Im Gegensatz zu anderen Epochen und literarischen Strömungen, für die sich mit der Zeit
relativ klare wissenschaftliche Definitionen (bzw. Konstrukte von Definitionen)
herausgebildet haben, ist es kaum möglich, eine einheitliche Auflistung der Merkmale der
Postmoderne aufzustellen. Zudem ist laut Vester schon der Versuch, “die Postmoderne in
ihrer Totalität erfassen zu wollen, [...] ohnehin ein Vergehen gegen postmoderne Intentionen”
(Vester 26), denn “als postmodern gilt ja oft das beliebige Nebeneinander, die
Fragmentierung des Weltbildes, die Pluralisierung der Deutungen. Insofern ist die
Suspendierung des Versuchs, eine umfassende Gesellschaftsanalyse oder gar Kulturdeutung
zu erstellen, nur konsequent postmodern” (26). Vieles kennt man schon aus anderen Werken
der Vergangenheit, sogar in Joyces „Ulysses“, das als ein Schlüsselwerk der „High
Modernist“-Phase angesehen wird, findet man zahlreiche Aspekte (z.B. die Referentialität auf
ein anderes Werk bzw. auf verschiedene Gattungen, Intertextualität; die spezielle Darstellung
von Zeit in einer nicht stringent verlaufenden Erzählung; das Nebeneinander-Existieren
verschiedener, nicht kompatibler Welten), die man heute als postmodern bezeichnen würde.
Unter Berücksichtigung dieser Problematik soll nun hier Ian McEwans „Amsterdam“ auf
einige der wesentlichen im wissenschaftlichen Diskurs genannten Eigenheiten dieser
literarischen Epoche bzw. ihrer Techniken untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung: Problematisierung des Begriffes der Postmoderne
2 Kurzbiographie Ian McEwan
3 Analyse des Romans „Amsterdam“
3.1. „Amsterdam“: Die Story
3.2. Elemente der Postmoderne in „Amsterdam“
3.3. Die Arbeitsweise von Clive und Vernon: Postmoderne Künstler in einer postmodernen Welt?
3.4. Moral in „Amsterdam“: „The Death of the Moralist“
4 Schluß
1 Einleitung: Problematisierung des Begriffes der Postmoderne
Im Gegensatz zu anderen Epochen und literarischen Strömungen, für die sich mit der Zeit relativ klare wissenschaftliche Definitionen (bzw. Konstrukte von Definitionen) herausgebildet haben, ist es kaum möglich, eine einheitliche Auflistung der Merkmale der Postmoderne aufzustellen. Zudem ist laut Vester schon der Versuch, “die Postmoderne in ihrer Totalität erfassen zu wollen, [...] ohnehin ein Vergehen gegen postmoderne Intentionen” (Vester 26), denn “als postmodern gilt ja oft das beliebige Nebeneinander, die Fragmentierung des Weltbildes, die Pluralisierung der Deutungen. Insofern ist die Suspendierung des Versuchs, eine umfassende Gesellschaftsanalyse oder gar Kulturdeutung zu erstellen, nur konsequent postmodern” (26). Vieles kennt man schon aus anderen Werken der Vergangenheit, sogar in Joyces „Ulysses“, das als ein Schlüsselwerk der „High Modernist“-Phase angesehen wird, findet man zahlreiche Aspekte (z.B. die Referentialität auf ein anderes Werk bzw. auf verschiedene Gattungen, Intertextualität; die spezielle Darstellung von Zeit in einer nicht stringent verlaufenden Erzählung; das Nebeneinander-Existieren verschiedener, nicht kompatibler Welten), die man heute als postmodern bezeichnen würde. Unter Berücksichtigung dieser Problematik soll nun hier Ian McEwans „Amsterdam“ auf einige der wesentlichen im wissenschaftlichen Diskurs genannten Eigenheiten dieser literarischen Epoche bzw. ihrer Techniken untersucht werden.
