In dieser Hausarbeit, die ich zum Hauptseminar „ Philosophie der künstlichen Intelligenz“ von Prof. Hubig an der Universität Stuttgart im SS 2002 geschrieben habe, wird es um natürliche Intelligenz und natürliches Leben und ihre Versuche zur
„ Übertragung“ 1 als „ Künstliche Intelligenz“ 2 und „ Künstliches Leben“ 3 auf digitale Rechenmaschinen gehen. Damit stellt sich die Frage, was man überhaupt auf den Rechner transformiert, wie viel und welchen Teil des Natürlichen eine solche Transformation erhält und ob das Sein des Natürlichen durch eine Simulation, Nachahmung oder Repräsentation überhaupt berührt wird. Wir können solche Fragen nur schwer beantworten, da wir keinen dritten Standpunkt einnehmen können, der es uns ermöglichen würde, solche Fragen für den Computer zu beantworten. Schon lange unternehmen Menschen Anstrengungen, künstliche Geschöpfe zu schaffen, die vorrangig der Arbeitserleichterung und Informationsverarbeitung (speziell im Hinblick auf die Filterung und Aufarbeitung von großen Informationsmengen) dienen sollen. Als Inspiration und Vorbild für solche „ dienstbaren Geister“ dienen Entitäten der Welt in der wir leben. Das deswegen, weil uns künstliche Wesen ja in unserer Welt helfen sollen und sich ihre Funktionsweise deshalb an unserer Welt und ihren Gesetzen orientieren muss.
Der Weg zur Erschaffung solcher künstlicher Wesen führt, über die Ergründung und Beobachtung dessen was natürlich ist, schließlich auf unser eigenes Mensch- und Weltenbild zurück. Dieses Bild vom Menschen und der Welt wird und wurde aber immer selbst als „ Rückprojektionen gelingender technischer Zusammenhänge
entworfen“ 4 und führt damit wieder zum Künstlich-technischen zurück. Der Ansatz der klassischen KI geht von einem techno-logischen Bild des Menschen und seiner Welt aus und zieht daraus Konsequenzen für die algorithmische Realisierung. Erst der Vergleich einer künstlichen Schöpfung mit dem Vorbild selbst kann eine Aussage darüber geben, wie gelungen das Ergebnis ist. Wäre das nicht so, nach welchen Kriterien würde man dann urteilen?
