Der "Ostend-Roman" von Manfred Esser wirft in 37 kurzen Kapiteln auf 256 Seiten ein Schlaglicht auf etwa sechzehn Stunden im Leben einiger Menschen, die, charakterlich und sozial höchst unterschiedlich in ihre Welt gestellt, dieses Arbeiterviertel im Stuttgarter Osten bewohnen. Indem der Erzähler eine Welt in ihren Nebensächlichkeiten schildert und sie, "sinnfällig, an ihnen erkennen" will, beschreibt er so den Arbeits- und Familienalltag der Menschen, spürt ihren Gefühlen, Wünschen, Konflikten und Zwängen nach bis hin zu den politischen Auseinandersetzungen, die in diesem Sommer des Jahres 1973 diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung, rebel
- Handelnde Personen
- Motive
- Raum und Zeit
- Komposition und Sprachstil
- Fazit
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Textanalyse zu Manfred Essers "Ostend—Roman" befasst sich mit der Analyse der literarischen Gestaltung des Romans und untersucht die Lebenswelt der Bewohner des Stuttgarter Arbeiterviertels Ostend. Die Analyse beleuchtet die komplexen Beziehungen zwischen den Figuren, ihre individuellen Motive und die sozialen Verhältnisse, in denen sie leben.
- Die Darstellung des Lebensalltags in einem Arbeiterviertel
- Die individuellen Motive und Konflikte der Figuren
- Die Rolle von Raum und Zeit im Roman
- Die sprachliche Gestaltung und die Erzählstruktur
- Die Suche nach Sinn und Hoffnung in einer entfremdeten Welt
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung, rebel: Der "Ostend—Roman" von Manfred Esser wirft in 37 kurzen Kapiteln auf 256 Seiten ein Schlaglicht auf etwa 16 Stunden im Leben einiger Menschen, die, charakterlich und sozial höchst unterschiedlich, dieses Arbeiterviertel im Stuttgarter Osten bewohnen. Indem der Erzähler "eine Welt in ihren Nebensächlichkeiten schildern und sie, sinnfällig, an ihnen erkennen" (S. 200) will, beschreibt er so den Arbeits— und Familienalltag der Menschen, spürt Ihren Gefühlen, Wünschen, Konflikten und Zwängen nach bis hin zu den politischen Auseinandersetzungen, die in diesem Sommer des Jahres 1971 diskutiert werden.
- Handelnde Personen: Der Roman handelt von einer Gruppe von Menschen, die aber wenig mehr gemeinsam haben als Bewohner des selben Stadtteils zu sein. Man kann sie nicht als ein auf ein gemeinsames Ziel hinarbeitendes Kollektiv bezeichnen wie etwa Anna Seghers' "Fischer von St. Barbara" zu groß ist der Widerstreit eigenbrötlerischer Interessen bzw. die Apathie und Selbstbezogenheit der eigenwilligen Charaktere, die z.B. nicht einmal Im Streit um formale Fragen der Betriebsverfassung eine gemeinsame Linie finden können (S. 254"). Anfangs— und Endzustand der erzählten Welt liegen demgemäß nicht weit voneinander entfernt: die Protagonisten haben zwar innerhalb zweier Tage und der dazwischen liegenden Nacht etwas durchlebt und an sich erfahren, aber nichts weist darauf hin, daß es zu einer dauerhaften Änderung ihrer Lebensumstände kommen wird.
