Ausgiebig gingen die Meinungen darüber auseinander, wie aktiv bzw. passiv die Rolle des Medienkonsumenten - und somit des Rezipienten - zu sehen ist. Die traditionelle Rezeptionsforschung ging lange Zeit von einem sehr einfachen Stimulus-Response – Denken aus und ließ den Rezipienten damit eine eher passive Rolle zukommen, da sie „[...]als (mehr oder weniger) reizkontrollierte, in ihren Verhaltensweisen umweltdeterminierte und reaktive Menschen betrachtet [...]“ wurden. Nicht zu Unrecht wurde von Kritikern der sehr einseitige und linear vom Sender zum Empfänger verlaufende Massenkommunikationsprozeß und die zu sehr isolierte Rolle des Rezipienten angefochten!
Erst durch eine Wende in der Sozialforschung, die sich von der klassischen Wirkungsforschung abhob, wurde der Rezipient als aktives Handlungssubjekt aufgefaßt, das selbstverantwortlich über sich und sein Leben in der Gesellschaft bestimmt und sein Handeln - und darin eingeschlossen: sein Medienhandeln zielgerichtet bestimmt. Aus dieser Perspektive werden Medieninhalte nicht mehr als Ursache angesehen, die im Konsumenten / Rezipienten Veränderungen nach regelhaften Schemata bewirken. Vielmehr wird der Mediennutzer nun als selbstverantwortliche Person aufgefaßt, die in bestimmtem Rahmen selbst entscheidet, welche Medieninformation sie gebrauchen will.
GLIEDERUNG
1. Neuakzentuierung im forschungsmethodologischen Bereich
2. Der strukturanalytische Ansatz von Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun
2.1 Die 3 Ebenen der Handlungskonstruktion bzw. -koordination
2.1.1 Situativer und kultureller Kontext
2.1.1.1 kulturelles Sinnsystem
2.1.1.2 Sozialer Kontext
2.1.1.3 Das Subjekt
2.1.2 Phasen des eigentlichen Rezeptionsprozeß
2.1.2.1 Handlungsleitendes Thema
2.1.2.2 Medienrezeptionshandlung
2.1.3 Aufgaben der Lebensbewältigung und Identitätswahrung
2.2 Methodologie und Verfahren
2.3 Einzelfalldarstellungen
2.3.1 Die Falldarstellung "Moritz"
2.3.2 Die Falldarstellung "Esther"
2.3.3 Die Falldarstellung "Paul"
2.3.4 Die Falldarstellung "Wolfram"
3. Kritische Anmerkungen
Literaturverzeichnis
1. Neuakzentuierung im forschungsmethodologischen Bereich
Ausgiebig gingen die Meinungen darüber auseinander, wie aktiv bzw. passiv die Rolle des Medienkonsumenten(und somit Rezipienten) zu sehen ist. Die traditionelle Rezeptions-forschung ging lange Zeit von einem sehr einfachen Stimulus-Response – Denken aus und ließ den Rezipienten damit eine eher passive Rolle zukommen, da sie „[...] als (mehr oder weniger) reizkontrollierte, in ihren Verhaltensweisen umweltdeterminierte und reaktive Menschen betrachtet [...]“[1] wurden. Nicht zu Unrecht wurde von Kritikern der sehr einseitige und linear vom Sender zum Empfänger verlaufende Massenkommunikationsprozeß und die zu sehr isolierte Rolle des Rezipienten angefochten.