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Naturliches Leben
2.1 Allgemeine Merkmale des Lebens
2.2 Die biochemische Sichtweise
2.3 Darwins Theorie der fortwahrenden Evolution
2.4 Faktoren der Evolution
3 Naturliche Intelligenz
3.1 Allgemeine Merkmale der Intelligenz
3.2 Die Erscheinungsform der Intelligenz: Anwendung
3.3 Ursprung der Intelligenz
3.2.1 Lernen von Wissen und Regeln
3.2.2 Mechanismen des Lernens: Inferenz und Theoriebildung
3.2.3 Andere Methoden: Programmierung und Konditionierung
4 Kunstliche Intelligenz
4.1 Geschichte der Kunstlichen Intelligenz
4.2 Technik der kunstlichen Intelligenz
4.2.1 Algorithmen
4.2.2 Wissensverarbeitung: Datenbanken
4.2.3 Logik, Symbol, Representation
4.2.4 Performanzmodelle und der Ubergang zur physikalischen Informationstheorie
4.2.5 Die konnektionistische Wende
4.3 Philosophie der kunstlichen Intelligenz:
4.3.1 Verstand und Mathematik: der cartesische Dualismus
4.3.2 Verstand und Rechnen: Hobbes ratio rationicians
4.3.3 Verstand und Logik: Beziehung und Representation
4.3.4 Konsequenzen der dualistischen Position
5 Einschub: Naturlichkeit und Kunstlichkeit
5.1 Wie naturlich ist „kunstliche Intelligenz“?
5.2 Wie kunstlich ist „naturliche Intelligenz?“
5.3 Der theoretische Zugang zur „lebendigen“ Intelligenz
6 Kunstliches Leben
6.1 Was ist kunstliches Leben?
6.2 Technik des kunstlichen Lebens
6.2.1 Verhaltensbasierte Systeme
6.2.2 „Lebendige“ Automaten: John von Neumanns Zellularautomaten
6.2.3 Programmierte Evolution
6.2.4 Abhangigkeiten der evolutionaren Algorithmen
6.2.5 Agentensysteme
6.2.6 Evolutionares Wachstum: Vorteile und Probleme
6.3 Philosophie des kunstlichen Lebens
6.3.1 Ist kunstliches Leben lebendig?
6.3.2 Das Problem der dritten Person
6.3.3 Der phanomenologische Ansatz
6.3.4 Heideggers Fundamentalontologie als Gegenentwurf zu Descartes Philosophie des dualistischen Rationalismus
6.3.5 Heideggers Analyse der Weltlichkeit als Modell fur Kunstliches Leben
7 Der Paradigmenwechsel
7.1 Praktische Motivation und Konsequenzen
7.2 Theoretische Motivation und Konsequenzen
8 Literaturverzeichnis
l Einleitung
In dieser Hausarbeit, die ich zum Hauptseminar „Philosophie der kunstlichen Intelligenz“ von Prof. Hubig an der Universitat Stuttgart im SS 2002 geschrieben habe, wird es um naturliche Intelligenz und naturliches Leben und ihre Versuche zur „Ubertragung“[1] als „Kunstliche Intelligent[2] und „Kunstliches Leben“[3] auf digitale Rechenmaschinen gehen. Damit stellt sich die Frage, was man uberhaupt auf den Rechner transformiert, wie viel und welchen Teil des Naturlichen eine solche Transformation erhalt und ob das Sein des Naturlichen durch eine Simulation, Nachahmung oder Representation uberhaupt beruhrt wird. Wir konnen solche Fragen nur schwer beantworten, da wir keinen dritten Standpunkt einnehmen konnen, der es uns ermoglichen wurde, solche Fragen fur den Computer zu beantworten.
Schon lange unternehmen Menschen Anstrengungen, kunstliche Geschopfe zu schaffen, die vorrangig der Arbeitserleichterung und Informationsverarbeitung (speziell im Hinblick auf die Filterung und Aufarbeitung von groBen Informationsmengen) dienen sollen. Als Inspiration und Vorbild fur solche „dienstbaren Geister“ dienen Entitaten der Welt in der wir leben. Das deswegen, weil uns kunstliche Wesen ja in unserer Welt helfen sollen und sich ihre Funktionsweise deshalb an unserer Welt und ihren Gesetzen orientieren muss.
Der Weg zur Erschaffung solcher kunstlicher Wesen fuhrt, uber die Ergrundung und Beobachtung dessen was naturlich ist, schlieBlich auf unser eigenes Mensch- und Weltenbild zuruck. Dieses Bild vom Menschen und der Welt wird und wurde aber immer selbst als „Ruckprojektionen gelingender technischer Zusammenhange entworfen“[4] und fuhrt damit wieder zum Kunstlich-technischen zuruck. Der Ansatz der klassischen KI geht von einem techno-logischen Bild des Menschen und seiner Welt aus und zieht daraus Konsequenzen fur die algorithmische Realisierung.
Erst der Vergleich einer kunstlichen Schopfung mit dem Vorbild selbst kann eine Aussage daruber geben, wie gelungen das Ergebnis ist. Ware das nicht so, nach welchen Kriterien wurde man dann urteilen?
Was uns im vorliegenden Fall interessiert, ist also die Erforschung der Natur des umzusetzenden Inhalts:
- Was ist das Spezifische an Intelligenz und Leben, wie wir es taglich erfahren?
- Wie und mit welchen Mitteln kann man es so beschreiben, dass es auf programmierbare Rechenmaschinen „ubertragbar“ ist?
