Die Vokabel Identität ist im 18. Jahrhundert aus dem spätlateinischen identitas entlehnt worden, dass ‚Einheit des Wesens‘ bedeutet; identisch steht für ’völlig gleich‘ bzw. ’übereinstimmend‘ (vgl. Veith 2002, S. 31). In der Soziologie ist unbestritten, dass verschiedene Parameter für die Identitätsbildung entscheidend sind. Bedeutend ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht oder Gruppe. Die Identifikation mit einer bestimmten sozialen Schicht oder Gruppe, wie etwa Arbeiter, Ehegatte, Mutter, bzw. mit Menschen die einen bestimmten Status (z.B. Alter, Geschlecht, Reichtum, Armut) inne haben, aber auch die Identifikation mit einer bestimmten Kultur, Nation oder Ethnie bilden die so genannte soziale Identität. Auch subjektive Gegebenheiten, persönliche Vorlieben und Interessen spielen eine Ro lle. Ein wichtiger Teil der menschlichen Identität ist die sprachliche. Diese entsteht durch die Identifikation mit einer Sprache und deren Varietäten (z.B. Dialekte) und deren Sprechern. Den Erstspracherwerb bezeichnet man als primäre, den Erwerb der Zweitsprache als sekundäre sprachliche Sozialisation. Die Identitätsbildung (sowohl sozial als auch lingual) kommt erst nach dem jungen Erwachsenenalter zu einem vorläufigen Abschluss (vgl. Veith 2002, S. 31 f.). [...]
Inhalt
1. Identität
1.1 Zum Begriff der Identität
1.2 Symbolischer Interaktionismus
1.3 Ausbildung der sprachlichen Identität
2. Sprachnormen
2.1 Soziale Kontrolle
2.2 Selektion
2.3 Sprachhandlungsnormen
2.4 Subkulturen
3. Idiolekt
3.1 Sprachliche und parasprachliche Sprechermerkmale
3.2 Register
Bibliographie
1. Identität
1.1 Zum Begriff der Identität
Die Vokabel Identität ist im 18. Jahrhundert aus dem spätlateinischen identitas entlehnt worden, dass ‚Einheit des Wesens‘ bedeutet; identisch steht für ’völlig gleich‘ bzw. ’übereinstimmend‘ (vgl. Veith 2002, S. 31). In der Soziologie ist unbestritten, dass verschiedene Parameter für die Identitätsbildung entscheidend sind. Bedeutend ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Schicht oder Gruppe. Die Identifikation mit einer bestimmten sozialen Schicht oder Gruppe, wie etwa Arbeiter, Ehegatte, Mutter, bzw. mit Menschen die einen bestimmten Status (z.B. Alter, Geschlecht, Reichtum, Armut) inne haben, aber auch die Identifikation mit einer bestimmten Kultur, Nation oder Ethnie bilden die so genannte soziale Identität. Auch subjektive Gegebenheiten, persönliche Vorlieben und Interessen spielen eine Rolle. Ein wichtiger Teil der menschlichen Identität ist die sprachliche. Diese entsteht durch die Identifikation mit einer Sprache und deren Varietäten (z.B. Dialekte) und deren Sprechern. Den Erstspracherwerb bezeichnet man als primäre, den Erwerb der Zweitsprache als sekundäre sprachliche Sozialisation. Die Identitätsbildung (sowohl sozial als auch lingual) kommt erst nach dem jungen Erwachsenenalter zu einem vorläufigen Abschluss (vgl. Veith 2002, S. 31 f.).
