Die Arbeit beschäftigt sich mit randgrammatischen Erscheinungen, d.h. mit dem diskrepanten Status bestimmter Konstruktionen in der Grammatik: "Infinite Hauptsatzstrukturen" und "verblose Sätze". Es wird ein detaillierter theoretischer Rahmen gelegt und eine Tabelle mit verschiedenen Sätzen zur formalen Klassifikation im Anhang bereitgestellt.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Thematische Hinführung
1. Die wichtigsten Thesen und Ergebnisse des Artikels
2. Formale Klassifikationen randgrammatischer Konstruktionen
2.1 Tabellarische Analyse
2.2 Argumentation für die Behandlung der Konstruktionen als „satzwertig”
3. Detaillierte Betrachtung der Konstruktion Ich und CDU wählen?!
3.1 Kritische Betrachtung des Repräsentationsformats „NPn -( und)- infnitivische Verbalgruppe
3.2 Diskussion über die Einordnung der Konstruktion in das Satzmodussystem nach Altman
4. Diskussion für und gegen den Ausschluss „verbloser Sätze” aus dem Satzmodussyste
Fazit und Forschungsausblick
Anhang: Tabelle zur formalen Klassifikation
Literaturverzeichnis
Thematische Hinführung
Der Status bestimmter Konstruktionen in der Grammatik ist bis heutzutage äußerst umstritten, was v.a. aus der generativgrammatischen Beschränkung auf die Beschreibungsebenen der Satzgrammatik resultiert (vgl. Brücker 2012: 30).[1] Hier sind zum einen „infinite Hauptsatzstrukturen“ (Fries 1983: 29) und zum anderen „verblose Sätze“ (Jacobs 2008: 5) zu nennen, welche nicht dem Prototyp eines ‚gewöhnlichen‘ deutschen Satzes entsprechen, der laut universalgrammatischen Beobachtungen und einzelsprachlichen Spezifika aus einer nominativischen Nominalphrase sowie einer konjugierten Verbalphrase besteht (vgl. Fries 1987: 75, 1983: 3). Daraus resultiert die Frage der Einordnung, d.h., ob diese linguistischen Phänomene als Satztypen oder als Konstruktionen kategorisiert werden sollten. Dieses Problem und die damit einhergehende Uneinigkeit wird bereits im Titel dieser Ausarbeitung deutlich. Es geht also weiterhin um die Diskussion, die Konstruktionen „bestimmten Grundtypen als Spezialisierungen zuzuordnen“ oder eben als „eigenständige Satz- bzw. Konstruktionstypen“ zu kategorisieren (Finkbeiner 2008: 54). Laut Fries ist bereits in diesem Kontext die unabdingbare Unterscheidung zwischen dem randgrammatischen und dem kerngrammatischen Bereich des Sprachsystems zu treffen, da die „satzwertigen randgrammatischen Konstruktionen“ (Fries 1987: 82), wie der Name impliziert, der Randgrammatik zugeordnet werden, im Gegensatz zu dem System der Satztypen, welche der Kerngrammatik angehören. Bei dem durchaus kontroversen Begriff der Satzwertigkeit und des Satzmodus werden zur Veranschaulichung und Argumentation v.a. die zwei gegensätzlichen Positionen von Fries und Altmann herangezogen.
Selbst heutzutage schließen sich zahlreiche Linguisten der Ansicht Chomskys (1981) an, dass Konstruktionen kein essenzieller Bestandteil der Grammatiktheorie seien (vgl. Jacobs 2008: 3). Im Gegensatz dazu existieren neuere Grammatikmodelle, in denen Konstruktionen sehr wohl eine bedeutende Rolle spielen, so v.a. in der Construction Grammar, die sich u.a. damit auseinandersetzt, welche sprachlichen Phänomene durch die Annahme von Konstruktionen besser als auf andere Weise erfasst werden können (vgl. Jacobs 2008: 3-4). Die empirisch adäquate Konstruktionsgrammatik beschreibt Phänomene, die einer regelbasierten Analyse nicht unbedingt zugänglich sind. Hiermit grenzt sie sich explizit von der erklärungsstarken Ableitungs- bzw. Derivationsgrammatik ab, die den Satztyp als Ergebnis eines Zusammenspiels morphologischer und syntaktischer Merkmale betrachtet (vgl. Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann 1992). Im Gegensatz dazu definiert Altmann den Satzmodus als Zusammenfassung von arbiträren Merkmals-Bedeutungsverbindungen (vgl. Altmann 1993: 1007), was wiederum als Gemeinsamkeit zu der Definition von Konstruktionen zu sehen ist. Exakt an diesem Punkt kommt die Frage auf, inwieweit die verschiedenen Ansätze sinnvolle Überscheidungspunkte aufweisen. Zu deren Beantwortung soll in dieser Arbeit ein Beitrag geleistet werden, indem z.B. im vierten Kapitel die konträren Ansätze Altmanns und Fries‘ gegenüberstellend betrachtet werden.
