„Ein jeder konnte dem anderen etwas geben, was ihm fehlte, und etwas dafür empfangen.“ Mit diesen Worten charakterisierte Friedrich Schiller seine ersten intensiveren Gespräche mit seinem Zeitgenossen Johann Wolfgang von Goethe – jene Gespräche also, die sich als Ausgangspunkt einer über ein Jahrzehnt andauernden intellektuellen Kontroverse erweisen sollten, einer Zusammenarbeit, letztlich einer Freundschaft.
Schillers Aussage verweist dabei implizit bereits auf die Verschiedenheit der beiden Dichter und damit auf die eigentliche Basis ihrer Freundschaft und Zusammenarbeit: eine fundamentale Spannung unterschiedlicher Denk- und Sehweisen. Goethe, der Dichter der Natur, und Schiller, der Freiheit und Vervollkommnung des Menschen durch die Kunst erstrebt, unterscheiden sich in nicht unwesentlichen Aspekten. Indem die beiden Dichter nun aber das von dem jeweils anderen empfangen, was ihnen selbst fehlt, machen sie Epoche. Die wechselseitige Einflussnahme zwischen Goethe und Schiller ist von entscheidender Bedeutung für jene Phase ihres Schaffens, die man später als „klassisch“ bezeichnen sollte. So zeichnet sich der „klassische“ Schiller nicht zuletzt auch dadurch aus, dass er bei aller Freiheit mehr Natur gewährt. Schiller stellt die Freiheit als Thema in den Mittelpunkt seines Werks, sie ist das Grundmotiv seines Dichtens von den Räubern bis zum Demetrius, er versucht in seiner reifen Schaffensphase gleichzeitig aber auch die Natur stärker auszudrücken, natürlichere Vorgänge zu schildern, um den Menschen bei allem Freiheitsenthusiasmus – dies hatte er in seiner Selbstrezension über die Räuber noch kritisiert – nicht zu „überhüpfen“.
Diese Arbeit versucht nun, den Einfluss Goethes, des Dichters der Natur, auf Schiller, den Dichter der Freiheit, mit Blick auf Schillers Entwicklung vom Stürmer und Dränger zum Klassiker, vom radikalen Freiheitsenthusiasten zum Dichter eines ausgewogeneren Verhältnisses zwischen Freiheit und Natur aufzuzeigen. Dazu sollen zunächst die unterschiedlichen Denk- und Sehweisen der beiden Dichter herausgearbeitet werden, bevor anhand der exemplarischen Analyse zweier Schillerscher Freiheitsdramen – den Räubern und dem Tell –, wobei der Schwerpunkt auf Schillers klassischem Werk, dem Wilhelm Tell, liegen soll, die besagte Entwicklung dargestellt werden kann. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Goethe und Schiller in der geistigen Kontroverse
- Die Ausgestaltung der Freiheitsidee. Exemplarische Analysen
- Freiheit und Unnatur in den Räubern
- Freiheit in Wilhelm Tell
- Der Rütlibund
- Wilhelm Tell
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Einfluss Goethes auf Schillers Entwicklung vom radikalen Freiheitsenthusiasten zum Dichter eines ausgewogeneren Verhältnisses zwischen Freiheit und Natur. Dabei werden die unterschiedlichen Denk- und Sehweisen der beiden Dichter beleuchtet und exemplarisch anhand der Dramen „Die Räuber“ und „Wilhelm Tell“ analysiert, wobei der Fokus auf Schillers klassischem Werk, dem Wilhelm Tell, liegt.
- Die unterschiedlichen Denk- und Sehweisen von Goethe und Schiller in Bezug auf Natur und Freiheit
- Die Entwicklung Schillers vom Stürmer und Dränger zum Klassiker
- Die Ausgestaltung der Freiheitsidee in Schillers Werken
- Der Einfluss des Diskurses zwischen Goethe und Schiller auf Schillers Schaffen
- Die Darstellung des Freiheitsmotivs in Schillers Dramen „Die Räuber“ und „Wilhelm Tell“
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt die geistige Kontroverse zwischen Goethe und Schiller als Ausgangspunkt für Schillers Entwicklung vom radikalen Freiheitsenthusiasten zum Dichter eines ausgewogeneren Verhältnisses zwischen Freiheit und Natur dar. Sie hebt die unterschiedlichen Denk- und Sehweisen der beiden Dichter hervor und skizziert die Zielsetzung der Arbeit.
Goethe und Schiller in der geistigen Kontroverse
Dieses Kapitel beleuchtet die fundamentale Spannung zwischen Goethes und Schillers unterschiedlichen Denk- und Sehweisen. Es wird das erste längere Gespräch zwischen den beiden Dichtern im Jahr 1794, in dem sie über Goethes „Urpflanze“ diskutierten, als ein entscheidender Moment für ihren geistigen Austausch herausgestellt. Die Kapitel beschreibt die unterschiedlichen Ansätze von Goethe, der die Natur als Ausgangspunkt seiner Gedanken sieht, und Schiller, der sich vom Gedanken und der Freiheit ausgehend der Natur nähert.
Die Ausgestaltung der Freiheitsidee. Exemplarische Analysen
Freiheit und Unnatur in den Räubern
Dieses Kapitel analysiert Schillers „Die Räuber“ als Beispiel für die frühe Phase seines Schaffens, in der die Freiheitsidee noch radikal und von einem starken Freiheitsenthusiasmus geprägt ist.
Freiheit in Wilhelm Tell
Der Rütlibund
Dieser Abschnitt untersucht den Rütlibund in Schillers „Wilhelm Tell“ und die damit verbundene Freiheitsbewegung.
Wilhelm Tell
Dieser Abschnitt widmet sich der Figur Wilhelm Tells und seiner Darstellung des Freiheitskampfes.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen Natur, Freiheit, Freiheitsidee, Goethe, Schiller, „Die Räuber“, „Wilhelm Tell“, geistige Kontroverse, klassisches Drama, Stürmer und Dränger, Entwicklung, Akzentverschiebung, Ausgestaltung.
- Quote paper
- Michael Kepling (Author), 2012, Das Verhältnis von Natur und Freiheit in Schillers "Wilhelm Tell", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/262456