1.2 Symbolischer Interaktionismus
Der Umwelt kommt bei der Identitätsbildung eine entscheidende Bedeutung zu. Gemäß George Herbert Mead lebt der Mensch nicht nur in einer natürlichen, sondern auch in einer symbolisch vermittelten Umwelt, d.h. der Mensch erwirbt im Rahmen seiner Identitätsbildung Symbole, die in der Gesellschaft verwirklicht sind (auch Sprache ist ein solches Symbol). Die Grundlage der Identitätsbildung ist für Mead also eindeutig gesellschaftlicher Natur; sie erfolgt im Rahmen des sog. symbolischen Interaktionismus. Mead erläutert diesen wie folgt:
„Es kann keine scharfe Trennungslinie zwischen unserer eigenen Identität und der Identität anderer Menschen gezogen werden, da unsere eigene Identität nur soweit existiert und als solche in unsere Erfahrung eintritt, wie die Identitäten anderer Menschen existieren und als solche ebenfalls in unsere Erfahrung eintreten. Der Einzelne hat seine Identität nur in Bezug zu den Identitäten anderer Mitglieder seiner gesellschaftlichen Gruppe. Die Struktur seiner Identität drückt die allgemeinen Verhaltensmuster seiner gesellschaftlichen Gruppe aus, genauso wie sie die Struktur der Identität jedes anderen Mitglieds dieser gesellschaftlichen Gruppe ausdrückt“ (Mead 1973, S. 206).
Eine vollkommen ‚eigenständige‘ Identität kann es nach Mead nicht geben, da sie immer im Kontext der Gesellschaft betrachtet werden muss, in der man lebt – die eigene Identität ist immer auf die Identitäten anderer bezogen und das Handeln des Individuums ist eine ständige Auseinandersetzung mit anderen Individuen und Gruppen seines sozialen Umfelds.
Das Erlernen von Symbolen bzw. von Symbolsystemen wie Sprache führt zur Erlernung der Fähigkeit sich in die Rollen anderer hinein zu versetzen, Erwartungen und mögliche Reaktionen anderer innerlich vorwegzunehmen, zu interpretieren und das eigene Handeln darnach auszurichten. Nach einer erfolgreichen Sozialisation sollte ein Mensch gelernt haben, sich aus der Perspektive anderer zu sehen und die seitens der sozialen Umwelt an ihn gerichteten Rollenerwartungen zu erfüllen. Eine soziale Rolle kann definiert werden als „die Summe der an den Inhaber einer sozialen Position gerichteten (Verhaltens-)Erwartungen“ (Veith 2002, S. 33). Durch das Prinzip der symbolischen Rollenübernahme erwirbt ein Mensch die Fähigkeit, nach Regeln zu handeln, d.h. auch sozial zu handeln.
Mead unterscheidet drei Phasen der Identitätsbildung. Zunächst erfolgt die symbolische Übernahme von Rollen aus dem nächsten sozialen Umfeld - dies ist in der Regel die Familie. In einer Familie sind normalerweise die Rollen von Vater, Mutter und Kind vorgegeben. Indem das Kind Handlungen und Äußerungen anderer imitiert, indem es im Spiel die Rollen von Mitgliedern seiner Umgebung übernimmt, verinnerlicht es auch deren Einstellungen und Perspektiven. Durch Verallgemeinerungen dieser Erfahrungen baut es sich einen ‚generalisierten Anderen‘ auf, so dass sein Handeln nun die Perspektive der Umwelt einbezieht (vgl. Ramge, 1976 S.10 f.). Es folgt die Verinnerlichung gesellschaftlicher Haltungen bzw. sozialer Normen und schließlich eine dritte Phase, die durch die Dialektik von sozialen Normen und spontanen Aktionen gekennzeichnet ist. Im Rahmen der sozialen Identitätsbildung werden also „individuelle Spontaneität und gesellschaftliche Verhaltenserwartungen ausbalanciert“ (Veith 2002, S. 34). Die gesellschaftliche Seite des Individuums nennt Mead das „Me“, die Seite der individuellen Spontaneität das „I“.
1.3 Ausbildung der sprachlichen Identität
Wenn die Identität im Allgemeinen gesellschaftlicher Natur ist, so ist es auch die sprachliche. Wenn der Einzelne eine soziale Identität nur in Bezug zu den Identitäten anderer Mitglieder der Gesellschaft haben kann, ist auch die in Sprache sich ausdrückende Identität relativ zu sehen zu der Sprache anderer Sprachträger. Festhalten kann man deshalb: „Sprachliche Identität ist die Verortung der eigenen Sprache in einem komplexen sozialen - und darauf fußend - lingualen Koordinatensystem“ (Veith 2002, S. 32). Wie die persönliche- ist auch die Ausbildung der sprachlichen Identität zu verstehen als ein Prozess, in dem individuelle Sprachgestaltung und Sprachnormen (als gesellschaftliche Verhaltenserwartungen) ausbalanciert werden.
