaren Aufgaben- gebieten und Aussichten
6. Reduzierung von Stressoren in der Arbeitswelt und die Entwicklung von Widerstandsfahigkeit durch die Forderung von Bewalti- gungsstrategien
7. Die Forderung einer Unternehmenskultur, in der Partizipation und Gerechtigkeit Platz finden, sowie den Herausforderungen von Stig- matisierung und Diskriminierung am Arbeitsplatz begegnen
8. Mitarbeiter durch eine starkere Unterstutzung zu halten und Men- schen mit psychischen Problemen zu beschaftigen
9. Entwicklung und Umsetzung von verbindlichen Vereinbarungen zur psychischen Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz (Evaluierungspflicht seit 2013!)
10. Auswirkungen dieser MaBnahmen und |nterventionen mussen evaluiert werden.
Wenn man nun Resilienz in ein modernes Betriebliches Gesundheits- management einbauen mochte, und sich dabei auf Punkt 6 der EN- WHP bezieht, sollte man das auf 3 Ebenen realisieren (siehe Thomas Haugg 2008). Auf individueller Ebene, Gruppenebene, Organisati- onsebene gilt es mit Hilfe von Resilienz-Trainings den folgenden Herausforderungen zu begegnen:
1: auf individueller Ebene: Qber-oder Unterforderung wirken ebenso demotivierend wie akute Krisensituationen oder Druck von oben auf- grund bevorstehender Veranderungen
2: auf Gruppenebene: vielfaltige Teamkonflikte fuhren zu Blockaden und behindern Entwicklung
3: auf Organisationsebene: im Rahmen von Umstrukturierungen, Mergers & Acquisitions, etc., kommt es verstarkt zu Sorge um den Ar- beitsplatz.
Diesen Problemen kann mithilfe der Resilienz auf den jeweiligen Ebe- nen in Augenhohe begegnet werden. Fur einen moglichst reibungslo- sen Vermittlungsprozess auf allen Ebenen ist es erforderlich, umfang- reiche Trainings und Workshops fur Einzelne oder Teams anzubieten und Verantwortungen fur diesen Prozess festzulegen.
Denn: Resilienz ist lernbar und unverzichtbar fur ein starkes Leben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Resilienz-Forschung in der Padagogik | Psychoanalytische Mechanismen | Silberstreif am Horizont | Fehlerbewusstsein| Mythos Familie | Astrid | vom Beisl zum Palazzo | Hunde, Laufen und FuBball | bibliophiler Auto- didakt | Jugend im Militar-Internat | Piloten ist nichts verboten | April | Pimpfe | Charaktersensationen | eine spirituelle Erfahrung furs Leben: Du bist ein lacherlicher Niemand | |nitiationsritual | Willkommen am harten Boden der Realitat | paradoxe |ntention am Kasernenhof | ein Schritt, ein Puls | Ekstase & Askese | Exerzieren = gruppendynamisches Zen-Walking | Heraklit und Diogenes | serve the servants | ich bin nicht ok, du bist nicht ok, und das ist ok | Kairos vs. Kronos | Gewittergrollen | spiralenformige Entwicklung | Anfange sind das Tonikum der Jugend |
Die Resilienz-Forschung hat ihren Ursprung in der Padagogik. So wer- den zum Beispiel jene Kinder als resilient bezeichnet, die in einem so- zialen Umfeld aufwachsen, das durch Risikofaktoren wie zum Beispiel Armut, Drogenkonsum, Gewalt, Vernachlassigung etc. gekennzeich- net ist und sich dennoch zu erfolgreich sozialisierten Erwachsenen entwickeln; oder die auch bei plotzlichen Verlusten von nahestehen- den Angehorigen nicht aufgeben, sondern die Fahigkeit entwickeln, weiterzumachen. Resiliente Personen haben gelernt, dass SIE es sind, die uber ihr eigenes Schicksal bestimmen. Sie vertrauen nicht auf Gluck oder Zufall, sondern nehmen die Dinge selbst in die Hand. Sie ergreifen Moglichkeiten, wenn sie sich bieten. Sie sind Chancenden- ker und haben ein realistisches Bild von ihren Fahigkeiten.
Die fruheren padagogischen und psychologischen Ansatze hatten im- mer die Einflusse im Blick, die Menschen in ihrer Entwicklung gefahr- den konnen. Zuletzt lenkte man die Aufmerksamkeit darauf, dass es Menschen gibt, die sich trotz einer Haufung sog Risikofaktoren sehr positiv entwickeln. daraufhin hat man in Studien zunehmend unter- sucht, welche Eigenschaften und Fahigkeiten sie ausgepragt haben, um trotz ungunstiger Bedingungen zu gedeihen. Diese Starke, die es Menschen offensichtlich ermoglicht, Lebenskrisen ohne langfristige Beeintrachtigungen zu meistern wird Resilienz genannt. Sie setzt sich zusammen aus unterschiedlichen Haltungen, Eigenschaften und Strategies die beobachtet und beschrieben werden konnen.
