Der Roman The Siege of Krishnapur dreht sich nicht, wie man vom Titel her vermuten könnte, so sehr um die blutige Belagerung von 1857 als historisches Ereignis an sich, sondern fokussiert vielmehr die Ansichten und Glaubenseinstellungen der belagerten englischen Kolonialherren.
Die im Werk Farrells dargestellten Charaktere sind Produkte einer von sich selbst überzeugten, überheblichen viktorianischen Gesellschaft und verkörpern gängige Ideale und Ansichten ihrer Zeit. 9 Nichtsdestotrotz gelingt es dem Autor hier keine stereotypen Charaktere zu entwerfen, sondern jede Figur in einem individuellen Licht erscheinen zu lassen, indem er jeden der bedeutenderen englischen Charaktere ausführlich beleuchtet. Das Verhalten, die Ansichten und Wertvorstellungen jedes Mitglieds der britischen Gesellschaft für sich werden im Roman der tatsächlichen Realität gegenübergestellt und so mittels Ironie und Satire ihrer Absurdität und Weltfremdheit preisgegeben.
Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Analyse der Figur des Collectors, Mr Hopkins, da er die Personinfizierung der Ideale und Glaubensvorstellungen des viktorianischen Zeitalters schlechthin ist11 und die bedeutendste Figur des Romans darstellt.
Ziel dieser Arbeit ist es herauszuarbeiten, welche Ansichten und Einstellungen der Collector vertritt, auf welcherlei Art sich diese manifestieren und inwiefern sie typisch für das viktorianische Zeitalter sind. Des Weiteren soll durch die Analyse der Figur des Collectors und seiner Wandlung klar werden, in wie weit die viktorianischen Ideale der Belagerung zum Opfer gefallen sind und welcher Einsicht sie gewichen sind.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der Viktorianische Collector
2.1 befürwortung des Kolonialismus: Blinder Glaube an Fortschritt und an die eigene Höherwertigkeit
2.2. Religiöser Glaube und Fortschritt
2.3. Einstellung gegenüber Frauen
3. Die Allmähliche Abkehr vom Viktorianismus
3.1. Änderung der Perspektive und Verlust der Überheblichkeit
3.2. Zweifel am Kolonialismus
3.3. Freimachung vom Materialismus und Hinwegsetzung über gesellschaftliche Normen
4. Der Gewandelte Collector
5. Schluss
6. Bibliographie
1. Einleitung
Der Schriftsteller James Gordon Farrell erhielt 1973 für sein Werk The Siege of Krishnapur die renommierteste literarische Auszeichnung, die alljährlich in Groß-Britannien verliehen wird: den Booker Prize.1 Mit The Siege of Krishnapur, seinem fünften Roman erreichte der damals 38-jährige Liverpooler, der heute als einer der bedeutendsten englischen Literaten der Nachkriegszeit gilt2, zum ersten Mal in seiner schriftstellerischen Karriere ein größeres Publikum3.
The Siege of Krishnapur bildet zusammen mit den Werken Troubles (1970) und The Singapore Grip (1978) die sogenannte empire-trilogy. Diese drei Romane gleichen sich alle im Hinblick auf ihre Thematik4: eine britische, eitle Gemeinschaft wird zunächst belagert, harrt aus und wird schlussendlich aufgrund der äußeren Bedrohung durch eine Gemeinschaft mit anderen politischen, ideologischen oder religiösen Ansichten und Überzeugungen zerstört.5
Im Werk The Siege of Krishnapur wird eine Gemeinschaft von britischen Kolonialherren vorgestellt, die vorgibt Indien die Zivilisation bringen zu wollen, aber so egozentrisch ist, dass die allmähliche Verschlechterung des anglo-indischen Verhältnisses, aus der letztendlich die Belagerung resultiert, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird. Selbst während der Belagerung versucht die britische Gemeinschaft weiterhin ihre Konventionen und Vorstellungen von einem kultivierten Leben aufrecht zu erhalten, denn nur so können sie den Unterschied zu den ihrer Ansicht nach primitiven Indern und ihren Glauben an die eigene naturgegebene Überlegenheit aufrechterhalten. Obwohl sich der physische als auch der psychische Zustand der Charaktere unter anderem aufgrund des Mangels an Nahrungsmitteln immer weiter verschlechtert, halten sie an ihren Idealen fest, so dass ihr Verhalten in immer schärferen Kontrast zu ihrer tatsächlichen, misslichen Lage steht6. Die Charaktere können schließlich unter dem von außen kommenden Druck die Fassade der Kultiviertheit nicht mehr aufrechterhalten und keiner von ihnen kehrt nach der Befreiung unverändert in das normale Leben zurück.7
Der Roman The Siege of Krishnapur dreht sich also nicht, wie man vom Titel her vermuten könnte, so sehr um die blutige Belagerung von 1857 als historisches Ereignis an sich, sondern fokussiert vielmehr die Ansichten und Glaubenseinstellungen der belagerten englischen Kolonialherren.8
Die im Werk Farrells dargestellten Charaktere sind Produkte einer von sich selbst überzeugten, überheblichen viktorianischen Gesellschaft und verkörpern gängige Ideale und Ansichten ihrer Zeit.9 Nichtsdestotrotz gelingt es dem Autor hier keine stereotypen Charaktere zu entwerfen, sondern jede Figur in einem individuellen Licht erscheinen zu lassen, indem er jeden der bedeutenderen englischen Charaktere ausführlich beleuchtet. Das Verhalten, die Ansichten und Wertvorstellungen jedes Mitglieds der britischen Gesellschaft für sich werden im Roman der tatsächlichen Realität gegenübergestellt und so mittels Ironie und Satire ihrer Absurdität und Weltfremdheit preisgegeben.10
Auf den Primärtext wird im folgenden mittels Seitenangaben in Klammern direkt nach dem Zitat verwiesen. Die Sekundärliteratur wird mittels Fußnoten angegeben.
