Sparen und Leihen sind Phänomene mit denen Individuen in den so genannten entwickelten Volkswirtschaften täglich konfrontiert werden – direkt oder indirekt, persönlich oder durch die Medien. Aufgrund der Omnipräsenz beider Vokabeln sowie der Vielzahl begrifflicher Substitute, ist es im Alltag schwierig den Einzelnen für die zielorientierte Analyse seines Spar- und Leihverhaltens
zu sensibilisieren. In Abhängigkeit von der allgemeinen Wahrnehmung der ökonomischen Situation sowie den Aktivitäten von Unternehmen im Rahmen von Werbefeldzügen, wird den Vokabeln Sparen und Leihen respektive ihren Substituten entweder Trendkonformität zu- oder abgesprochen. Diese Beeinflussung kann unter Umständen zu einer Verklärung der eigentlichen Begriffsinhalte und zur Desensibilisierung für mögliche Probleme führen. Probleme
können unter anderem dann auftreten, wenn Sparen unterlassen wird und/oder das Leihvolumen die Rückzahlungspotenz übersteigt. Dies weist auf zwei wichtige Fähigkeiten im Zusammenhang mit Sparen und Leihen hin: Langzeitperspektive und Selbstdisziplin der Individuen.
Ziel dieser Arbeit ist es, nicht nur ein inhaltliches Verständnis für Sparen und Leihen zu schaffen, sondern vor allem mögliche Gründe für beide Phänomene darzustellen. Dabei wird der Versuch unternommen sowohl ökonomische als auch psychologische Erklärungsansätze zu beleuchten. Abschließend erfolgt eine knappe Darstellung des Konzeptes der geistigen Konten, als einem Ansatz zum Erklären des haushaltssimultanen Auftretens von Sparen und Leihen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Zum Verstandnis von Sparen
2. Zum Verstandnis von Leihen
2.1. Grunde fur Leihen
2.2. Leihen und Schulden
3. Das Konzept geistiger Konten nach Thaler
3.1 Grunde fur Sparen
3.1.1 Lebenszyklus-Theorie des Sparens
3.1.2 Motive des Sparens nach Keynes
3.1.3 Motive des Sparens nach Katona
3.1.4 Motive des Sparens und unternehmerische Reaktionen
3.2 Charakteristika des Sparers
4. Kritische Wurdigung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Sparen und Leihen sind Phanomene mit denen Individuen in den so genannten entwickelten Volkswirtschaften taglich konfrontiert werden - direkt oder indi- rekt, personlich oder durch die Medien. Aufgrund der Omniprasenz beider Vo- kabeln sowie der Vielzahl begrifflicher Substitute, ist es im Alltag schwierig den Einzelnen fur die zielorientierte Analyse seines Spar- und Leihverhaltens zu sensibilisieren. In Abhangigkeit von der allgemeinen Wahrnehmung der o- konomischen Situation sowie den Aktivitaten von Unternehmen im Rahmen von Werbefeldzugen, wird den Vokabeln Sparen und Leihen respektive ihren Substituten entweder Trendkonformitat zu- oder abgesprochen. Diese Beein- flussung kann unter Umstanden zu einer Verklarung der eigentlichen Begriffs- inhalte und zur Desensibilisierung fur mogliche Probleme fuhren. Probleme konnen unter anderem dann auftreten, wenn Sparen unterlassen wird und/oder das Leihvolumen die Ruckzahlungspotenz ubersteigt. Dies weist auf zwei wichtige Fahigkeiten im Zusammenhang mit Sparen und Leihen hin: Langzeit- perspektive und Selbstdisziplin der Individuen.
Ziel dieser Arbeit ist es, nicht nur ein inhaltliches Verstandnis fur Sparen und Leihen zu schaffen, sondern vor allem mogliche Grunde fur beide Phanomene darzustellen. Dabei wird der Versuch unternommen sowohl okonomische als auch psychologische Erklarungsansatze zu beleuchten. AbschlieBend erfolgt eine knappe Darstellung des Konzeptes der geistigen Konten, als einem Ansatz zum Erklaren des haushaltssimultanen Auftretens von Sparen und Leihen.