Erst durch eine Wende in der Sozialforschung, die sich von der klassischen Wirkungsforschung abhob wurde der Rezipient als aktives Handlungssubjekt aufgefaßt, das selbstverantwortlich über sich und sein Leben in der Gesellschaft bestimmt und sein Handeln (auch sein Medienhandeln) zielgerichtet bestimmt. Aus dieser Perspektive werden Medieninhalte nicht mehr als Ursache angesehen, die im Konsumenten und somit Rezipienten Veränderungen nach regelhaften Schemata bewirken, sondern der Mediennutzer wird als selbstverantwortliche Person aufgefaßt, die in bestimmtem Rahmen selbst entscheidet, welche Medieninformation sie gebrauchen will und zieht den Medienkonsum heran, um ihren Alltag zu bewältigen.[2]
Das entscheidende Postulat von Versuchen in den 80er Jahren, Medienpädagogik konzeptionell weiterzuentwickeln, bestand demnach in der Forderung nach einer stärkeren Lebensweltorientierung, nach Rückbesinnung auf das im beruflichen und privaten Alltag immer mehr mit Medien agierende Individuum. Mit dieser Entwicklung korrespondiert auch eine Neuakzentuierung im forschungsmethodologischen Bereich, gekennzeichnet durch strukturanalytische Rezeptionsforschung. Dieser von Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun entwickelte Ansatz löst sich von der traditionellen Rezipientenforschung, indem sie nicht mehr die Medien und Produzenten in den Vordergrund ihrer Analysen stellen, sondern die subjektive Bedeutung, die Medienprodukte in den unterschiedlichen Lebenswelten der Nutzer durch aktive, der eigenen Situation entspringende Einordnung in den Alltag erlangen. Dies wird dadurch begründet, „[...] daß die Medienkommunikation mehr Gemeinsamkeiten mit der dialogischen Alltagskommunikation aufweist als mit der Informationsverarbeitung technischer Systeme [...]“[3], da Medienkommunikation zum einen zur Orientierung, Bedürfnisbefriedigung, I dentitätsbewahrung und Lebensbewältigung dient und zum anderen in ein spezifisches Interaktionsumfeld eingebettet ist. Dabei wird davon ausgegangen, daß der Nutzer eben nicht nur in der passiv erlittenen Einflußsphäre der Medien steht, sondern die Medien ja all-täglich aktiv zu seinem eigenen individuellen Lebensalltag arrangiert.
Die vorliegende Arbeit will den strukturanalytischen Ansatz näher beleuchten und dadurch den Zusammenhang von Mediengebrauch und kindlicher Identitätsentwicklung im Rahmen der Familie herausstellen. Dazu soll zunächst näher auf das „Struktur- und Prozeßmodell“ eingegangen werden, um im Anschluß anhand einiger Fallbeispiele die methodologische Vorgehensweise aufzuzeigen.
2. Der strukturanalytische Ansatz von Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun
Das Struktur- und Prozessmodell der Medienrezeption entspringt der Forschung zur Medienrezeption von Kindern. Die zentralen Aspekte der medienbiographischen Forschung wurden hier aufgegriffen. Michael Charlton und Klaus Neumann-Braun widmen sich besonders der Mediensozialisation von Kindern und Jugendlichen, ihr Modell ist jedoch nicht auf dieses Lebensalter beschränkt. Im Rahmen einer mehrjährigen Längsschnittuntersuchung zum Mediengebrauch von sechs 4-6jährigen Kindern wurde ein strukturanalytisches Modell von Medienrezeption entwickelt, in dem Umfang, Art und situative Bedingungen und Folgen des Medienkonsums untersucht werden. Die Autoren gliedern das im Anschluß an dieses Kapitel abgebildete Modell in Strukturelemente (kulturelles Sinnsystem; sozialer Kontext und Subjektstrukturen) und in Prozesselemente (Entwicklung eines handlungsleitenden Themas; eigentliche Rezeptionsphase mit thematisch voreingenommener Selektion und der Verarbeitung und Aneignung der Medienbotschaften). In ihrem Modell berücksichtigen sie dementsprechend subjektive Faktoren wie kognitive Entwicklung und Bedürfnisse, sozialen Kontext und gesellschaftlich vermitteltes Sinnsystem (Normen und Werte), die medial verbreitet werden.
Charlton und Neumann-Braun verstehen den Rezeptionsprozess als „regelgeleitetes Geschehen“, das „einen aktiven, intentionalen Prozess der Auseinandersetzung“ mit identitätsstiftenden Themen darstellt, an kontextuelle Bedingungen (z.B. ein schulisches Setting) gebunden ist und in einen „Vermittlungsprozess zwischen der eigenen Lage des Rezipienten (Subjektivität) und derjenigen Situation, über die in Medien berichtet wird (Intersubjektivität), münden kann“[4]
In Bezug auf die Medienrezeption stellen sich Charlton und Neumann-Braun folgende Fragen: Wie verarbeiten Kinder ihren Medienkonsum, wie setzen sie sich damit auseinander? Inwiefern steht der kindliche Medienkonsum in einem Zusammenhang mit alltäglichen Interaktionserfahrungen des Kindes in seiner Familie? Welche Bedeutung gewinnen die Medien für die Entwicklung und Sozialisation von heute?
