„Ich will so nicht leben, Mutter. Das ist nicht das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Es gibt keine Aussicht auf Besserung, und deshalb ist es ein vollkommen vernünftiger Wunsch, diesen Zustand auf eine Art zu beenden, die ich für richtig halte.“
Diesen aussagekräftigen Sterbewunsch äußert William Traynor gegenüber seiner eigenen Mutter, Camilla Traynor. Beide sind Figuren aus dem Roman Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes aus dem Jahre 2013. Der Roman handelt von einem jungen Mann, der seit einem fremdverschuldeten Unfall im Rollstuhl sitzt. Er ist vom Kopf abwärts gelähmt und rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Im Rahmen einer tragischen Liebesgeschichte wird das Thema der Euthanasie aufgegriffen. So fiktiv auch die Figuren und die Liebesgeschichte sein mögen, das Thema ist fortlaufend aktuell und existent. William Traynor war vor seinem Unfall, zwei Jahre zuvor, ein sehr dynamischer, sportlicher und aktiver Mann und liebte sein unbeschwertes Leben. Der Gedanke, für immer an den Rollstuhl gefesselt und nur noch auf andere Menschen angewiesen zu sein, bringt ihn dazu, nachdem er schon einen Suizidversuch hinter sich hat, sich auf eine selbstbestimmte und legale Art in der Schweiz das Leben zu nehmen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Eine Einführung
2.1 Suizid und Suizidversuch - Der Weg zur Tat
2.2 Die Realität - Ein Leben mit Tetraplegie
2.3 Eine Auseinandersetzung mit der Sterbehilfediskussion aus juristischer, praktischer und ethischer Sicht
2.3.1 Selbstbestimmtes Sterben aus juristischer Sicht
2.3.1.1 Habe ich ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe?
2.3.1.2 Der ärztliche Kodex (Teil 1)
2.3.2 Selbstbestimmtes Sterben aus praktischer Sicht
2.3.2.1 Welche Formen der Sterbehilfe gibt es?
2.3.2.2 Was leisten sog. Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz? - am Beispiel der Organisationen EXIT und DIGNITAS
2.3.3 Selbstbestimmtes Sterben aus ethischer Sicht
2.3.3.1 Wie autonom ist der Mensch?
2.3.3.4 Welches Leben ist lebenswert? - Das ethische Menschenbild ..
2.3.3.2 Welches Leben und welches Sterben sind würdevoll?
2.3.3.5 Der ärztliche Kodex (Teil 2)
2.4 Einblick in die philosophische Sicht zum Thema Suizid und Suizidbeihilfe
3. Selbstbestimmt sterben? - Ein theologisches Gespräch
3.1 Welche Position nimmt die Kirche zum Thema Suizid und Suizidhilfe ein?
3.2 Die Heiligkeit des Lebens
3.3 „Du darfst (dich) nicht töten“?
3.4 Sind mein Leben und mein Leib Geschenk und Leihgabe Gottes?
3.5 „Dein Wille geschehe“?
3.6 Was bedeutet mein Leid und muss ich es ertragen?
3.7 Vor welcher Herausforderung steht die Kirche?
4. Schluss
5. Literaturverzeichnis
6. Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
„Ich will so nicht leben, Mutter. Das ist nicht das Leben, das ich mir ausgesucht habe. Es gibt keine Aussicht auf Besserung, und deshalb ist es ein vollkommen vernünftiger Wunsch, diesen Zustand auf eine Art zu beenden, die ich für richtig halte.“1
Diesen aussagekräftigen Sterbewunsch äußert William Traynor gegenüber seiner eigenen Mutter, Camilla Traynor. Beide sind Figuren aus dem Roman Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Moyes aus dem Jahre 2013. Der Roman handelt von einem jungen Mann, der seit einem fremdverschuldeten Unfall im Rollstuhl sitzt. Er ist vom Kopf abwärts gelähmt2 und rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen. Im Rahmen einer tragischen Liebesgeschichte wird das Thema der Euthanasie aufgegriffen. So fiktiv auch die Figuren und die Liebesgeschichte sein mögen, das Thema ist fortlaufend aktuell und existent. William Traynor war vor seinem Unfall, zwei Jahre zuvor, ein sehr dynamischer, sportlicher und aktiver Mann und liebte sein unbeschwertes Leben. Der Gedanke, für immer an den Rollstuhl gefesselt und nur noch auf andere Menschen angewiesen zu sein, bringt ihn dazu, nachdem er schon einen Suizidversuch hinter sich hat, sich auf eine selbstbestimmte und legale Art in der Schweiz das Leben zu nehmen.