In Studien hat sich gezeigt, dass es nicht in erster Linie die Probleme, Schicksalsschlage oder Katastrophen selbst sind, die das Leben ge- lingen lassen oder nicht. Entscheidend fur personliche Entwicklung und gelingendes Leben ist die Art und Weise, wie Menschen diesen Widrigkeiten begegnen. Ob sie an Krisen zerbrechen oder gestarkt daraus hervorgehen, hangt davon ab, wie resilient sie sind. Wenn sie es schaffen, mit den Problemen fertig zu werden, die sich ihnen in den Weg stellen, so sind sie zuletzt in ihrer Personlichkeit starker, als sie es waren, wenn sie diesen Problemen nicht begegnet waren.
Schmerzliche Erfahrungen konnen helfen, sich von unrealistischen Vorstellungen zu losen und eingefahrene Gleise zu verlassen. |n un- abanderlichen Verlusterlebnissen konnen wir einen neuen oder noch verborgenen Sinn entdecken und schwierige Lebensbedingungen als besonderes Lernfeld betrachten. Und vielleicht konnen Sie auch in |hrem eigenen Leben feststellen, dass gerade auBergewohnliche Schwierigkeiten und deren Qberwindung Sie zu der Person gemacht haben, die Sie sind.
Ich kann mich gut erinnern wie erleichtert ich war, als ich als jun- ger Psychologie- und Padagogik-Student auf Viktor Frankl gestoBen bin. Bis dahin hat mich die psychoanalytische Padagogik mit ihrem linearen, mechanistischen Modell zwar theoretisch fasziniert, aber praktisch schockiert. Wenn sich (fruh-)kindliche Defizite linear ins Erwachsenenalter fortsetzen und dort mit unterschiedlichen Symp- tomen zeigen, na Mahlzeit, da hatte ich ja einiges zu „befurchten“. Diese fast resignative Lebensperspektive aufgrund einschneidender Kindheitserlebnisse hat Viktor Frankl mit unzahligen empirischen Untersuchungen glatt widerlegt. |m Rahmen seiner Existenzanalyse und Logotherapie hat er signifikante Aussagen daruber gemacht, wie sich Kinder gerade wegen ihrer dramatischen bis traumatischen Ver- gangenheit zu besonders erfolgreichen und angesehenen Erwach- senen entwickeln, mit starker Empathie und |ntegritat ausgestattet. |m Gegenteil, es lieBen sich mindestens genauso viele Belege von Erwachsenen finden, die eine gluckliche und unbeschwerte Kindheit verbrachten, sich aber als Erwachsene wesentlich schwerer taten bzw. auch starker unter Belastungen litten als die vergleichsweise „unglucklichen“ Kinder mit schwerer Kindheit. Ein Silberstreif am Ho- rizont tauchte auf ... und aus heutiger Sicht weiB ich eines: Es gibt kei- ne valide Prognose, wie sich bestimmte Erfahrungen und Erlebnisse spater auswirken werden, es hangt von so vielen Bedingungen ab. Die empirische Wissenschaft spricht dabei von intervenierenden Variab- len, die eine klare Kausalitat nicht zulassen. Naturlich kann man im Falle einer positiven Kindheit die liebevolle Zuwendung von primaren Bezugspersonen und das dadurch entstehende Urvertrauen und die Bindungsfahigkeit nicht aufrechnen mit der Entwicklung von Resili- enz bei einer weniger positiven Kindheit. |n meinem Fall bin ich aber ich aber froh, dass alles so war, wie es eben war, und ich schon bald eine innere Starke entwickelte, die mich recht wendig und flexibel im Umgang mit Belastungen werden lieB.
Mehr und mehr genieBe ich mein heutiges Dasein in einer Art Fehler- bewusstsein. Was jetzt paradox klingt, hat seinen Ursprung in meiner Kindheit. Lange Zeit wurde mir auch innerhalb meiner Herkunftsfami- lie das Gefuhl vermittelt, ich sei ein Fehler. Meine „Eltern“ (= Mutter und Stiefvater) wussten alles besser, wollten vieles anders (beson- ders mich), wodurch ich bald lernte, im Verborgenen zu leben. Nach auBen hin machte ich meine Aufgaben mehr oder weniger brav und angepasst, doch nach innen gestaltete ich mir eine andere, eigene Existenz. Dabei war ich groBzugig und geduldig mit mir, ich versuchte vieles und verzieh mir vieles. Das Urteil anderer interessierte mich be- 28 reits in der Volksschulzeit kaum. Eine viel zu fruhe relative Autonomie stellte sich ein. |ch entdeckte dadurch meine Gabe, schon bald gut fur mich sorgen zu konnen.
