Die Frage steht an, ob Sprache und Denken objektivierend im (natur-)wissenschaftlichen Sinne sind oder es jedenfalls sein müssten? Haben wir einen so berechenbaren wie kausal erklärbaren Gegenstand als Objekt vor uns, wenn es um die Existenz und Substanz des Menschen geht? In der Philosophie, der es naturgemäß schwer fällt, immer nur philosophisch zu sein, geht es um bedeutend mehr als um Logik und berechnendes Auseinandernehmen von Brosamen der Ganzheit des Seienden zum Zwecke vorsätzlich-vordergründiger Verwertungen; es hat folglich in inniger Verwandtschaft mit der Dichtkunst mehr mit Stimmungen und dem fortgesetzten Fragen nach dem Sinn des Seins zu tun. Sein Ergebnis ist das im Dienste des staunenden Denkens zur Sprache gebrachte, das, wie Heidegger meinte, "dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht". Gesetzt den Fall, seine Existenzialontologie der Geschichtlichkeit ist weder Anthropologie noch Wissenschaft, sondern Phänomenologie, dann könnte das anstehende Thema demzufolge nicht mit einer "zu einem Instrument der Meldung und der berechenbaren Information" verkürzten und verhärteten Sprache bewältigt – nein, ziviler ausgedrückt: gestalterisch entwickelt werden. Ob Heideggers Denkweisungen zu solch anschaulichen Einblicken Anthropologie genannt werden darf oder nicht, ob sein Denken die Balance zwischen Philosophie und Wissenschaft oder gar der Mystik, Dichtung oder Religion verkörpert, scheint angesichts seiner Dialektik des Verbergens, die alles offenbart und so ins Freie, also auch auf manche seiner dunklen Lichtungen lenkt, belanglos zu sein. Sein Nach-Denken über das Sein im Ereignis des Daseins führt nicht über unsere Welt hinaus, sondern in sie hinein, in die weite Welt, die uns fremd werden will samt ihrer Frigidität, Digitalisierung, Globalisierung und Rationalisierung, die angeblich hinaus ins Ideale oder zu einem Diskurs-Ideal mit dem Konsens-Ziel der vereinheitlichten Wahrnehmungs- und Denkmöglichkeit führen sollen, damit ein meinendes, total aufgeklärtes Über-Ich herrscht, nein, Heidegger warnt nicht nur vor jeglichem Totalitätsanspruch, sondern feit auch dagegen. Er mutet uns zu, in unserem Verhalten wie in dem Verhältnis des Seins zum Seienden als Seiendem das Rätsel des Daseins staunend, aber keinesfalls fatalistisch auszuhalten.
Inhaltsverzeichnis
I. Vorbemerkungen
II. Essenz, Existenz, Existenzial & Ek-sistenz = Existenzialismus?
II.1 essentia & existentia
II.2 Existenzialien
II.3 Existenz & Ek-sistenz
II.4 In-sistente Ek-sistenzen
III. Substanz & Substanzialität
IV. Der innere Bezug von Anthropologie und Ontologie
V. Ist Heideggers Fundamentalanalyse eine Wissenschaft?
VI. Was ist Philosophie?
VII. Schlussbemerkungen
VIII. Literatur- und Abkürzungsverzeichnis
I. Vorbemerkungen
„Die Sprache ist“, so Martin Heidegger (1889-1976), „das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch.“[1] Hat er sich darin eine Arbeit vorgenommen, stellt er sich in alter Gepflogenheit nach logischen, also überwiegend wissenschaftlichen Gesichtspunkten eine sorgfältige Begriffsbestimmung voran, um sich in der hier thematisch vorgegebenen Sprachbehausung nicht fremd, sondern heimisch zu fühlen, um möglicher Weise bestätigen zu können, dass ihm die beigebrachte Sprache von einem gewissen Zeitpunkt an zu einem „im In-Sein fundierten Existenzial“[2] geworden ist.
