Am 2. Oktober 1991 hörten zwei bis dato eng miteinander verbundene Institutionen auf zu
existieren. Dabei handelte es sich zum Einen um die Nationale Volksarmee (NVA) und zum
Anderen um das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), dessen Aufgabe unter Anderem darin
bestand, die NVA und ihre Angehörigen zu überwachen. Dabei ging es nicht nur um die Abwehr
von Spionagetätigkeiten anderer Geheimdienste, sondern auch um die Überprüfung der Soldaten
hinsichtlich ihrer politischen Zuverlässigkeit. Zur Erfüllung dieser Aufgabe bediente sich die
Hauptabteilung I (HA-I), die zum Ende der 80er Jahre mit ca. 2.000 hauptamtlichen Mitarbeitern zu den personell stärksten Abteilungen des MfS zählte, beispielsweise eines dichten Netzes an inoffiziellen Mitarbeitern (IM). Das Absicherungsverhältnis, die so genannte IM-Dichte, lag im
Idealfall bei ca. 1:20. Auf 20 Soldaten kam demnach ein IM. In strategisch wichtigen Einheiten, wie zum Beispiel im Funk- und Chiffrierdienst, sowie bei den Grenztruppen, war das Absicherungsverhältnis weitaus höher. Die Gründe dafür sind beispielsweise in der Tatsache zu suchen, dass das Chiffrierwesen im Blickfeld ausländischer Geheimdienste lag oder dass sich ein Soldat, der in grenzsichernden Einheiten diente, in prädestinierter Position für eine Fahnenflucht befand.
Die Staatssicherheit misstraute ihrer Natur nach Allem und Jedem. Jede kleinste Normabweichung war operativ bedeutsam und konnte als Widerstand gewertet werden. Dabei ist zu beachten, dass der
Widerstandsbegriff der Staatssicherheit ein Anderer war, als der, welcher in der vorliegenden Arbeit
verwandt werden wird. Die Quellenlage deutet darauf hin, dass aus Sicht des MfS alles als
Widerstand gelten konnte, frei nach dem Prinzip »wer nicht für Uns ist, ist gegen Uns«. So finden sich im Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU) tausende Akten über operative Personenkontrollen, in denen die betroffenen Soldaten beispielsweise auf geheimdienstliche Tätigkeiten überprüft wurden, weil sie oder ihre Ehefrauen Kontakt zu Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) hatten, denn gemäß der Geheimhaltungsvorschriften der NVA war es den Soldaten untersagt, Westkontakte zu unterhalten. Ob ein solches Verhalten aus der Sicht des Historikers als Widerstand verstanden werden kann, wird – unter anderem- Gegenstand dieser Arbeit sein.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 1.1 Allgemeines
- 1.2 Widerstand oder widerständisches Verhalten? Eine Begriffsdefinition
- 1.3 Quellenlage
- 2 Nonkonformität und Widerstand in den Streitkräften und bei den Bausoldaten
- 2.1 Formen nonkonformen Verhaltens
- 2.2 Formen der Verweigerung
- 2.2.1 Arbeits-, Befehls- und Gelöbnisverweigerungen bei den Bausoldaten
- 2.2.2 Befehlsverweigerungen in den Teilstreitkräften
- 2.3 Formen des Protests
- 2.3.1 Entpflichtungsgesuche von Berufssoldaten und Austritte aus der SED
- 2.3.2 Eingaben als Form des Protests
- 2.3.3 Mündlich- und schriftlich-negative Äußerungen
- 2.3.4 Unterschiede bei der Äußerung von Protest
- 2.4 Formen des Widerstands
- 2.4.1 Fahnenflucht
- 2.4.2 Die Totalverweigerung als Form des Widerstands
- 2.5 Die „EK-Bewegung“: ein Sonderfall im Rahmen dieser Untersuchung
- 2.5.1 Entstehung und Auswirkungen der „EK-Bewegung“
- 2.5.2 Einordnung der „EK-Bewegung“ im Zuge dieser Untersuchung
- 3 Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Verhalten von Angehörigen der Nationalen Volksarmee (NVA) im Kontext der Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Ziel ist es, verschiedene Formen von Nonkonformität, Protest und Widerstand zu analysieren und deren Einordnung im Kontext der DDR-Gesellschaft zu diskutieren. Dabei wird insbesondere auf die unterschiedliche Behandlung von Bausoldaten und regulären Soldaten eingegangen.
- Definition und Abgrenzung von Nonkonformität, Protest und Widerstand in der DDR.
- Analyse verschiedener Formen des nonkonformen Verhaltens innerhalb der NVA.
- Untersuchung der Überwachungsmethoden des MfS gegenüber NVA-Angehörigen.
- Vergleich des Verhaltens von Bausoldaten und regulären Soldaten.
- Einordnung der „EK-Bewegung“ im Kontext der NVA und des MfS.
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Dieses einleitende Kapitel legt die Grundlage der Arbeit, indem es den historischen Kontext der Auflösung der NVA und des MfS im Jahr 1991 beschreibt. Es erläutert die Überwachungsmethoden des MfS, insbesondere die Rolle der inoffiziellen Mitarbeiter (IM), und stellt die Problematik der Definition von "Widerstand" in den Mittelpunkt. Der Autor hebt die Diskrepanz zwischen der Interpretation des MfS und einer historisch fundierten Betrachtungsweise hervor, und deutet die Komplexität der Thematik an.