Diese Fragen fuhren unmittelbar zu weiteren Fragen, die die Sinnhaftigkeit des ganzen Unternehmens betreffen:
Was hat man uberhaupt gewonnen, wenn man Intelligenz oder Leben auf den Rechner ubertragen hat? Kann man uberhaupt etwas gewinnen, d.h. wurde eine programmierte kunstliche Intelligenz wirklich wie die menschliche Intelligenz s e i n? Kunstliches Leben wie naturliches s e i n?
Diese Fragen sind eng mit den Hauptstreitfragen der klassischen KI-Diskussion verknupft: Manche Problemstellungen scheinen sich einer Losung schlichtweg zu entziehen; diese „harten Nusse“ liegen an der Schnittstelle zwischen Maschine und
Geist, Leib und Seele, Technik und Philosophic und sind wahrscheinlich deshalb so schwer zu knacken[5].
Wieder spielen die Eigenschaften der Simulation eine entscheidende Rolle:
Kann eine Maschine wirklich denken oder das Denken nur nachahmen?
Diese Frage fuhrt die Diskussion auf eine grundsatzliche Ebene:
- Die Frage des Seins: Kann Kunstliches Sein?
- Die Frage nach Natur und Kunstlichkeit: 1st der Mensch eine Maschine?
Ich werde versuchen zu zeigen, dass die klassische orthodox-kognitive AI deswegen Probleme mit der Stellung (und erst Recht Beantwortung) solcher Fragen hat, weil ihr die cartesianische Trennung von Subjekt und Objekt zugrunde liegt (Kapitel 4.3).
Die Methode der phanomenologischen Philosophie die ich in Kapitel 6.3.3 genauer einfuhren werde, lehnt einen Vorrang der Erkenntnis (eines Objektes durch ein Subjekt) vor der Erfahrung ab und damit auch eine Trennung und Unterordnung des Leibes unter die Seele. Das zu untersuchende Gebiet liegt im Schnittpunkt der cartesischen Philosophie zwischen Leib und Seele und ist fur eine Untersuchung mit dieser philosophischen Methode schwer zuganglich, wie ich in Kapitel 5 zeigen werde. Die Phanomenologie hingegen versteht sich als Mittler und Mittleres zwischen Leib und Seele und kann somit Wesensschau von Phanomenen betreiben, die sowohl unsere korperliche Manifestation in der Welt als auch unseren Geist betreffen (Kapitel 6.3).
Die Hausarbeit habe ich nach folgender Vorgehensweise gegliedert:
- eine Darstellung und Untersuchung gangiger Theorien uber Intelligenz und Leben in naturlicher Form.
- eine Darstellung und Untersuchung gangiger Theorien uber die techno-logische „kunstliche“ Realisierung von Intelligenz und Leben.
- eine Darstellung und Kritik der philosophischen Motivation einer solchen jeweiligen Realisierung.
2 Naturliches Leben
2.1 Allgemeine Merkmale des Lebens
Was naturliches Leben wirklich auszeichnet, ist schwer zu sagen, denn es gibt leider keine allgemein akzeptierte und erschopfende Definition dessen, was man „Leben“ nennt.
Gangige Definitionen zahlen aber mindestens folgenden Merkmale des Lebens auf:
- Naturliches Leben reagiert auf die Umwelt, in der es lebt und zeigt ein „Verhalten“
- Naturliches Leben ist selbsterhaltend und endlich
- Naturliches Leben ist im Allgemeinen in der Lage zu Wachstum[6]
- Naturliches Leben pflanzt sich biologisch fort, d.h. es reproduziert sich selbst mit Hilfe von vererbbaren biochemischen Informationsstrukturen (Kapitel 2.2)
- Naturliches Leben unterliegt aus physikalischer Sicht einer standigen Energieaufnahme und verhalt sich in Bezug auf die Erhaltung der komplexen biologischen Informationen von Generation zu Generation entgegen den Vorhersagen des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, der eine Zunahme der
Entropie fordert. Erst eine Analyse von Leben als offene Systeme kann diesen Widerspruch verhindern.
