Every nation, in every region, now has a decision to make.
Either you are with us, or you are with the terrorists.
George W. Bush
Seit den Anschlägen in New York und Washington vom 11. September 2001 durch islamistische Terroristen rückten die Folgen der kulturellen Differenz zwischen islamisch und „westlich“ geprägten Gesellschaften für die Strukturen der internationalen Sicherheitsordnungen in den Vordergrund politiktheoretischer Überlegungen. Jedoch begann die Debatte über das scheinbar offenkundig gewordene Konfliktpotenzial nicht erst zu diesem Zeitpunkt. Aufsehen erregte beispielsweise Samuel P. Huntington schon 1993 mit seiner These vom “Clash of Civilizations“, dem „Kampf der Kulturen“. Huntington geht davon aus, dass zukünftige Konfliktlinien nicht mehr zwischen Ideologien oder Ökonomien verlaufen, sondern dass sich die globalen Konflikte der Zukunft zwischen verschiedenen Kulturen entzünden. Heute, zehn Jahre nach Huntingtons Artikel, sind die Spannungen zwischen der westlichen, in weiten Feldern „amerikanisch“ dominierten, und der islamischen Kultur unübersehbar. Wo immer ein Konflikt entsteht, ergibt sich ein Gegnerschaftsverhältnis nach einem Freund-Feind-Schema. Bei Konflikten zwischen Staaten oder Ideologien ist diese Unterscheidung selten sehr schwer gefallen: Die „Alliierten“ gegen die „Achsenmächte“, „Kapitalismus“ gegen „Kommunismus“ usw. Bei Konflikten zwi-schen Kulturen ist diese Unterscheidung ungleich schwieriger, da hier oft ein kaum überschaubares Geflecht von Faktoren eine wichtige Rolle spielt, z.B. über Generationen gewachsene und gepflegte Traditionen und Verhaltensweisen, religiöse und lebensanschauliche Werte sowie Vorurteile, die sich zu Verachtung und teilweise lange angestautem Hass verfestigt haben. Zudem ist keine Kultur so homogen, dass sie klare „Angriffsflächen“ bietet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der Islam
2.1. Der Islam im politikwissenschaftlichen Kontext
2.2. Der Jihâd
2.3. Die Freund-Feind-Unterscheidung im Islam
3. Die Theorie des Gesellschaftsvertrags
3.1. Der Gesellschaftsvertrag
3.2. Freund-Feind-Unterscheidung in der Vertragstheorie
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Erklärung
1. Einleitung
Every nation, in every region, now has a decision to make. Either you are with us, or you are with the terrorists.
George W. Bush[1]
Seit den Anschlägen in New York und Washington vom 11. September 2001 durch islamistische Terroristen rückten die Folgen der kulturellen Differenz zwischen islamisch und „westlich“ geprägten Gesellschaften für die Strukturen der internationalen Sicherheitsordnungen in den Vordergrund politiktheoretischer Überlegungen. Jedoch begann die Debatte über das scheinbar offenkundig gewordene Konfliktpotenzial nicht erst zu diesem Zeitpunkt. Aufsehen erregte beispielsweise Samuel P. Huntington schon 1993 mit seiner These vom “Clash of Civilizations“[2], dem „Kampf der Kulturen“.[3] Huntington geht davon aus, dass zukünftige Konfliktlinien nicht mehr zwischen Ideologien oder Ökonomien verlaufen, sondern dass sich die globalen Konflikte der Zukunft zwischen verschiedenen Kulturen entzünden. Heute, zehn Jahre nach Huntingtons Artikel, sind die Spannungen zwischen der westlichen, in weiten Feldern „amerikanisch“ dominierten, und der islamischen Kultur unübersehbar.
Wo immer ein Konflikt entsteht, ergibt sich ein Gegnerschaftsverhältnis nach einem Freund-Feind-Schema.[4] Bei Konflikten zwischen Staaten oder Ideologien ist diese Unterscheidung selten sehr schwer gefallen: Die „Alliierten“ gegen die „Achsenmächte“, „Kapitalismus“ gegen „Kommunismus“ usw. Bei Konflikten zwischen Kulturen ist diese Unterscheidung ungleich schwieriger, da hier oft ein kaum überschaubares Geflecht von Faktoren eine wichtige Rolle spielt, z.B. über Generationen gewachsene und gepflegte Traditionen und Verhaltensweisen, religiöse und lebensanschauliche Werte sowie Vorurteile, die sich zu Verachtung und teilweise lange angestautem Hass verfestigt haben. Zudem ist keine Kultur so homogen, dass sie klare „Angriffsflächen“ bietet.