Die fundamentalen Existenzialien sind nach Heideggers Lesart „keine theoretisch-ontischen Verallgemeinerungen“, sondern bleiben jeder „ontisch-weltanschaulichen Daseinsauslegung“[3] gewachsen, so dass die „Verallgemeinerung“ als eine „apriorisch-ontische“[4] qualifiziert werden kann und damit unter den Begriff „transzendentale ‚Allgemeinheit’“[5] fällt, die zumal in dem „existenzialen Begriff der Sorge zum Ausdruck“[6] komme, wobei noch aus einiger Entfernung die Bitte Perianders aus Korinth (um 625-585) hinzugefügt werden kann: „... nimm in die Sorge das Ganze als Ganzes“.[7] Das klingt umfassend bedenklich. Erst in dunklen Zeiten wird erkennbar, ob einem ein Licht aufgehen will, oder nochmals und immer wieder mit Heidegger gesprochen: „Das Älteste des Alten kommt in unserem Denken hinter uns her und doch auf uns zu.“[8]
Es ließe sich hier schon besorgt fragen, ob Sprache und Denken objektivierend im (natur-)wissenschaftlichen Sinne seien und es gar sein müssten? Habe ich einen so berechenbaren wie kausal erklärbaren Gegenstand als Objekt vor mir, wenn es um die Existenz und Substanz des Menschen geht? Außerhalb des „naturwissenschaftlich-technischen Vorstellens“[9] gebe es jedoch, so Heidegger, noch ein unabhängiges unmittelbares Ausdrucksvermögen: „Das eigene Wesen des Denkens und Sagens lässt sich nur einsehen in einem vorurteilsfreien Erblicken der Phänomene.“[10]
In der Philosophie, der es oft schwer fällt, immer nur philosophisch zu sein, geht es von alters her vor allem um die Fähigkeit des Staunens: „Das Erstaunen ist die Stimmung, innerhalb derer den griechischen Philosophen das Entsprechen zum Sein des Seienden gewährt war.“[11] Philosophisches Denken dürfte also bedeutend mehr als Logik und berechnendes Auseinandernehmen von Brosamen der Ganzheit des Seienden zum Zwecke vorsätzlich-vordergründiger Verwertungen sein; es hat folglich in inniger Verwandtschaft mit der Dichtkunst mehr mit Stimmungen und dem fortgesetzten Fragen nach dem Sinn des Seins zu tun. Sein Ergebnis ist das im Dienste des staunenden Denkens zur Sprache gebrachte, „das dem Zuspruch des Seins des Seienden entspricht“.[12]
Gesetzt den Fall also, Heideggers sogenannte Existenzialontologie der Geschichtlichkeit ist weder Anthropologie noch Wissenschaft, sondern Phänomenologie, wenn sie überhaupt mit einem solchen Schlagwort aufs Kreuz zu legen wäre; dann könnte das anstehende Thema demzufolge nicht mit einer „zu einem Instrument der Meldung und der berechenbaren Information“[13] verkürzten und verhärteten Sprache bewältigt – nein, ziviler ausgedrückt: gestalterisch entwickelt werden.
Es ist oft nicht einfach, den archimedischen Punkt eines eingezäunten Themas zu finden, geschweige denn den eines geistvollen und damit allezeit widerspruchsvollen Menschen. Besonders dessen Denken und Fühlen, ganz abgesehen von seinem Handeln, ist einer Sedimentationsverfallenheit ausgeliefert, die folglich bei einer pluralistischen Abfassung philosophischer Begründungen den jeweiligen Sedimentationscharakter der am Gespräch oder am Streit teilnehmenden Argumentationspartner erkennen lässt.