- Die Entwicklung von naturlichem Leben findet in einer zeitlichen Struktur als Ausbildung von zunehmend komplexeren Eigenschaften der Lebensform statt
Keine dieser Eigenschaften allein gibt eine gultige Beschreibung dessen, was wir unter Leben verstehen, erst das Zusammenspiel dieser Eigenschaften beschreibt „das Phanomen Leben“ in etwa.
2.2 Die biochemische Sichtweise
Aus biochemischer Sicht bestehen lebende Organismen aus Zellen, die sich im Laufe ihrer Entwicklung auf eine bestimmte Aufgabe spezialisieren. Diese Zellen bestehen wiederum aus Proteinen, Molekulketten, die nach einem bestimmten „Bauplan“ aus Aminosauren zusammengesetzt sind.
Es gibt lediglich 20 Aminosauren, aus denen samtliche Proteine lebender Organismen zusammengesetzt sind. Die Reihenfolge der Aminosauren in der Kette bestimmt den Typ des Proteins. Aminosauren sind also eine Art Alphabet von Buchstaben, aus dem man Worter bzw. Proteine bilden kann. So wie man aus 24 Buchstaben eine ungeheure Anzahl von Wortern bilden kann, konnen die 20 einfachen Aminosauren die Komplexitat und Vielfalt des Lebens erzeugen und realisieren.
2.3 Darwins Theorie der fortwahrenden Evolution
Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war man der Ansicht, dass Gott das Leben in einem einmaligen Schopfungsakt individuell und unveranderlich geschaffen hatte. Charles Darwin setzte sich 1859 in seinem Werk „ The Origin of Species... ““ kritisch mit bereits vorhandenen Ansatzen zur Erklarung der Entstehung der verschiedenen Arten (wie etwa dem Lamarckismus) auseinander und erganzte sie zu einer „darwinistischen“ Theorie von der naturlichen Auslese, der biologischen Evolutionstheorie.
Er ging dabei von zwei Vorraussetzungen aus:
1. der Variabilitat und Vererbbarkeit der Merkmale einer Lebensform uber Generationen und
2. der Uberproduktion von Nachkommen einer Generation.
Darauf aufbauend schloss er, dass aufgrund der naturlichen Ressourcenknappheit nicht alle Nachkommen uberleben konnen, und daher diejenigen sterben, deren Uberlebensfahigkeit (der Fitnessfaktor) am wenigsten ausgepragt ist.
Dies fuhrt zur Auslese der Individuen, die der Umwelt am besten angepasst sind:
„ The survival of the fittest“ - “Das Uberleben der am besten Angepassten” So konnte Darwin das Prinzip der Evolution mithilfe der Auslese durch Fitnessfaktoren erklaren, nicht aber, wer warum am besten Angepasst ist, denn am besten angepasst ist naturlich das Individuum, dass den hochsten Fitnessfaktor hat und damit am besten angepasst ist: ein Zirkelschluss.
2.4 Faktoren der Evolution
Veranderungen in der Fitness eines Individuums konnen durch folgende Faktoren der Evolution bedingt sein:
- Mutation: (spontane Veranderungen im Erbmaterial, die zu genotypisch wirksamen Varianten des Grundtyps einer Art fuhren)
- Selektion: (Bevorzugung der funktional bestangepassten Individuen)[7]
- Rekombination: Neukombination von Erbmaterial, wie sie bei Organismen mit geschlechtlicher Fortpflanzung auftritt. Durch den Vermischungseffekt konnen Selektionsvorteile erreicht werden, die unter den Nachkommen zu unterschiedlicher Fitness (Tauglichkeit) der Individuen im Uberlebenskampf fuhren.
Mit diesen Faktoren ist die Evolutionstheorie als Modell fur die Entwicklung des Menschen aus einfachen Urorganismen uber die fortdauernde „naturliche“ Auslese von Organismen denkbar.