Ich muss meinen „Eltern“ fast dankbar sein fur ihr mangelndes |nter- esse an mir. Wer weiB, hatte ich sonst so fruh so etwas wie Fursorge fur mich selbst, den kleinen Harald, entwickeln konnen? Diese Fahig- keit habe ich mir beibehalten, mittlerweile nicht nur in Bezug auf mich selbst, sondern auch in Bezug auf meine Kinder. Moglicherweise bin ich meinen vier Sohnen kein groBes Vorbild bei anderen vaterlichen Aufgaben, aber ich bin und bleibe fursorglich. Allerdings hoffentlich nicht zu stark ausgepragt, damit sie selbst aus einem erlebten Mangel heraus lernen, gut fur sich selbst da zu sein und fur andere, die sie brauchen.
mythos familie
Mein Vater war ein Ehrenmann und starb jung (Billy Joel - Only the good die young). |ch bekam relativ bald einen einfach strukturierten Stiefvater, um das psychologisch korrekt zu bezeichnen. Seine erzie herische Glanzleistung war, mir mit 8 Jahren das Rauchen beizubrin- gen, wodurch ich bereits in der Volksschule meine ersten Packchen Zigaretten kaufte und rauchte. Mit gestohlenem Geld, aus der Briefta- sche meiner Eltern, Taschengeld bekam ich von ihnen nie.
Mein Stiefvater hatte ein kleines heruntergekommenes Gasthaus ge- erbt, mehr ein Stuberl, das taglich vormittags von „erlauchter Pro- minenz“ beehrt wurde. Um halb 10 h kam der Brieftrager auf seinen ersten G’spritzen, kurz darauf der Weinvertreter und der fruhpensio- nierte Tapezierer, der Schurl.
Haufig kam es vor, dass ich gleich nach der Volksschule von unserer Wohnung im ersten Stock runter ins Stuberl ging, wo ich eine solche „honorige“ Herrenrunde beim Kartenspielen vorfand. |ch lernte das Bauernschnapsen zu zweit und zu viert und war alsbald ein beliebter Spielpartner. Donnerstag war Bratwurstl-Tag, der einzige Tag der Wo- che, an dem das Lokal einigermaBen voll war. Die Augen meines Stief- vaters glanzten, vom Bier vielleicht, von seiner Freude uber den gu- ten Besuch und dem Umsatz auch. Er hielt mir seine Zigarette hin und sagte: „Do, ziag au Purzl!“. Die ersten paar Male blies ich hinein statt anzuziehen, was ein durchaus gesunder |nstinkt gewesen sein durfte - naturlich rief dieses „Fehlverhalten“ Gelachter beim angetrunkenen Publikum hervor, auch Demutigung. |n dieser Zeit tat ich mich mit einem anderen „StraBenkind“ zusammen. |ch nenne uns deswegen so, weil wir einen GroBteil unserer Zeit auf der StraBe verbrachten, un- beaufsichtigt, uns selbst uberlassen. Astrid aus der Parallelklasse. Wir versteckten uns zum Rauchen im Wald hinterm Gebusch am FuBe des Bauernbergs, gruben die dort versteckten Zigarettenpackungen aus und rauchten miteinander, bald immer besser. Das |mitationslernen funktionierte also. |rgendwann kussten wir uns auch und mir wurde schwindlig. |ch weiB nicht mehr genau wovon. Wir waren 9 Jahre „alt“. Astrid war sehr hubsch, braunes langes Haar, rehbraune Augen, ein geheimnisvolles Lacheln. Nach der Volksschule habe ich sie aus den Augen verloren. Einige Jahre spater, wir waren 14, sah ich sie am Lin- zer Hauptplatz in der Punk-Szene. Leider ist sie da nie wieder heraus- gekommen. Heute ist sie wahrscheinlich die verwahrloseste Sandlerin von Linz. Sie ist immer noch am Hauptplatz, fast taglich auf einer ganz bestimmten Bank sitzt sie mit totgesoffenem Blick, blauen Wangen, braunen Nikotionfingern, nicht selten nasser Hose von der eigenen Pisse, laut schreiend und fluchend. Das Erstaunliche daran ist: sie hat einen Freund. Auch ein Obdachloser, der noch nicht so verwahrlost wirkt, sondern „nur“ seine vielen Dosen Bier mit sich spa- zieren fuhrt. |m Sommer wascht er Astrid mit dem Brunnenwasser am Taubenmarkt den Schmutz der Gehsteige aus dem Gesicht. Wahrlich, er kummert sich um sie. Welch sonderbare Wege die Liebe nimmt! Das Ganze wusste ich nicht so genau, wenn ich nicht selbst auch auf dem Hauptplatz gelandet ware. |n einem versteckten Hinterhof, der von manchen als Toilette benutzt wird, dort hatte ich mein Buro, immer den Ratten nach, vorbei an den stinkenden Mulltonnen, Nase zu, Augen auf, Tur hinter mir zu und hinein ins Paradies: Kreuzgewol- be aus dem 16. Jahrhundert, Stufen rauf in den ersten Stock, groBer Raum „Geierstockl“ - der Parkettboden knarrt, hinein in die Kuche, Kaffeemaschine an, Nespresso-Tabs einlegen, heute ein Lungo, feiner Arabica aus sudamerikanischem Hochland, wahrend er in die Tasse tropfelt, Musik an, Wagner heute oder Philipp Glass? Nein, eine Mor- genstunde 01, was fur ein Trost, welch ein Privileg! Vor kurzem hat mich mein Sohn Antoine gefragt: Papa, gehort der Palazzo uns?