Das vornehmliche Ziel dieses Ansatzes ist es, die Regeln zu untersuchen, nach denen der Mensch mit Medien umgeht, wobei der Arbeitsschwerpunkt in der Untersuchung des Zusammenhangs von Mediengebrauch und kindlicher Identitätsentwicklung im Rahmen der Familie liegt. Charlton und Neumann-Braun „[...] erklären die Medienrezeption und ihre Folgen für das Kind aus dessen sozialer Situation (z.B. Familiensituation, Kindergartensituation) und aus dem Entwicklungsstand des Kindes [...]“ und unterstellen „[...] bestimmte allgemeine Annahmen zur Bedeutung von Medien für das Leben von Kindern“[5]
Zudem geht es ihnen um den Aspekt des Identitätsaufbaus und –erhalts des Rezipienten und es stellt sich die Frage: „Welche biografische Bedeutung gewinnt die Rezeption von Medien für das betreffende Subjekt?“[6]
Der soziale Kontext des Rezeptionsprozeß rückt somit bei diesem Ansatz in den Mittelpunkt. Der Mensch als soziales Wesen ist durch bestimmte Rahmenbedingungen in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt; er kann zwar aktiv und selbstverantwortlich über sein Handeln, Fühlen und Denken entscheiden, muß jedoch bestimmte Rahmenbedingungen wie Lebensbedingung oder soziale Deutungsmuster berücksichtigen.[7] Soziales Handeln wird demnach zu gesellschaftlichem Handeln, welches den Aspekt des Alltags und der Lebensbewältigung mit einschließt.
Das Struktur- und Prozeßmodell[8] (aus: Charlton/Neumann-Braun 1992b, S.90)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1 Die 3 Ebenen der Handlungskonstruktion bzw. -koordination
Die Rezeptionshandlung - als subjekt- und handlungstheoretisch aufgefasst - teilt sich bei Charlton und Neumann-Braun in drei Ebenen auf, welche die Handlungskonstruktion bzw. –koordination des Rezipienten beeinflussen können und „[...]sich in ihrer zeitlichen Dauer und situativen Komplexität unterscheiden.“[9] Dabei handelt es sich bei der ersten Ebene um die des situativen und kulturellen Kontexts, in dem die Rezeption - als soziales Handeln – in gewisse Rahmenbedingungen eingebettet ist; die zweite Ebene bildet der eigentliche Rezeptionsprozeß, in dem sich der Rezipient mit einem Medienangebot auseinandersetzt; die dritte Ebene ist die der Lebensbewältigung und Identitätsbewahrung, denen sich der Rezipient gegenübergestellt sieht und in der die von den Medientexten gelieferten Deutungsmuster von den Rezipienten zur Lösung einzelner Aufgaben herangezogen werden.[10]
Durch diese Differenzierung wird der Rezeptionsprozeß zu einer hoch komplexen Form des Handelns und „[...] kann sowohl Ausgangspunkt für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Medientext als auch Bezugspunkt für die Lösung interpersonaler Probleme oder eine individuelle Lebensbewältigung sein.“[11]
In den nachfolgenden Ausführungen sollen diese drei Ebenen näher dargelegt und erläutert werden, um diese im Anschluß anhand einiger Fallbeispiele zu veranschaulichen.
[...]
[1] Charlton, M.; Neumann, K., K.(1992a), S.10
[2] vgl. Charlton, M.; Neumann, K., K.(1986), S.8
[3] Hepp, A., S.29
[4] Charlton, M.; Neumann, K.(1992a), S. 88.
[5] Charlton, M.; Neumann, K.(1986), S.12
[6] Charlton, M.; Neumann, K.(1986), S. 19
[7] vgl. Charlton, M.; Neumann, K.(1986), S.10f.
[8] aus: Charlton, M.; Neumann-Braun, K.(1992b), S.90
[9] Hepp, A., S.29
[10] vgl. Charlton, M.; Neumann, K.(1992b)
[11] Hepp, A., S.29
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