Doch das gegenseitige Misstrauen scheint tief zu sitzen und schnell sind viele Menschen bereit von „Freunden“ und „Feinden“ zu reden. Worin liegen dieses gegenseitige Misstrauen und die Schwierigkeiten begründet, die westliche und islamische Länder im Umgang miteinander haben?
Mit einem Teilaspekt dieser Fragestellung beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. Untersucht wird ein zentraler Teil im Begründungszusammenhang des binnen- und zwischenkulturellen Konfliktmechanismus: die Freund-Feind-Unterscheidung (FFU) im Islam und in der Theorie des Gesellschaftsvertrags. Die FFU liefert die grundlegenden Muster, um jemanden, sei es ein einzelner Mensch oder ein Staat, als Freund oder als Feind einzustufen. Daher soll auf diesem Weg eine Annäherung an das komplexe Thema versucht werden.
Mit dieser Einordnung des Islam in den Bereich der Politikwissenschaft, den wichtigsten Aspekten des Islam, die für das Verständnis dieser Arbeit nötig sind und der Freund-Feind-Unterscheidung im Islam beschäftigt sich das zweite Kapitel. Hier geht es auch um den für die FFU zentralen Begriff des Jihâd[5]. Im dritten Kapitel wird die FFU des Islam mit der FFU in der Theorie Gesellschaftsvertrags verglichen, die immer noch das westliche Politikverständnis stark prägt.[6] Das vierte Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen und versucht die Fragestellung der Arbeit zu beantworten:
Worin bestehen die grundlegenden Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Freund-Feind-Unterscheidung im Islam und in der Theorie des Gesellschaftsvertrags und können diese mit verantwortlich sein für die aktuellen Probleme im Verhältnis zwischen „der westlichen“ und „der islamischen“ Welt?
2. Der Islam
2.1. Der Islam im politikwissenschaftlichen Kontext
Der Islam ist mehr als nur eine Religion, er steht auch für eine umfassende Kultur. Das Alltagsleben eines Muslim ist, ebenso wie die Politik und die Wirtschaft in einem islamischen Land, in einer Weise vom islamischen Recht geprägt, wie es in den viel stärker säkularisierten Gesellschaften des Westens kaum vorstellbar ist.[7] Die Befolgung der islamischen Gesetze, der Scharia[8] und des Jihâd ist nicht ein Bestandteil des Islam unter andern, sondern das Leben nach den Gesetzen ist Ausübung der Religion. Eine Trennung von Staat und Kirche wie im heutigen Christentum erscheint daher schwer realisierbar oder trifft auf den heftigen Widerstand dogmatischer Kleriker.[9] Erschwerend kommt hinzu, dass der Islam, zumindest in der sunnitischen Mehrheit, kaum hierarchische Strukturen besitzt. Das islamische Dogma an sich benötigt keinen „Papst“, keine Priester oder andere geistige Führer. Es haben sich im Lauf der Zeit zwar bestimmte religiöse Funktionsträger herausgebildet, eine grundsätzliche Kompetenz oder Legitimation besitzen diese jedoch nicht. Es ist daher Sache eines jeden Einzelnen, den Islam für sich auszulegen.[10] Dabei sind liberale Interpretationen genauso möglich wie extrem fundamentalistische.
Dass der Islam im Gegensatz zu anderen Religionen oder Kulturen in seiner Anlage besonders fundamentalistisch sei, ist aber ein weit verbreiteter Irrtum. Fundamentalismus, das heißt eine dogmatische Auslegung der jeweils für heilig gehaltenen Schrift, die strikte Gestaltung des täglichen Lebens nach den aus ihr abgeleiteten Richtlinien oder „Gesetzen“, die Ablehnung von Modernisierung und oft die Abkehr von weltlichen Dingen findet sich in nahezu allen Religionen.[11] In dem Maße, in dem das gesamte gesellschaftliche Leben religiösen Heilsvorstellungen unterworfen wird und damit Religion zu Politik wird, erwächst aus religiösem Eifer eine politische Ideologie, deren Radikalität als Fundamentalismus gekennzeichnet werden kann. In der Regel, so stellt der muslimische Politikwissenschaftler Bassam Tibi fest, ist der Fundamentalist mehr „homo politicus“ denn „homo religiosus“.[12]
In zahlreichen Religionen bilden radikale Tendenzen fundamentalistische Strömungen heraus. Diese bedienen sich nicht selten der Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele, wobei die Methoden – wie Bombenanschläge und Attentate unter Inkaufnahme oder Beabsichtigung von (möglichst vielen) Sekundäropfern – vor allem dazu dienen, bei einem „Zielpublikum“ Angst zu erzeugen und es zu Reaktionen im Sinne des fundamentalistischen Interesses zu provozieren. Diese Methode politischen Einfluss auszuüben kann man als Terrorismus definieren.[13]
Unter den religiös motivierten terroristischen Gruppen ragen qualitativ und quantitativ gegenwärtig verschiedene Formen des islamischen Terrorismus stark heraus. Neben der Klärung inhaltlicher Unterschiede zwischen verschiedenen fundamentalistischen „Schulen“ im Islam ist auch eine Differenzierung hinsichtlich der Methoden erforderlich, die zur Durchsetzung der religiös-politischen Ziele verhelfen sollen. Der Großteil auch der islamischen Fundamentalisten hält hierfür die Wahl von Gewalt für nicht gerechtfertigt, sondern versucht auf gesetzlichem und friedlichem Weg, an politische Macht zu kommen.[14] Der dagegen stehende Begründungszusammenhang, der die Anwendung des Jihâd-Prinzips legitimiert, um die islamisch-theokratische Herrschaft zu etablieren oder den Einfluss der Feinde des Islam zurückzudrängen, soll im Folgenden erörtert werden.