Sehen Sie, welchen Verlauf eine Lebensgeschichte nehmen kann? Vom Beisl zum Palazzo ;-) Astrid und ich am selben Platz, wiederver- eint, welche |ronie des Schicksals, aber zum Gluck nicht am selben Ort. |ch habe das Rauchen ubrigens vor 20 Jahren aufgegeben. Es ging mir niemals ab. Und ich habe am selben Tag noch mit dem Lau- fen begonnen, als Ausgleich sozusagen. Was fur ein Gluck!
Unsere Geschichte ist ein Stuck weit immer auch unsere eigene (retro- spektive) Konstruktion. Und seit Frankl ist es auch vielfach empirisch belegt, dass die Qualitat der Kindheit und Jugend keine valide Prognose auf die Qualitat des Erwachsenenlebens zulasst. Es gibt keine nachgewiesene statistische Signifikanz, wie sich Kinder aufgrund ih- res „Milieus“ entwickeln - so sturzen Kinder aus warmen Elternstuben oft genauso schrecklich ab, wie Kinder aus lieblosen Verhaltnissen intakte soziale Beziehungen herstellen und aufrechterhalten konnen.
„Man kann gar nicht genug individualisieren.“ (V. Frankl)
So gesehen ist es auch nie wirklich zu spat fur eine gluckliche Kind- heit, weil jede Entbehrung und jeder Mangel auch wieder etwas an- deres ermoglicht und erwirkt. |n meinem Fall erinnere ich mich un- glaublich gerne an unsere Hunde, die meine ersten Freunde wurden. Und an die taglichen Spaziergange mit ihnen, an deren Erziehung zur Stubenreinheit, die meine Eltern elegant an mich 12-jahrigen Knaben delegiert hatten. Sie waren es leid, in der Nacht aufzustehen, wenn unsere Asta bellend anzeigte, dass es Zeit fur ihr Geschaft war. |ch erinnere mich gerne an das tagliche Laufen und FuBballspielen, wo ich aus purer Lust an Bewegung immer besser wurde. So habe ich die gesamte Volksschule, also von der ersten bis zur vierten Klasse, die Linzer Laufolympiade im groBen Linzer Stadion unter Hunderten von Gleichaltrigen gewonnen. Meine Eltern sind nicht einmal zur Sie- gerehrung gekommen. Aber auch hier schlieBt sich fur mich ein Kreis, wenn ich heute meine Rennen und Wettbewerbe ausschlieBlich fur mich mache, fur meinen eigenen Schmerz und meinen eigenen Ge- nuss, je weniger Zuschauer, desto besser. (Mehr dazu im Kapitel „Die Triathlon-Erfahrung“.)
Jetzt konnte man schnell in die Opferfalle geraten und sich in Selbst- mitleid suhlen, wenn man nicht auch die schonen Seiten erkennt, die eine nicht so rosige Kindheit bietet. Wir sollten lernen, auch das Gute im Schlechten zu sehen, wie Watzlawick empfiehlt. Sehr fruh habe ich gelernt, Verantwortung fur mich zu ubernehmen und das Leben an der frischen Luft in Bewegung zu genieBen. Aufgrund meiner Au- tonomie musste sich keiner Sorgen um mich machen, ich habe mir alles selber gerichtet, in der Schule und in der Freizeit. |ch habe bald gelernt, mir selbst gut und genug zu sein und Erfolge im Stillen zu fei- ern, am besten fernab des Trubels. Wie gern war (und bin) ich allein!
Ich hatte das Gluck, dass Bucher alsbald meine Erziehung ubernah- men. |ch glaubte einem Hermann Hesse oder Friedrich Nietzsche ein- fach viel eher als meinem Stiefvater oder meiner Mutter. Bis heute bin ich dieser bibliophilen Autodidaktik treu geblieben - Gott sei Dank! Was ware gewesen, wenn sich damals jemand Zeit fur mich genom- men hatte? Nicht auszudenken, welcher Lese- und Denk-Genuss mir vorenthalten geblieben ware!