Wer also Heideggers Denken entsprechen will, und sei man ein noch so unbedarfter Anfänger, sollte versuchen, seinem Denken selbst auf steinigen Wald- oder verwachsenen Holzwegen entgegen zu kraxeln und zu krauchen. Derjenige, ob ganz angekommen oder nicht, dürfte dann nicht mehr allzu überrascht entdecken: Das „Haus des Seins“ ist keine gemütliche Schwarzwaldhütte, sondern das gesamte Universum - ohne Trennung in Innen und Außen - das wir trotz frühwarnender Einsichten, die Heraklits (550-480) berühmten Wort zugeschrieben werden[14], dass „alles fließt - und nichts bleibt“, festzulegen, also in Sprache zu bannen suchen, um es uns begreifbar[15] und damit auch verfügbar zu machen. Der Dichter Paul Celan (1920-1970) stellte einmal fragwürdig fest: „Alles fließt: auch dieser Gedanke, und bringt er nicht alles wieder zum Stehen?“ Jedoch der „Herrgott“ selber wollte uns vor diesem Zweifel bewahren, indem er uns aus Goethes „Prolog im Himmel“ gönnerhaft zurief: „Und was in schwankender Erscheinung schwebt, / Befestiget mit dauernden Gedanken!“[16]
Wir unvollkommenen Geschöpfe werden bei diesem „Geschäft“ immer und ringsumher an unsere Grenzen stoßen, sowohl gemäß unserer Existenz und Substanz als auch des Sinns unseres Seins in jenem Dasein, das Heidegger bekanntlich und berechtigt als ein Phänomen bezeichnete und zum Ausgangspunkt der Phänomenologie und damit zugleich der Ontologie erklärte.[17] Seine existenz-philosophische Linie, die unmissverständlich ontologischen Absichten gewidmet war, hatte freilich den Menschen im Blick, ohne ihn mit gewöhnlich abgenutzten Begriffen zu erwähnen, während dennoch sein Einfluss auf daseinsanalytische Psychiater nicht unbedeutend blieb, so auf Ludwig Binswanger (1881-1966), Medard Boss[18] (1903-1990) bis hin zu Jacques-Marie Émilie Lacan (1901-1981).
Zugleich haben wir von vornherein das Selbstverständnis seines Denkens zu beachten, das ausdrücklich „nicht auf eine ontologische Grundlegung der Anthropologie“[19] aus war, sondern auf eine „fundamentalontologische Abzweckung“[20] zielte. Schon zuvor, im § 9 seiner Universal-Ontologie „Sein und Zeit“ schrieb er: „Die existenziale Analyse des Daseins liegt vor jeder Psychologie, Anthropologie und erst recht Biologie.“[21] Obwohl seiner grundlegenden Seinsforschung durchaus eine ebenso grundsätzliche Anthropologie innewohnt, verwahrte er sich jedoch gegen eine Reduktion seines Werkes auf die in Mode gekommene Lehre von der Natur des Menschen. Dessen ungeachtet hat er den Begründer der neuzeitlichen Anthropologie, Max Scheler (1874-1928), durchaus geschätzt und ihm sogar sein Werk „Kant und das Problem der Metaphysik“ gewidmet.
Dennoch hielt ihn nichts davon ab, sich später in dem Text „Die Zeit des Weltbildes“ noch konsequenter von der Anthropologie abzusetzen, in dem er nahezu vernichtend urteilte: „Durch die Anthropologie wird der Übergang der Metaphysik in den Vorgang des bloßen Aufhörens und des Aussetzens aller Philosophie eingeleitet.“[22] Solche Widersprüche, besonders jedoch der Widerspruch zum Untertitel der Überschrift, erzeugen vorsätzlich Spannungen, die es einfallsreich zu nutzen gilt, selbst wenn man noch nicht genau weiß: warum, wozu?
Als Eckpfeiler des vorgegebenen Fundaments sind bequem die Begriffe Existenz, Substanz, Anthropologie, Philosophie und Wissenschaft auszumachen. Soeben ist unversehens der Begriff „Begriff“ ins Spiel gekommen; und so ginge das fort - fast ohne Ende - durch die unzähligen Varianten des Alphabets, denn ein Wort ergibt bekanntlich das andere - oder angemessener ausgesprochen: Begriffe neigen dazu, sich zu lösen und, aufgelöst in neuen Zusammenhängen, zu verselbständigen. Einem Einzelnen ist es unmöglich, alles durchzuspielen, aber es dürfte wohl im Sinne Georg Wilhelm Friedrich Hegels (1770-1831) bedacht bleiben, dass die Wahrheit immer nur das Ganze sein kann. Das faktisch Unmögliche bewahrt so vor dem Größenwahn, der über ein ganzes Jahrhundert ausgefüllt hat, zugleich auch vor dem voreiligen Schluss, sich einzubilden, mit St. Marx (1818-1883) oder ohne ihn die Welt samt ihrer angeblichen Geschichtsgesetze erkennen zu können, um sie dann nicht mehr interpretieren zu wollen, sondern nur noch handfest „verändern“ zu müssen.[23] Ausgerechnet solch ein halbstarkes Postulat würde angeblich „die Völker überzeugen, dass es nur ein Mittel gibt, die mörderischen Todeswehen der alten Gesellschaft abzukürzen, zu vereinfachen, zu konzentrieren, nur ein Mittel – den revolutionären Terrorismus“[24].
