[...] Zwar kann Dekonstruktion eingereiht werden in den Kanon der unterschiedlichen ‚Strömungen‘, ‚Schulen‘ oder ‚Theorien‘, doch wird eines schnell deutlich: Das den meisten literaturtheoretischen Betrachtungen innewohnende teleologische Streben, dasjenige nach Auflösung komplizierter Analyseverfahren in eine „Theorie, die alles in Ordnung bringt“1, bleibt hier unbefriedigt und am ‚Ende‘ Aporie. Eine weitere Besonderheit ist, daß Dekonstruktion nicht als theoretische Betrachtung allein, sondern als eine Lesart verstanden werden soll. In dieser Arbeit sollen die für die Linguistik und die Literaturwissenschaft wichtigsten Eigenschaften von Dekonstruktion und Aspekte der philosophischen Betrachtungen, die sie umgeben, dargestellt werden. Die Literaturlage ist sehr reichhaltig, hier soll der Schwerpunkt allerdings bei den Betrachtungen des Philosophen Jacques Derrida liegen, der 1967 mit De la grammatologie (in Deutschland 1974 erschienen)2, seine dekonstruktive Saussure-Lektüre enthaltend, Dekonstruktion in Europa bekannt machte und diese schließlich mit seinem 1970 in Amerika veröffentlichten strukturalismuskritischen Aufsatz Structure, Sign, and Play in the Discourse of the Human Sciences3 auch dort als poststrukturalistische Denkweise zu etablieren begann. Die Verfahrensweise des dekonstruktiven Lesens soll im zweiten Teil der Arbeit am Tristan Gottfrieds von Straßburg demonstriert werden. Hierbei wird insbesondere auf die Liebeskonzeption eingegangen werden, da liebe und leit eine zentrale binäre Opposition darstellen. Die Ausführungen stets begleiten soll die Frage nach dem ‚Nutzen‘ von Dekonstruktion und ihrer literaturwissenschaftlichen Bedeutung gerade im Vergleich zu anderen Theorien. 1 Culler, Jonathan: DEKONSTRUKTION. DERRIDA UND DIE POSTSTRUKTURALISTISCHE LITERATURTHEORIE. Aus dem Amerikanischen von Manfred Momberger. Reinbek bei Hamburg 1999, S. 122. 2 Derrida, Jacques: GRAMMATOLOGIE. Aus dem Französischen von Hans-Jörg Rheinberger und Hanns Zischler, Frankfurt am Main 1974. 3 in: Macksey, Richard/Donato, Eugenio: THE STRUCTURALIST CONTROVERSY: THE LANGUAGE OF CRITICISM AND THE SCIENCES OF MAN, Baltimore 1970, S. 247-265. Zuerst 1967: LA STRUCTURE , LE SIGNE ET LE JEU DANS LE DISCOURS DES SCIENCES HUMAINES. In : Derrida, Jacques : L’ÉCRITURE ET LA DIFFÉRANCE. Paris, S. 409-428.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Dekonstruktion
- Grundlagen
- Schritte des dekonstruktiven Lesens - das Programm
- Der Weg zum Programm
- Versuch einer dekonstruktiven Lektüre des Tristan Gottfrieds von Straßburg
- Vorbemerkung
- Entdeckung zentraler binärer Oppositionen
- Etablierung von liep vs. leit
- Nachweis der Merkmalsgleichheit
- Neuetikettierung
- Schlußbemerkung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Dekonstruktion als poststrukturalistische Literaturtheorie und deren Anwendung in der mediävistischen Literaturwissenschaft. Der Fokus liegt auf der Darstellung der wichtigsten Eigenschaften der Dekonstruktion, insbesondere im Hinblick auf die Arbeiten Jacques Derridas. Die praktische Anwendung der dekonstruktiven Lesart wird anhand einer Analyse von Gottfrieds von Straßburgs Tristan demonstriert.
- Darstellung der Grundlagen der Dekonstruktion und ihrer philosophischen Einbettung
- Erklärung des dreistufigen dekonstruktiven Leseprogramms (Aufspüren von Hierarchien, Nachweis der Merkmalsgleichheit, Neuetikettierung)
- Analyse der binären Oppositionen in Gottfrieds von Straßburgs Tristan, insbesondere "Lieb" und "Leit"
- Bewertung des Nutzens und der Bedeutung der Dekonstruktion für die Literaturwissenschaft im Vergleich zu anderen Theorien
- Demonstration der dekonstruktiven Methode anhand einer konkreten literarischen Analyse
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung positioniert die Dekonstruktion im Kontext anderer Literaturtheorien und hebt deren besondere Stellung hervor. Sie betont den Unterschied zur üblichen teleologischen Zielsetzung anderer Theorien und positioniert die Dekonstruktion als Lesart. Derrida wird als zentraler Bezugspunkt genannt, und der Fokus der Arbeit auf die Darstellung der wichtigsten Eigenschaften der Dekonstruktion und deren Anwendung auf Gottfrieds von Straßburgs Tristan wird dargelegt. Die Frage nach dem Nutzen der Dekonstruktion wird als leitendes Thema vorgestellt.