„Der Mensch schaut in seinem Leben zuruck und siehe da, das Ungluck war sein Gluck.“
(Dalai Lama ) jugend im militar-internat Die Jugend ist naturlich ein hervorragendes Alter, um seine Unange- passtheit zu demonstrieren. Gleichwohl frage ich mich heute ofter, ob z.B. ein gepiercter Jugendlicher nicht schon eher wieder angepasst erscheint - zumindest an seine peergroup - als jemand ohne Metall im Gesicht oder sonst wo. Meine Jugend zwischen 14 und 18 war zumindest nach auBen hin ein echtes Paradebeispiel von Konformitat und Unterdruckung. |n diesem Alter durfte ich namlich als Zogling einer Militarschule dieses System kennen- und ablehnen lernen. Eines kann ich vorwegnehmen: Du musst zuerst einmal in der Reihe gestan- den sein, bevor du aus der Reihe danzen kannst. Aber alles der Reihe nach:
Als mein Vater starb, war ich 13 Jahre alt und sah keine Zukunft mehr fur mich im Hause meines Stiefvaters und meiner Mutter. |ch war offen und bereit fur fast jede Form der schulischen und raumlichen Veranderung. Eines lauen Spatnachmittags war ich mit meiner ersten Jugendliebe im Kino, das ja in diesem Alter stets als Vorwand fur ver- steckte Zartlichkeiten galt. Haufig konnten wir uns gar nicht mehr an den Film erinnern vor lauter Grapschen und Schmusen. Jede kleinste Beruhrung war 1000 mal spannender als der Film selbst. |n jenem Falle aber erinnere ich mich sehr gut an den |nhalt und seine Aussage, weil dieser Film der Ausloser fur eine folgenschwere Entscheidung war:
„Ein Offizier und Gentleman“: Richard Gere in Fliegeruniform und die Madels in Scharen vor den Kasernentoren. Piloten ist nichts verboten, und ich wollte auch einer werden (The lift is up where we belong, Joe Cocker, Jennifer Warnes). So kam ich auf die |dee, in eine Militarschu- le zu gehen und wurde dort auch mit offenen Armen empfangen, weil ich gute Zeugnisse und beste korperliche und sportliche Vorausset- zungen hatte, was bei einem Aufnahmetest gecheckt wurde. Da ich am Tag der Abreise von Zuhause noch einen hochst unangenehmen Zahnarzttermin wahrnehmen musste, war der darauffolgende Zahn- schmerz deutlich groBer als der Abschiedsschmerz. Dieser hielt sich sehr in Grenzen. Ein bisschen genoss ich auch meinen neuen Status des Exoten, den ich fortan bei meinen (ehemaligen) Mitschulern und Mitschulerinnen hatte.
Auf der Hinfahrt gefielen mir trotz des pochenden Wurzelschmerzes die dichten Fohrenwalder, die sich wie ein Teppich uber meist flaches Gelande legten. Damals wusste ich noch nicht, wie viele Stunden und Aberstunden an Orientierungsmarschen und -laufen wir innerhalb dieser dichten Walder verbringen wurden, wo ein Baum aussieht wie der andere und man vor lauter Baumen den Wald nicht mehr sieht ... |n Wiener Neustadt angekommen, ragten die Wasserturme und Be- festigungsmauern der Theresianischen Militarakademie schon von weitem ins Blickfeld. Die Daunkaserne, in der Schule und |nternat un- tergebracht waren, war ein imposantes Gebaude.
Die jungsten Zoglinge wurden „Pimpfe“ genannt - ein Wortrelikt aus dem Deutschen Jungvolk - und in groBen Schlafraumen alphabetisch zu zehnt zusammengelegt. Jeder Pimpf hatte ganze 2 m2 Privatspha- re, also ein Bett mit 2 grauen Militardecken, einen metallenen Spind und ein Nachtkastchen. Mein groBes Gluck war, dass ich einen Fens- terplatz bekam, und noch dazu beim Heizkorper.
Aus dem Fenster im 3. Stock der Daunkaserne sah ich direkt auf die erste Baumreihe alter Laubbaume, die den Anfang zum weitlaufi- gen Akademiepark markierten. Mein groBter Luxus war, bei offenem Fenster und warmem Heizkorper zu schlafen - von oben strich die kuhle Luft uber den Kopf - oder der frische Duft des Fruhlings - von unten seitlich warmte der Heizkorper den einsamen Zogling. Ein pa- radiesischer Zustand - besonders im April, wenn die Baume lindgrun austrieben und die „leichten“ Madchen meist paarweise und ineinan- der eingehangt rund um die Kaserne spazierten, um uns zu gefallen ... Besonders angetan hatten es mir die beiden Fuhrer-Schwestern, die 2 Tochter von Divisionar Fuhrer (netter Name fur dieses Geschaft ...), die aussahen wie Ornella-Muti-Doubles. Sei es, wie es sei - auch wenn ich ihn damals noch nicht kannte, aus heutiger Sicht weiB ich, dass ich das kleine Paradies des Diogenes von Sinope kennenlernen durfte. Zuruck zum Ablauf: Langsam trudelten an diesem Ankunftstag im |n- ternat auch die anderen Jungs ein, mit denen ich fur dieses Schuljahr das Zimmer teilen sollte. Sie kamen aus allen Teilen Osterreichs und sprachen die grauenhaftesten Dialekte. Vor allem die Karntner mit ihrem selbstbewussten Sprachgehabe inklusive dieser aufgeweichten Phonetik waren mir immer ein wenig zu prasent und selbstbewusst. Mir wurde bange. SchlieBlich erschien ein Erzieheroffizier in gruner Uniform, der unserer Klasse zugewiesen war, und stellte sich mit schallender Stimme vor. Auf seinem Schild vorne an der „Bluse“ stand sein Dienstgrad und Name: Olt. Heim. Nichts wie heim, dachte ich mir, als ich ihn genauer betrachtete: Ein Mann mit Vollglatze, aufgequol- lenem Gesicht, Stiernacken und wackelndem Backenfleisch, wenn er sprach. Mit stumpfen, etwas wassrigen blauen Augen, gelbem Aug- apfel, hochgeschnallter Wampe und hangendem Hintern. |ch fuhlte mich ganz erbarmlich. Als er mich erblickte, herrschte er mich an: „Was schaust du wie ein Kalb?!“ Das waren seine Willkommensworte und besser sollte es in den nachsten Jahren auch nicht mehr werden ... Sein vollstandiger Name lautete Julius Heim. Wie wir spater erfuhren, war er ins Militarrealgymnasium strafversetzt worden als Erzieheroffi- zier - wie so viele andere auch, weil sie in ihren Garnisonen irgendwel- chen Mist gebaut hatten. Soviel zum padagogischen Konzept dieses |nternats. Der militarische Leiter, Oberst Schadl, lieB auch in seinen argsten Rauschen nicht aus zu betonen, dass es sich bei diesem Haus um eine Sonderanstalt handle ...
