„Die aktuelle politische Diskussion um die Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechts, die politische Entwicklung innerhalb des vereinten Europas (Freizügigkeit für EU-Bürger, Diskussion um Erweiterung der EU) und die immer wieder neu aufflammende erregte Debatte über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus legen nahe, daß auch im Bereich der Jugendhilfe, speziell in der Erziehungsberatung der Blick auf die Notwendigkeit und Qualität von interkultureller Beratungsarbeit gelenkt wird“, so die Stellungsnahme der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) zur Arbeit mit Familien, die von Migration betroffen sind am 6. Oktober 2002 (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. [Online]. 2002). Die Forderung nach interkultureller Kompetenz in der Beratungsarbeit, die die Stellungnahme der bke so eindringlich bestimmt, ist so alt, wie sie aktuell ist. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen für sich: wohnten 1961 noch 686.000 Ausländer in den alten Bundesländern, so lebten 1985 schon 4.379.000 ausländische Mitmenschen, davon allein 6.800 jugendliche Flüchtlinge, in der Bundesrepublik Deutschland (Hundsalz, 1995, S. 181). Insbesondere der Kinder- und Frauen-Anteil stieg in diesem Ze itraum extrem an. Hundsalz (1995) erklärt dies, zumindest in Teilen, mit der Durchführung von Familienzusammenführungs-Programmen, die damals zu den stark unterstützten Forderungen der Politiker gehörten. Heute hat sich der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung fast verdoppelt. Den Ergebnissen des Ausländerzentralregisters zufolge stieg die Zahl der Ausländer bis Ende 2001 auf 7.319.000 an, wobei die Verteilung der Geschlechter mit 3.948.000 Männern und 3.370.000 Frauen ungefähr gleich ist (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online]. 2002). Damit beträgt der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung 8,9% (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online ]. 2002). Genauere statistische Verteilungsangaben kann der interessierte Leser in Anhang A und B nachlesen. Der hohe Anteil an nicht-gebürtigen Deutschen ist nur ein Grund, aber wohl der offe nsichtlichste, warum eine Erziehungsberatung, die den Zeichen der Zeit Rechnung tragen möchte auf interkulturell ausgerichtete Beratung nicht verzichten darf und kann. [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
TEIL A – STATISTISCHE ANGABEN SOWIE EINE EINFÜHRENDE DARSTELLUNG IN DIE LEBENSWIRKLICHKEIT VON MIGRANTEN IN DEUTSCHLAND
1. Noch mehr Zahlen!
2. Die Lebenswirklichkeit von Migrationsfamilien in Deutschland
Teil B AUFGABEN UND PROBLEME DER MODERNEN INTERKULTUREL-LEN ERZIEHUNGSBERTUNG
3. Aufgaben der interkulturellen Erziehungsberatung
3.1. „Migration als kritisches Lebensereignis“
3.2. Integration ausländischer Kollegen
3.3. Die Persönlichkeit des interkulturell geschulten Erziehungsberaters
3.4. Weiterführende konkrete Aufgaben an einen multikulturellen Beratungsprozess
3.5. Ressourcenorientierung
4. Probleme der interkulturellen Erziehungsberatung
Teil C REALISIERUNG INTERKULTURELLER ERZIEHUNGSBERATUNG
5. Der Arbeitskreis Neue Erziehung (ANE) e.V., Berlin-Kreuzberg
Ausblick
Anhang A - Entwicklung der Ausländischen Bevölkerung von 1980 bis
Anhang B - Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung
Anhang C - Ausländische Bevölkerung nach Altersgruppen
Anhang D - Ausländischen Bevölkerung nach Geburtsland am
Literaturverzeichnis
Einführung „Es hat sich herumgesprochen, Deutschland ist ein Einwanderungsland“ (Verband Kinder und Jugendarbeit Hamburg e.V. [Online]. 2002, S. 11)
„Die aktuelle politische Diskussion um die Neuordnung des Staatsbürgerschaftsrechts, die politische Entwicklung innerhalb des vereinten Europas (Freizügigkeit für EU-Bürger, Diskussion um Erweiterung der EU) und die immer wieder neu aufflammende erregte Debatte über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus legen nahe, daß auch im Bereich der Jugendhilfe, speziell in der Erziehungsberatung der Blick auf die Notwendigkeit und Qualität von interkultureller Beratungsarbeit gelenkt wird“, so die Stellungsnahme der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (bke) zur Arbeit mit Familien, die von Migration betroffen sind am 6. Oktober 2002 (Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. [Online]. 2002). Die Forderung nach interkultureller Kompetenz in der Beratungsarbeit, die die Stellungnahme der bke so eindringlich bestimmt, ist so alt, wie sie aktuell ist. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sprechen für sich: wohnten 1961 noch 686.000 Ausländer in den alten Bundesländern, so lebten 1985 schon 4.379.000 ausländische Mitmenschen, davon allein 6.800 jugendliche Flüchtlinge, in der Bundesrepublik Deutschland (Hundsalz, 1995, S. 181). Insbesondere der Kinder- und Frauen-Anteil stieg in diesem Zeitraum extrem an. Hundsalz (1995) erklärt dies, zumindest in Teilen, mit der Durchführung von Familienzusammenführungs-Programmen, die damals zu den stark unterstützten Forderungen der Politiker gehörten. Heute hat sich der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung fast verdoppelt. Den Ergebnissen des Ausländerzentralregisters zufolge stieg die Zahl der Ausländer bis Ende 2001 auf 7.319.000 an, wobei die Verteilung der Geschlechter mit 3.948.000 Männern und 3.370.000 Frauen ungefähr gleich ist (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online]. 2002). Damit beträgt der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung 8,9% (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online]. 2002). Genauere statistische Verteilungsangaben kann der interessierte Leser in Anhang A und B nachlesen.