2 Kurzbiographie Ian McEwan
Ian McEwan wurde 1948 als Sohn eines britischen Offiziers geboren und lebte schon in frühester Jugend in militärischen Außenposten wie Singapur und Lybien. Seine Schulzeit verbrachte er größtenteils in England, studierte anschließend französische und englische Literatur an der University of Sussex in Suffolk. An der University of East Anglia erlangte er seinen Masterabschluß in einem „Creative Writing“-Seminar bei Malcolm Bradbury und Angus Wilson. Einige der Kurzgeschichten aus seiner Abschlußarbeit veröffentlichte er 1975 in seinem Erstlingswerk „First Love, Last Rites“, das den Somerset Maugham Award gewann. Unter dem Titel „In Between The Sheets“ folgte eine weitere Kurzgeschichtensammlung, 1978 erschien sein erster Roman „The Cement Garden“. McEwan schrieb Fernsehspiele und Filmdrehbücher, außerdem ein Oratorium („Or Shall We Die?“), das mit dem London Symphony Orchestra aufgeführt wurde (vgl. Slay 1ff.). Seine kontrovers-provokanten „dark portraits of contemporary society“ (1) brachten ihm den Spitznamen „Ian Macabre“ ein, seine Charaktere – „incestuous siblings, heartbroken gorillas, sadomasochistic lovers, infatuated prime ministers, corpse dismemberers“ (1) – zeigen menschliche Abgründe, die sich unter der Fassade des täglichen Lebens verbergen.
Neben zwei Kinderbüchern verfasste McEwan weitere von der Kritik gefeierte Romane wie „The Comfort Of Strangers“ (1981), „The Child In Time“ (1987), „Black Dogs“ (1992) oder „Enduring Love“ (1997). „Amsterdam“ (1998) ist von seiner Schockwirkung deutlich gemäßigter als die Frühwerke, sein bislang „most light-hearted work, although it starts with a funeral and ends with a double murder“ (Schlaeger 194).
Todd sieht speziell den Roman „The Innocent“ (1990) als postmodernes Werk an, weil es dem Genre des politischen Thrillers ein neues Gesicht gibt: „The postmodernist renovation of this genre takes the form of a pervasive matrix of deadpan horror“ (Todd, 344). Deutliche postmoderne Züge zeigen sich in „Black Dogs“, worin „the incompatible marriage between a rationalist and a spriritualist“ (Slay 140) wegen interindividuell unterschiedlicher Wahrnehmung von Realität und Wahrheit reichlich Konfliktstoff bietet, sich zuletzt aber zeigt, dass „their ideologies, as diverse and adverse as they are, both seem to prove true within the course of the novel“ (142). McEwans neuestes Werk „Atonement“ (2001) handelt von den Grenzen zwischen Realität und Fiktion[1], glaubt doch darin „die dramatisch veranlagte Briony, daß das Leben der Literatur nacheifern sollte, daß wahre Geschehnisse sich nicht von erdachten unterscheiden“ (Von Lovenberg, 42).
3 Analyse des Romans „Amsterdam“
3.1. Amsterdam: Die Story
Drei ehemalige Liebhaber von Molly Lane treffen sich auf ihrer Beerdigung: Der skrupellose Zeitungsmacher Vernon Halliday, sein Freund Clive Linley, bekannter erzkonservativer Komponist, und der rechtsorientierte Politiker Julian Garmony. Jeder der beiden Erstgenannten bekommt die Chance, den Gipfel seiner Karriere zu erreichen: Clive arbeitet an der prestigeträchtigen Millenium-Sinfonie, Vernon erhält durch exklusive Travestie-Fotos, die Molly von Garmony gemacht hat, die Chance, mit einem Skandal den verhaßten Politiker zu stürzen und gleichzeitig seine dahinsiechende Zeitung zu retten. Das Dahinsiechen Mollys in ihren letzten Lebensmonaten hingegen veranlaßt die beiden hypochondrisch veranlagten Protagonisten, einen Euthanasie-Pakt zu schließen, um sich gegebenenfalls ein langsames Sterben in geistiger Umnachtung zu ersparen. Was folgt, ist eine tragikomische Geschichte des Scheiterns in allen Lebenslagen: Die Sinfonie gerät zum lächerlichen Plagiat; die Zeitung verliert ihren Ruf und feuert Vernon; die öffentliche Meinung schlägt zu Gunsten Garmonys um; ein umherziehender Frauenmörder wird aufgrund der künstlerischen Verklärtheit des einzigen Zeugen nicht identifiziert; der zuletzt ebenso geschickt wie parallel eingefädelte Mord der vormaligen Freunde verläuft insofern anders als geplant, als sich beide Täter nachher im Sarg wiederfinden. Zuletzt lacht nur noch Mollys Witwer George, der mit der Herausgabe der Fotos die ganze Geschichte ins Rollen brachte und nichts gegen das vollkommene Scheitern der ehemaligen Liebhaber seiner offenherzigen Frau einzuwenden hat.