2. Der viktorianische Collector
2.1. Befürwortung des Kolonialismus: Blinder Glaube an Fortschritt und an die eigene Höherwertigkeit
Bereits der Titel Collector, wie die Figur Mr Hopkins überwiegend im Roman genannt wird, macht den Leser auf eine besondere Eigenschaft des Charakters aufmerksam. Einerseits weißt die Bezeichnung natürlich auf den Rang eines Verwalters hin, anderseits aber lenkt sie die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sammelleidenschaft der Figur13, denn wie dieser gleich zu Beginn des Romans erfährt ist der Collector dafür verantwortlich, dass sich in der Residenz allerlei künstlerischer und wissenschaftlicher Schnick-Schnack befindet. Diese Sammelleidenschaft hat natürlich tiefgehendere Gründe, denn bei den Gegenständen handelt es sich vornehmlich um Dinge, die auf der Great Exhibition von 1851 in London ausgestellt waren. Die Ausstellung, bei der es vor allen Dingen darum ging, den florierenden viktorianischen Handel zur Schau zu tragen14, wird oft als Meilenstein und Höhepunkt des britischen Empires gesehen. Für den Charakter Mr Hopkins verkörpern, genau wie für die Mehrheit der britischen Bevölkerung während des viktorianischen Zeitalters, diese, teilweise bizarr oder komisch anmutenden Kunstgegenstände und Erfindungen wie z.B. eine Eisenbahn, die sich ihre Schienen selbst verlegt, die fortschrittliche und rationale Zivilisation15, denn seiner - typisch viktorianischen - Meinung nach führt wissenschaftlicher Fortschritt die Menschen zu einer höheren Moral16, wie er in einem Gespräch mit Mrs Lang erklärt:
I believe that we are all part of a society which by its communal efforts of faith and reason is gradually raising itself to higher state...There are rules of morality to be followed if we are to advance, just as there are rules of scientific investigation...Mrs Lang, we are raising ourselves, however painfully, so that mankind may enjoy in the future a superior life which now we can hardly conceive! The foundations on which the new men will build their lives are Faith, Science, Respectability, Geology, Mechanical Invention, Ventilation and Rotation Crops! (80)
[...]
1 Binns, Ronald: Contemporary Writers: J. G. Farrell. London/New York: Methuen 1986, 9.
2 Cichón, Anna: The Realm of Personality and History: A Study of J. G. Farrell’s Fiction. Wydawnictwo Uniwersytetu Wroclawskigo: Wroclaw 1995, 7.
3 Binns, Ronald: Contemporary Writers: J. G. Farrell. London/New York: Methuen 1986, 9.
4 Crane, Ralph J., Livett, Jennifer: Troubled Pleasures: The Fiction of J. G. Farrell. Hartnolls Ltd: Bodmin, Cornwall 1997, 13.
5 Cichón, Anna: The Realm of Personality and History: A Study of J. G. Farrell’s Fiction. Wydawnictwo Uniwersytetu Wroclawskigo: Wroclaw 1995, 14.
6 Schefold, Fabian: Koloniale Mythenbildung und ihre literarische Dekonsturktion. Britische Kolonialliteratur von Kipling zu Farrell. Göttingen: Cuvillier 1999, 84.
7 Prusse, Michael C.: Tomorrow is another day, The Fiction of James Gordon Farrell.Tübingen/Basel: Francke 1997, 134.
8 Whipple, Mary: The Siege of Krisnapur by J.G: Farrell. http://www.desijournal.com/book.asp?ArticeId=56,1. (03.04.2003)
9 Strobl, Gerwin: The Challenge of cross-cultural interpretation in the anglo-indian novel. The Raj Revisited. Lewiston/Salzburg: The Edwin Mellen Press 1995, 198.
10 Whipple, Mary: The Siege of Krisnapur by J.G: Farrell. http://www.desijournal.com/book.asp?ArticeId=56,1. (03.04.2003)
13 Prusse, Michael C.: Tomorrow is another day, The Fiction of James Gordon Farrell.Tübingen/Basel: Francke 1997, 138.
14 Binns, Ronald: Contemporary Writers: J. G. Farrell. London/New York: Methuen 1986, 66.
15 Binns, Ronald: Contemporary Writers: J. G. Farrell. London/New York: Methuen 1986, 66.
16 Cichón, Anna: The Realm of Personality and History: A Study of J. G. Farrell’s Fiction. Wydawnictwo Uniwersytetu Wroclawskigo: Wroclaw 1995, 58.
- Quote paper
- Kathrin Herz (Author), 2003, Zu: J.G. Farrell - 'The Siege of Krishnapur' - Analyse des Charakters Collector in Bezug auf viktorianische Ideale und deren Dekonstruktion, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/24101
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.