Jean Piaget beschäftigt sich in seinen Werken auch mit erkenntnistheoretischen Fragen. Die im Rahmen des Seminars behandeltet Entwicklungstheorie des Denkens wird von ihm selbst als ‚genetische Epistemologie’, also als genetische Erkenntnistheorie, bezeichnet. Betrachtet man Piagets Entwicklungstheorie des Denkens als Erkenntnistheorie, dann kann man sie auch mit anderen Erkenntnistheorien vergleichen. Zentrales Anliegen der genetischen Epistemologie ist es, die Strukturen, die Erkenntnisakte ermöglichen, zu beschreiben und deren Genese herauszuarbeiten. Menschliches Denken und Erkennen wird von Piaget also in seiner Genese und in seiner strukturellen Grundlage betrachtet. Im Rahmen seiner strukturgenetischen Erklärung spricht Piaget davon, daß neue Strukturen nicht von außen übernommen werden, sondern vom Subjekt selbst konstruiert werden. Der Erkenntnisgehalt der Strukturen ist also keine Abbildung der Wirklichkeit, sondern eine Konstruktion auf der Basis von Handlungen, Wahrnehmungen und Denkprozessen. Dies erinnert an das Postulat der Konstruktivisten, daß Erkenntnisse immer Konstruktionen seien. Diese Arbeit geht nun der Fragestellung nach, ob die genetische Epistemologie Jean Piagets eine konstruktivistische Erkenntnistheorie ist. Die Beantwortung der Frage stützt sich auf die Argumentation, die Thomas B. Seiler in seinem Aufsatz „ Ist Jean Piagets strukturgenetische Erklärung des Denkens eine konstruktivistische Theorie?“ 1 entfaltet. Dazu sollen zunächst die Strukturgenese des Denkens und ihre Gesetzmäßigkeiten nach Jean Piaget vorgestellt werden, um diese dann in einem zweiten Schritt der Darstellung mit den zentralen Thesen der konstruktivistischen Erkenntnistheorie zu konfrontieren.
Inhaltsverzeichnis
- A) Einleitung
- B) Hauptteil
- 1. Grundannahmen der genetischen Erkenntnistheorie Jean Piagets
- 1.1 Die Stufen der ontogenetischen Strukturgenese
- 1.1.1 Die sensomotorische Phase
- 1.1.2 Die präoperationale Phase
- 1.1.3 Die Phase der konkreten Operationen
- 1.1.4 Die Phase der formalen Operationen
- 2. Die Gesetze der Strukturgenese
- 2.1 Piagets Strukturbegriff
- 2.1.1 Erkenntnischarakter der Strukturen
- 2.1.2 Gedächtnischarakter der Strukturen
- 2.1.3 Dynamischer Charakter der Strukturen
- 2.1.4 Systemcharakter der Strukturen
- 2.2 Assimilation, Akkommodation und Äquilibration
- 2.1 Piagets Strukturbegriff
- 3. Piaget und der radikale Konstruktivismus
- 3.1 Grundannahmen des Konstruktivismus
- 3.2 Piagets Theorie als genetischer und adaptiver Konstruktivismus
- 3.2.1 Der aktuelle Erkenntnisakt
- 3.2.2 Die Veränderung der Erkenntnisstrukturen
- 3.2.3 Die teleologische Strukturgenese
- 1.1 Die Stufen der ontogenetischen Strukturgenese
- 1. Grundannahmen der genetischen Erkenntnistheorie Jean Piagets
- C) Schlußbemerkung
- D) Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Jean Piagets genetische Erkenntnistheorie im Hinblick auf ihren konstruktivistischen Charakter. Sie untersucht die Stufen der kognitiven Entwicklung und die zugrundeliegenden Gesetze der Strukturgenese. Die Analyse stützt sich auf die Argumentation von Thomas B. Seiler und beleuchtet die Beziehungen zwischen Piagets Theorie und zentralen Thesen des Konstruktivismus.
- Die Stufen der kognitiven Entwicklung nach Piaget
- Die Gesetze der Strukturgenese: Assimilation, Akkommodation und Äquilibration
- Die Beziehung zwischen Piagets Theorie und dem Konstruktivismus
- Der Einfluss von Handeln und Wahrnehmung auf die kognitive Entwicklung
- Die Rolle der Kulturgenese und der individuellen Entwicklung
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Jean Piagets genetische Epistemologie und ihre zentrale Fragestellung vor: die Beschreibung und Genese der Strukturen, die Erkenntnisakte ermöglichen. Die Arbeit untersucht, ob Piagets Theorie als konstruktivistische Erkenntnistheorie betrachtet werden kann.
Im Hauptteil werden die Grundannahmen der genetischen Erkenntnistheorie nach Piaget beleuchtet. Der erste Abschnitt behandelt die Stufen der ontogenetischen Entwicklung des Denkens, beginnend mit der sensomotorischen Phase und endend mit der Phase der formalen Operationen. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit den Gesetzen der Strukturgenese, insbesondere mit den Begriffen Assimilation, Akkommodation und Äquilibration.
Der dritte Teil des Hauptteils beleuchtet den Zusammenhang zwischen Piagets Theorie und dem Konstruktivismus. Hier werden die Grundannahmen des Konstruktivismus vorgestellt und Piagets Theorie als genetischer und adaptiver Konstruktivismus interpretiert.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Themengebiete der Arbeit sind: genetische Erkenntnistheorie, Jean Piaget, Konstruktivismus, Strukturgenese, ontogenetische Entwicklung, Assimilation, Akkommodation, Äquilibration, sensomotorische Phase, präoperationale Phase, Phase der konkreten Operationen, Phase der formalen Operationen, Handlung, Wahrnehmung, Kulturgenese.
- Quote paper
- Christoph Herold (Author), 2000, Jean Piaget und der Konstruktivismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/27119