Einleitung
Matthias Erzberger brachte um den Jahreswechsel 1905/06 eine Reihe skandalöser Vorfälle in der deutschen Kolonialpolitik vor den Reichstag, die als Symptome der bisherigen Kolonialpolitik zu werten sind. Nicht nur das persönliche Fehlverhalten einiger Beamten und Gouverneure, sondern auch die Mißwirtschaft, die in den einzelnen Kolonien betrieben wurde, waren für Erzberger ein skandalöser Zustand. Er rief nach Veränderung und verlangte Reformen, die es dem Reichstag ermöglichen sollten, mehr Einfluß auf die Kolonialpolitik auszuüben. Bis dato betrafen die Verantwortlichkeiten des Reichstages nur den Finanzhaushalt der Kolonien.
Es sollen die einzelnen Skandale geschildert und die Auswirkungen der Veröffentlichung unter Erzberger untersucht werden, wobei als Quelle seine Reden im Reichstag und seine Schrift "Die Kolonial-Bilanz", in der die meisten der hier behandelten Fälle nochmals geschildert sind, benutzt wurden. Anschließend werden die Auswirkungen der Skandale, die zur Reichstagsauflösung im Dezember 1906 führten, und die Reaktionen untersucht.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Mißstände in der Kolonialpolitik und ihre Aufklärung
2.1 Geschichte der Kolonialverwaltung
2.2 Systemlosigkeit der Kolonialverwaltung
2.3 Verfehlte Personal- und Eingeborenenpolitik
2.4 Mißwirtschaft in den Kolonien
2.5 Persönliche Beschwerden
2.6 Auswirkungen der Aufdeckung
2.7 Erzbergers Motive
3. Schluß
4. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Matthias Erzberger brachte um den Jahreswechsel 1905/06 eine Reihe skandalöser Vorfälle in der deutschen Kolonialpolitik vor den Reichstag, die als Symptome der bisherigen Kolonialpolitik zu werten sind. Nicht nur das persönliche Fehlverhalten einiger Beamten und Gouverneure, sondern auch die Mißwirtschaft, die in den einzelnen Kolonien betrieben wurde, waren für Erzberger ein skandalöser Zustand. Er rief nach Veränderung und verlangte Reformen, die es dem Reichstag ermöglichen sollten, mehr Einfluß auf die Kolonialpolitik auszuüben. Bis dato betrafen die Verantwortlichkeiten des Reichstages nur den Finanzhaushalt der Kolonien.
Es sollen die einzelnen Skandale geschildert und die Auswirkungen der Veröffentlichung unter Erzberger untersucht werden, wobei als Quelle seine Reden im Reichstag und seine Schrift „Die Kolonial-Bilanz“, in der die meisten der hier behandelten Fälle nochmals geschildert sind, benutzt wurden. Anschließend werden die Auswirkungen der Skandale, die zur Reichstagsauflösung im Dezember 1906 führten, und die Reaktionen untersucht.
2. Die Mißstände in der Kolonialpolitik und ihre Aufklärung
2.1 Geschichte der Kolonialverwaltung
Mit den Aufgaben der deutschen Kolonialpolitik war zunächst das Auswärtige Amt Deutschen Reiches vertraut. Hier wurde am 1.April 1890[1] eine eigene Kolonialabteilung geschaffen, die dann mehr als vier Jahre später, nämlich am 12.Dezember 1894, eine große Selbständigkeit erhielt. Sie war dem Reichskanzler in allen kolonialen Fragen direkt unterstellt. Betrafen die kolonialpolitischen Fragen jedoch die Beziehungen zu ausländischen Staaten, unterstand die Kolonialabteilung dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes.
Das Ziel dieser Selbständigkeit war es, den Reichskanzler in seiner Arbeit zu entlasten. So gehörte es auch zu den Aufgaben der Kolonialabteilung, „die Verwaltung der Schutzgebiete im einzelnen dem Bundesrate, dem Reichstage und dem Rechnungshofe gegenüber namens des Reichskanzlers zu vertreten [...].“[2]
Nach einem Allerhöchsten Erlaß durfte die Kolonialabteilung ohne vorherige Verständigung mit dem Reichsschatzamt und dem Reichskanzler keine finanzpolitischen Entscheidungen treffen. Allerdings wurde ihr die Verwaltung der Kolonien nach den Interessen des Reiches gewährt.