Es waren Fries‘ frühe Arbeiten, die einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet haben bzw. die Grundlagen dafür gelegt haben, dass die betreffenden Konstruktionen im Rahmen der Konstruktionsgrammatik erfasst werden. Eine dieser Arbeiten, „Zu einer Randgrammatik des Deutschen“, steht im Zentrum der Ausarbeitung. Die betrachteten Konstruktionen sind zweierlei: zum einen wird es um „infinite Hauptsatzstrukturen“ und zum anderen um „verblose Sätze“ gehen, die zuerst formal analysiert werden und dann einer genaueren Überprüfung unterzogen werden, welche je nach Kapitel die Konzepte Satzwertigkeit, Satzmodus und Sprechaktpotenzial mit in Betracht zieht. Dabei wird deutlich, dass der Ausdruck „verbloser Satz“ nach der Argumentation von Fries bereits einen Widerspruch in sich beinhaltet, da man bei Konstruktionen der Randgrammatik niemals von Sätzen spricht (vgl. Fries 1987: 82). Deshalb wird die Konvention, diesen Ausdruck in Anführungszeichen zu schreiben, durchgängig eingehalten. Es handelt sich bei diesem, in der Literatur durchaus vorkommendem, Ausdruck um eines der zentralen Probleme in dieser Ausarbeitung — nämlich der Überlegung, welche Charakteristika „Sätze“ bzw. satzwertige Konstruktionen eigentlich ausmachen.
1 Die wichtigsten Thesen und Ergebnisse des Artikels
Der zentrale in diesem Artikel behandelte Gegenstand sind Phrasen, die als sogenannte „satzwertige Konstruktionen“ aus der Kerngrammatik des Deutschen herausfallen. Bislang gab es dafür verschiedene, teils gar nicht zutreffende Klassifikationsversuche als „Reduktionsformen gewöhnlicher Satzmuster“, „verkürzte Ausdrücke“, „Ellipsen“ oder „Tilgungen“, welche Fries für die in seiner Arbeit untersuchten Phrasen begründet ablehnt (Fries 1987: 76; vgl. dazu auch Finkbeiner 2008: 53).[2] Die Tatsache, dass diese Auffassungen weitestgehend semantisch-pragmatisch geprägt waren, versperrte der weiterführenden und eingehenderen gesamtgrammatischen Betrachtung den Weg. Fries zeigt auf, dass die Phrasen weder in ihrer Semanto-Pragmatik noch in ihrer Syntax, Morphologie und Phonologie mit „vollständigen Sätzen“ übereinstimmen und bezieht in seiner Ausführung auch die Rolle des Hörers und des Sprechers sowie die Erkenntnisse aus den transformationsgrammatischen Versuchen entsprechender Formalisierungen mit ein (vgl. 76-79).
Fries kategorisiert die Konstruktionen in Typen, indem er die grammatischen und z.T. pragmatischen Eigenschaften in Betracht zieht und Regelmechanismen aufzeigt, welchen diese Konstruktionstypen unterworfen sind und sich klar von solchen für „gewöhnliche Sätze“ unterscheiden. Es tritt beispielsweise trotz Anwesenheit eines Subjekts keine Verbflexion auf (z.B. Ich und CDU wählen!). Weiterhin gibt es für Subjekt-NPs Restriktionen, welche nicht auf lexikalische Eigenschaften von Verben zurückzuführen sind, sondern auf die speziellen Eigenschaften des Konstruktionstyps (z.B. *Keiner und CDU wählen!).Es gibt eine besondere Artikeldistribution, (z.B. Einfahrt freihalten!), die wiederum für andere Konstruktionen nicht gilt (z.B. Ich und die Einfahrt freihalten!; vgl. 79-80) . Um die Beispielphrasen sinnvoll zu kategorisieren, besteht also die Notwendigkeit, entsprechende Regeln für jeweils einzelne Konstruktionstypen zu entwickeln, und dies mit Bezug auf phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Phänomene (vgl. 80).