- Motive: Essers Roman soll etwas über die Lebensweise und Existenzbedingungen von Menschen In einer bestimmten Weltgegend erzählen. Dabei verweisen eine Reihe von immer wiederkehrenden Motiven auf Grundbedingungen, Grundgesetze der erzählten Welt. An erster Stelle stehen natürlich die körperlichen Bedürfnisse und damit das Essen, egal Ob schale Hausmannskost oder raffiniertere, verheißungsvollere Genüge. Schon nach den ersten Seiten fällt auf, wie oft Lebensmittel zur Sprache kommen oder für Vergleiche herbeigezogen werden: "Brezeln und Laugenbrötchen, Magentee, Margarine, Marmeladebrötchen" (S. 21), "Kartoffelschnitz ond Spätzle, Nudeln und Kartoffeln In Wasser—suppe, ) herrliches Fleisch und gedämpftes Gemüse, ( Kasseler Hals 500g für 3.49 DM" (S. 13), "eine Tasse Ochsenblut, Sozialfleisch als flankierende Maßnahme" (S. 37). "Frau Nelle am Morgen trinkt Grapefruitsaft am liebsten, weil es eine amerikanische Kreuzungs—frucht ist ein Erfolg" (S. 16). "Man behandle den Popo des Frl. Dr. Glück als Plumpudding man nehme ihre Brüste wie Pfirsichen (S. 41) — an erster Stelle steht, mit Ausnahme von Ulli Müller, der lieber Valium und am liebsten Heroin zu sich nimmt und schon von Colaeis kotzen muß, das Essen und die alkoholischen Getränke. Beim Essen und beim Trinken kommen die Menschen am ehesten zusammen, streiten und versöhnen sich und sprechen sich vorsichtig aus. Doch schon die Ernährungsgewohnheiten verraten einiges: Gscheidle trinkt morgens am liebsten Bier auf nüchternen Magen, Hedwig verlangt Schnaps, die Schlachthofarbeiter hingegen schlucken routinemäßig Ihre "Tasse Qchsenblut, körperwarm" und "reißen den besten Bullen die Eier weg" (S. 19). In der erzählten Welt steht die Lebenserhaltung auf unterster Stufe im Mittelpunkt, nur wo diese gesichert Ist und durch Alkoholzufuhr gedeckelt, werden Lebenskräfte auch für anderes frei.
- Raum und Zeit: Die Helden unseres Romans sind einsam, aber meist nicht allein. Im Ehebett schnarcht der Gatte, um den Frühstückstisch herum drückt sich der Nachwuchs, In den öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zur Arbeit herrscht drangvolle Enge. Doch auch die beständige Gegenwart von Nächsten und Fernsten funktioniert, abgesehen von plötzlichen Gewaltausbrüchen nachts in anonymen U—Bahn—Haltestellen oder Raufereien in den Kneipen, genauso reibungslos wie überhaupt der ganze, streng gegliederte Alltag der Ostendbewohner auf der Basis langjähriger, gewohnheitsmäßiger gegenseitiger Einspielung. Auch die Freizeit ist beinahe ritualisiert In dem magischen Dreieck Bett — Arbeitsplatz — Kneipe bzw. Wohnzimmer mit dem Fernseher. Innerhalb dieser einzelnen Raumpunkte, die zu genau festgelegten Zeiten besetzt werden, spielt sich nichts Außergewöhnliches ab: die einen trinken am Frühstückstisch Espresso und lesen dabei die Rubrik "Rond om da Gaskessel" (S. 31), die anderen hocken schon morgens bei Bier und Bildzeitung in ihrer Stammkneipe. Der Aktionsradius des Einzelnen Ist eng, das Bewegungsfeld bietet keine Überraschungen: "Tagtäglich morgens die Eile, ein Bohnenkaffee auf der Spüle, unbedingt die zweite 5 erwischen, die aus Heumaden kam. Um 5 Uhr 45 erreichte die Feuerbach, von der Haltestelle waren es 300 Meter zum Betrieb, ein rascher Trab, umkleiden, und um 5 Uhr 55 die Stechuhr stupfen" (S. 84). Die Arbeitszeit der Lohnsklaven wird durch strenge Akkordvorgaben bestimmt, ihre Freizeit durch die Zahl der Striche auf dem Bierdeckel oder durch das abendliche Fernsehprogramm mit der heute—Sendung pünktlich um 19.30 Uhr. Aus diesem Zeitgitter mit seinen räumlichen Eckpunkten gibt es kaum ein Entrinnen; so überfällt der große Tröster Schlaf die Menschen immer, wenn sonst gerade nichts anderes vorliegt. Dennoch erfahren wir nichts