Der hohe Anteil an nicht-gebürtigen Deutschen ist nur ein Grund, aber wohl der offensichtlichste, warum eine Erziehungsberatung, die den Zeichen der Zeit Rechnung tragen möchte auf interkulturell ausgerichtete Beratung nicht verzichten darf und kann. Jede Vielfalt an Lebensformen führt notwendigerweise zu einer pluralistischen Gesellschaft und jede pluralistische Gesellschaft sollte an sich den Anspruch stellen, dieser Vielfalt mit einer ihr entsprechenden Pluralität an psychosozialen Versorgungssituationen und Arbeiten begegnen zu wollen (Mecheril, 1998). Erziehungsberatungsstellen, die besondere Konzepte zum Thema „Kinder aus Migrantenfamilien“ entwickelten, profitierten deutlich davon. Lag der Anteil ausländischer Kinder in den Beratungsstellen 1992 noch bei 142 Kindern, so wurden 1998 schon circa dreimal so viele Kinder, nämlich 418 Kinder, beraten (Birtsch & Bange. [Online]. 2001).
Die Frage der Realisierung interkultureller Erziehungsberatung ist das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit. Anfangs dient die Darstellung statistischer Angaben und der Lebenswirklichkeit von Migranten in Deutschland der Sensibilisierung für die anschließend behandelte Problematik. Teil B bearbeitet den eigentlichen Leitgedanken, die Aufgaben und Probleme, die mit einer interkulturellen Erziehungsberatung verbunden sind. Die Ausarbeitung schließt in Teil C mit der Vorstellung des Arbeitskreis Neue Erziehung e.V., Berlin-Kreuzberg, einem Beispiel wie interkulturelle Familienberatung verwirklicht werden kann.
TEIL A STATISTISCHE ANGABEN SOWIE EINE EINFÜHRENDE DARSTELLUNG IN DIE LEBENSWIRKLICHKEIT VON MIGRANTEN IN DEUTSCHLAND
1. NOCH MEHR ZAHLEN!
Der nicht abreißende Strom von Asylsuchenden in den 80er und 90er Jahren veranlasste die Bundesrepublik Deutschland 1998 zur Einführung einer im Vergleich zu den Vorjahren erneut verschärften Visumspflicht. Doch auch diese Maßnahme bewirkte keine Verringerung der Zahl der Einreisenden. Vor allem der jugendlichen Flüchtlinge lassen sich von Gesetzen nicht einschüchtern, „denn wenn auch die Gesetzesänderungen eine Verschärfung der Einreisebedingungen vorsehen, so bleiben weltweit die Bedingungen, die zur Flucht führen, unverändert und damit die Motivation, in Deutschland Schutz zu suchen, unvermindert“ (Woge e.V., 1999, S. 207). So ist davon auszugehen, dass allein in Hamburg der Anteil der Jugendlichen mit einem spezifischen Migrationshintergrund bei ca. 25-30% liegt (Verband Kinder und Jugendarbeit Hamburg e.V. [Online]. 2002).