Diese Art des Suizids nennt sich „assistierter Suizid“ und gehört zu einer Form der Sterbebeihilfe.
Im Rahmen meiner Examensarbeit werde ich mich besonders mit den Fragen auseinandersetzen, die mich beim Lesen des Romans beschäftigt haben. Diese werde ich in Bezug zur realen Wirklichkeit und zur aktuellen Diskussion jeweils neu zu stellen versuchen. Ich werde den Versuch wagen, diese Fragen, unter anderem auch die Leitfrage „Selbstbestimmt sterben?“, unter juristischen, praktischen, ethischen und theologischen Gesichtspunkten zu beantworten.
Mir ist es wichtig, durch verschiedene Überlegungen Antworten zu finden. Diese Antworten können aufgrund der Komplexität des Themas nicht als absolut angesehen werden, sondern es sind meiner Ansicht nach ausgewählte Argumente, die für mein persönliches Gespräch mit dem Roman maßgeblich sind.
Im Vorfeld möchte ich darauf hinweisen, dass ich in dieser Arbeit keineswegs eine Analyse des Romans anstrebe. Ich beschäftige mich ausschließlich mit der Thematik des „assistierten Suizids“ in der Schweiz und dessen Beurteilung unter den oben erwähnten Gesichtspunkten. Der Roman dient in diesem Sinne nur zur Anregung meiner Fragestellungen bezüglich dieses komplexen Gegenstandes.
2. Eine Einführung
Das folgende Kapitel greift die wichtigsten Diskussionsfragen zum Thema „Sterbehilfe“ in den Bereichen Recht, Praxis und Ethik auf. Es fungiert als Einführung in das theologische Gespräch mit dem Roman (Kapitel 3). Die Debatte um die Selbstbestimmung im Sterbeprozess avancierte in den letzten Jahren zum Gegenstand der Medien. Man diskutiert über das Recht der Selbstbestimmung am Lebensende: Wann, wo und wie will ich sterben? Den Möglichkeiten der Selbstbestimmung sind jedoch einige Grenzen gesetzt und werden im Folgenden aufgeführt.
2.1 Suizid und Suizidversuch - Der Weg zur Tat
„Wenn Sie mich fragen, warum Menschen Selbstmord begehen, dann ist meine Antwort, daß ich es nicht weiß.“3
Kein Selbstmord gleicht dem anderen. Man hat fortwährend mit Individualformen des Suizids zu tun. Es ist die Tat eines Menschen, der den Tod dem Leben vorzieht und ihm sein persönliches Siegel verleiht.4 Dadurch wird er von etwas Geheimnisvollem umgeben. Kein Mensch, außer der Sterbewillige selbst, versteht ihn.5
Warum begehen aber so viele Menschen Suizid?6 Viele Menschen denken über eine suizidale Handlung nach, wenn sie sich psychisch und physisch schlecht fühlen. Besonders wenn dieser Zustand über einen längeren Zeitraum anhält.7 Im Moment der Tat bemisst man seinen Freitod als letzte und beste Option vieler anderer Möglichkeiten.8 Der Sterbewillige erlebt seine körperliche Unfähigkeit, sein Ausgeliefertsein an eine fremde Welt von Apparaten, Gerüchen und an Pflegepersonal als starke Beeinträchtigung. Das Selbstwertgefühl leidet. Seine Krankheit, sein physisches Leid, weist prinzipiell auf eine Krise des Menschen hin.9
Will Traynors Suizidversuch und die endgültige Entscheidung, den Tod dem Leben vorzuziehen, sind darauf zurückzuführen, dass er aufgrund seiner immensen somatischen Einschränkung und der damit verbundenen Abhängigkeit nicht weiter leben möchte. Er findet sich damit ab, dass sich sein körperliches Befinden, trotz physiologischer und medikamentöser Therapie, nicht verbessern wird. Sein Körper besteht in einem „Ist-Zustand“, in dem er sich gefangen fühlt. Die Akzeptanz dieses Zustands erlaubt es ihm, die Option des Freitodes zu wählen.