1. Zum Verstandnis von Sparen
In der Okonomie herrscht weitgehend Ubereinstimmung, dass „[...] Ersparnis den UberschuB des Einkommens uber die Ausgabe fur den Verbrauch bedeu- tet.“ (Keynes, 1966, S. 54) Ersparnis respektive Sparen ist aus okonomischer Sicht folglich eine durch das Individuum nicht beeinflussbare ResidualgroBe, der originaren GroBen Einkommen und Verbrauchsausgaben. Als Opponent zum Sparen wird in der (makro-)okonomischen Betrachtung die Investition ge- nannt, welche ihrer GroBe nach, immer dem Betrag des Sparens entspricht. Die betragsmaBige Gleichheit von Ersparnis und Investition ergibt sich aus folgen- der Uberlegung (Keynes, 1966, S. 54ff.):
(I) Einkommen = Wert der Produktion = Verbrauch + Investition.
(II) Ersparnis = Einkommen - Verbrauch.
(I in II) Ersparnis = Investition.
Im Rahmen der mikrookonomischen Theorie gilt das Untersuchungsinteresse unter anderem dem individuellen Verhalten privater Haushalte als Wirtschaft- subjekte. Im Gegensatz zur Psychologie ist die (Mikro-)Okonomie jedoch we- niger an der Analyse tatsachlicher Verhaltensweisen von einzelnen Individuen, als vielmehr an der Modellierung des Verhaltens des homo oeconomicus inte- ressiert oder durch den Drang zur inhaltlichen Geschlossenheit der Modelle, beschrankt. Der Terminus homo oeconomicus beschreibt den Menschen als wirtschaftlich denkendes und handelndes Wesen, welches aufgrund rationaler Uberlegungen und Handlungen versucht, seinen personlichen Nutzen zu ma- ximieren (Kirchgassner, 2000, S. 12ff.). Diesem, fur Zwecke der okonomi- schen Analyse idealisiertem Typus des Menschen, steht jedoch die begrenzte Rationalitat des Menschen gegenuber. Begrenzte Rationalitat meint, dass sich der Mensch aufgrund verschiedener Faktoren nicht wie ein homo oeconomicus verhalt (Kirchgassner, 2000, S. 27ff.). Solche Faktoren konnen unter anderem sein: unvollstandige Informationen, asymmetrische Informationsverteilung, keine unendlich schnelle Reaktions- und Entscheidungsfahigkeit sowie Beein- flussung durch Werbung und Erwartungen uber die Zukunft. Folglich versucht die Mikro-Okonomie zwar den individuellen Handlungsmotivationen und da- mit auch den Ursachen des Sparens naher zu kommen, beschrankt sich jedoch haufig auf den rationalen Haushalt, der im Zuge intertemporaler Budgetierung (Einkommensglattung) versucht, durch Konsumverzicht (Sparen) heute, Kon- sum in der Zukunft (Entsparen) zu ermoglichen. Interessant ist hier der implizi- te Unterschied in der Definition von Sparen gegenuber der klassischen (makro- )okonomischen Betrachtung. Durch den Einbezug von Zukunftsperioden in das Entscheidungskahlkuhl, ist Sparen keine passive ResidualgroBe des heutigen Einkommens vermindert um die heutigen Konsumausgaben, sondern ein akti- ver Entscheidungsparameter fur Zukunftskonsum.