Entscheidenden Einfluss auf das Ergebnis einer solchen Auslese haben die Faktoren, die fur die stochastisch abweichende Fitness eines Individuums maBgeblich sind. Die Faktoren der Evolution hangen wiederum eng mit dem zusammen, was man als „Umwelt“ oder „Lebenswelt“ des Individuums bezeichnet, denn die Evolutionsfaktoren erlauben es einem Individuum, sich uber mehrere Generationen an seine spezifische Umwelt anzupassen, gleichzeitig pragen die auBeren Bedingungen eines evolutionaren Prozesses die Individuen, die sich an sie anpassen mussen.
Das Leben ist durch die Entwicklung in und die Abhangigkeit von einer bestimmten Umwelt gepragt. Je extremer die Anforderungen der Umwelt an die Anpassungsfahigkeit der Organismen, desto gebundener ist das Leben an seine Umwelt. Der Nordpol und die Sahara haben beide ihr spezifisches Leben, das nur dort so existieren kann. Ein Eisbar ware in der Sahara genauso wenig uberlebensfahig wie ein Kamel am Nordpol. Diese Abhangigkeit von Individuum und Umwelt ist wohl der entscheidende Faktor bei evolutionaren Prozessen und er wird in der Untersuchung des AL eine entscheidende Rolle spielen.
3 Naturliche Intelligenz
3.1 Allgemeine Merkmale der Intelligenz
Den Begriff „Intelligenz“[8] definierte William Stern 1920 so: „Intelligenz ist die allgemeine Fahigkeit eines Individuums, sein Denken bewusst auf neue Forderungen einzustellen; sie ist allgemeine geistige Anpassungsfahigkeit an neue Aufgaben und Bedingungen des Lebens.“ (Stern[20])
In dieser Definition werden zwei Zugange zur Intelligenz eroffnet: die Einstellung des Denkens auf neue Forderungen und Gegebenheiten die Anpassungsfahigkeit an das und die Abhangigkeit vom Leben.
So einfach lasst sich die Intelligenz heute nicht mehr fassen, auch wenn dieser grundsatzliche Ansatz der Teilung in Einstellung und Abhangigkeit noch immer gilt. Etymologisch stammt das Wort „Intelligenz“ vom lateinischen intellegere ab, was einsehen oder einsichtig machen bedeutet. Die intelligentia (also die Intelligenz) schlieBlich kann man als
- Erkenntnisvermogen (als das Vermogen, geistige Auffassungsgabe zu entwickeln, Einsichten zu haben und Zusammenhange zu begreifen)
- Urteilsfahigkeit
- Das Erfassen von Moglichkeiten verstehen.[9]
3.2 Die Erscheinungsform der Intelligenz: Anwendung
Ein Merkmal der menschlichen Intelligenz ist es, nur in ihrer Anwendung auf die Losung eines Problems zutage zu treten, also der Uberfuhrung einer defekten Struktur[10] in der Umwelt des Menschen durch „Wahrnehmung, Gewohnheiten und elementare sensomotorische Mechanismen“ (Piaget[71] S.14, S.71) in ein Gleichgewicht, in dem dieser intelligentes Handeln erst erfordernde Defekt behoben ist. Die Intelligenz als Moglichkeit zur Einstellung des Denkens auf solch einen neuen Sachverhalt und dessen Behebung spannt einen imaginaren Handlungsraum auf, in dem intelligentes Uberlegen uberhaupt erst stattfinden kann. Wahrend des Prozesses der Problemlosung treten wichtige Merkmale zur Beurteilung der Intelligenz hervor:
Die Art, die Effizienz und die Geschwindigkeit, mit der ein Mensch ein Problem durch Akkomodation oder Assimilation bezuglich seiner Umwelt lost, kann, so die gangige Theorie, Aufschluss daruber geben „wie intelligent ein Mensch ist.