Insgesamt stellten im Jahr 2000 die unter 18-Jährigen eine Gruppe von 1.611.000 Jugendlichen und Kindern dar (Anhang C) (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online]. 2002). Anfang der 80er Jahre kamen die Asylsuchenden vor allem aus den Ländern Südostasiens, aus Eritrea und Äthiopien. Mitte der 80er Jahre galten insbesondere Afghanistan, Bangladesh, Sri Lanka, der Iran und die Türkei als Länder, aus denen Flüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland einwanderten (Woge e.V., 1999, S. 207). Ende 2001 lebten als größte Bevölkerungsgruppe außereuropäischer Staaten 98.555 Iraner in Deutschland, gefolgt von Einwanderern aus Ländern wie Vietnam, Marokko, Afghanistan, China Libanon, Sri Lanka, Indien, u.a. (Anhang D) (Statistisches Bundesamt Deutschland. [Online]. 2002). Bei allen Angaben bitte ich den Leser jedoch nicht zu vergessen, dass derartige Zahlen und Verteilungen immer der Beeinflussung durch politische Ereignisse unterliegen. Und egal wie scharf Gesetze gemacht werden, gerade Jugendliche und Kinder lassen sich davon nicht beeindrucken.
2. DIE LEBENSWIRKLICHKEIT VON MIGRANTIONSFAMILIEN IN DEUTSCHLAND
Aus der „Ambivalenz zwischen den Erwartungen der eigenethnischen und der fremdethnischen Bezugsgruppe, zwischen Akzeptanz und Diskriminierung“ (Jaede, 1993, S. 87) entstand der Begriff „Akkulturationsstress“ (Jaede, 1993, S. 87), ein Zustand, den jeder nur zu gut kennt, der schon längere Zeit im Ausland gelebt hat. Die negative Stresssituation verschärft sich extrem, wenn das Individuum erneut oder auch aus der Vergangenheit heraus wirksame Diskontinuitäten im Erleben, Entwicklungsbrüche in der Ausformung einer eigenen Persönlichkeit und kulturelle Inkonsistenzen, kurz gesagt das Aufeinanderprallen zweier Kulturkreise erfährt. Das Empfinden dieses Kulturschocks ist nicht selten traumatisch: das eigene kulturelle Wertesystem verliert seine Gültigkeit. Die aus diesem Zusammenbruch individueller Identitätswerte resultierenden psychischen Konflikte äußern sich nicht selten in depressiven Symptomen, einer erhöhten Aggressionsbereitschaft, Konzentrationsstörungen, etc. (Jordan, 1999). Um der Übersichtlichkeit dieser Ausarbeitung Rechnung zu tragen fasst die folgende Tabelle 1 die Gründe, Folgen und Auswirkungen der psychosozialen Streßsituationen überblicksartig zusammen. Die drei Spalten sind unabhängig von einander zu lesen, die Zeilen dieser Auflistung stehen in keinem Kausalzusammenhang. Zu beachten ist, dass Kinder von dieser Problematik in verstärktem Ausmaß betroffen sind.
Tabelle 1 Gründe, Folgen und Symptomatik psychischer Probleme von Migranten (Hundsalz, 1995; Jaede, 1993; Jordan, 1999; Bundeskonferenz für Erziehungsberatung. [Online]. 2002; Birtsch & Bange. [Online]. 2001; Roche Lexikon Medizin. [Online]. 2002)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darüber hinaus ist es wichtig zu erkennen, daß es sich bei der Lebensproblematik von Migranten nicht nur um Schwierigkeiten in einer Generation handelt. Gerade die generationsübergreifenden Konflikte verschärfen die Gesamtsituation in beträchtlichem Ausmaß. „Kulturelle Inkonsistenz und Streß in der zweiten Generation“ wecken das Gefühl der „Ambivalenz, seit Jahrzehnten in Deutschland zu leben, aber als Einwanderer politisch nicht akzeptiert zu sein“ (Jaede, 1993, S.99). Die ältere Generation hegt den Wunsch nach Rückkehr während die jüngere Generation schon stärker in Deutschland verwurzelt ist. Im Vergleich deutscher und türkischer Normsysteme (Anhang D) zeigt sich der „Widerspruch zwischen heimatlich-kultureller und fremd-kultureller Orientierung“ (Jaede, 1993, S. 99):
Tabelle 2 Rangfolge der Norm- und Wertvorstellungen, wie sie von muslimisch- versus christlich-geprägten Jugendlichen vertreten wurde (Schuh, 2001, S 286)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Exkurs: Grundlagen juristischer Beratung von Fluchtkinder
An dieser Stelle ist es mir persönlich wichtig, einen Exkurs über die Grundlagen juristischer Beratung von Fluchtkindern einzuschieben. Der Leser kann diesen Absatz durchaus überspringen, dadurch wird das Verständnis der folgenden Ausführungen nicht beeinträchtigt. Auf der anderen Seite stellen minderjährige, unbegleitete Flüchtlingen auch heute noch einen extrem hohen Anteil aller Asylsuchenden in Deutschland dar. Darüber hinaus erklärt dieser Exkurs, warum jeder Mensch in der Bundesrepublik Deutschland ein Recht auf angemessene Beratung hat. Und dieses ist für Einwanderer ein ganz zentrales, aber oft nicht genutztes, beziehungsweise nicht eindeutig angebotenes Recht.
