„Ich habe das Buch so geschrieben, als würden die Leute es so langsam lesen, wie ich es geschrieben habe.“ 1 Bei dem Eindruck aller Übertriebenheit, deren man sich bei dieser Aussage Uwe Johnsons zu seinem Buch Mutmassungen über Jakob gewiss nicht zu erwehren vermag, kritisiert sie gleichwohl epigrammatisch eine zeitgenössische Rezeptionshaltung, die den Leser bei der Lektüre jenes Werkes zwangsläufig scheitern lassen muss. Mit der besonderen Beschaffenheit des Buches, das bereits von Marcel Reich-Ranicki als „Provokation und unglaubliche Zumutung“ 2 charakterisiert wurde, stellt sich der Autor bewusst gegen eine dominante Form des Lesens, die „sich eigentlich nur nach Signalen orientiert“ 3 und somit dem Erwartungshorizont sowohl in Ost als auch in West quasi diametral gegenübersteht. Bereits die ersten Zeilen machen deutlich, dass dieser Roman ohne Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Mitarbeit nicht lesbar ist. So bietet das Werk der Leserschaft eine umfassende Offerte an sich ergänzenden, bisweilen widersprechenden Meinungen und lässt sie an den Schwierigkeiten der Wahrheitsfindung partizipieren. Mit der eigenwilligen formalen Anlage hat Johnson ein Werk erschaffen, das auf Grund seiner drei „Gesten des Erzählens“ eine hohe narrative Komplexität aufweist, die zu der Annahme verleitet, der Autor habe nicht eigentlich über, sondern vielmehr „gegen die bestehende Welt“ 4 geschrieben. Dies erfolgt jedoch - wie Johnson selbst konstatiert - nicht aus einem Eigensinn oder Selbstzweck heraus, sondern wird durch die Handlung gewissermaßen vorgegeben: „Die Geschichte sucht, sie macht sich ihre Form selbst.“ 5 Dass die Mutmassungen über Jakob gerade wegen ihres „ästhetischen Mehrwert[s]“ 6 in der DDR unveröffentlicht und ihren Bürgern lange Zeit unzugänglich bleiben, während sie in der westdeutschen Öffentlichkeit auf ein Publikum treffen, das mit den spezifischen Besonderheiten des ostdeutschen Lebens weitgehend unvertraut ist, lässt die Treffsicherheit der oft zitierten Formel vom „Autor der beiden Deutschland“ fragwürdig erscheinen, obgleich sie nicht über ihren unmittelbar nach der Publikation eingenommenen und mittlerweile weitgehend unbestrittenen hohen Rang in der Gegenwartsliteratur hinwegtäuschen kann. So gehören die Mutmassungen in der Bundesrepublik neben Günter Grass’ Blechtrommel und Heinrich Bölls Billiard um halbzehn nicht zuletzt der Schreibweise wegen zu den herausragenden literarischen Ereignissen des Jahres 1959. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Wirklichkeit der Mutmaßungen
- Exposition von Thematik und Erzählstruktur
- Die drei Gesten des Erzählens und ihr Einfluss auf die figurative Erinnerungsbildung
- Vorbemerkungen
- Dialoge
- Monologe
- Erzählpassagen
- Überleitung
- Zur Darstellung der zeitgeschichtlichen Situation
- Zum Bild des Sozialismus in,,Mutmassungen über Jakob"
- Besuch beim vernünftigen Leben: Jakob
- Utopiebild eines demokratischen Sozialismus: Jonas
- Funktionierendes Element im Spiel der Mächte: Rohlfs
- Deutsch-deutscher Zeitroman? – Ein abschließendes Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert Uwe Johnsons Roman „Mutmassungen über Jakob“ und untersucht dessen narrative Struktur sowie die Darstellung des Sozialismus im Kontext der deutschen Geschichte. Die Arbeit zielt darauf ab, die Problematik der Wahrheitsfindung im Roman zu beleuchten und die gesellschaftspolitische Ausrichtung des Werkes zu bewerten.
- Die narrative Struktur und die „Gesten des Erzählens“ in „Mutmassungen über Jakob“
- Die Darstellung der zeitgeschichtlichen Situation in der DDR
- Die unterschiedlichen Bilder des Sozialismus im Roman
- Die Problematik der Wahrheitsfindung in „Mutmassungen über Jakob“
- Die gesellschaftspolitische Ausrichtung des Romans
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt den Roman „Mutmassungen über Jakob“ von Uwe Johnson vor und skizziert die Forschungsfrage der Arbeit. Sie untersucht die besondere Rezeptionshaltung, die das Werk bei seinen Lesern hervorruft und geht auf die einzigartige Erzählstruktur des Romans ein. Im ersten Kapitel werden die unterschiedlichen „Gesten des Erzählens“ im Roman analysiert, die dazu beitragen, eine hohe narrative Komplexität zu erzeugen. Dabei werden Dialoge, Monologe und Erzählpassagen betrachtet und deren Einfluss auf die figurative Erinnerungsbildung untersucht. Das zweite Kapitel setzt sich mit der Darstellung der zeitgeschichtlichen Situation in der DDR auseinander und analysiert die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Geschichte des Romans angesiedelt ist. Das dritte Kapitel widmet sich den unterschiedlichen Bildern des Sozialismus, die im Roman gezeichnet werden. Hierbei werden die Figuren Jakob, Jonas und Rohlfs betrachtet und ihre jeweiligen Perspektiven auf den Sozialismus analysiert. Das Kapitel beschäftigt sich auch mit der Problematik der Wahrheitsfindung im Kontext der sozialistischen Ideologie.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit zentralen Aspekten von Uwe Johnsons Roman „Mutmassungen über Jakob“. Die wichtigsten Themen und Konzepte sind: Narrative Struktur, „Gesten des Erzählens“, DDR-Gesellschaft, Sozialismus, Wahrheitsfindung, Zeitroman, deutsche Literatur.
- Quote paper
- Tim Brüning (Author), 2004, Zur Problematik der Wahrheitsfindung in Uwe Johnsons Roman "Mutmassungen über Jakob", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25351