Im Gegensatz zur okonomischen Definition des Sparens als ResidualgroBe, kann Sparen im psychologischen Kontext als Prozess des Schonens, Aufbe- wahrens, die Nutzung beziehungsweise Anwendung zuruckhaltend, angesehen werden (http://www.dwb.uni-trier.de/index.html). Dieser Nutzungs- respektive Anwendungsaufschub kann durch das Individuum sowohl aktiv als auch passiv geschehen. Der Nutzungsaufschub erfolgt aktiv, wenn das Individuum die Nutzung bewusst in zukunftige Perioden verlagert. Sparen als aktiver Nutzungsaufschub entspricht damit der Entscheidung des privaten Haushalts fur Zu- kunftskonsum in der Mikro-Okonomie. Der Nutzungsaufschub erfolgt passiv, wenn das Individuum, nach vollstandiger Befriedigung seiner Bedurfnisse, u- ber einen Ressourcenuberhang in der Gegenwart verfugt (etwas ubrig hat), welcher in zukunftigen Perioden genutzt werden kann. Sparen als passiver Nutzungsaufschub entspricht damit der ResidualgroBe des Einkommens ver- mindert um die Konsumausgaben in der traditionellen (Makro-)Okonomie. Im Rahmen dieser Arbeit soll Sparen als aktiver Nutzungsaufschub des privaten Haushalts zulasten der Gegenwartsperiode und zugunsten der Zukunftsperio- den verstanden werden.
Aufgrund der Fungibilitat von Geld, handelt es sich in der heutigen Zeit beim Sparen in der Regel um Geld. Da sich durch den Nutzungsaufschub und das zur Verfugung stellen des Geldbetrages gegenuber eine Bank oder Sparkasse, Zinseinkunfte erzielen lassen, ist auch unter der Annahme begrenzter Rationa- litat davon auszugehen, dass Individuen, zumindest Teilbetrage des Nutzungs- aufschubes, in Geld auf Bankkonten sparen. Soweit Individuen Mittel fur den Zukunftskonsum unentgeltlich, das heiBt im so genannten Sparstrumpf oder „unter der Matratze“ und mithin ohne Zinseinkunfte zuruckhalten, scheint spa- ren auf den ersten Blick, insbesondere unter der Annahme von Inflation, nicht rational. Dies gilt es durch naheres Beleuchten von entgeltlichem und unent- geltlichem (zinslose) Sparen kritisch zu hinterfragen. Eine mogliche Ursache fur das unentgeltliche Zuruckhalten von finanziellen Ressourcen konnen die „psychologischen und geschaftlichen Antriebe zur Liquiditat“ (Keynes, 1966, S. 163) sein. Keynes (1966) nennt drei mogliche Beweggrunde fur das Vorhal- ten von Liquiditat: das Umsatzmotiv (Einkommens- oder Geschaftsmotiv), das Vorsichtsmotiv und das Spekulationsmotiv. Er verweist weiterhin darauf, dass das fur jeden der drei Beweggrunde gehaltene Geld eine Einheit bildet und kei- ner scharfen geistigen Trennung bedarf, denn „[...] die gleiche Summe kann in erster Linie fur einen Zweck und in zweiter Linie fur einen anderen gehalten werden“ (Keynes, 1966, S. 163). Es kann somit fur das einzelne Individuum, auch unter Einbezug von Inflation, sinnvoll und auch rational sein unentgelt- lich zu sparen, das heiBt Liquiditat vorzuhalten. Werden Geldmarktanlagen und andere taglich fallige Finanzinstrumente in die Betrachtung einbezogen er- scheint das zinslose Vorhalten von Liquiditat aufgrund des Vorsichts- und Spekulationsmotivs hingegen weniger rational, da sich Liquiditats- und Renta- bilitatsziele nicht mehr ausschlieBen. Im Einzelfall ist jedoch zu beachten, dass, insbesondere unter Berucksichtigung von Informations- und Transaktionskos- ten, das zinslose Halten von Liquiditat aufgrund des Vorsichts- und Spekulationsmotivs, subjektiv wiederum rational sein kann. Eine sich daraus ergebende Frage lautet: Welche Motive bewegen Individuen zum Sparen, wenn die Zu- kunft als solche, sowie auch die individuelle Erlebenswahrscheinlichkeit un- gewiss sind?
