Ob Sophokles’ „König Ödipus“ oder Shakespeares’ „Hamlet“ - das Motiv des kranken Königssohns erfreut sich einer großen Beliebtheit. Auch zwei der bedeutendsten Autoren der deutschen Geschichte greifen dieses Motiv in ihren Werken auf: Goethe in seinem 1796 erschienen Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und Schiller in dem dramatischen Gedicht „Don Carlos“. Allerdings bearbeiten beide den verbreiteten Stoff auf unterschiedliche Art und Weise, weshalb es das Ziel dieser Arbeit sein soll, sowohl Differenzen als auch Simultanitäten aufzuzeigen.
Da das zu untersuchende Motiv sehr weitläufig ist, bietet es sich zunächst an, auf diverse grundlegende Aspekte einzugehen. Einige Hintergrundinformationen über die soziologischen und biologischen Ursachen für einen Konflikt zwischen Vater und Sohn sollen einer ersten Hinführung zum Thema dienen. Auch der bedeutende Stellenwert des Vater-Sohn-Konflikts in der deutschen Literatur wird an-hand einzelner Werke anschaulich dargestellt werden, um die Dominanz des hier zu untersuchenden Motivs erneut zu verdeutlichen. Im Fokus meiner Ausführungen werden hierbei vor allem die dramatischen Veränderungen stehen, welchen sich das Vater-Sohn-Motiv in seiner Verwendung seit der Literatur des Mittelalters bis heute unterzog.
Des weiteren unverzichtbar für eine umfassende Analyse erscheint es, das Verhältnis von Psychoanalyse und deutscher Literatur kurz zu umreißen, um davon ausgehend auf die Freudsche Entwicklung der Psychoanalyse und vor allem auf die des Ödipus-Komplexes überzuleiten. Bei näherer Betrachtung gilt es zu erläutern, unter welchen Umständen es zur Entdeckung und Ausarbeitung des Ödipus-Komplexes kam. Anschließend wird der männlichen Ödipus-Komplex ausführlich darzustellen sein um in diesem Zusammenhang auch die damit eng verbundenen Begriffe „Kastrationsangst“ und „Penisneid“ einzuführen und die Komplexität dieses Phänomens zu veranschaulichen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung
- 2 Das Vater-Sohn-Motiv
- 2.1 Soziologische Hintergründe zum Vater-Sohn-Konflikt
- 2.2 Der Vater-Sohn-Konflikt in der Literatur
- 3 Das Verhältnis von Psychoanalyse und deutscher Literatur im Wandel der Zeit
- 3.1 Die Pionierphase von 1900 bis 1945
- 3.2 Vom Neuanfang 1945 bis in die Gegenwart
- 4 Sigmund Freud und der Ödipus-Komplex
- 4.1 Über die Traumatheorie zur Traumdeutung
- 4.2 Der Ödipus-Komplex
- 4.2.1 Exkurs: Penisneid, Kastrationsangst und der negative Komplex - Weitere Aspekte der Freudschen Theorie
- 5 Der Einfluss der Biographien
- 5.1 Friedrich Schiller
- 5.1.1 Friedrich Schiller und sein Vater
- 5.1.2 Friedrich Schillers Verhältnis zum Rest der Familie
- 5.2 Johann Wolfgang von Goethe
- 5.2.1 Johann Caspar Goethe
- 5.2.2 Goethes Verhältnis zu Mutter und Schwester
- 5.1 Friedrich Schiller
- 6 Das Motiv des kranken Königssohns
- 6.1 Schillers „Don Carlos“
- 6.1.1 Die ödipale Dreieckskonstellation
- 6.1.2 Die Darstellung des Vater-Sohn-Konflikts in „Don Carlos“
- 6.1.2.1 Die Aufspaltung der Vaterrepräsentanz
- 6.1.2.2 Die Aufspaltung der Sohnesrepräsentanz
- 6.2 Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“
- 6.2.1 Das Bild vom kranken Königssohn
- 6.2.2 Wiederholte Spiegelungen: Wilhelm Meister und Hamlet
- 6.2.2.1 Shakespeares „Hamlet“
- 6.2.3 Die Krankheit des Königssohns
- 6.2.4 Wilhelm und der Ödipus-Komplex
- 6.3 Exkurs: Die Bürgerlichkeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts Mögliche Hintergründe zur gemeinsamen Motivwahl
- 6.3.1 Die aufklärerischen Ziele
- 6.3.2 Auswirkungen von Sturm und Drang auf die frühklassische Literatur
- 6.4 „Don Carlos“ und „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ im Vergleich
- 6.1 Schillers „Don Carlos“
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Motiv des kranken Königssohns in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und Schillers „Don Carlos“. Ziel ist es, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Bearbeitung dieses Motivs aufzuzeigen. Die Arbeit beleuchtet dabei verschiedene Aspekte, um einen umfassenden Vergleich zu ermöglichen.
- Der Vater-Sohn-Konflikt in Literatur und Gesellschaft
- Die Relevanz der Psychoanalyse (Freud, Ödipus-Komplex) für die Interpretation der Werke
- Der Einfluss der Biografien Goethes und Schillers auf die Motivwahl
- Spezifische Merkmale der Motivbearbeitung in „Don Carlos“ und „Wilhelm Meisters Lehrjahre“
- Der gesellschaftliche Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Kapitel
1 Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema des kranken Königssohns als literarisches Motiv ein und nennt die beiden zu vergleichenden Werke von Goethe und Schiller. Sie umreißt die Ziele der Arbeit und die Vorgehensweise bei der Analyse, indem sie die verschiedenen Kapitel und ihre Schwerpunkte kurz vorstellt.