Gemäß der Theorie des symbolischen Interaktionismus sind auch die sprachlichen Beziehungen als symbolische Übernahmen von sozialen Rollen zu betrachten, verbunden mit einem Sich-Hinein-Versetzen in die Perspektive des anderen. Im Rahmen einer Studie zum Spracherwerb hat Ramge (1976, S.105 ff.) diesen Umstand anhand eines Kindes im Alter von 2;2 – 3;2 Jahren untersucht; als Indikator dienten ihm dessen sprachliche Selbstkorrekturen. Ramge kommt zu dem Schluss, dass man aus den Selbstkorrekturen eines Kindes eine „Selbstlernfähigkeit“ eines Kindes ableiten könne, die sozial vermittelt ist. Indem die Eltern das Kind korrigieren, vermitteln sie dem Kind einen Mechanismus, mithilfe dessen es seine eigenen Äußerungen und Sprechansätze revidieren kann. Für den Erwerb der Fähigkeit der symbolischen Rollenübernahme haben die Selbstkorrekturen eine wichtige Funktion, gerade auch was den Interaktionsprozess betrifft. Innerhalb dessen stellen sie eine unverzichtbare Strategie dar, wenn es darum geht, die Hörererwartung des Gesprächspartners zu antizipieren und die Gültigkeit der eigenen intendierten Äußerung zu überprüfen.
Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, die für die soziale Identität von Bedeutung ist, hat Bernstein im Hinblick auf Sprache untersucht. Dass die soziale Differenzierung bzw. die soziale Schichtung zu unterschiedlichen, für die Herausbildung der sprachlichen Identität relevanten sprachlichen Codes führt, ist ein Grundgedanke von Bernstein. Das Wort Code hat im Englischen ursprünglich die Bedeutung ‚Signalsystem’ oder ‚Chiffrierbuch‘ (vgl. Veith 2002, S.102).
Grundsätzlich unterscheidet Bernstein zwischen zwei sprachlichen Codes. Diese zwei dichotomen Sprechweisen werden als ‚elaborierter‘ und ‚restringierter Code‘ bezeichnet. Den elaborierten Code kann man als leistungsfähigeren, den restringierten Code als weniger leistungsfähig charakterisieren. Bernstein hat diese Codes zwei Sozialschichten zugeordnet – den elaborierten der Mittelschicht, den restringierten der Arbeiterschicht bzw. Unterschicht. Später differenzierte Bernstein dieses Schichtenmodell, grundsätzlich stehen sich aber weiterhin Arbeiter- und Mittelschicht gegenüber (vgl. Bernstein 1972, S. 108 ff.). Die Merkmale des elaborierten und restringierten Codes lassen sich vereinfachend so zusammenfassen: Während für den elaborierten Code komplexe, relativ lange Sätze unter relativ häufiger Einbeziehung von Präpositionen charakteristisch sind, wobei das Satzmuster nicht festgelegt ist, sind für den restringierten Code einfache, relativ kurze Sätze mit stereotypem Satzmuster kennzeichnend – dementsprechend groß bzw. gering ist die Variationsbreite des Wortschatzes. Der eher indirekten Affektivität, den relativ seltenen Fragen bzw. Befehlen und den häufigen Pausen des Nachdenkens des elaborierten Kodes stehen direkt gezeigte Affektivität, relativ häufige Fragen und Befehle sowie seltene Pausen des Nachdenkens des restringierten Codes gegenüber (vgl. Veith 2002, S. 103). Wegen der geringeren Leistungsfähigkeit des restringierten Codes weisen nach Bernstein die Angehörigen niederer Sozialschichten gegenüber denen aus höheren Sozialschichten ein sprachliches Defizit auf. Dieses macht sich spätestens mit dem Eintritt in die Grundschule negativ bemerkbar. Mit dem Eintritt in die Schule erlebt das Kind eine große soziale Veränderung. Es lernt, mit Gleichaltrigen und der Lehrperson intensiv zu kommunizieren, Sprache wird zum Gegenstand bewusster Aufmerksamkeit und insbesondere das Schreiben und Lesen sind Lerngegenstände. Das Kind erwirbt differenzierte schriftliche und mündliche Sprachmittel, darüber hinaus differenzierte