Der Schul- und |nternatsbetrieb verlief getrennt voneinander, Leh- rer waren zumeist Zivilpersonen oder Reserveoffiziere, sogar die eine oder andere weibliche Lehrkraft war dabei, sehr zur Freude der mannlichen Jugendfantasien. |nternatsbetreuer waren die eben erwahnten sogenannten Erzieheroffiziere, im Dienstgrad zwischen Leutnant und Oberst, also durchaus hochrangig dekorierte Soldaten mit den unterschiedlichsten Charaktersensationen. Wir teilten diese in 3 Gruppen: 1) die Alkis, 2) die Homos, 3) die Nazis. Zwischen die- sen 3 Gattungen gab es auch die kuriosesten Kreuzungen. Manche hatten alle drei Anteile im Portfolio ihrer Personlichkeit, andere waren eindeutiger strukturiert.
Wir Zoglinge trugen die gatschgrune osterreichische Uniform und wurden als Erstklassler-Pimpfe mit einem Streifen auf unserer Schul- ter „dekoriert“. Hochststrafe - aber auch eine wichtige, beinahe spiri- tuelle Erfahrung furs Leben: Du bist ein lacherlicher Niemand. Es war auch nicht so, dass wir neue Uniformen bekamen, nein, wir mussten gebrauchte, aber immerhin gewaschene Uniformen und getragene, ausgebeulte Schuhe ausfassen!
Zudem gab es in der ersten Nacht im |nternat eine Art |nitiationsritual fur uns Jungste. Die Altesten im Haus, die 8-Klassler, die es mit den ersehnten vier Streifen auf der Schulter in die Maturaklasse geschafft hatten, verpassten den Neulingen nachtens eine Abreibung, zur Ein- schuchterung. |ch hatte Angst davor (solche Rituale sprechen sich rasch herum) und hatte gleichzeitig groBes Gluck. Die Attacke, die auf mich geritten wurde, bestand lediglich darin, dass die heulende Bande mich aus dem Bett warf - also das Bett seitlich anhob und mich aus dem Schlaf auf den Fliesenboden warf. Der ganze Spuk war schnell wieder vorbei, und wir gehorten ab nun dazu. Willkommen am harten Boden der Realitat! |n so einer Minute entsteht aber auch der Gedanke an Rache und Vergeltung. Da die GroBen zu stark waren, freuten wir uns insgeheim auf die Pimpfe in vier Jahren, fur die wir uns dann eine ganz spezielle Demutigung ausdenken wurden. So werden Erfahrungen zu Kulturmomenten der besonderen Art, und eine Generation gibt sie wie eine Staffel an die nachste Generation weiter. Heute ist in der Militarakademie Wiener Neudstadt allerdings vieles anders geworden (www.milrg.at).
Ganz besonders interessant erscheint mir folgende, beinahe para- doxe |ntervention des Exerzierens am Kasernenhof: |m Rahmen der paramilitarischen Ausbildung musste die gesamte Schule haufig vor der Kaserne „antreten“ und in Vierer-Reihen als ein Zug im Gleich- schritt marschieren. 100 Mann wie 1 Mann. Von auBen erschallte die Stimme des taghabenden Kommandanten: „Zug auf mein Komman- do: Habt Acht!!!“ Bei diesem Befehl streckt sich der Korper von oben bis unten durch, die Arme werden steif und seitlich mit ausgestreck- ten Fingern am Oberkorper und den Oberschenkeln angelegt, der Blick ist starr geradeaus gerichtet, das Kinn zeigt nach oben. Beim Zusammenhaken der 200 FuBe mit ihrem schweren Feldschuh ertont ein einziger Laut, kurz und direkt, wie ein Knall. „Rrrreeeeechts um!!!“ |m selben Moment drehen sich 100 junge Manner nach rechts und zwar in einer besonderen unzahlige Male trainierten Bewegungsfigur, 36 die in 2 Phasen ablauft. Zunachst dreht sich der rechte FuB auf der Ferse um 90 Grad, der linke FuB zieht nach, indem er nur mit dem vorderen Ballen den Boden beruhrt, schert in der Drehung leicht nach links aus und schlieBt am Ende der 90-Grad-Drehung deutlich horbar die kurzfristig geoffnete Schrittstellung wieder zu. Ratsch!! Der Rest des Korpers dreht sich naturlich mit, aber in der Grundposition von „Habt Acht“, also steif und starr. Militarisches Ballett. 100 Mann dre- hen sich in derselben Sekunde gleichzeitig nach rechts und schlagen dabei die Haken zusammen und bleiben wie angewurzelt stehen. „Im Schriiiitt Marsch! Links, links, links, zwo, drei, vier ...!“ Die geschulte Kommandostimme folgt einer speziellen |ntonation und Rhythmik und 100 Manner beginnen gleichzeitig mit dem linken FuB zuerst im Gleichschritt weg zu marschieren. Die vorderen Reihen marschieren tatsachlich weg, die hinteren Reihen marschieren am Stand, bis sich der gesamte Zug in Bewegung gesetzt hat. Am Anfang braucht der Zug eine starke AuBensteuerung und Fuhrung, bis sich im Laufe des Marsches mehr und mehr eine Art Selbststeuerung entwickelt.