Es folgt nun die zentral bedeutsame Definition von Kern- und Randgrammatik (vgl. 80): Die erstere deckt den Bereich des Sprachsystems ab, der sowohl sprachspezifisch als auch über-einzelsprachlich motivierbar ist, und die letztere bezieht sich auf jeden Bereich des Sprachsystems, welcher durch starke grammatische Besonderheiten gekennzeichnet ist und häufig über sprachtypologische Idiosynkrasien verfügt (von griech. idio-synkrasía ‚eigentümliche Zusammenmischung‘; vgl. Bußmann 2002: 290). Diese Unterscheidung ist notwendig und unabdingbar für Fries‘ weitere Argumentation, da sich die behandelten Konstruktionen von den Regeln der Kerngrammatik erheblich unterscheiden und somit der Randgrammatik zugehörig sind (z.B. Du Schwein!; vgl. 81). Daraus resultierend wird der zentrale Begriff „satzwertige Konstruktion von L (Ksw(L))“ (82) eingeführt, welcher randgrammatische und kerngrammatische Typen einschließt und damit Konstruktionen beider Grammatikbereiche als satzartig ausweist, da sie sich in bestimmten Hinsichten wie ein Satz verhalten, nämlich grammatischen (und nicht pragmatischen) Regeln unterliegen. Der Begriff „Satz“ dürfe für die hier vorliegenden randrammatischen satzwertigen Konstruktionen allerdings nicht verwendet werden.
Es folgen darauf acht Thesen zu den Hauptkennzeichen dieser randgrammatischen satzwertigen Konstruktionen, die eine Trennung zwischen Diskurs- und Satzgrammatik intendieren, um spezielle grammatische Eigenarten betreffender Konstruktionen ermitteln zu können (vgl. 83). Ausnahmen davon bilden Konstruktionen mit diskusgrammatischen Regeln und kontrastiv-linguistischen Phänomene, die für sich nicht isolierbar sind. Bei den acht Hauptkennzeichen der satzwertigen randgrammatischen Konstruktionen handelt es sich eher um Tendenzen als um notwendige Eigenschaften (vgl. 84-85): Sie verfügen über einen hohen Grad an konstruktioneller Distributionsbeschränkung ( Ich Trottel!, *Er Trottel!) und über einen hohen Grad an konstruktionstypischen Idiosynkrasien, die sich auch auf syntaktische Regeln beziehen können ( Trottel der!). Unter dieses Kriterium fallen auch die Imperativsätze als randgrammatische Konstruktion durch das „Pronomen-Dropping“ (85). Des Weiteren verfügen die Konstruktionen über eine genaue Selektion bestimmter Tonmuster, d.h. es erfolgt eine Platzierung der Tonsilbe mit nur einem erlaubten Tonmuster (vgl. Kommst du jetzt wohl her!); aber auch zwei bis drei Haupttonsilben sind möglich (vgl. 86). Weiterhin besitzen die randgrammatischen satzwertigen Konstruktionen eine starke Tendenz zur Formelhaftigkeit und Idiomatisierung, was v.a. durch den nicht variierbaren lexikalischen und morphologischen Bestand und die festgelegte syntaktische Struktur deutlich wird. Es gilt in Bezug auf die strukturelle Festgesetztheit zu beachten, dass randgrammatische Konstruktionen dennoch nicht einfach unter die Gruppe der Phraseologismen klassifiziert werden können (vgl. Guten Tag / Abend / Morgen.; vgl. 86-87). Sie verfügen über einen hohen Vagheitsbereich und viele unklare Fälle, die je nach Sprecher unterschiedlich bewertet werden, sodass die Akzeptabilitätsbewertung entsprechender Phrasen weitestgehend subjektiv geprägt ist (vgl. 87-88). Die Konstruktionen sind zudem an Situations- und Textspezifika gebunden, d.h., sie werden durch pragmatische und außergrammatische Faktoren mitbestimmt. Typisch ist deren Verwendung in der Werbung und auf Schildern (vgl. 89). Aufgrund dessen können semantische Regularitäten ausschließlich situations- bzw. textspezifisch formuliert werden: es herrscht ein verwischtes Verhältnis von Semantik und Pragmatik vor (vgl. 90). Es handelt sich in hohem Grade um einzelsprachlich-spezifische Konstruktionsmuster, was impliziert, dass die Konstruktionen meist nicht ohne Weiteres auf andere Sprachen übertragbar sind (vgl. Guten Tag. / * Good day.). Sie können nur in bestimmten situativen bzw. textuellen Typen auftreten und in anderen wiederum nicht, was nicht aus universalen pragmatischen Voraussetzungen ableitbar ist, sondern sprachspezifisch selektiert wird (vgl. 90). Ausnahmen zu universell bevorzugten Relationen bilden sie deshalb, weil sie über viel semantisches Gehalt bei wenig phonologischem Material verfügen (vgl. Gib her!).
