Der vorliegende Text stellt eine vollständige und ausführliche Gedichtinterpretation (Einleitung, Hauptteil und Schluss) des Gedichts "Zum Lazarus I" von Heinrich Heine dar.
Gerechtigkeit ist das Fundament des sozialen Miteinanders und ist somit Grundnorm für ein menschliches Zusammenleben, sowie die gerechte Verteilung von Chancen oder Gütern. So kommt es, dass sich schon seit Jahrhunderten viele namenhafte Philosophen darauf berufen. Jeder definiert Gerechtigkeit anders, jedoch ist sie bis heute fester Bestandteil in unserem Leben. Auch Heine beschäftigt sich in seinem Gedicht »Zum Lazarus I« primär mit der Frage nach der Gerechtigkeit, jedoch in Bezug auf Gott. Und setzt diese in den Kontext zum (realen) öffentlichen Leben.
Heinrich Heine verfasste das Gedicht „Zum Lazarus I“ im Jahre 1852. Es besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen und gehört zur Gattung der Gedankenlyrik. Das Metrum ist ein dreihebiger Trochäus. Die römische Ziffer im Titel lässt darauf schließen, dass Heine auch anderen Gedichten den Titel „Zum Lazarus“ gegeben hat. Heine selbst ist ein Phänomen der Romantik, da er einerseits der populärste romantische Lyriker war und seine Gedichte die Epoche prägten und oftmals daraus auch Volkslieder entstanden (z.B. Die Lorelei). Auf der anderen Seite distanzierte er sich stark vom Poesiebegriff der Romantik. Er sah die Welt als zerrissen an, kritisierte die Wirklichkeit wie die übrigen Dichter der Romantik, glaubte aber nicht an den Urgrund der Poesie in allen Dingen. „Der Dichter habe die Aufgabe, diesen Riss zu zeigen und nicht vor ihm die Augen zu verschließen. Wer vor ihm in die Gegenwelten flüchte, die Welt als heil und als Ganzes zeige, der lüge.“, so Heine. In vielen Gedichten Heines, auch bei »Zum Lazarus« wird dies und ein Zwiespalt deutlich zwischen der schönen Welt der Romantik, nach der auch Heine sich sehnte, und seiner Einsicht in die Brüchigkeit der Welt und die Falschheit der romantischen Gegenwelten. Dieser Zwiespalt äußert sich als Ironie, mit der Heine romantische Bilder in seinen Gedichten gestaltet.
Ich vertrete in meiner Analyse die These, dass »Zum Lazarus I« die Suche der Menschen nach Antworten beschreibt, die erklären, warum das Leben manchmal ungerecht zu sein scheint und welche Rolle hinsichtlich der Gerechtigkeit Gott spielt. In der ersten Strophe beschreibt der Sprecher die Versuche, diese Fragen mit Hilfe der Wissenschaft zu lösen. Die Menschen glauben an die Wissenschaft und versprechen sich Erkenntnisse aus „heilgen Parabolen“ (V.1) und „frommen Hypothesen“ (V.2) dieser Parallelismus sagt auch aus, dass Gott sich auf die Menschen konzentrieren soll, anstelle der Gleichnisse, was durch die Anapher „Laß“ (V.1) auffordernd wirkt und auch aussagt, dass der Autor ungeduldig ist. Mit „Parabolen“ (V.1) könnten sowohl mathematische Parabeln als auch die Parabel als gleichnishafte Geschichte gemeint sein. Diese Möglichkeiten und die Klassifizierung als heilig und fromm verweisen sowohl auf den wissenschaftlichen als auch auf den religiösen Glauben der Menschheit. Die Wissenschaft führt jedoch nicht näher an die gesuchte Erkenntnis, sodass der Sprecher die Menschen auffordert, davon abzulassen. „Die verdammten Fragen“ (V.3) sollen „ohne Umschweif“ (V.4) gelöst werden. Es sind „verdammte“ (V.3) Fragen, weil der Sprecher sie nicht lösen und ihnen auch nicht aus dem Weg gehen kann. Der Wunsch, zu wissen, was hinter dem Leben steht und wieso es ist, wie es ist, existiert ebenso lange wie die Menschen selbst. Statt sich den Kopf zu zerbrechen, sollen sie nicht lange nachdenken und ihre Fragen intuitiv beantworten.
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- Guido Wahrenberg (Author), 2013, Interpretation zu dem Gedicht »Zum Lazarus I« von Heinrich Heine, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/270684