[...] Sie changiert zwischen femme fatale und Fee. Imaginationsve rsuche
scheitern zwischen der obsessiven und todesnahen Erotik eines Gustav Klimt
(†1918) und der späten Romantik schwerblütiger Frauengestalten der Weltliteratur eines
John William Waterhouse (†1917). Gerda Buddenbrook bleibt ungreifbar, schwebend,
allem Geschehen im Roman bis auf wenige Momente wie schlafwandlerisch entzogen.
Sie erscheint geheimnisvoll, verführerisch, anziehend und gleichzeitig distanziert, beherrscht,
ja sogar abweisend.
Liest man die »Buddenbrooks« ein zweites Mal, dann verschärft sich der Eindruck
noch, die Figur der Gerda sei ungreifbar. Nicht nur, dass sie weit weniger komplex gestaltet
ist, als andere Figuren des Romans, sie fällt auch aus dem Familiensystem der
Buddenbrooks heraus. Keine andere Frauengestalt ist so weit von den innerfamiliären
Konflikten entfernt wie sie. Es hat den Anschein, als illustriere die Wahl des Thomas,
Gerda zur Ehefrau zu nehmen, nur, welche Veränderungen sich insgesamt für den Familienbetrieb
ergeben werden.
Gesetzt, diese Beobachtungen sind richtig – welche Rolle spielt Gerda dann im Roman?
Spielt sie – außer der der physischen Mutterschaft – überhaupt eine Rolle? Als Erzieherin
tritt sie kaum in Erscheinung. Die Rolle der Künstlerin? Mehr noch als das fascinosum
ihrer Musik steht das tremendum, das es bei ihrem Gatten auslöst, im Mittelpunkt
des Interesses. Wie auch immer man die Frage wendet, welche Rolle Gerda im Roman
spielt, man gerät wieder und wieder an Thomas. Und selbst er weiß mitunter nicht, was
er von Gerda halten soll.2
Die Erzählung gibt einige Hinweise, wie man Gerda vielleicht verstehen kann. Und es
wird sich zeigen, dass an diesen Hinweisen das »vielleicht« entscheidender ist als das
Verstehen. Denn diejenigen Hinweise, die gegeben werden, bleiben vage und wenig
treffsicher. Sie setzen den Leser auf eine Spur, die kein rechtes Ziel hat. Und eben dies
macht möglicherweise eine entscheidende Aussage über Gerda. Aber damit verändert
sich die Fragestellung. Nicht mehr: welche Rolle spielt Gerda im Roman, sondern: welche
Rolle spielt sie für den Roman? Beiden Fragen geht diese Arbeit nach.
2 „Er verstand sie, er verstand, was sie sagte. Aber vermochte ihr mit dem Gefühl nicht zu folgen
und nicht zu begreifen, … Er stand vor einem Tempel, von dessen Schwelle Gerda ihn mit unnachsichtiger
Gebärde verwies …“ Buddenbrooks VIII, 7; GW I, 509 f.
Inhaltsverzeichnis
- Die Figur der Gerda Buddenbrook
- Phänomenologie ohne Tiefendimension
- Erscheinen
- Schweigen
- Reden
- Musizieren
- Projektionsfläche Gerda
- Here
- Aphrodite
- Brünnhilde
- Melusine
- Fazit
- Phänomenologie ohne Tiefendimension
- Das Prinzip >>Gerda<<
- Restriktives Erzählen
- Enigmatische Wirkung?
- Das Andere und das Fremde
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle der Gerda Buddenbrook in Thomas Manns Roman "Buddenbrooks". Sie hinterfragt die scheinbare Ungreifbarkeit der Figur und analysiert, wie Gerda durch Erzähltechniken und ihre Darstellung im Roman wirkt. Das Ziel ist es, Gerdas Bedeutung für den Gesamtkontext des Romans zu ergründen.
- Gerdas Darstellung als enigmatische Figur
- Die Funktion von Gerdas Schweigen und Ambivalenz
- Gerda als Projektionsfläche für verschiedene weibliche Archetypen
- Der Einfluss von Gerda auf die Familie Buddenbrook
- Die Erzähltechnik und ihre Rolle in der Charakterisierung Gerdas
Zusammenfassung der Kapitel
Die Figur der Gerda Buddenbrook: Die Arbeit beginnt mit einer Analyse der Figur Gerda Buddenbrook, die als die am wenigsten greifbare Figur im Roman dargestellt wird. Sie wirkt geheimnisvoll und distanziert, schwebend über den Ereignissen. Im Gegensatz zu anderen Figuren, die durch körperliche Beschreibungen und ironische Kommentare charakterisiert werden, bleibt Gerda weitgehend unkommentiert. Ihre Erscheinung wird zwar beschrieben, aber ohne die ironische Distanz, die Mann bei anderen Figuren einsetzt. Diese Analyse legt den Grundstein für die spätere Untersuchung von Gerdas Rolle im Roman.