Strategien der Sprachverwendung. In der Schule macht das Kind Erfahrungen, die zu einer Modifizierung und Erweiterung seines Sprachverhaltens führen. Hat ein Kind jedoch aufgrund eines sprachlichen Defizits nicht die Fähigkeit, alte und neue Situationserfahrungen zu verbinden, zu generalisieren und auf neue Situationen anzuwenden, kann dies zum Versagen des Kindes in der Schule führen. Ein sprachliches Defizit führt zu Mängeln im Lernfortschritt und sprachlicher Weiterentwicklung in der Schule. Oftmals dehnt sich das anfänglich in den sprachlichen Fächern auftretende Defizit auf andere Fächer aus. Eine solche Sprachbarriere - „die Unfähigkeit eine soziale Situation sprachlich zu meistern“ (Veith 2002, S. 59) - hat, da der Schulerfolg weitgehend von sprachlicher Geschicklichkeit abhängig ist, langfristig gesehen auch Auswirkungen auf die Berufswahl, damit auf den sozialen Status und wirkt einer erfolgreichen Sozialisation der betreffenden Person entgegen. Man darf sich jedoch nicht zu der Ansicht verleiten lassen, dass die Gesellschaft in zwei absolut streng voneinander getrennte Schichten bzw. sprachliche Kodes getrennt werden könnte. Diese Sicht wäre realitätsfern: da beträchtliche Differenzierungen innerhalb der Schichten existieren und sich heute große Teile der Bevölkerung nicht den beiden ‚großen‘ Schichten zuordnen lassen (Dienstleistungsberufe erstrecken sich auf alle Schichten) ist die Existenz von nur zwei Sozialschichten, denen dichotom zwei sprachliche Kodes zugeordnet werden, hinfällig – nicht zuletzt auch deshalb, weil Sprache ein System ist, in dem gehandelt wird und in dem Konflikte auftreten, ist im Hinblick auf Sprache eine zu strikte Einteilung in zwei Klassen unzulässig (vgl. Veith 2002, S. 106). Zudem betont Edwards (1979, S. 29 f.), dass Kinder nicht deshalb benachteiligt seien, weil sie kognitive Defizite hätten, sondern weil Aspekte ihres Verhaltens von der Mittelschicht als defizitär gewertet würden. Die Benachteiligung in der Schule wäre demnach ein Produkt der Umwelt. Nach Edwards müssten eher die sozialen Vorurteile als die Defizite, die aus Sicht der an der Mittelschicht orientierten Schule den vermeintlich Unterprivilegierten zugesprochen werden, behoben werden.
Die Institution Familie hat eine elementare Bedeutung für die erste Vermittlung sozialer und lingualer Beziehungen, für die Sprachentwicklung insgesamt. In der Familie findet die primäre sprachliche Sozialisation statt: das Kind befindet sich in einer ständigen Lernsituation, die vom Sprachverhalten innerhalb der Familie bestimmt ist. Die Sozialisation in der Schule muss auf den in der Familie erworbenen sozialen und lingualen Handlungsmustern aufbauen. Maßgebend für das Sprachniveau eines Kindes ist das Familienmilieu. Ein negatives Familienmilieu ist u.a. gekennzeichnet durch ständigen Lärm und Streit, schlechte Ernährung und fehlende Geborgenheit. Die ausbleibende Vermittlung kulturelle Werte, das Fehlen von Büchern, schöngeistiger Literatur und Lernmaterialien wirkt sich ebenfalls negativ auf die Sprachentwicklung eines Kindes aus. Auch kommunikationsfeindliches Verhalten, wie das nicht Beantworten von Fragen und geringer sprachlicher Austausch, führt zu einer sprachlichen Retardation, die sich in einer vergleichsweise mangelhaften Ausbildung von Fähigkeiten der Wahrnehmung und Abstraktion der Umwelt und der Begriffsentwicklung äußert (vgl. Veith 2002, S. 61).
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- Arbeit zitieren
- Martin Abrahams (Autor:in), 2002, Aspekte sprachlicher Identität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25335
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