Dekonstruktion: Dieses Kapitel erläutert die Grundlagen der Dekonstruktion im Vergleich zum Strukturalismus. Es wird der Unterschied zwischen Rekonstruktion und Dekonstruktion herausgearbeitet, wobei die Dekonstruktion als Aufdeckung binärer Oppositionen und deren Widersprüche beschrieben wird. Der Einfluss von Roland Barthes und Ferdinand de Saussure auf Derridas Denken wird beleuchtet. Derrida erweitert Barthes' Textverständnis, indem er die Widersprüchlichkeit der Leserzentrierung hinterfragt. Das Kapitel führt in das dreistufige dekonstruktive Leseprogramm ein: Identifizierung hierarchischer Oppositionen, Nachweis ihrer Merkmalsgleichheit und anschließende Neuetikettierung.
Versuch einer dekonstruktiven Lektüre des Tristan Gottfrieds von Straßburg: Dieses Kapitel präsentiert eine Anwendung der Dekonstruktion auf Gottfrieds von Straßburgs Tristan. Es konzentriert sich auf die zentrale binäre Opposition von "Lieb" und "Leit" und untersucht, wie diese Opposition im Text konstruiert und gleichzeitig dekonstruiert wird. Der Fokus liegt auf der Aufdeckung der Widersprüche und der gemeinsamen Struktur der scheinbar gegensätzlichen Begriffe. Durch die Analyse des Textes wird die dekonstruktive Methode Schritt für Schritt demonstriert, von der Identifizierung der Oppositionen über den Nachweis ihrer Merkmalsgleichheit bis hin zur Neuetikettierung.
Schlüsselwörter
Dekonstruktion, Poststrukturalismus, Jacques Derrida, Literaturtheorie, Mediävistik, Gottfried von Straßburg, Tristan, binäre Oppositionen, Lieb, Leit, Lesart, Strukturalismus, Roland Barthes, Ferdinand de Saussure.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Dekonstruktion und mediävistische Literaturwissenschaft: Eine Analyse von Gottfrieds von Straßburgs Tristan"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Dekonstruktion als poststrukturalistische Literaturtheorie und ihre Anwendung auf die mediävistische Literaturwissenschaft. Im Mittelpunkt steht die Analyse von Gottfrieds von Straßburgs Tristan, um die dekonstruktive Methode praktisch zu demonstrieren.
Welche Aspekte der Dekonstruktion werden behandelt?
Die Arbeit erläutert die Grundlagen der Dekonstruktion, ihren Unterschied zum Strukturalismus, und das dreistufige dekonstruktive Leseprogramm (Identifizierung hierarchischer Oppositionen, Nachweis der Merkmalsgleichheit, Neuetikettierung). Der Einfluss von Jacques Derrida, Roland Barthes und Ferdinand de Saussure wird beleuchtet.
Wie wird die dekonstruktive Methode angewendet?
Die dekonstruktive Methode wird anhand einer Analyse der binären Opposition "Lieb" und "Leit" in Gottfrieds von Straßburgs Tristan Schritt für Schritt demonstriert. Der Fokus liegt auf der Aufdeckung der Widersprüche und der gemeinsamen Struktur scheinbar gegensätzlicher Begriffe.
Welche zentralen Theorien und Autoren werden diskutiert?
Die Arbeit bezieht sich zentral auf die Theorien von Jacques Derrida, Roland Barthes und Ferdinand de Saussure. Der Strukturalismus wird als Gegenpol zur Dekonstruktion dargestellt und deren Unterschiede werden herausgearbeitet.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in eine Einleitung, ein Kapitel zur Dekonstruktion, ein Kapitel zur dekonstruktiven Lektüre von Gottfrieds Tristan und eine Schlussbemerkung. Zusätzlich enthält sie ein Inhaltsverzeichnis, eine Zusammenfassung der Kapitel, die Zielsetzung und Themenschwerpunkte sowie Schlüsselwörter.
Was ist das Ziel der Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Dekonstruktion als Literaturtheorie verständlich darzustellen und ihren praktischen Nutzen für die Literaturwissenschaft, insbesondere im Bereich der Mediävistik, zu demonstrieren. Sie bewertet den Nutzen der Dekonstruktion im Vergleich zu anderen Theorien und untersucht deren spezifische Anwendung auf ein konkretes literarisches Werk.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt?
Schlüsselwörter sind: Dekonstruktion, Poststrukturalismus, Jacques Derrida, Literaturtheorie, Mediävistik, Gottfried von Straßburg, Tristan, binäre Oppositionen, Lieb, Leit, Lesart, Strukturalismus, Roland Barthes, Ferdinand de Saussure.
Wie wird der Unterschied zwischen Strukturalismus und Dekonstruktion dargestellt?
Die Arbeit hebt den Unterschied zwischen Rekonstruktion (Strukturalismus) und Dekonstruktion hervor. Während der Strukturalismus nach Ordnung und kohärenten Systemen sucht, enthüllt die Dekonstruktion die Widersprüche und Instabilitäten innerhalb solcher Systeme, indem sie binäre Oppositionen aufdeckt und deren Hierarchien hinterfragt.
Welche Rolle spielt Gottfrieds von Straßburgs Tristan in der Arbeit?
Gottfrieds von Straßburgs Tristan dient als Fallbeispiel, um die praktische Anwendung der dekonstruktiven Methode zu illustrieren. Die Analyse konzentriert sich auf die zentrale binäre Opposition "Lieb" und "Leit" und untersucht deren Konstruktion und Dekonstruktion im Text.
- Quote paper
- Till Hurlin (Author), 2004, Dekonstruktion - Poststrukturalistische Literaturtheorie und ihre Anwendung in der mediävistischen Literaturwissenschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26915