Aber Intelligenz zeigt sich nicht nur in solchen abstrakten gedanklichen Leistungen, sondern auch im praktischen Gebrauch von Sprache, dem Erkennen von Gegenstanden, dem raumlichen Sehen und bei komplexen zielgerichteten Bewegungsablaufen. Es gibt also nicht „die Intelligenz“ schlechthin als abstrakten Begriff, sondern die Intelligenz zeigt sich vor allem in verschiedenen Auspragungen intelligenten Handelns, deswegen kann man die Intelligenz auch nur nach ihren Leistungen beurteilen und nicht per se. Joseph Weizenbaum, einer der prominentesten Kritiker der KI, schreibt uber die Intelligenz: „Fur sich allein betrachtet ist Intelligenz ein sinnloser Begriff. Er erfordert einen Bezugsrahmen, die Definition eines Bereichs im Denken und Handeln, um ihm einen Sinn zu geben. ... in Wirklichkeit sind weder unsere Kultur noch unsere Umwelt universal oder absolut. Deshalb ware es angebracht, wenn wir als Wissenschaftler oder Erzieher den Begriff „Intelligenz“ verwenden, stets den Bereich des Denkens und Handelns explizit anzugeben, aus dem der Begriff seine Bedeutung gewinnt.“ (Weizenbaum[77] S.271). Weder die menschliche Kultur noch die Umwelt sind also getrennt zu betrachten, im Gegenteil spielt das Verhaltnis der Umwelt (wie der Natur) relativ zur Kultur und umgekehrt die entscheidende Rolle. Diese Abhangigkeit der Intelligenz von der Umwelt, auf die sie angewandt wird, spielt in meiner spateren Argumentation fur „lebendige“, direkt mit einer Umwelt interagierende Algorithmen als fundierendes Element einer „naturlichen“ kunstlichen Intelligenz eine groBe Rolle.
3.3 Ursprung der In telligenz
Wie kommt man uberhaupt zur Intelligenz? Hier scheinen zwei Antworten moglich:
1. Die Intelligenz kann angeboren sein, d.h. eine physisch-genetische Veranlagung, die sich nach der Geburt ohne auBere Hilfe ahnlich einem verpuppten Schmetterling nur noch zu entfalten braucht.
2. Die Intelligenz entsteht zum einen durch das Erlernen einer systematischen Theorie des Weltwissens und zum anderen durch das Trainieren der Anwendung und Umsetzung des Erlernten, das schlieBlich zur Erlangung einer Kompetenz fuhrt, die intelligentes Problemlosen erst ermoglicht.
In der hier ausgebreiteten Diskussion interessiert jedoch nicht die Theorie der angeborenen Intelligenz (die bei entsprechendem Wissen uber die Art der Codierung
dann einfach zu programmieren ware), sondern der Ursprung der Intelligenz in der Aneignung von speziellen Methoden der Wissenserweiterung sowie einer (antrainierbaren) Kompetenz in Bezug auf die Anwendung des Wissens.
3.3.1 Lernen von Wissen und Regeln
Eine Definition des Lernens unter allgemein-technischen Gesichtspunkten findet man bei Herbert A. Simon: „Mit Lernen bezeichnet man adaptive Veranderungen der Fahigkeiten eines Systems, um die gleichen oder ahnlichen Aufgaben, die aus der gleichen Population hervorgehen, beim nachsten Mal effizienter und effektiver behandeln zu konnen.“[11]
Lernen beinhaltet im Kontext der Intelligenz also sowohl die Speicherung von Fakten als auch das fur Begriffe der Intelligenz weitaus wichtigere Wissen uber Mechanismen zur Erweiterung und Anwendung des Wissens und Konnens unter Effizienzaspekten.