Seit der Gründung im Jahre 1890 leitete der Jurist Paul Kayser als Ministerialdirigent, ab März 1894 als Kolonialdirektor die Kolonialabteilung. Unter ihm erfolgte vor allem die Verteilung von Landkonzessionen an die verschiedenen Gesellschaften in Südwestafrika, um Kapital in das Land zu locken. Unter seinem Nachfolger Oswald Freiherr von Richthofen (1896 - 1897) wurde der Bau der ersten südwestafrikanischen Eisenbahn von Windhuk nach Swapokmund vorangetrieben. Die nächsten Nachfolger in der Kolonialabteilung waren Gerhard von Buchka (1898 - 1900) und Oscar von Stübel (1900 - 1907).[3]
Der Kolonialabteilung als sachverständiger Beirat zur Seite gestellt, wurde am 10.Oktober 1890 durch einen Allerhöchsten Erlaß der „Kolonialrat“ geschaffen, zu dessen Aufgabe es gehörte, Gutachten zu kolonialpolitischen Fragestellungen zu erstellen. Dieser Rat war nötig geworden, da der Abteilung das Personal fehlte, das genügend Erfahrung und Kenntnisse in der Kolonialpolitik hatte. Hinzu kam, daß der Kolonialrat über selbständige Angelegenheiten seiner Mitglieder entscheiden konnte. Letztendlich sollte dieser Rat aber auch ein Sprachrohr für diejenigen sein, die in der Kolonialpolitik tätig oder auch in den Kolonien selbst beschäftigt waren, wozu auch Vertreter der Missionen gehörten. Damit sollte die Möglichkeit gegeben werden, auf die Kolonialverwaltung einen gewissen Einfluß nehmen zu können.[4]
2.2 Systemlosigkeit der Kolonialverwaltung
Matthias Erzberger, der bei der Reichstagswahl 1903 als Kandidat der Zentrumspartei als jüngster Abgeordneter in den Reichstag gewählt wurde, startete schon am Anfang seiner politischen Laufbahn einen Feldzug gegen die deutsche Kolonialpolitik, indem er verschiedene Vorfälle in der Kolonialabteilung im Reichstag aufdeckte, das bisherige System auf das
Heftigste kritisierte und zahlreiche Vorschläge zur Veränderung und zur Reform vorbrachte.
Anläßlich des Herero-Aufstandes 1904 in Deutsch-Südwestafrika wandte er sich in der Münchner Wochenzeitung „Allgemeine Rundschau“ vom 24.September 1904 erstmals gegen die Kolonialabteilung. Er warf ihr mangelnde Organisation vor, die es nicht schaffte, genügend Truppen nach Deutsch-Südwestafrika zu senden, um den Aufstand womöglich früher beenden zu können, da dies an der Frage der Entscheidungskompetenz scheiterte.[5]
Nicht nur der Kaiser, dessen Entscheidungshoheit in Kriegsfragen schon in der Verfassung verankert war, sondern auch das Kriegsministerium, das Marineamt, das Reichspostamt und zuletzt das Militärkabinett sollten über die Entsendung der Truppen entscheiden.
Der Vorwurf der Systemlosigkeit sollte sich aber, wenn auch unter anderen Voraussetzungen, fortsetzen. In der 12. Sitzung des Reichstages vom 14. Dezember 1905 fehlte Erzberger „[...] eine Darlegung der Grundsätze, nach welchen in den Kolonien gewirtschaftet werden soll,[...]“[6] Er kritisierte in seiner Rede vor allem, daß die verschiedenen Kolonialdirektoren jeweils ein eigenes System hatten, das oft dem des Vorgängers nicht entsprach, ja sogar widersprach. Oft mußte der Nachfolger die Fehler des Vorgängers mit viel Arbeit wieder korrigieren.
Erzbergers Ansinnen war es nun, diese Fehlerquellen zu beseitigen, um die momentan vorhandenen Mißstände zu beheben.
