Während sich bereits heftige Protestbewegungen in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre in den Straßen von Washington, Berlin oder Rom ausbreiten, hat man den Eindruck, dass die französische Gesellschaft ruhig bleibt. Nach einem berühmten vorausschauenden Artikel am 15. März 1968 „langweilt sich“ Frankreich1. Dies ist nicht ganz richtig. Zu diesem Zeitpunkt langweilt sich die Fakultät von Nanterre nicht mehr… So plötzlich scheint der Verlauf der Ereignisse ab dem 3. Mai für die überraschte Presse und französische Bevölkerung zu sein, so ungeordnet der Einfall der Studenten, so irrationell der wirre Ausdruck ihrer Empörung, als ob die Protestbewegung aus dem Nichts, aus den ungewöhnlichen Umständen entstehen würde.
Und doch kann man deren Wurzel bis zum Neomarxismus der unmittelbaren Nachkriegszeit zurückverfolgen. Die Bewegung ist zwar zunächst nur auf sehr kleine und gespaltene Kreise beschränkt. Aber zwischen diesen „Neuen Linken“, die sich in Frankreich durch vertrauliche Zeitschriften entwickeln2, und dem studentischen Aufstand Anfang Mai gibt es eine entscheidende Stufe, die in Nanterre stattfindet: Eine Verschmelzung zwischen den theoretischen Ansätzen der „Neuen Linken“, einigen tatkräftigen linksextremistischen Gruppen und dem Unbehagen der Massen der Studenten. Ende April, d.h. unmittelbar vor dem Pariser Mai, sind schon alle Bestandteile der studentischen Protestbewegung in Nanterre vorhanden und die zukünftigen Entwicklungen können nur im Licht der erworbenen Erfahrung in Nanterre verstanden werden. Denn in Nanterre kann man eine Art „Generalprobe“ des Aufstandes in kleinem Maßstab beobachten. Hier hat die sich bildende Bewegung eine Trägergruppe (die Bewegung des 22 März), Gegner (alle Vertreter der so genannten „autoritären“ Gesellschaft) und Strategien (direkte spontane Aktion) gefunden, so dass nichts Neues mehr in der ersten studentischen Phase der Revolte in Paris am 3. – 13. Mai hinzukommen muss.3
Inhaltsverzeichnis
- Einführung
- I Warum Nanterre?
- 1) Ein deprimierender Rahmen
- 2) Studenten und Lehrende
- a) Wohlhabende Studenten
- b) Motivierte Lehrende
- II Erste Konflikte in Nanterre
- 1) Aktionsbereitschaft der Studenten
- a) Die „sexuelle Segregation“
- b) Der Generalstreik von November 1967
- 2) Die Zeit der Provokation
- a) Die Schwimmbad-Affäre
- Die „Schwarzen Listen“ und der erste Einsatz der Polizei
- III Die Bewegung des 22. März
- 1) Grüppchen der Extremlinken
- 2) Entstehung der Bewegung des 22. März
- 3) Cohn-Bendit, die Bewegung und die Welt
- IV Der Zusammenbruch der Fakultät Nanterre
- 1) Chronologie von Februar bis Anfang Mai
- a) Die Abschaffung der Hausordnung in den Studentenwohnheimen
- b) Erste Aktionen der Bewegung des 22. März
- c) Die unerträgliche Spannung
- 2) Der Mobilisierungsprozess
- a) Die studentische Überschwänglichkeit
- b) Die Reaktion
- 3) Die Professorenschaft
- Schluss
- Anhang 1: Der Campus Nanterre heute
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Entstehung der Protestbewegung an der Universität Nanterre im Zeitraum von März 1967 bis April 1968. Ziel ist es, die spezifischen Faktoren zu identifizieren, die zu den Unruhen führten, und diese im Kontext der allgemeinen französischen Universitätskrise vor 1968 zu betrachten. Die Arbeit analysiert, wie sich die Bewegung entwickelte und welche Rolle verschiedene Akteure – Studenten, Professoren, und die Behörden – spielten.
- Die besonderen Bedingungen der Universität Nanterre (räumliche Lage, soziale Zusammensetzung der Studenten, etc.)
- Die Rolle der "Neuen Linken" und extremistischer Gruppen
- Der Eskalationsprozess der Konflikte und die Mobilisierung der Studenten
- Die Reaktion der Behörden und der Professorenschaft
- Nanterre als "Generalprobe" für die Ereignisse im Mai 1968 in Paris
Zusammenfassung der Kapitel
Einführung: Die Arbeit untersucht die Entstehung der Studentenproteste in Nanterre vor dem Pariser Mai 1968, indem sie die spezifischen Bedingungen und Faktoren in Nanterre analysiert und deren Bedeutung für den späteren Verlauf der Ereignisse herausarbeitet. Sie betont, dass die Proteste nicht aus dem Nichts entstanden sind, sondern auf den Kontext der "Neuen Linken", der Universitätskrise und den sozialen und räumlichen Gegebenheiten von Nanterre zurückzuführen sind.
I Warum Nanterre?: Dieses Kapitel untersucht die Gründe, warum die Protestbewegung gerade in Nanterre ihren Ausgang nahm, obwohl eine allgemeine Universitätskrise in ganz Frankreich existierte. Es werden die ungünstige Lage der Fakultät in einem isolierten Gebiet, die spezifische Zusammensetzung der Studenten (viele wohlhabende Studenten aus wohlhabenden Pariser Vierteln neben Studenten aus sozial schwächeren Verhältnissen), und die schwierigen Arbeitsbedingungen durch die unvollendete Baustelle der Universität als Schlüsselfaktoren betrachtet.