Der Prozess und der Erfolg des Lernen die Verbesserung der Performanz, werden wiederum, wie schon die Intelligenz als ganzes, durch die erfolgreiche Anwendung des Gelernten beurteilt. Das Urteil kann ein Lehrer fallen, also ein Mensch, aber auch eine verbrannte Hand, die man wiederholt auf die Herdplatte gehalten hat, dies ware dann eine unmittelbar physisch erfahrbare Beurteilung der Art des Erfolgs, aber genauso die Mathematik, indem sie eine Gleichung nach bestimmten Kriterien als gelost ansieht oder nicht. Lernen ist kein Selbstzweck an sich, sondern tragt einen Grund in sich: auf rudimentarer Basis gesehen die Verbesserung der Lebensbedingungen durch die Verbesserung der Performanz bei der Problemlosung. Lernen ist keine spezifisch menschliche Eigenschaft sondern man findet Lernprozesse auch bei Tieren, wenn etwa Jagdtechniken von Generation zu Generation weitergegeben werden. Dass das Lernen, wie die Intelligenz auch, eine Bedeutung in der Erhaltung und Verbesserung der fundamentalen Lebensumstande hat, wird der spateren Argumentation fur eine Realisierung von rudimentarer „Lebensintelligenz“ im evolutionaren Sinne die entscheidende Motivation liefern.
3.3.2 Mechanismen des Lernens: Inferenz und Theoriebildung
Was aber ist die grundsatzliche Art und Weise der Erweiterung von Wissen? Was ist der „Kern“ des Lernens, der Mechanismus? Naturlich liegt es nahe, diese Frage zuerst auf den Menschen bezogen zu stellen. Wie und nach welchen Prinzipien lernt der Mensch? Lernen ist eng mit der Beobachtung der Welt verknupft. Wir konnen zum einen versuchen, aus einzelnen Beobachtungen und Sachverhalten eine Theorie aufzustellen, wie diese Sachverhalte allgemein miteinander zusammenhangen (Induktion), oder man kann aus bereits vorhandenen Gesetzen und Theorien eine Erklarung fur eine Beobachtung beziehen bzw. eine Vorhersage uber einen Sachverhalt machen (Deduktion). Wichtig scheint also auch in diesem Zusammenhang die Abhangigkeit der Intelligenz von einem Bezugspunkt, also etwa unserer Welt bzw. der Umwelt, in der wir leben.12
Bei diesem Vorgang der Theoriebildung lassen sich dann verschiedene grundlegende
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1
3.3.3 Andere Methoden: Programmierung und Konditionierung
Die einfachste Methode des Lernens ist sicher das mechanische Lernen durch Programmierung bzw. Auswendiglernen. Dies hat aber mit intelligenter Erweiterung der Wissensbasis nichts zu tun, das sieht man schon daran, dass Computer sehr gut „auswendig lernen“ konnen.
Ein anderes Verfahren ist die Konditionierung durch Belohnung oder Strafe. Sie kann entweder rein verhaltensbasiert sein, oder die anderen Lernmethoden miteinbeziehen, etwa zur schnelleren Erlangung einer Belohnung. Die abstrahierte Form dieser Art des Lernens findet im Bereich des kunstlichen Lebens (Kapitel 5) eine Anwendung. Die Mischung von Konditionierung und Moglichkeit zum selbstandigen Handeln zeichnet sich durch eine schnelle ansteigende Komplexitat des Wachstum von Gelerntem aus: ein Lernerfolg wirkt direkt auf das Wachstum der lernenden Struktur zuruck. So entsteht ein Kreislauf, der in der Lage ist, komplexe Losungen mit einfachen Vorraussetzungen und Mitteln zu finden.
4 Kunstliche Intelligenz
4.1 Geschichte der Kunstlichen Intelligenz
Der Traum vom kunstlichen Menschen, vom „Roboter“ ist schon so alt wie das Nachdenken uber den Menschen selbst. Erste Ansatze einer „Denkmaschine“ finden sich im alten Agypten (zirka 2500 v. Chr.). Griechische Denker der Antike traumten von kunstlichen Wesen, intelligenten Robotern und Androiden, die judische Mystik kennt im Golem (etwa 16. Jahrhundert) eine Legende von der Uberschreitung der Grenzen durch die zweite, bessere Schopfung eines dienstbaren, intelligenten Geistes.