2.2 Die Realität - Ein Leben mit Tetraplegie
Wie ein Leben mit einer gravierenden Behinderung ist, kann man nur schwer erahnen, wenn man nicht selbst mit dieser Situation leben muss. Im Roman „Ein ganzes halbes Jahr“ wird das Handicap durch die Tetraplegie zum Ausdruck gebracht.
Tetraplegie ist die Lähmung nach Verletzung des Rückenmarks im Bereich der Halswirbelsäule. Alle Gliedmaßen unterhalb des Kopfes sind funktionsgestört oder gar funktionslos.10 Wie schwerwiegend diese Behinderung und der Umgang mit Tetraplegikern sind, zeigt sich nicht zuletzt auch in bekannten Filmen wie Million Dollar Baby11 aus dem Jahre 2004 und Ziemlich beste Freunde12 aus dem Jahre 2011.
Jedoch ist zu beachten, dass in solchen „Hollywood- Produktionen“ und in „Literatur-Bestsellern“ klischeehafte Darstellungen geboten werden.13 Im Roman listet die Protagonistin Lou zwar viele Dinge auf, die man mit einem Tetraplegiker nicht unternehmen kann, jedoch wird die Liste in der Realität über die aufgezählten 15 Punkte hinausragen.14
Williams Schmerzen und seine Abhängigkeit werden zwar gut geschildert und auch besser als die der Protagonisten der o. g. Filme, jedoch ziehe ich im Folgenden Aussagen „echter“ Tetraplegiker hinzu, um eine reale Einsicht in die Hürden im Leben eines Tetraplegikers zu bekommen:
„Fast alle Querschnittgelähmten haben Probleme mit der Darm- und Blasenentleerung, weil bei dieser Form der Lähmung das vegetative Nervensystem gestört ist. Bei mir muss die Blase sechsmal am Tag katheterisiert werden. Ich bin dem Pfleger komplett ausgeliefert; er steht nicht nur dabei, wenn ich auf der Toilette sitze, sondern er übernimmt die ganze Arbeit. Er hilft mir beim Abführen mit Zäpfchen oder Klistiermittel, beim Aufstehen, beim Essen (ich werde gefüttert), beim Tablettennehmen - manchmal könnte ich meine Tür einfach offen stehen lassen, soviel Besuch bekomme ich. Nachts bin ich auch auf Hilfe angewiesen. Ich muss alle paar Stunden umgelagert werden, um Druckstellen zu vermeiden. Wo der Körper aufsitzt, ist er schlechter durchblutet, weil dort die Sauerstoffversorgung unterbrochen ist. An dieser Nähe eines anderen Menschen hatte ich ordentlich zu kauen. Vielleicht gewöhne ich mich nie daran.“
„Versuch mal, dich ein paar Stunden hinzusetzen und deine Hände nicht zu nutzen und dich nicht zu bewegen - wie oft man sich normalerweise ins Gesicht langt, um sich zu kratzen, um eine Wimper von der Wange zu streichen; wie oft man sich umsetzt!“
„Wenn wir weggehen, schauen manche die ganze Zeit her. Wenn man sie dann anschaut, schauen sie schnell weg. Ich habe das früher auch gemacht und es ist okay. Den Mut, einen einfach anzusprechen, fassen die wenigsten. Ich sage immer: Der Rollstuhlfahrer rührt sich schon, wenn er Hilfe braucht. Ganz Eifrige packen mich manchmal und fahren mich hin, wo ich nicht hin wollte. Dann sage ich: Ich stand ganz gut. Aber danke.“15
Samuel Kochs16 Kommentar zu dem Film Ziemlich beste Freunde: „Ich habe vieles wiedererkannt. Bei Stellen aber, wo es im Alltag kritisch, kompliziert und unschön wird, wurde im Film geschickt geschnitten. In einer Szene etwa steht der Protagonist Philippe vor dem Flugzeug, dann zack, Schnitt - plötzlich sitzt er gestriegelt im Flieger. Oder was die Klamotten betrifft, zack, Schnitt - plötzlich ist man umgezogen. Ich wünschte, das ginge tatsächlich so schnell. Aus meiner Erfahrung kann das schon mal eine halbe Stunde dauern.“17
Die aufgeführten Interview-Ausschnitte zeigen Beispiele wahrer Probleme und Hürden im Alltag eines Querschnittgelähmten, welche sich nicht mit den fiktiv geschilderten Problemen in Buch und Fernsehen vergleichen lassen.
