Wird nach der Stellung religionsrechtlicher Aspekte im Europarecht und insbesondere im Europäischen Primärrecht, also den zwischen den Mitgliedsstaaten ausgehandelten Vertragswerken, gefragt, so ist nach Heinrich de Wall zu sagen, dass es „ein europäisches Staatskirchenrecht in einem umfassenden Sinne […] wegen der begrenzten Zuständigkeiten und Reichweite der Europäischen Union nach dem derzeitigen Stand der Integration nicht gibt.“ (De Wall) Trotzdem bedeutet dies keinesfalls, dass das Europäische Primärrecht gegenüber Religion, Kirchen und Staatskirchenrecht eine schweigende Haltung einnimmt.
Ein europäisches Staatskirchenrecht ist nach Art. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) kein Ziel und nach Art. 2 und 3 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) kein benanntes Aufgabenfeld für Organe der Gemeinschaft. Die ausschließliche Kompetenz für Fragen des Religionsrechts verbleibt demnach gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung bei den Nationalstaaten. Für die folgende Betrachtung ist aber der Fakt von Bedeutung, dass die in den Verträgen zugesicherten Kompetenzen der Gemeinschaft, sowie darauf aufbauend das Sekundärrecht und die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshof (EuGH), Einfluss und Ausstrahlungswirkung auf das Religionsrecht haben. Man kann also nach Stefan Mückel für die Gemeinschaft und ihre Organe von „eine[r] mittelbare[n] Sachkompetenz im Bereich des Staatskirchenrechts“ (Mückel) sprechen.
Diese Arbeit wird im ersten Teil die wesentlichsten Aspekte Europäischen Primärrechts anreißen, ggf. mit einem Verweis auf das Sekundärrecht und im kleineren zweiten Teil auf den religionsspezifischen Grundrechtsschutz eingehen. Abschließend soll im dritten Teil aus aktuellem Anlass die Stellung der Religionsfreiheit und der Religionsgemeinschaften untersucht werden wie sie der Änderungsvertrag von Lissabon für den EUV und den Vertag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vorsieht.
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
A. Allgemeine Einführung
I. Eine Momentaufnahme
II. Gliederung der Arbeit
B. Religionsspezifische Aspekte des Primärrechts
I. Die Rolle von Religionsrecht in der Kompetenzordnung des Primärrechts
II. Das Recht auf Religionsfreiheit im EUV
III. Das Antidiskriminierungsgebot nach Art. 14 EMRK i.V.m. Art. 13 EGV
IV. Sozialpolitische Einflüsse auf das Religionsrecht
V. Die Bedeutung des Subventionsverbotes für Religionsgemeinschaften
VI. Kultur und Bildung als beeinflussende Politiken
C. Grundrechteschutz in Europa.
I. Grundrechtsschutz über die EMRK
II. Der Grundrechtsschutz der Europäischen Union
III. Die Bedeutung der Religion im Grundrechtsschutz
D. Entwicklung und Ausblick
E. Schluss
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