Der Rechtsbereich für minderjährige Flüchtlinge beschränkt sich auf deutsch-nationaler Ebene auf das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) sowie den gesetzlichen Kinder- und Jugendschutz. Auf internationaler Ebene sollen das Haager Minderjährigenschutzabkommen und die UN-Konvention über die Rechte des Kindes aufklären. Meines Erachtens nach liegt der zentrale Punkt dieses Themas in §1 Abs.1 des KJHG begründet: „Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 5). Eingeschränkt wird diese Feststellung durch §6 Abs.2: „...wenn sie rechtmäßig oder aufgrund einer Duldung ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben“ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2000, S. 42). Da aber Abschiebeverfahren oft zeitlich nicht überschaubar sind, fordert Hubert (1991, S. 11): „Da minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge, wie die Erfahrung lehrt...auf nicht absehbare Zeit im Bundesgebiet verweilen werden, begründen sie bereits mit ihrer Einreise ihren im Sinne des Art.1 MSA gewöhnlichen Aufenthalt im Inland“. Als notwendige Folge ergibt sich die uneingeschränkte Öffnung jeder Leistungsbeanspruchung auch für minderjährige, unbegleitete Flüchtlinge (Jordan, 1999).
Darüber hinaus impliziert §1 des KJHG mit dem Begriff der „Eigenverantwortlichkeit“ auch das Recht des Ratsuchenden, Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern. Dieses Recht ist vor allem für sozial benachteiligte Familien, vorrangig. Da sie vielfach „den Sinn und die Möglichkeit der Selbstbestimmung aus den Augen verloren“ haben gilt als Grundsatz: „je weniger sozial schwache Familien in der Lage sind, ihr soziales Recht zu erkämpfen, desto eher muß Hilfe darauf abzielen, sie zunächst in den Zustand zu versetzen, sich zu artikulieren und die Selbstbestimmung wiederzufinden“ (Hundsalz, 1995, S. 156).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass ausländische Mitbürger mindestens einen ebenso großen Bedarf an erzieherischer Unterstützung aufweisen wie deutsche Familien, und dass sie vor allem auch das Recht auf Inanspruchnahme dieser Hilfe besitzen. Trotzdem nehmen Migranten das Angebot der Familienberatungsstellen in weniger Fällen als deutsche Eltern, Jugendliche und Kinder dies tun wahr. Die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung erklärt diese Ungleichverteilung nach Birtsch & Bange (Birtsch & Bange. [Online]. 2001) durch die zu „geringe Vertrautheit ausländischer Eltern mit solchen Einrichtungen“, „die geringe Kenntnis über Erziehungsschwierigkeiten, die erst dann wahrgenommen werden, wenn es zu einem auffälligen Verhalten kommt“, „die Vorbehalte, sich gegenüber dem meist deutschen und ausschließlich deutschsprachigen Personal zu öffnen und sich ihm anzuvertrauen“, durch „die Furcht vor einer Entfremdung der Kinder von den heimatlichen Normen“ und „die Sorge, wegen der Inanspruchnahme Benachteiligungen ausgesetzt zu sein“.
Es sollte deutlich geworden sein, wie drängend es einer Konzeption in der Erziehungsberatung bedarf, die sich mit spezifischeren Fragen über ein Hilfeangebot im Rahmen „normaler deutscher Erziehungsmuster“ hinausgehend beschäftigt. Wie einführend schon angedeutet, erfordern multikulturelle Gesellschaften eine äquivalente Pluralität an psychosozialen Versorgungssituationen. Diese dürfen sich nicht nur über Quantitäten definieren sondern die Qualität entscheidet in letzter Instanz über das Gelingen jeder Beratungstätigkeit. Es stellt sich folglich die Frage nach der inhaltlichen Konzeption von Erziehungsberatungsstellen mit hohen Zulaufraten an Ausländern. Auf diese Frage kann es nur eine Antwort geben: eine konzeptuell ausgearbeitete interkulturelle Erziehungsberatung, die Wissen und Fertigkeiten im Umgang mit anderen Kulturen zum einen ihr Eigen nennt, zum anderen aber auch in der Lage ist, dieses Faktenwissen über Handlungswissen an die Ratsuchenden weiterzugeben: das Schlagwort lautet „interkulturelle Handlungskompetenz“.