3.2. Elemente der Postmoderne in „Amsterdam“
Wie in der Kurzbiographie gezeigt wurde, tragen einige der Werke Ian McEwans deutliche Züge der Postmoderne. Hervorstechend in „Amsterdam“ ist die Intermedialität, die in der extrem genauen Beschreibung der Tätigkeit des Komponisten eine einzigartig präzise Repräsentation von fiktiver Musik in Literatur darstellt. Jeder musikalisch interessierte Leser wird dazu verleitet, sich die Melodien der Millenium-Sinfonie vorzustellen: „A falling figure, an oboe, nine notes, ten notes. Clive [...] heard them descending from the G“ (McEwan 4). Den Schluß des Werkes markiert „a diminuendo spanning forty-five seconds, dissolving into four bars of scored silence“ (136). Eine konsequentere intermediale Darstellung wäre nur dann möglich, wenn ein Autor in seinem Roman Notenbeispiele festhalten würde. „Clive’s compositional problems and tactics are made so clear that one can almost hear the score as well as see it go down on the ruled paper“ (Annan 8).
Mepham beschreibt die Postmoderne als belehrende Kunstform mit der Absicht, die Realität zu problematisieren, den Realitätssinn des Lesers verunsichern und dabei den Konstruktionscharakter von Welten aufzuzeigen (vgl. Mepham 138). Dies geschieht bei McEwan nur implizit, da eine „plethora of unlikely coincidences“ (Annan 7) und der teilweise geradezu mathematische Aufbau der parallel verlaufenden Handlungsstränge[2] dem Leser klarmachen, dass er es mit einer genau ausgearbeiteten Konstruktion und nicht mit einem auf Realitätsnähe ausgelegten Plot zu tun hat. Besonders deutlich wird diese Betonung der Fiktionalität am Schluß, der spätestens in dem Moment, als ausgerechnet Garmony und Lane die Särge zurückbegleiten, kaum mehr glaubhaft ist, wie auch Annan anmerkt: „One isn’t, of course, meant to believe in this far-fetched scenario“ (7). In einem Interview beschrieb McEwan seine Absicht: „Part of my ambition for Amsterdam is that the reader would share in the plotting of the book. It's a fairly elaborately plotted novel; it's meant to take pleasures in its own plotting, and I hope the reader is drawn into that “ (Boldtype). Durch eine erkennbar ausgefeilte Plot-Konstruktion soll also der Rezipient dazu bewegt werden, nicht nur passiv zu lesen, sondern – wie bei einer Kriminalgeschichte, deren Rätsel er während des Lesens zu lösen versucht – zu versuchen, den Fortgang der Handlung zu erahnen. Unterstützt wird dies zusätzlich durch eine Erzählweise, die die Charaktere zeitweise mehr wissen läßt als den Leser, beispielsweise als Vernon die Garmony-Fotos betrachtet, aber nur beschrieben wird, dass es sich um drei Schwarzweiß-Fotos, ein „medium-closeup“, ein Ganzkörperfoto und ein „three-quarter-profile“ (vgl. McEwan 56) handelt. An anderer Stelle werden Clives Gedanken nach einem Streit mit Vernon dargestellt, bevor man überhaupt eingeweiht wird „what actually happended“ (68).
[...]
[1] Dieses typisch postmoderne Thema war ebenfalls in seinem Kinderbuch „The Daydreamer“ (1994) von großer Bedeutung. Schlaeger charakterisiert McEwans Grundgedanken darin folgendermaßen: „For him the border lines between reality and fiction, experience and imagination are always unstable, never clearly definable“ (Schlaeger 193).
[2] Die Parallelen zwischen Clives und Vernons Geschichte sind kaum zu übersehen: Beide waren Mollys Liebhaber à Treffen auf Mollys Begräbnis à gesundheitliche Beschwerden à Möglichkeit, den Höhepunkt der Karriere zu erreichen à dies geht jedoch nur durch moralische Verfehlung à Beide halten sich zeitweise für genial und bedeutend (vgl. McEwan 101, 133) à Beide haben das Gefühl, von dem Freund in einem wichtigen Moment „verraten“ worden zu sein à Beide reden sich ein, dass der andere den Verstand verloren hat à Der Doppelmord à Die letzten Gedanken vor dem Tod: Visionen von Molly
- Quote paper
- Stephan Orth (Author), 2003, Ian McEwans "Amsterdam": Ein postmoderner Roman?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23780
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