„Pero me desppierto siempre y siempre quiero estar muerto“18 ist das Zitat des galizischen Seemanns Ramón Sampedro. Nach einem Sprung von einer Klippe war er vom Hals abwärts gelähmt und kämpfte von dort an jahrelang für das Recht, sich das Leben nehmen zu dürfen. Im Jahre 1998 nahm er sich vor laufender Kamera und in Begleitung seiner Freundin durch Einnahme eines tödlichen Mittels das Leben. Seine Geschichte wurde im Film Mar Adentro im Jahre 2004 verfilmt.19
Sinn und Zweck der o. g. Verfilmungen liegen darin, dass sie geradewegs in den Mittelpunkt der moralischen Konflikte um Suizidhilfe und Sterbehilfe führen. Des Weiteren dokumentieren sie einen gesellschaftlichen Wandel in Umgang mit Sterbe- und Suizidhilfe. Denn der Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende und der Wunsch nach „[...] Hilfe beim Suizid rücken aus dem toten Winkel gesellschaftlicher Tabus ins Rampenlicht.“20
2.3 Eine Auseinandersetzung mit der Sterbehilfediskussion aus juristischer, praktischer und ethischer Sicht
Sterben gehört zum Leben!
Dieser Satz klingt paradox, und doch ist er wahr. Der Tod ist allgegenwärtig. Betrachten wir die Sterbehilfedebatte aus verschiedenen Perspektiven, so eröffnet sich ein Vielfaches an Für und Wider. Deshalb ist zu vermerken, dass es sich vielmehr um keine pauschale Sicht der jeweiligen Perspektiven handelt. Der Begriff „Sicht“ ist als Aufführung und Gegenüberstellung einzelner und subjektiver Sichten zu verstehen.
2.3.1 Selbstbestimmtes Sterben aus juristischer Sicht
Durch die Legalisierung der Euthanasie in den Niederlanden im Jahre 2001 wurde der vorherrschenden Tabuisierung europaweit ein Ende gesetzt.21 Dennoch sind ihr durch gesetzliche Richtlinien der jeweiligen Länder einige Grenzen gesteckt. Die juristischen Bestimmungen sind, selbst im geografisch kleinräumigen und kulturell eng verbundenen Europa, bezüglich der Entscheidungen am Lebensende, unterschiedlich.22
Die Schweizer Rechtspraxis stellt im internen Kontext einen Sonderfall dar. Erstens fokussiert sich die Schweiz auf die Beihilfe zur Selbsttötung, während in anderen Ländern und vor allem in den Nachbarländern die Debatte um die aktive Sterbehilfe leitendes Diskussionsthema ist. Zweitens ist die Schweiz eins der wenigen Länder, in dem auch Nicht- Mediziner an der Beihilfe zur Selbsttötung beteiligt sind.
Wir widmen uns in diesem Kapitel ausschließlich der schweizerischen und deutschen Gesetzesbestimmung des Suizids und der Suizidbeihilfe.