2 Nonkonformität und Widerstand in den Streitkräften und bei den Bausoldaten: Dieses Kapitel analysiert verschiedene Formen nonkonformen Verhaltens, der Verweigerung und des Protests innerhalb der NVA und unter den Bausoldaten. Es werden konkrete Beispiele wie Arbeits-, Befehls- und Gelöbnisverweigerungen, Entpflichtungsgesuche, Eingaben und negative Äußerungen detailliert beschrieben. Das Kapitel hebt die Unterschiede in der Äußerung von Protest zwischen verschiedenen Gruppen hervor und untersucht den Sonderfall der „EK-Bewegung“, ein Phänomen, das im Kontext der NVA spezifisch betrachtet wird. Besonders herausgestellt werden die unterschiedlichen Möglichkeiten des Widerstands zwischen Bausoldaten und regulären Soldaten der NVA, wobei die besondere Situation der Bausoldaten aufgrund ihres nicht-waffenbezogenen Dienstes hervorgehoben wird. Die Kapitel beschreiben umfassend die Methoden des Protests und des Widerstands der einzelnen Gruppen und bieten detaillierte Beispiele, um die Vielfalt der Handlungsweisen zu belegen.
Schlüsselwörter
Nationale Volksarmee (NVA), Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Widerstand, Nonkonformität, Protest, Bausoldaten, „EK-Bewegung“, Überwachung, DDR, politische Zuverlässigkeit, Fahnenflucht, Westkontakte, Begriffsdefinition.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Analyse von Nonkonformität und Widerstand in der NVA
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert das Verhalten von Angehörigen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR im Kontext der Überwachung durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS). Der Fokus liegt auf verschiedenen Formen von Nonkonformität, Protest und Widerstand, sowie deren Einordnung in die gesellschaftlichen Gegebenheiten der DDR. Besonders wird der Unterschied zwischen dem Verhalten von Bausoldaten und regulären Soldaten untersucht.
Welche Formen von Nonkonformität, Protest und Widerstand werden untersucht?
Die Arbeit untersucht ein breites Spektrum an Verhaltensweisen, darunter Arbeits-, Befehls- und Gelöbnisverweigerungen, Entpflichtungsgesuche, Eingaben, mündliche und schriftliche negative Äußerungen, Fahnenflucht und die Totalverweigerung. Ein besonderer Fokus liegt auf der „EK-Bewegung“ als spezifischen Fall innerhalb der NVA.
Wie wird die „EK-Bewegung“ in dieser Arbeit behandelt?
Die „EK-Bewegung“ wird als Sonderfall im Rahmen der Untersuchung betrachtet. Die Arbeit analysiert ihre Entstehung, Auswirkungen und Einordnung im Kontext der NVA und des MfS.
Welche Rolle spielt das MfS in dieser Arbeit?
Das MfS spielt eine zentrale Rolle, da seine Überwachungsmethoden und die daraus resultierende Repression einen wichtigen Kontext für das Verständnis von Nonkonformität, Protest und Widerstand innerhalb der NVA bilden. Die Arbeit beleuchtet die Überwachungsmethoden des MfS, insbesondere die Rolle der inoffiziellen Mitarbeiter (IM).
Wie werden Bausoldaten in dieser Arbeit berücksichtigt?
Die Arbeit vergleicht explizit das Verhalten von Bausoldaten und regulären Soldaten der NVA. Die besonderen Bedingungen und Möglichkeiten des Widerstands für Bausoldaten aufgrund ihres nicht-waffenbezogenen Dienstes werden hervorgehoben.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln: Kapitel 1 (Einleitung) legt den historischen Kontext und die methodische Grundlage der Untersuchung dar. Kapitel 2 (Nonkonformität und Widerstand in den Streitkräften und bei den Bausoldaten) analysiert verschiedene Formen von Nonkonformität, Protest und Widerstand detailliert anhand von Beispielen. Kapitel 3 (Resümee) fasst die Ergebnisse zusammen.
Welche Schlüsselwörter sind relevant für diese Arbeit?
Wichtige Schlüsselwörter sind: Nationale Volksarmee (NVA), Ministerium für Staatssicherheit (MfS), Widerstand, Nonkonformität, Protest, Bausoldaten, „EK-Bewegung“, Überwachung, DDR, politische Zuverlässigkeit, Fahnenflucht, Westkontakte, Begriffsdefinition.
Welche Zielsetzung verfolgt diese Arbeit?
Die Arbeit zielt darauf ab, verschiedene Formen von Nonkonformität, Protest und Widerstand innerhalb der NVA zu analysieren und deren Einordnung im Kontext der DDR-Gesellschaft zu diskutieren. Es geht um die Definition und Abgrenzung dieser Begriffe im DDR-Kontext und den Vergleich des Verhaltens verschiedener Gruppen innerhalb der NVA.
- Quote paper
- Michael Breska (Author), 2013, Das Verhalten Angehöriger der Nationalen Volksarmee (NVA) im Spiegel des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/268408