3.1 Grunde fur Sparen
Individuen konnen eine Vielzahl verschiedener Grunde fur das Sparen haben (Keim/Steffens, 2000, S. 51, Lunt/Livingstone, 1992, S. 26 ff.), die sowohl im okonomischen und sozialen Umfeld der Person, als auch in der Person selbst liegen konnen. Nicht nur die Motive des Sparens sondern auch deren Auspra- gungen konnen interpersonell stark variieren, sowie mehr oder weniger be- wusst in Erscheinung treten. Im folgenden wird ein knapper Uberblick zu un- terschiedlichen Systematisierungen potentieller Sparmotive gegeben.
3.1.1 Lebenszyklus-Theorie des Sparens
Die Lebenszyklus-Theorie des Sparens (life-cycle theory of savings) wird aufgrund ihrer Eleganz und Rationalitat, insbesondere in der Okonomie gern zur Erklarung von individuellem Sparverhalten herangezogen, kann in der Regel jedoch empirisch nicht bestatigt werden (Thaler, 1990, S. 193f.). Die Entschei- dung fur Gegenwarts- respektive Zukunftskonsum trifft der Haushalt dabei an- nahmegemaB unter anderem aufgrund seiner Praferenzen, deren Entstehen und Veranderung jedoch eher die Psychologie als die Okonomie erklart (Kirch- gassner, 2000, S.29). Ausgangspunkt der Lebenszyklus-Theorie des Sparens ist die Annahme, dass das Sparverhalten rational handelnder Individuen zu jedem
Punkt ihres Lebenszyklus vorausgesagt werden kann. Dazu wird, auf Basis der Lebenserwartung, fur jedes Jahr der Barwert des gesamten Vermogens zuzug- lich des aktuellen und zukunftigen Einkommens berechnet. Aus der sich, auf- grund des Barwertes, ergebenden potentiellen jahrlichen Rente, kann nunmehr der gewunschte Konsumbetrag bestimmt werden.
Die Lebenszyklus-Theorie des Sparens geht davon aus, dass insbesondere in Jahren der Jugend und Ausbildung der gewunschte Konsumbetrag den gegenu- berstehenden Einkommensbetrag ubersteigen wird. Das rationale Individuum wurde diesen potentiellen Konsumuberhang (Einkommenslucke) durch die Aufnahme von Darlehen ausgleichen (sich etwas leihen).
In den Jahren der Berufstatigkeit (vom Berufseinstieg bis zur Pensionierung) wird davon ausgegangen, dass der zur Verfugung stehende Einkommensbetrag den gewunschten Konsumbetrag ubersteigt. Das rationale Individuum wurde diesen potentiellen Einkommensuberhang (Konsumlucke) durch Sparen ausgleichen.
Fur die Jahre der Pensionierung bis zum Tod wird angenommen, dass der ge- wunschte Konsumbetrag den zur Verfugung stehenden Einkommensbetrag u- bersteigt. Das rationale Individuum wurde diesen potentiellen Konsumuber- hang (Einkommenslucke) durch das Auflosen von Ersparnissen ausgleichen (Entsparen, dissave [Katona, 1964, S. 217, Keynes, 1966, S. 327]). Es sei dar- auf verwiesen, dass Katona den Begriff dissaving als weitgehendes Antonym zu saving verwendet und sowohl im Verschulden (sich etwas leihen) als auch in der Reduktion liquider Vermogenswerte, Formen des dissaving erkennt. (Katona, 1964, S.235).
Der Lebenszyklus-Theorie folgend versuchen Individuen ihr Lebenseinkom- men durch Sparen und Leihen zu glatten um auch in einkommensschwachen Lebensphasen ihr gewunschtes Konsumniveau realisieren zu konnen. Sparen ist somit aufgeschobener Konsum (Lunt/Livingstone, 1992, S. 47) und stark vom individuellen Optimismus oder Pessimismus bezuglich der okonomischen Entwicklung abhangig. Diese Annahme setzt jedoch selbstdisziplinierte, lang- fristig planende Individuen sowie individuelle Planbarkeit der Zukunft voraus.
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- Quote paper
- André Berndt (Author), 2004, Sparen und Leihen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24370
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