über Träume oder Erinnerungen der handelnden Personen, Gegenwart und Anwesenheit sind während des Taglebens unserer Helden immer so drängend und dringlich 'da', die unmittelbar gelebten Augenblicke immer so bewußtlos und dunkel, daß in der nachfolgenden Erschöpfung für Rückbindung an die eigene Vergangenheit oder für Reflexionen einfach kein Raum bleibt. Die Gestalten des Romans können nicht aus der Haut, In der sie stecken, mit Ausnahme von Esswein, Glück und Thiesbrummel können sie nicht von sich selbst zurücktreten, Abstand nehmen für einen kritischen Blick auf das eigene Selbst: demzufolge stellen sie keinen Speicher dar für Erfahrung, Zeit und Welt, "ein leichtlebiger Stoff ist das Dasein" (S. 214). Das Personal der Erzählung ist in all seinen Handlungen der dinglichen Welt verhaftet, die Flüchtigkeit des Erlebens scheint nicht einmal Geruchsspuren zu hinterlassen, ihr Altern ist ein rein mechanischer Prozeß ohne Zusammenhang mit individuellen, prägenden Erlebnissen: "Es Ist bezeichnend, was In der Erinnerung Ist, und es ist doppelt bezeichnend, was aus ihr heraustritt. Und was nicht heraustritt, eingekellert bleibt, sozusagen radioaktiver MÜII , sei doppelt und dreifach verreckt" (S. 81 ). Das Grubenleben Im Stuttgarter Kessel erinnert an den beständigen Rundlauf der Gefangenen in Platons Höhlengleichnis: Immer wieder wirft der Erzähler einen Blick hinauf zum Himmel, "im Osten waren die Sterne auf gegangen und emporgestiegen" (S. 17), als erwarte er dort ein Abbild des himmlischen Jerusalem oder einen Beweis für die Wahrheit der Ideen, doch vergeblich: "So daß sie abdanken die Sterne, die Erden der restlichen Welt" (S. 13). Bezeichnenderweise führt gerade das letzte und auch längste Kapitel mit der Überschrift "Das Fest" hinauf in eine höhergelegene Gegend, wo Frank Thiesbrummel denn auch feststellen kann: "Tja, man muß sich selbst verlassen, um sich zu belauschen" (S. 232), und Esswein, mit einem Blick auf die Festgemeinde im Waldheim, ruft aus: "Kommt unter Leute! ) Die Poesie hat das Volk dort aufzu—suchen, wo es Mensch ist. Nicht bei der Arbeit. Da ist es Maschine" (S. 233). Tatsächlich ermöglicht der Aufenthalt auf dem bewaldeten Hügel den Protagonisten eine andere Seinsweise als unten in der Stadt, was der Erzähler durch einen Wechsel von seinem sonst schnoddrigen Tonfall in einen beinahe hymnischen Stil betone: "Der ersten Brise der Höhe geben die Vier mit ihren Häuten einen feuchten Kuß. Lichtdurchlässiger und —undurchlässiger Baumbestand spendet Jung und Alt Schatten im Waldhelm auf allen Terrassen. Tief unten die mattroten Dächer des Ostens, um die Gasometergerüste und die Gaskessel glost's, und den rechten Rand des Bilds glitzert sogar eine Strecke des Neckars ab. Spitzes Kindergeschrei kommt von den Wippen, von den runden Tischen tupfen hervor die geblümten Kleider und hellen Kostüme der Frauen, die Halbliterbiere werden unter die Strohkappen, die Viertelesgläser unter die Strohhüte der Männer gehoben. Hier schien die Sonne, als täte sie gut. Welch ein Blattwerk! Über die Quadrate eines Schachbretts spielen die abgerundeten Flecken von Buchenblä ttchen. 'Renoir hätte das gemalt', sagt Iris." (S. 232f)
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen den Stuttgarter Ostend als Arbeiterviertel, die Darstellung des Lebensalltags, die individuellen Motive und Konflikte der Figuren, die Rolle von Raum und Zeit im Roman, die sprachliche Gestaltung und die Erzählstruktur sowie die Suche nach Sinn und Hoffnung in einer entfremdeten Welt.
- Quote paper
- M.A. Martin Eckert (Author), 1996, Textanalyse zum "Ostend-Roman" von Manfred Esser, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/263702
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