Ganz selten schallt der Befehl des sich seitlich zum Zug ebenfalls im Schritt gehenden Kommandanten uber die Reihen hinweg. Ein Schritt - ein Puls. Je langer der Marsch dauert, desto mehr gleicht sich der Herzschlag der vielen Manner einem einzigen Puls an - dem Puls der Truppe. Meditatives Gleichschwingen stellt sich ein - hypnoide Tranceinduktion. Keine massenpsychologische Ekstase, wie sie bei etlichen Sportveranstaltungen vor allem im Fansektor induziert wird, sondern vielmehr massenpsychologische Askese: totale Reduktion auf den gleichen Schritt - den einen gleichzeitigen Ton, den einen Puls aller. Je nach Untergrund ein anderer Sound - mal schnalzt es, mal stampft es, dann kracht oder schieBt es. Die Grenzen des |ndivi- duums verschmelzen nach und nach zu der neuen, groBeren Gestalt des Kollektivs. Um ehrlich zu sein: Dieses symbiotische Erlebnis kann eine berauschende Erfahrung sein. Die Verschmelzung des Subjekts mit der Masse durch den gemeinsamen Schritt und die Entleerung des Geistes: Gruppendynamisches Zen-Walking ... vielleicht ware das heute eine Marktlucke ;-)
Ich habe mich oft gefragt, wie sich in einem solchen System der Kon- formitat und Uniformitat eine starke |ndividualitat entwickeln und hal- ten kann, und weiB heute, dass das gerade deswegen so gut gelingt, weil es eben so ist. Meine konsekutive Erklarungs-Logik lautet: |ndem das Eine so ist, entsteht das Andere daraus. Diese Aussage gilt nur fur mich. Mich hat dieses System erst stark gemacht. Die Zerstorung des jungen |chs, des sich entwickelnden Egos durch den Hammer der Autoritat lieB in mir ein noch viel wilderes, starkeres |ch entstehen, das seine Kraft aus dem Widerstand, der sich ihm bot, generierte. Aus dieser Spannkraft heraus, habe ich eine enorme Kondition auf- gebaut. Du lasst Bestrafungen und Demutigungen uber dich ergehen und bleibst innerlich vollkommen unbeeindruckt. Du bleibst Herr der Lage. Manche Kameraden allerdings lieBen sich fast willenlos in die vorgegebene Hierarchie eingliedern, andere wurden uberrollt von der Maschinerie und zerbrachen daran, ahnlich wie es uns Hermann Hesse in „Unterm Rad“ berichtet hat.
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der Konig aller. Die einen macht er zu Gottern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“
(Heraklit)
Ein viel zitierter und oft missverstandener Satz von Heraklit. Am nachsten kommt man ihm in seiner Bedeutung, wenn man ihn dialek- tisch interpretiert. Durch den Vater aller Dinge entsteht ein Gleichge- wicht der Zustande, eine Einheit der Gegensatze. Auch der Frieden, das Gute, die Versohnung etc. sind durch diesen Vater entstanden. Gut 100 Jahre spater tritt Diogenes von Sinope auf die antike Welt- buhne und bringt alles gehorig durcheinander, auch die scheinbare Ordnung der Dinge von Heraklit: Diogenes imponiert uns als ein anti- ker Eulenspiegel im Narrengewand, doch hinter der Maske des Witz- bolds steckt ein Querdenker und Tabubrecher, der gegen Konven- tionen und Dogmen ins Feld zieht. Fur mich ist er auch der Charles Bukowski der Antike. Er ist der Ahnherr all derer, die Gluck und Frei- heit in der Abkehr von den herrschenden Normen und Zwangen su- chen. Er stellt vieles auf den Kopf, so auch das Verhaltnis von Sklaven und Freien:
Menippos erzahlt in seinem „Verkauf des Sklaven Diogenes“, er sei nach seiner Gefangennahme zum Verkauf angeboten und dabei ge- fragt worden, worauf er sich verstehe. Seine Antwort habe gelautet: „Qber Manner zu herrschen“. Und den Ausrufer wies er an: „Rufe aus, ob einer willens sei, sich einen Herrn zu kaufen!“ Und als man ihm verbot sich hinzusetzen, sagte er: „Das ist unwichtig, werden doch auch die Fische verkauft, wie sie gerade liegen.“ Zu seinem Kaufer Xeniades sagte er: „Du musst mir gehorchen, obgleich ich nur ein Sklave bin. Denn auch dem Arzt oder Steuermann schuldest du Ge- horsam, selbst wenn sie Sklaven sind.“ Kleomenes berichtet in seinem Buch mit dem Titel „Paidagogikos“ (Qber Erziehung), dass seine Schuler Diogenes hatten loskaufen wollen, er habe sie aber deswegen „schlichte Gemuter“ genannt, denn die Lowen seien doch nicht Skla ven ihrer Ernahrer, sondern gerade umgekehrt, die Ernahrer seien die Sklaven der Lowen. Denn sich zu furchten sei Sklavenart, die wilden Tiere aber floBten den Menschen Furcht ein. (Anspieltipp: Serve the servants, Nirvana)
Was man daraus lernen kann? Entscheidend ist die innere Haltung, die man annimmt. Freiheit entsteht im Kopf und hat nichts mit den Umstanden zu tun. Sich selbst voll und ganz anzunehmen, inklusive aller Fehler und Schwachen, ermoglicht auch eine Fehlertoleranz bei anderen Menschen. Niemand ist unfehlbar. Und die groBe Befreiung liegt doch darin, sich und den anderen diesbezuglich nichts vorzuma- chen. Sei Du!