Jener vom europäischen Ursprung zynisch entfremdeten „Philosophie“, die nichts mehr mit dem Ursprung des Wortes, also mit der Liebe zur Weisheit zu tun hatte und haben wollte, setzte Martin Heidegger, der in einem Brief vom März 1933 deutlich vom „Widergeist der kommunistischen Welt“[25] schrieb, ein Zurück zur Substanz und Existenz sowie zum Seienden im Sein und sein Zurück zur Besinnung bei den Vorsokratikern entgegen, um solches ins Leere, also in die Utopie und gleichzeitig in die Katastrophe laufende Denken zu überwinden. Was bedeutete es ihm, etwas zu überwinden? Bezogen auf René Descartes (1596-1650) schrieb er dazu: „Überwindung aber bedeutet hier ursprüngliches Fragen der Frage nach dem Sinn, d. h. nach dem Entwurfsbereich und somit nach der Wahrheit des Seins, welche Frage sich zugleich als die Frage nach dem Sein der Wahrheit enthüllt.“[26]
Obwohl er kein Aufheben davon machte, hat er den anfänglichen Pakt mit den Nationalsozialisten als Irrtum aufrichtig überwunden. Übrig bleibt: „...er war für eine kurze Weile ein politischer ‚Militanter’, wie Sartre es sein ganzes denkerisches Leben hindurch war“.[27] Die in Washington geborene Journalistin Anna Applebaum (geb. 1964) stimmt diesbezüglich völlig mit dem Heidegger-Schüler Ernst Nolte (geb. 1923) überein: „So nahm der Ruf des deutschen Philosophen Martin Heidegger schweren Schaden, weil er den Nationalsozialismus kurze Zeit offen unterstützt hatte, und dies bevor Hitler seine großen Verbrechen beging. Dagegen litt der französische Philosoph Jean-Paul Sartre überhaupt nicht darunter, dass er in der Nachkriegszeit, als jeder, der sich dafür interessierte, bereits genügend über Stalins Grausamkeiten wissen konnte, die Sowjetunion lautstark verteidigte.“[28]
Ich werde mir aus der Gegebenheit meiner Veranlagung heraus, da ich ja auch in meiner „Eigentlichkeit“ leben möchte, die Freiheit nehmen (müssen), mich dem mir abwechslungsreich vorkommenden Thema assoziativ in essayistischer Sprachform zu nähern, so dass ich das, was mir einfällt (Heidegger: „Wir kommen nie zu Gedanken. Sie kommen zu uns.“[29]), erst nachträglich zu gliedern versuche, was freilich hauptberuflichen „Methodikern“ unangenehm auffallen wird. Gerechtfertigt werden soll oder kann diese Selbstbestimmung nur durch ein Denken, das in ein „Denken des Seins“[30] zu gelangen sucht, indem es sich mit seinen Fragen und seiner Sprachmöglichkeit einfach auf den Weg macht, denn: „Der Weg ist ein Weg des Denkens“.[31] Es möchte weder durch Eitelkeit noch Anmaßung, vielmehr durch Einsicht in die eigene Begrenztheit die tastenden Schritte auf dem weiten Feld der Da-Seins-Frage nicht zu einer „Technik des Erklärens aus obersten Ursachen“[32] herabwürdigen oder sich zu einer allzu geschäftigen, oft als professionell missverstandenen Beschäftigung mit der Philosophie aufblähen. Was dann? Es möchte mitdenken, nachdenken und wenn es hoch kommt: offen sein gegenüber dem, was da aus der heideggerschen Gewestheit als Lichtung in die heutige oder in mir wesende Dunkelheit zu dringen vermag. In der Not gäbe es sich auch damit zufrieden, sich wundern zu dürfen, wie es Worte, Wort für Wort, oftmals schaffen, Wort zu halten und selbst undeutlichen Sätzen einen Sinn zu leihen.
Die Besinnung auf jenen Bereich, auf dem sich das Seiende offenbaren könnte – er steht bei Heidegger für die „neuzeitliche Philosophie der Subjektivität“[33] – und ebenso „auf der Seite der Zerrissenheit – nämlich des Bewusstseins. Dieses Zerrissene ist durch seinen Riss offen für den Einlass des Absoluten. Für das Denken gilt: Die Zerrissenheit hält den Weg offen in das Metaphysische“.[34] Also? Staunen wir mal!