2.3 Verfehlte Personal- und Eingeborenenpolitik
Auch die Personalpolitik hielt Erzberger für vollkommen verfehlt. Die Bürokratie hatte für ihn schon krasse Ausmaße angenommen[7] und Beamte wurden eingestellt, obwohl ihre Kompetenzen nicht den Erwartungen entsprachen und vor denen sogar gewarnt wurde.
Theorie und Praxis lagen weit auseinander, was Erzberger aus dem Königlichen Handbuch über das Konsularwesen entnahm: „Nach einem Zirkular des Reichskanzlers ist den Beamten einzuschärfen, daß es ihre Aufgabe ist, Deutschen und sonstigen Europäern in Ausübung ihres Berufes und Gewerbes mit Wohlwollen entgegenzukommen und sie zu unterstützen, weil die Förderung der wirtschaftlichen Verhältnisse den vornehmsten Teil ihrer dienstlichen Tätigkeit bildet. Sodann haben die christlichen Missionsgesellschaften mit ihrer segensreichen und für die kulturelle Entwicklung der Schutzgebiete unentbehrlichen Tätigkeit Anspruch auf weitgehende amtliche Unterstützung.“[8] Aus einer Vereinbarung des Kolonialdirektors Dr. Stuebel läßt sich unter
Punkt 9 allerdings lesen, daß „das Gouvernement angewiesen [ist], dafür Sorge zu tragen, daß, falls der Brauch eingerissen sein sollte, wonach von den Beamten auf Reisen von den Eingeborenen Weiber zum geschlechtlichen Verkehr gefordert werden, den Beamten ein solches Verhalten als mit ihrer Würde unvereinbar verboten wird.“[9] Hier zeigte sich der Unterschied und Erzberger machte daraus einen erheblichen Vorwurf.
Allerdings suchte Erzberger die Fehler nicht nur in der Kolonialabteilung in Berlin selbst. Auch in den Kolonien gab es genügend Vorfälle, die den oben genannten Vorwurf bestätigten.
Der Fall des Gouverneurs von Puttkammer in Kamerun ist hier zu nennen. Hier zeigt das Beispiel, daß trotz einer vorhergehenden Warnung von seinem Vorgänger Puttkammer als Gouverneur eingesetzt wurde. Ihm wurde Urkundenfälschung vorgeworfen, wobei er einerseits den Paß einer gewissen Freiherrin von Eckardtstein, die er in Kamerun für längere Zeit beherbergte, für die Rückreise nach Deutschland unter diesem Namen ausstellen ließ, obwohl er laut Erzberger von der Falschheit dieses Namens hätte wissen müssen. Hinzu kommt, daß Puttkammer Frau von Eckardtstein, ebenfalls unter diesem Namen, ins polizeiliche Anmelderegister eingetragen hatte, was für Erzberger als zweite Urkundenfälschung galt.
[...]
[1] Vgl. Jürgen Zimmerling, Die Entwicklung der Strafrechtspflege für Afrikaner in Deutsch-
Südwestafrika 1884 - 1914, S.19; vgl. auch Matthias Erzberger, Kolonial-Bilanz, S.43: Hier
schreibst der Verfasser, daß die Kolonialabteilung am 30.Juni 1890 gegründet worden sei.
[2] Erzberger, Kolonial-Bilanz, S.43.
[3] Vgl. Christian Leitzbach, Matthias Erzberger. Ein kritischer Beobachter des wilhelminischen
Reiches 1895 - 1914, S.297.
[4] Vgl. Zimmerling, Die Entwicklung der Strafrechtspflege, S.19.
[5] Vgl. Leitzbach, Matthias Erzberger, S.298.
[6] Vgl. Stenographische Berichte des Reichstages, Band 214, Sp. 321 (12. Sitzung vom
14.Dezember 1905), zitiert aus: Erzberger, Kolonial-Bilanz, S.10.
[7] Ebenda Sp.321: Erzberger hatte das Beispiel eines deutschen Siedlers vorgelegt, der in
Keetmannshoop ein Hotel bauen wollte, was ihm aber nicht genehmigt wurde, da einige
Zimmer nicht Luft und Licht böten und somit der Bauplan nicht der preußischen
Verordnung von 1865 entsprach.
[8] Zitiert aus: Erzberger, Kolonial-Bilanz, S.11.
[9] Zitiert aus: Erzberger, Kolonial-Bilanz, S.12.