In der Transaktionsanalyse existieren folgende Skripts:
Ich bin OK, du bist OK: Ein Gewinnerskript
Ich bin nicht OK, du bist OK: Ein Verliererskript
Ich bin OK, du bist nicht OK: Ein uberhebliches Skript
Ich bin nicht OK, du bist nicht OK: Ein Verliererskript
Ich habe viel daruber nachgedacht und mochte dieses Modell etwas erweitern. Das Basis-Skript von „Ich bin ok, du bist ok" ist mir zu we- nig ok, weil es zu undifferenziert und zu langweilig ist. Es enthalt zu wenig Humor. Naturlich sind wir alle grundsatzlich ok, so wie wir sind, aber eben nur mit unseren Mangeln, Fehlern und Schwachen. Aus Gehlens kulturanthropologischer Perspektive ist der Mensch von An- fang an ein Mangelwesen und aus dieser Sicht ist das ganz ok, oder? Wir konnen so vieles und so vieles auch nicht.
Mein Zugang ware - und da solidarisiere ich mich mit dem „Wilden Mann“ Richard Rohrs: |ch bin nicht ok, du bist nicht ok, und das ist ok! (Joss Stone: The right to be wrong). |st es nicht so, das eine Ver- besserung immer davon ausgeht, dass es gegenwartig schlecht bzw. nicht gut genug ist? Die Dinge so annehmen wie sie sind, ist eine der groBen Resilienz-Lektionen.
Die Welt ist nicht da, um verbessert zu wer- den. Auch ihr seid nicht da, um verbessert zu werden. |hr seid da, damit die Welt um diesen Klang, um diesen Ton, um diesen Schatten rei- cher sei. Sei du selbst, so ist die Welt reich und schon! (Hermann Hesse) das kairos-prinzip oder pack‘ die gelegenheit beim schopf!
Kairos ist in der griechischen Mythologie der Gott der gunstigen Gelegenheit, der besonderen Chance und des rechten Augenblicks - und der jungste Sohn des Zeus. Das griechische Wort entstammt der Fachsprache des Webens und benennt den Augenblick, in dem sich das Webfach offnet und die Kettfaden gehoben oder gesenkt werden, so dass der Schussfaden eingezogen werden kann. Nach Walter Benjamin sind Augenblicksgebundenheit, Kontextualitat und |nitiative die Derivate der kairologischen Zeitstruktur. Die Routinen des Handwerks vermitteln einen Eindruck von der Knappheit der Frist - diejenige Sekunde namlich, in der das Fach geoffnet und der Webfaden einzufuhren ist. Kairos ist derjenige Moment, auf den es ankommt, der rechte Augenblick. Die sprichwortliche ,.Gelegenheit" oder „Chance“, die der Augenblick herantragt, ist occasio und oppor- tunitas zugleich. Die Wahrheit besteht im „Jetzt der Erkennbarkeit“.
„Bereit sein ist viel, warten konnen ist mehr, doch erst den rechten Augenblick nutzen, ist alles.“ (Arthur Schnitzler)
Vom Bildhauer Lysippos wird er als bluhender Jungling mit geflugel- ten Schuhen dargestellt, dem eine Haarlocke in die Stirn fallt, wah- rend er am Hinterkopf nur sparliche Anzeichen von Haarwuchs erken- nen lasst. Von dieser Statue weiB man, weil der griechische Dichter Poseidippos im 3. Jh. v. Chr. sie in einem Epigramm in Dialogform beschreibt: „Wer bist du?“ - „Kairos, der alles bezwingt.
[...]
- Arbeit zitieren
- Harald Danzmayr (Autor:in), und weitere Autoren des LOCOMOTION Teams (Autor:in), 2014, Resilienz. Die Schlüsselkompetenz in der Arbeitswelt von heute, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/273457
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