Mit dem Fortschritt der Technik im Mittelalter begann sich neben der „alchimistischen“ Herstellung von solchen Robotern auch eine neue Theorie der Schaffung solcher kunstlicher Intelligenzen zu etablieren: die Automatentheorie.
Die Idee vom Maschinenmenschen, in dem Geist und Korper mechanischen Prinzipien gehorchen, ging einher mit der rationalistischen Ergrundung des Geistes unter logisch- mathematischen Gesichtspunkten, der menschliche Geist ruckt in die Nahe einer „Rechenmaschine“, die man nur noch richtig programmieren muss.
Am Schnittpunkt der Bemuhungen um eine Theorie der Rechenmaschinen und der Realisierung solcher Maschinen stehen der englische Mathematiker Charles Babbage (1792-1871) und sein Widerpart, die Grafin Ada Lovelace (1815-1851). Babbage hatte einen enorm komplizierten, aber universal verwendbaren mechanischen Rechner konzipiert, die „Analytische Maschine“, die „korperlich“ bereits den modularen Aufbau moderner Rechner hat und „geistig“ die Moglichkeit zur automatischen Abarbeitung von vorher entworfenen Programmen bietet.
Die Ideen von Babbage wurden weiterentwickelt und Alan Turing gelang in den dreiBiger Jahren des letzten Jahrhunderts schliesslich die mathematische Fundamentierung und Formalisierung der Automatentheorie. Auf den allgemeinen und
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] Ob „Ubertragung“: die passende Metapher ist oder ob man eher von einer Transformation oder Simulation sprechen sollte, wird spater noch genauer erortert werden.
[2] engl.: artificial intelligence, im folgenden KI
[3] engl.: artificial life, im folgenden KG
[4] Hubig[02], S. 26
[5] In dieser Hausarbeit will ich meine Ansicht uber die Beschaffenheit des „Nussknackers“ darstellen, begrunden und gegen andere Ansatze abgrenzen. Dabei muss zwischen einem zu starken „Werkzeug“ (das die Nuss mitsamt der Schale in seine atomaren Bestandteile, pulverisiert und somit die zerteilte Nuss als Ganzes aus den Augen verliert) und einem zu schwachen „Werkzeug“, das die Schale nur verletzt, aber keinen Blick auf den Nusskern ermoglicht., ein Mittelweg gefunden werden., der eine schrittweise, immer tiefergehendere Abtragung der Schale vornimmt, die einen direkten Zugang zum Nusskerns vorerst verhindert.
[6] Kristalle wachsen zwar auch, man wird sie deshalb aber nicht als lebendig bezeichnen.
[7] Darwin, C.: The origin of species by means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life , Murray London 1901
[8] Eine gute Darstellung der Intelligenz unter dem Gesichtspunkt der Abhangigkeit von der Umwelt findet sich in Irrgang[98], so dass ich der Darstellung hier inhaltlich folge.
[9] Siehe dazu : Westhoff, H.: Was heibt hier Intelligenz? In: Strombach[85]
[10] “defekt” wird hier nicht nur im Sinne von „Schaden“ verstanden sondern auch als Mangel an etwas (bsp. Nahrung, Komfort...) oder Fehler in etwas (bsp. in Werkzeugen). In Kapitel 6.3.4 werde ich noch naher auf das Phanomen eingehen, das uns Dinge erst ins Auge fallen, wenn sie nicht mehr wie gewohnt „funktionieren“ Heidegger spricht hier vom gestorten Verweisungscharakter des Zeugs, dass uns ein Zeug aufdringlich erscheinen lasst. Diese Aufdringlichkeit ist in diesem Fall die defekte Struktur der Umwelt.
[11] Simon, Herbert, A.: Why should Machines learn? In: Michalski[84 ]S. 25-37
[12] Vgl. (Keller[00], S.28: Inferenzmethoden)
- Quote paper
- Tillmann Pross (Author), 2003, Künstliche Intelligenz, Künstliches Leben - Vom technologischen zum philosophischen Paradigmenwechsel?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24316
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