II. Essenz, Existenz, Existenzial & Ek-sistenz = Existenzialismus?
„Das ‚Wesen’ des Daseins liegt in seiner Existenz.“[35] Über diesen Satz, einer der wenigen knappen in Heideggers Fundamentalanalyse „Sein und Zeit“, ließe sich lange philosophieren oder wenigstens nachdenken. Die biblische Menschenauffassung, so wird in einigen Weisheitsbüchern behauptet, gehe von der These aus, dass die Essenz der Existenz vorausgehe. Bei Aristoteles (384-322) ist dann schon von „akmé“ die Rede, die im Lateinischen mit dem Begriff „fünftes Wesen“ (Quintessenz) übersetzt wurde, weil Aristoteles mit dem „Äther“ den ursprünglich vier Elementen einen weiteren Urstoff hinzugefügt hatte. In der von Hermann Bonitz (1814-1888) übertragenen „Metaphysik“ von Aristoteles ist man gut beraten, den Ausdruck des „Wesens“ durch „Substanz“ zu ersetzen, weil „Wesen“ ein recht doppeldeutiger, wenn nicht gar schillernder Begriff sein soll. Kurt Flasch (geb. 1930) meint, das „Wesen“ sei ein „korrelativer“ Begriff, der im Unterschied zu allen ständig wechselnden Erscheinungen im Sinne Heraklits wohl mehr eine „bleibende Instanz“[36] verkörpere.
Will man dem wahrscheinlich von Marcus Tullius Cicero (106-43) geprägten Kunstwort „Essenz“ auf die Spur kommen (das man im größten Wörterbuch der deutschen Sprache[37] zwischen „Essenträger“ und „Esser“ vergebens sucht, obwohl seine Derivate in alle europäischen Sprachen Einlass gefunden haben), dann findet man später bei Aurelius Augustinus (354-430) zum griechischen Wort „ousia“ noch die Übertragung „Substanz“, was darauf schließen lässt, dass zu dieser Zeit „essentia“ und „substantia“ noch austauschbar verwendet wurden. Eine lange Geschichte des Begriffes, seiner Auslegungen und seines Gebrauchs schließt sich an, die von der Philosophie in die Theologie hineinwirkt, so dass sie sich also wechselseitig durchdringen, eine eigenartige Übersetzung ins Deutsche wie „Washeit“ hervorbringend oder missverständlich als „Natur“ gebrauchend, bis schließlich der Substanzcharakter der Essenz aufgelöst und dem allgemeinen Sprachgebrauch in Essig-Essenz, Wasseraufbereitungs-Essenz und dergleichen überlassen wird.
Heidegger erwähnte „essentia“ in seinem Hauptwerk nur beiläufig und allewege zu „existentia“ in Bezug gebracht. Sich anlehnend an Søren Kierkegaard (1813-1855) benannte er in bewusster Abgrenzung zur rationalistischen Wesensphilosophie mit Existenz die menschlich-individuelle Seinsweise. Das Wesen des Seienden, das wir je selber sind, liegt angeblich „in seinem Zu-sein“[38]. Die Essenz dieses Seienden soll aus seiner Existenz, die je die meine ist, verstanden werden. Für „den Titel existentia“[39] wird stets der Ausdruck Vorhandenheit gebraucht, um die seinsbestimmende Existenz allein dem Dasein zuweisen zu können. Das Dasein, so heißt es weiter, bestimme sich „als Seiendes je aus einer Möglichkeit, die es ist und d. h. zugleich in seinem Sinn irgendwie versteht. Das ist der formale Sinn der Existenzverfassung des Daseins“.[40] Alle Explikate[41], gewonnen aus der Analyse des Daseins, seien im Hinblick auf seine Existenzstruktur als Existenzialien (u.a. Verstehen, Rede, Befindlichkeit und vor allem Sorge als Grundexistenzial) zu bezeichnen, da sie sich aus der Existenzialität gründen, während die „Seinsbestimmungen des nicht daseinsmäßigen Seienden“[42] als Kategorien zu führen seien. Existenziale Wissenschaft fundiere die logische Wissenschaft, wie die Zeitlichkeit die Räumlichkeit und die Rede den Begriff begründen. Nur in einem vorstellbaren Gott müssten Existenz und Wesenheit zusammenfallen, so dass man sagen könnte: „Das Wesen Gottes ist seine Existenz.“[43]
[...]