Das Prinzip >>Gerda<<: Dieses Kapitel untersucht die Erzählweise bezüglich Gerda und ihre enigmatische Wirkung. Der Fokus liegt auf den vagen Hinweisen, die der Erzähler gibt und die den Leser auf eine Spur ohne klares Ziel führen. Diese Ungreifbarkeit wird nicht als Mangel gesehen, sondern als ein entscheidender Aspekt ihrer Darstellung. Der Abschnitt beleuchtet die Frage nach Gerdas Rolle nicht nur *im* Roman, sondern auch *für* den Roman selbst. Die Analyse konzentriert sich auf die erzählerische Strategie und wie diese die Bedeutung Gerdas prägt.
Schlüsselwörter
Gerda Buddenbrook, Thomas Mann, Buddenbrooks, Romananalyse, Erzähltechnik, Figur, Ambivalenz, Geheimnis, Projektion, Weibliche Archetypen, Ungreifbarkeit, Restriktives Erzählen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu "Die Figur der Gerda Buddenbrook in Thomas Manns Roman 'Buddenbrooks'"
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese akademische Arbeit analysiert die Rolle der Gerda Buddenbrook in Thomas Manns Roman "Buddenbrooks". Der Fokus liegt auf der scheinbar ungreifbaren Natur der Figur und wie diese durch Erzähltechniken und Darstellung im Roman erzeugt wird. Ziel ist es, Gerdas Bedeutung für den Gesamtkontext des Romans zu ergründen.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit untersucht Gerdas Darstellung als enigmatische Figur, die Funktion ihres Schweigens und ihrer Ambivalenz, Gerda als Projektionsfläche für verschiedene weibliche Archetypen, ihren Einfluss auf die Familie Buddenbrook und die Rolle der Erzähltechnik in ihrer Charakterisierung. Die Analyse betrachtet sowohl Gerdas Rolle *im* Roman als auch ihre Bedeutung *für* den Roman selbst.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in die Kapitel "Die Figur der Gerda Buddenbrook", "Das Prinzip >>Gerda<<" und "Schluss". Das erste Kapitel analysiert Gerda als Figur, die durch ihre Unauffälligkeit und Geheimnishaftigkeit besticht. Das zweite Kapitel untersucht die Erzählstrategie im Bezug auf Gerda und ihre enigmatische Wirkung. Der Schluss fasst die Ergebnisse zusammen.
Welche Methoden werden angewendet?
Die Arbeit verwendet eine literaturwissenschaftliche Analysemethode, die sich auf die detaillierte Untersuchung der Textstruktur, der Erzählperspektive und der Figurencharakterisierung konzentriert. Es wird eine phänomenologische Betrachtungsweise der Figur Gerda angewendet, die ihre Erscheinung, ihr Schweigen, Reden und Musizieren analysiert und sie mit verschiedenen weiblichen Archetypen in Verbindung setzt.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Gerda Buddenbrook, Thomas Mann, Buddenbrooks, Romananalyse, Erzähltechnik, Figur, Ambivalenz, Geheimnis, Projektion, Weibliche Archetypen, Ungreifbarkeit, Restriktives Erzählen.
Welche konkreten Aspekte von Gerda Buddenbrook werden untersucht?
Die Analyse betrachtet Gerdas Erscheinung, ihr Schweigen und ihre wenigen Reden, sowie ihre Rolle als potentielle Projektionsfläche für verschiedene mythische Frauenfiguren (z.B. Aphrodite, Brünnhilde, Melusine). Es wird untersucht, wie das restriktive Erzählen Gerdas Geheimnishaftigkeit verstärkt und ihre Bedeutung für den Roman prägt.
Was ist das Ergebnis der Analyse?
Die Arbeit zielt darauf ab, die Bedeutung der scheinbar unscheinbaren Gerda Buddenbrook für das Verständnis des Gesamtkontextes von Thomas Manns "Buddenbrooks" aufzuzeigen. Durch die Analyse der Erzähltechnik und der Figur selbst soll ein tieferes Verständnis ihrer Rolle im Roman erlangt werden. Die Ergebnisse werden im Schlusskapitel zusammengefasst.
- Quote paper
- Martin Andiel (Author), 2002, Das Prinzip Gerda - Gerda Buddenbrook als 'bedeutungsvolle Leerstelle' und 'transitorische Figur' in Thomas Manns "Buddenbrooks", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24760