2.3.1.1 Habe ich ein Recht auf Suizid und Suizidbeihilfe?
Der Suizid entzieht sich in Deutschland einer rechtlichen Normierung. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass diese Straflosigkeit auch für die Suizidbeihilfe in Kraft tritt. Ein Selbstmord ist kein „Recht“, sondern eine Handlung, die keiner sittlichen Norm unterliegt. Jedoch ist es für das Gemeinwesen von großem Interesse, den Selbstmord sittlich beurteilen zu können.23 Gibt es aber ein deutsches Gesetz, aus dem sich eine rechtliche Anerkennung der Selbsttötung ableiten lässt? Im Grundgesetz ist kein Gesetz mit dem entsprechenden Wortlaut verankert. Eine Suizidhandlung ist daher nicht strafbar.24 Diese Straflosigkeit bedeutet wiederum nicht, dass eine rechtliche Anerkennung vorliegt. Das Fehlen einer Strafnorm dient allein einem bestimmten „Erfolg“ zum Anknüpfpunkt einer Sanktion. Wie könnte man jemanden nach einem erfolgreichen Suizid auch bestrafen? In Betracht käme die Bestrafung eines Selbstmordversuches, jedoch geht man in diesem Falle davon aus, dass ein gescheiterter Selbstmord für den Suizidanten schon schlimm genug ist.25
Wenn kein Strafbestand zum Suizid vorliegt, ist die Beihilfe zum Suizid letztlich auch erlaubt? Ist die strafrechtliche Regelung des assistierten Suizids denn so einfach geregelt? Die Beihilfe zum Suizid ist in der Schweiz und in Deutschland erst dann strafbar, wenn sie „aus selbstsüchtigen Beweggründen“ erfolgt.26 Darüber hinaus muss die „Tat“ vom Lebensmüden allein, selbst und eigenverantwortlich begangen werden ohne aktive und vorsätzliche Handlung Dritter.27 Weshalb aber gibt es in Deutschland keine vergleichbare Praxis der Beihilfe zum Suizid, die mit der in der Schweiz gleichzusetzen ist? Es liegt eine Widersprüchlichkeit der Gesetzeslage in Deutschland vor.28 Die Suizidbeihilfe wird hierzulande nicht explizit durch Strafnormen erfasst, sondern windet sich weiterhin zwischen dem „Blinden Fleck“ des Gesetzes und den ethischen Normen.29
Im Jahre 2006 entschied sich das schweizerische Bundesgericht in Lausanne sogar ganz offiziell für das Menschenrecht auf Suizid.30
Obwohl der assistierte Suizid nicht strafbar ist, handelt es sich nichtsdestotrotz um einen außergewöhnlichen Todesfall. Daher muss kurz nach Eintritt des Todes die Polizei verständigt werden. Diese leitet, wie bei allen anderen Suiziden auch, ein Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren ein. Bei Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts muss überdies ein Strafverfahren eingeleitet werden. Ein Tatverdacht liegt dann vor, wenn ein Drittverschulden am Tod des Lebensmüden festzustellen ist. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft und der Gerichtsmedizin erfolgen unter Leitung der ortsansässigen Polizei alle notwendigen Erhebungen, wie zum Beispiel die Befragung Angehöriger und des Pflegepersonals.31
William Traynors Fall musste auch durch ein rechtliches Verfahren untersucht werden. Aufgrund folgender Punkte wurde seine Suizidhandlung straflos gebilligt:
„1. Mr. Traynor wurde als geschäftsfähig erachtet und hatte den freiwilligen, eindeutigen, entschiedenen und sachkundig fundierten Wunsch, diese Entscheidung zu treffen.
2. Es gibt keinerlei Hinweise auf eine geistige Erkrankung oder Nötigung von anderen.
3. Mr. Traynor hatte zweifelsfrei geäußert, dass er Selbstmord begehen will.
4. Mr. Traynors Behinderung war schwer und unheilbar.
5. Das Handeln derjenigen, die Mr. Traynor begleitet haben, kann als widerwillige Unterstützung angesichts des entschiedenen Wunsches auf der Seite des Opfers angesehen werden.