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass der systemtheoretisch fundierbare Standort der Randgrammatik in zwei Weisen peripher ist, nämlich zum einen in Bezug auf einzelsprachlich-systembedingte Besonderheiten und zum anderen in Bezug auf universal bevorzugte Tendenzen (vgl. 92). Dies wurde bei Fries‘ Thesenaufstellung verdeutlicht. Allgemein ist die Randgrammatik durch ein hohes Maß an Markiertheit gekennzeichnet, was zu besonderen Herausforderungen beim Spracherwerb, v.a. beim Zweitsprachenerwerb führt, da sie ein hohes Lernpotenzial erfordern.
2 Formale Klassifikationen randgrammatischer Konstruktionen
2.1 Tabellarische Analyse
Im Folgenden werden 13 „randgrammatische satzwertige Konstruktionen” (Fries 1987: 82) auf formaler Ebene analysiert, um zu untersuchen, inwieweit die soeben vorgestellten von Fries aufgestellten Thesen sinnvoll sind. Relevante Formmerkmale bei einer solchen Untersuchung sind laut Altmann (1993) viererlei: kategoriale und morphologische Merkmale sowie Reihenfolgemerkmale und intonatorische Merkmale. Die intonatorischen und morphologischen Merkmale wurden aufgrund ihrer geringen Aussagekraft für diese Untersuchung weggelassen.[3] Daraus ergibt sich eine sinnvolle Einteilung der tabellarischen Übersicht, die im Anhang als „Tabelle zur formalen Klassifikation“ zu finden ist. Auf der Basis der Kriterien Verbstellung, Verbmodus und Vorkommen einer w-Phrase lassen sich laut Altmann (1993) die grundlegenden Satztypen bestimmen, welche jeweils dem entsprechenden Modus zugeordnet werden können; durch die Angabe weiterer Formmerkmale können dann evtl. neue periphere Satzmodi gebildet werden (vgl. Finkbeiner 2008: 47). Diese Überlegung wird für den weiteren Diskussionsverlauf dieser Ausarbeitung von zentralem Interesse sein.
[...]
[1] Eine Definition von „Konstruktionen“, wie sie in der vorliegenden Arbeit verwendet werden, wird von Jacobs (2008: 5-8) bereitgestellt.
[2] Alle nun folgenden in diesem Kapitel genannten Seitenzahlen beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf Fries, Norbert (1987): Zu einer Randgrammatik des Deutschen.
[3] Dies liegt v.a. darin begründet, dass die intonatorischen Merkmale specherindividuell realisiert werden können; es besteht keine feste Einigkeit über die Korrektheit und handelt sich daher um „ungesichertes Terrain“ (Altmann 1993: 1016). Für eine detaillierte Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Satzmodus und Intonation siehe Altmann, Hans (1988): Satzmodus und Intonation. Gewisse Erkenntnisse dieses Artikels sind durchaus auch auf die satzwertigen Konstruktionen übertragbar, so z.B. die Grundfrequenz mit dem Tonhöhenverlauf (vgl. Altmann 1988: 2), der Hauptakzent (4-9), die Richtung des F0-Verlaufs in der Hauptakzentsilbe (11) sowie individuelle Strategien (12). Zu der Vernachlässigung der morphologischen Merkmale bleibt zu sagen, dass diese im Deutschen eine untergeordnete Rolle spielen und einen geringen Anteil an der Konstituierung im Satzmodussystem einnehmen (vgl. Altmann 1993: 1013). Weitaus bedeutender ist diese Kategorie erst bei Sprachen mit einem reichen Flexionssystem, wie etwa den finnischen Sprachen (vgl. Altmann 1993: 1013).
- Arbeit zitieren
- B.Ed. (Bachelor of Education) Greta Johanna Nußhart (Autor:in), 2013, „Infinite Hauptsatzstrukturen” und „verblose Sätze” im Deutschen: Satztypen oder Konstruktionen oder beides?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/266235
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