2 Das Vater-Sohn-Motiv: Dieses Kapitel legt die soziologischen und literarischen Grundlagen für das Verständnis des Vater-Sohn-Konflikts. Es erörtert die soziologischen Hintergründe des Konflikts und beleuchtet seine Bedeutung in der deutschen Literaturgeschichte, um die Relevanz des Themas zu unterstreichen und den historischen Kontext zu setzen.
3 Das Verhältnis von Psychoanalyse und deutscher Literatur im Wandel der Zeit: Dieses Kapitel untersucht die Entwicklung der Psychoanalyse und ihre Relevanz für die Literaturinterpretation, insbesondere im Hinblick auf den Ödipus-Komplex. Es gliedert sich in zwei Abschnitte: die Pionierphase der Psychoanalyse und ihre Entwicklung bis zur Gegenwart. Die Entwicklung der Rezeption der Psychoanalyse in der Literatur wird analysiert.
4 Sigmund Freud und der Ödipus-Komplex: Das Kapitel konzentriert sich auf Freuds Theorie, insbesondere den Ödipus-Komplex und seine zentralen Begriffe wie Kastrationsangst und Penisneid. Es erläutert die Entstehung und die Bedeutung des Ödipus-Komplexes für die Interpretation der literarischen Werke.
5 Der Einfluss der Biographien: Dieses Kapitel beleuchtet die Lebensgeschichten von Goethe und Schiller und analysiert den möglichen Einfluss ihrer persönlichen Erfahrungen auf die Wahl des Motivs des kranken Königssohns. Die Kapitel analysieren die Beziehung der Autoren zu ihren Vätern und den Rest ihrer Familie, um Parallelen und Unterschiede aufzuzeigen und die Frage nach den Ursachen der Motivwahl zu beantworten.
6 Das Motiv des kranken Königssohns: Dieses Kapitel bildet den Kern der Arbeit. Es analysiert zunächst Schillers „Don Carlos“, konzentriert sich auf die ödipale Dreieckskonstellation und die Darstellung des Vater-Sohn-Konflikts. Anschließend wird Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ untersucht, wobei der Fokus auf dem Bild des kranken Königssohns und dessen Bedeutung liegt. Ein Exkurs behandelt den gesellschaftlichen Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts, um die gemeinsame Motivwahl zu erklären und anschließend werden die beiden Werke verglichen.
Schlüsselwörter
Vater-Sohn-Konflikt, Ödipus-Komplex, Psychoanalyse, Goethe, Schiller, „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, „Don Carlos“, kranker Königssohn, deutsche Literatur, Frühklassik, Aufklärung, Sturm und Drang.
Häufig gestellte Fragen (FAQs) zu: Analyse des Motivs des kranken Königssohns bei Goethe und Schiller
Was ist der zentrale Gegenstand der Analyse?
Die Analyse untersucht das Motiv des „kranken Königssohns“ in Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und Schillers „Don Carlos“. Im Fokus steht ein detaillierter Vergleich der beiden Werke hinsichtlich ihrer Bearbeitung dieses Motivs.
Welche Aspekte werden in der Analyse berücksichtigt?
Die Analyse beleuchtet verschiedene Aspekte, um einen umfassenden Vergleich zu ermöglichen: den Vater-Sohn-Konflikt in Literatur und Gesellschaft, die Relevanz der Psychoanalyse (Freud, Ödipus-Komplex) für die Interpretation, den Einfluss der Biografien Goethes und Schillers, spezifische Merkmale der Motivbearbeitung in beiden Werken und den gesellschaftlichen Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel: Eine Einleitung, ein Kapitel zum Vater-Sohn-Motiv, ein Kapitel zum Verhältnis von Psychoanalyse und deutscher Literatur, ein Kapitel zu Freud und dem Ödipus-Komplex, ein Kapitel zum Einfluss der Biografien Goethes und Schillers und schließlich ein Kapitel zur Analyse des Motivs des kranken Königssohns in den beiden Werken mit einem abschließenden Vergleich.
Welche Rolle spielt die Psychoanalyse in der Analyse?
Die Psychoanalyse, insbesondere Freuds Ödipus-Komplex, dient als interpretatorisches Werkzeug zur Analyse des Vater-Sohn-Konflikts in den literarischen Werken. Die Entwicklung der Rezeption der Psychoanalyse in der Literatur wird ebenfalls beleuchtet.
Wie werden die Biografien von Goethe und Schiller einbezogen?
Die Analyse untersucht die Lebensgeschichten von Goethe und Schiller, um mögliche Einflüsse ihrer persönlichen Erfahrungen auf die Wahl des Motivs des kranken Königssohns zu ermitteln. Die Beziehungen der Autoren zu ihren Vätern und Familienmitgliedern werden analysiert.
Welche Werke werden im Detail analysiert?
Die Hauptwerke, die im Detail analysiert werden, sind Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und Schillers „Don Carlos“. Der Fokus liegt auf der Darstellung des „kranken Königssohns“ und der damit verbundenen Vater-Sohn-Dynamik.
Welchen gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt die Analyse?
Die Analyse berücksichtigt den gesellschaftlichen Kontext des ausgehenden 18. Jahrhunderts, insbesondere die Aufklärung und den Sturm und Drang, um mögliche Hintergründe für die gemeinsame Motivwahl bei Goethe und Schiller zu verstehen.
Welche Schlüsselwörter beschreiben den Inhalt der Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Vater-Sohn-Konflikt, Ödipus-Komplex, Psychoanalyse, Goethe, Schiller, „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, „Don Carlos“, kranker Königssohn, deutsche Literatur, Frühklassik, Aufklärung, Sturm und Drang.
- Quote paper
- Katja Wittmann (Author), 2004, Das Motiv des kranken Königssohns - Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und Schillers Don Carlos im Vergleich, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/25023