TEIL B AUFGABEN UND PROBLEME DER MODERNEN INTERKULTURELLEN ERZIEHUNGSBERATUNG
3. AUFGABEN DER INTERKULTURELLEN ERZIEHUNGSBERATUNG
Im folgenden möchte ich mich den Ausführungen von Mecheril (1998) anschließen, dass streng genommen „alle Formen psychosozialer Beratung auch Formen der interkulturellen Beratung [darstellen]...Jede menschliche Begegnung ist eine interkulturelle Begegnung“ (Mecheril, 1998, S. 239). Der Begriff „Kultur“ beschreibt das Gesamt der Lebensweisen einer Menschengruppe (die Gruppe kann nach beliebigen (Kombinationen von) Kriterien definiert sein wie Physiognomie, Besitz eines Zertifikats, Verwandtschaft, Kompetenzen, Vollzug eines Rituals), das die Lebensweise des einzelnen Gruppenmitglieds grundlegend beeinflußt, wie auch das Gesamt der Lebensweisen der Menschengruppe durch die Lebensweise des Gruppenmitglieds beeinflußt wird“(Mecheril, 1998, S. 241). Darüber hinaus ist „Kultur“ aber auch eine Konstruktion. Aussagen über Menschen dieser Gruppe erzeugen erst diese als Gruppe. Wer wann und wo zu einer Gruppe gehört oder dieser außen vor steht ist demnach abhängig von der individuellen Wahrnehmungs-, Bedürfnis- und Interessensperspektive der beobachtenden Personen, ganz gleich ob diesen nun Selbst- oder Fremdberichte zugrunde liegen.
In der Widerspiegelung der ethnisch-kulturellen Pluralität erfordert dieser Ansatz multikulturelle Teams in der konkreten Beratungsituation. Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen und sozialen Probleme wie jugendlichem Rechtsradikalismus, Schulen mit hohem Ausländeranteil, bikulturellen Partnerschaften, etc. zeichnet sich darüber hinaus ein Sachverhalt ab, den die internationale Wirtschaft schon lange erkannt hat: dass heutzutage interkulturelle Handlungskompetenzen auf keiner Ebene mehr wegzudenken sind: „ohne interkulturelle Kompetenz geht gar nichts“ (Goddar, 2002). Der Begriff „Interkulturelle Handlungskompetenz“ impliziert grundlegend das „Wissen und...[den] Umgang mit dem Phänomen der Ungleichheit, dessen...Aspekte Macht und inhaltliche Differenz sind“ (17, S. 243). Inhaltliche Differenzen bestehen zum Beispiel in den unterschiedlichen Werten und Normen von Gruppen, im Erleben und Ausdruck von Emotionen, im Geschlechterverhältnis, der Geschlechtsrollenvorgaben, der Bedeutung der Eltern, dem Identitätskonzept, den Erfahrungen und dem Umgang mit Intimität, Tabus, etc. (Mecheril, 1998). Macht entsteht aus den eigenen materiellen (Geld, Statussymbole) und psychosozialen (zum Beispiel Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis) Privilegien.
Welche Aufgaben ergeben sich nach diesen Ausführungen nun für die Erziehungsberatungsarbeit, wenn sie den Anspruch interkultureller Beratungen erfüllen will? Was muss eine Beratung leisten, die vor dem Hintergrund der Migration als kritischem Lebensereignis arbeitet? Wie können mulikulturelle Teams ihre Zuständigkeiten verteilen und miteinander kooperieren? Wie sieht die Persönlichkeit des interkulturell geschulten Erziehungsberaters aus? Welche weiterführenden, ganz konkreten Aufgaben stellen sich an den multikulturell-orientierten Beratungsprozess? Was bedeutet der Begriff „Ressourcenorientierung“ in diesem Zusammenhang? Mit diesen Fragenbeschäftigen sich die folgenden sechs Abschnitte.
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- Quote paper
- Christina Hunger (Author), 2003, INTERKULTURELLE ERZIEHUNGSBERATUNG - "Multiple Realitäten erfordern multiple Identitäten", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/26564
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