II Erste Konflikte in Nanterre: Dieses Kapitel beschreibt die ersten Konflikte an der Universität Nanterre. Es analysiert die wachsende Aktionsbereitschaft der Studenten, ausgelöst durch Faktoren wie die "sexuelle Segregation" und den Generalstreik von November 1967. Des Weiteren werden provokative Aktionen der Studenten wie die "Schwimmbad-Affäre" und die Reaktion der Behörden, inklusive des Einsatzes der Polizei, beleuchtet. Diese Ereignisse zeigen eine steigende Eskalation und Radikalisierung der Konflikte.
III Die Bewegung des 22. März: Dieses Kapitel fokussiert auf die Entstehung und Entwicklung der "Bewegung des 22. März", einer wichtigen Trägergruppe der studentischen Proteste. Es untersucht den Einfluss von kleinen linksextremistischen Gruppen und die Verbindung ihrer theoretischen Ansätze mit dem Unmut der Studentenmasse. Die Rolle von Daniel Cohn-Bendit und die Ausweitung des Einflusses der Bewegung werden ebenfalls analysiert.
IV Der Zusammenbruch der Fakultät Nanterre: Das Kapitel beschreibt den Prozess des Zusammenbruchs der Fakultät Nanterre von Februar bis Anfang Mai 1968. Es wird eine detaillierte Chronologie der Ereignisse präsentiert, einschließlich der Abschaffung der Hausordnung in den Studentenwohnheimen, frühen Aktionen der "Bewegung des 22. März" und die steigende Spannung. Die Reaktionen der Studenten, der Behörden und der Professorenschaft werden im Kontext des Mobilisierungsprozesses eingehend betrachtet.
Schlüsselwörter
Nanterre, Mai 68, Studentenbewegung, Protestbewegung, Neue Linke, Universität, Universitätskrise, Frankreich, Cohn-Bendit, Mobilisierung, Eskalation, soziale Ungleichheit, politische Repression.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Die Studentenproteste in Nanterre 1967/68
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Entstehung und den Verlauf der Studentenproteste an der Universität Nanterre von März 1967 bis April 1968. Sie untersucht die spezifischen Faktoren, die zu den Unruhen führten, und betrachtet diese im Kontext der allgemeinen französischen Universitätskrise vor 1968. Ein Schwerpunkt liegt auf der Rolle verschiedener Akteure – Studenten, Professoren und Behörden.
Warum wurde Nanterre zum Ausgangspunkt der Proteste?
Die Arbeit untersucht verschiedene Gründe, warum die Protestbewegung gerade in Nanterre begann. Dazu gehören die ungünstige Lage der Fakultät in einem isolierten Gebiet, die soziale Zusammensetzung der Studenten (Mischung aus wohlhabenden und weniger wohlhabenden Studenten), und die schwierigen Arbeitsbedingungen aufgrund der unvollendeten Baustelle der Universität. Diese Faktoren werden im Detail analysiert.
Welche Rolle spielte die "Bewegung des 22. März"?
Die "Bewegung des 22. März" war eine wichtige studentische Protestgruppe. Die Arbeit analysiert ihre Entstehung und Entwicklung, den Einfluss kleiner linksextremistischer Gruppen und die Verbindung ihrer theoretischen Ansätze mit dem Unmut der Studentenmasse. Die Bedeutung von Daniel Cohn-Bendit und die Ausweitung des Einflusses der Bewegung werden ebenfalls untersucht.
Welche Ereignisse führten zur Eskalation der Konflikte?
Die Arbeit beschreibt eine Reihe von Ereignissen, die zur Eskalation der Konflikte beitrugen, darunter die "sexuelle Segregation", der Generalstreik von November 1967, die "Schwimmbad-Affäre", und die Reaktion der Behörden, einschließlich des Einsatzes der Polizei. Diese Ereignisse werden als Indikatoren für eine steigende Radikalisierung interpretiert.
Wie reagierten die Behörden und die Professorenschaft?
Die Reaktionen der Behörden und der Professorenschaft auf die wachsende Studentenbewegung werden im Detail analysiert. Die Arbeit untersucht, wie diese Reaktionen den Mobilisierungsprozess der Studenten beeinflussten und zur Eskalation der Konflikte beitrugen.
Welche Schlüsselthemen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt verschiedene Schlüsselthemen, darunter die besonderen Bedingungen der Universität Nanterre, die Rolle der "Neuen Linken" und extremistischer Gruppen, den Eskalationsprozess der Konflikte, die Mobilisierung der Studenten, die Reaktion der Behörden und der Professorenschaft, sowie die Bedeutung von Nanterre als "Generalprobe" für die Ereignisse im Mai 1968 in Paris.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit ist gegliedert in eine Einführung, vier Hauptkapitel (Warum Nanterre?, Erste Konflikte in Nanterre, Die Bewegung des 22. März, Der Zusammenbruch der Fakultät Nanterre), einen Schluss und einen Anhang, der den Campus Nanterre heute betrachtet. Jedes Kapitel behandelt spezifische Aspekte der Studentenproteste und deren Kontext.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt?
Schlüsselwörter, die den Inhalt der Arbeit prägnant beschreiben, sind: Nanterre, Mai 68, Studentenbewegung, Protestbewegung, Neue Linke, Universität, Universitätskrise, Frankreich, Cohn-Bendit, Mobilisierung, Eskalation, soziale Ungleichheit, politische Repression.
- Quote paper
- MA Johan Thienard (Author), 2004, Vor Mai 1968 in Frankreich: Die Studenten von Nanterre (März 1967 - April 1968), Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25629