[1] ÜdH, S. 5
[2] SuZ, S. 54
[3] SuZ, S. 200
[4] SuZ, S. 199
[5] SuZ, S. 199
[6] SuZ, S. 200
[7] HEIDEGGER / FINK: Heraklit, S. 263
[8] AdD, S. 19
[9] PuT, S. 44
[10] PuT, S. 45
[11] Philo, S. 26
[12] Philo, S. 29
[13] PuT, S. 45
[14] Edward Hussey weist dies als „nicht herakliteisch“ zurück, siehe: Handbuch Frühe Griechische Philosophie. Von Thales bis zu den Sophisten, Stuttgart 2001, S. 90. K.-H. Volkmann-Schluck hingegen meint: Der Sache nach stammt dieses Wort durchaus von Heraklit. Es fragt sich nur, was es bedeutet.“ In: Die Philosophie der Vorsokratiker. Der Anfang der abendländischen Metaphysik, Würzburg 1992, S. 97
[15] Heidegger sagte dazu: „Inbegriff, Einbegreifen, Greifen und Begreifen ist schon an sich ungriechisch. Bei Heraklit gibt es keinen Begriff, und auch bei Aristoteles gibt es noch keinen Begriff im eigentlichen Sinne.“ In: Heidegger / Fink: Heraklit. S. 50
[16] Johann Wolfgang von GOETHE: Faust 1. Teil
[17] SuZ, S. 37: „Sachhaltig genommen ist die Phänomenologie die Wissenschaft vom Sein des Seienden – Ontologie.“
[18] Michael MAYER: „Hatte Boss sich bereits in früheren Jahren mit der Daseinsanalytik Martin Heideggers auseinandergesetzt, markierte doch erst das persönliche Zusammentreffen mit dem deutschen Philosophen 1946 einen entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben. Mit Heidegger verbanden ihn eine innige, bis zu dessen Tod 1976 anhaltende Freundschaft und eine fruchtbare Arbeitsgemeinschaft (Zollikoner Seminare). Einig waren beide sich in der Überzeugung, dass der technisch-naturwissenschaftliche Kausalismus prinzipiell die Dimension des Menschen in seiner Ganzheit verfehlen müsse.“ In: Der Daseinsanalytiker. Zum 100. Geburtstag von Medard Boss, Neue Zürcher Zeitung, (Internationale Ausgabe) 4./5. Oktober 2003, S. 36
[19] SuZ, S. 200
[20] SuZ, S. 200
[21] SuZ, S. 45
[22] Hw, S. 92
[23] Siehe 11. Feuerbach-These von Karl MARX, die übrigens noch immer widersinnig in goldenen Lettern im Vorraum der Berliner Humboldt-Universität prangt.
[24] MEW, Bd. 5, S. 457
[25] HEIDEGGER / BLOCHMANN: Briefwechsel 1918-1969, S. 60
[26] Hw, S. 92
[27] Ernst NOLTE: Geschichtsdenken im 20. Jahrhundert. Von Max Weber bis Hans Jonas, S. 481
[28] Anna APPLEBAUM: Der Gulag. Berlin 2003, S.13
[29] AdD, S. 11
[30] ÜdH, S. 8
[31] TuK, S. 5
[32] ÜdH, S. 9
[33] WhD, S. 52
[34] WhD, S. 52 f
[35] SuZ, S. 42
[36] Kurt FLASCH: Stichwort: Wesen. In: Handbuch philosophischer Begriffe. Band 6, S. 1687f.
[37] Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm GRIMM in 33 Bänden
[38] SuZ, S. 42
[39] SuZ, S. 42
[40] SuZ, S. 43
[41] Explikate: Explikation, nach Rudolf CARNAP (1891-1970) Verbesserung, Präzisierung eines im Alltagsgebrauch bzw. im vorwissenschaftlichen Stadium bereits gegebenen Begriffes. Der Begriff heißt Explikandum, das Resultat der Operation der Explikation heißt Explikat. Der Übergang vom Explikandum zum Explikat erfolgt durch einen Abstraktionsvorgang, bei dem besonders das konstruktive Element der Abstraktion im Vordergrund steht.
[42] SuZ, S. 44
[43] GA, Bd. 24, S. 116
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