6. Alle Beteiligten haben der Polizei jede Unterstützung bei der Untersuchung dieses Falles angeboten.“32
Des Weiteren ist die Arzneiproblematik zu benennen: Während Ärzte in der Schweiz ihren Patienten problemlos eine tödliche Dosis des Medikaments Natrium-Pentobarbital (NaP) verschreiben können, darf in Deutschland aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes solch eine Dosis nicht verschrieben werden. Die Gefahr besteht aber, dass durch Versandapotheken im Internet künftig auch mit tödlichen Medikamenten im In- und Ausland gehandelt wird.33
2.3.1.2 Der ärztliche Kodex (Teil 1)
Ist Assistenz zum Sterben unärztlich?
Da Suizidbeihilfe aus Gründen der Rechtsdogmatik nicht strafbar ist, gilt das auch für einen freiverantworteten Suizid mit ärztlicher Hilfe. Jedoch ist ein Arzt34 dazu verpflichtet, so schreibt die Bundesärztekammer, Leben zu erhalten, was wiederum bedeuten kann, dass er bei der Hilfe zum Suizid, dem Suizidenten zurück ins Leben verhelfen muss. Täte er das nicht, so müsse sein Handeln strafrechtlich verfolgt werden. Die ärztliche Assistenz zum Sterben widerspräche dem „ärztlichen Berufsethos“.35
Eine weitere Beurteilung des „ärztlichen Berufsethos“ und dessen Ausprägungen finden sich im Kapitel 2.2.3.4 unter „Der ärztliche Kodex (Teil 2)“.
2.3.2 Selbstbestimmtes Sterben aus praktischer Sicht
2.3.2.1 Welche Formen der Sterbehilfe gibt es?
Es ist wichtig zu benennen, welche Formen der Sterbehilfe bestehen, um eine genaue Abgrenzung zur Suizidbeihilfe vornehmen zu können. Um jedoch nicht das Augenmerk vom assistierten Suizid abzulegen, behandele ich andere Formen der Sterbehilfe geringfügiger. Gleichzeitig ist es naheliegend, kurz auf die juristischen Gegebenheiten einzugehen.
Die aktive Sterbehilfe ist die absichtliche und aktive Herbeiführung des Todes. Sie ist in Deutschland und in der Schweiz verboten.
Bei der indirekten aktiven Sterbehilfe erfolgt eine Linderung mittels Schmerzmittel, bei der eine Lebensverkürzung in Kauf genommen wird. Diese Form der Sterbehilfe ist straflos.
Passive Sterbehilfe bzw. das Sterbenlassen meint den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen. Dieses Verfahren ist nur dann straflos, wenn der Patient diesem eingewilligt hat.
Der Assistierte Suizid bzw. die Beihilfe zur Selbsttötung ermöglicht es dem Sterbewilligen durch die Beschaffung eines tödlichen Medikaments, seinen Tod und seinen Sterbevorgang auf selbstbestimmte Art zu gestalten.36 Die letzte Handlung liegt beim Sterbewilligen selbst. Sobald jemand anderes die Tatherrschaft ergreift und ihm das tödliche Medikament Natrium-Pentobarbital (NaP) verabreicht, handelt es sich um aktive Sterbehilfe, auch wenn der Sterbewillige es ihm gestattet hat.37 Nach Einnahme des tödlichen Medikaments verfällt der Lebensmüde in einen tiefen Schlaf, der in einen komatösen Zustand übergeht und ein Aussetzen der Atemimpulse zur Folge hat und letztendlich zum Herzstillstand führt. Dieses Verfahren erfolgt laut Informationen von EXIT ohne Schmerzen und ohne jegliches Leiden.38
Beim assistierten Suizid sind immer zwei Personen und zwei Handlungsperspektiven gegeben:
1) Der Mensch, der sich, aus individuellen Gründen, den Tod wünscht und den Ausweg aus dem Leben sucht
2) Die Person, die dem Wunsch des Sterbewilligen nachgeht und ihm ein tödliches Medikament in die Hand gibt, ohne dabei die Tatherrschaft zu übernehmen. Die Einnahme erfolgt, wie bereits erwähnt, vom Sterbewilligen allein und eigenverantwortlich.39
2.3.2.2 Was leisten sog. Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz? - am Beispiel der Organisationen EXIT und DIGNITAS
In der Schweiz ist es heutzutage durch sogenannte „Sterbehilfeorganisationen“40 möglich, sich selbstbestimmt das Leben zu nehmen. Diese Sterbehilfeorganisationen in der Schweiz, wie DIGNITAS41 und EXIT42, bieten unter anderem die Beihilfe zur Selbsttötung an.
[...]
1 Moyes (2013), 160.
2 Anm.: Tetraplegie: griech. tetra = vier; plege= Schlag, Lähmung; d.h. alle vier Gliedmaßen (Arme und Beine) gelähmt.
3 Diekstra/McEnery (1992), 13.
4 Durkheim (1983), 319.
5 Diekstra/McEnery (1992), 65.
6 Anm.: Pro Jahr ca. 12000 Suizide; 100000 Suizidversuche, davon 11000 Überlebende
7 Diekstra/McEnery (1992), 23.
8 Redfield Jamison (1999), 75.
9 Reiner (1974), 153.
10 Ergotherapie Paraplegiologie (2014) http://www.ergotherapie- paraplegiologie.info/Artikel/Fachthemen/Def_QSL.pdf
11 Anm.: Oscarprrämierter Film, basierend auf einer Kurzgeschichte des US- amerikanischen Boxtrainers F. X. Toole aus der Sammlung „Champions. Geschichten aus dem Ring“.
12 Anm:: Oscarnominierter Film, beruhend auf einer wahren Begebenheit und erzählt die Geschichte des ehemaligen Geschäftsführers des Champagnerherstellers Pommery, Philippe Pozzo di Borgo.
13 Vgl. Mathwig (2010), 23.
14 Vgl. Moyes (2013), 319ff.
15 Süddeutsche Zeitung (2011) auf: http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/526814/Von-wegen-Koerper-kaputt- Leben-kaputt.
16 Anm.: Samuel Koch ist ein junger Schauspielstudent (geb. 1987), der sich im Jahre 2010 in der Fernsehsendung „Wetten, dass…?“ bei einem Wetteinsatz schwer verletzte und seither gelähmt ist.
17 Der Spiegel (2012) auf: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-87347263.html.
18 Vgl. Ramón Sampedro, Cartas desde la inferno, Barcelona 1996: “Doch immer wach ich auf und immer wär ich lieber tot”.
19 Mathwig (2010), 21.
20 Ebd., 22.
21 Spieker (2004), 11.
22 Mathwig (2010), 143.
23 Spaemann (2004), 107f.
24 Beckmann (2004), 219.
25 Ebd., 223.
26 Vgl. Art. 115 StGB.
27 Rehmann-Sutter (2006), 9.
28 Frieß (2010), 45.
29 Mathwig (2010), 149.
30 Abé (2014), 31.
31 Göring-Eckardt (2007), 86.
32 Moyes (2013), 513f.
33 Schächter (2004), 269.
34 Anm.: In dieser Arbeit findet ausschließlich aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit bei Personen- und Berufsbezeichnungen das generische Maskulinum Verwendung. In den entsprechenden Fällen sind ebenso weibliche wie männliche Personen impliziert.
35 Schöne-Seifert (2000), 102.
36 Abé (2014), 33.
37 Frieß (2010), 22.
38 Vgl. Exit (2013) (http://www.exit.ch/freitodbegleitung/wie-laeuft-eine- freitodbegleitung-ab/).
39 Rehmann-Sutter (2006), 9.
40 Anm.: Der Begriff Sterbehilfeorganisation(en) ist umstritten. Kritiker bemängeln durch den Ausdruck der Vollzug der Beihilfe zum Suizid beschönigt werde. Dennoch soll er aufgrund seiner hohen Gebräuchlichkeit Verwendung finden.
41 Anm.: Dignitas = lat. die Würde.
42 Anm.: Exit = engl. der Ausgang.
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