2.2. Der Jihâd
In den Aufrufen und den Bekennerschreiben islamischer Fundamentalisten und Terroristen ist fast immer die Rede vom „Jihâd“, der hier gleichgesetzt wird mit einem „heiligen Krieg“ gegen die Kräfte, die als vorherrschende Feinde des Islam betrachtet werden – insbesondere den „amerikanisierten“ Westen und das Judentum.[15] Der Begriff verweist auf den Koran, in dem er als eines der Kernelemente des religiösen Selbstverständnisses des Islam eine prominente Rolle einnimmt und muss zunächst in diesem Kontext verstanden werden. Wörtlich übersetzt könnte Jihâd in etwa mit „Anstrengung aller Kräfte“ übersetzt werden, die übliche Übertragung ist allerdings „heiliger Krieg“.
Nach der klassischen Lehre unterscheidet der Islam zwischen „großem“ und „kleinem“ Jihâd. Der große Jihâd bezeichnet den inneren Kampf des Einzelnen, in dem er seine moralischen Schwächen zu überwinden sucht und sich im Alltagsleben anstrengt, im Dienste des Glaubens sein Bestes zu geben. Als in religiöser und politischer Hinsicht weitaus bedeutender gilt der kleine Jihâd, der vielfach als Pflicht aller Muslime zum heiligen Krieg gegen Andersgläubige interpretiert wird.[16]
Entstanden ist die Vorstellung des Jihâd im Zusammenhang mit dem Krieg, den der Prophet Mohammed im 7 Jahrhundert. mit den „Ungläubigen“ führte, vor allem den Einwohnern seiner Heimatstadt Mekka. Der Jihâd gegen Nichtmuslime ist die einzige im Islam erlaubte Art der Kriegsführung, jede Tötung von Muslimen ist im Koran streng verboten. Ziel des Jihâd war zunächst, so die allgemeine Meinung islamischer Juristen, die Verteidigung der Muslime gegen Angriffe von „Ungläubigen“ und die Verbreitung des Islams mit Waffengewalt.[17] Doch schon im frühen Islam verzichtete man weitestgehend auf die Missionierung der eroberten Gebiete. Zumindest die Anhänger der anderen Buchreligionen mussten oft nur eine Sonderabgabe leisten und durften ihre Religion weiterhin ungestört unter muslimischer Herrschaft ausüben. Man begnügte sich mit der Verbreitung des Islam als Herrschafts- und Rechtssystem.[18]
2.3. Die Freund-Feind-Unterscheidung im Islam
Der Islam strebt an, durch die Herrschaft der göttlichen Gesetze (der Scharia) die beste menschliche Gemeinschaft zu schaffen. Die Gemeinschaft, welche nach den Gesetzen lebt, schafft Frieden – wo das Gesetz nicht befolgt wird, herrschen Krieg und Unordnung.[19] Entsprechend wird nach dem islamischen Glauben zwischen zwei Gebieten unterschieden: dem „Gebiet des Islam“ (dâr al-islâm), in dem Muslime herrschen und islamisches Recht zur Anwendung kommt, und dem „Gebiet des Krieges“ (dâr al-harb). Unter Anpassung an die historischen Gegebenheiten entstand erst vor etwa 50 Jahren die Idee von einem dritten „Gebiet des Übereinkommens“ (dâr al-ahd), in dem keine Muslime herrschen und kein islamisches Recht angewendet wird, Muslime aber dennoch ihrem Glauben ungehindert nachgehen können.[20]
[...]
[1] Rede vom 20.09.2001. http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/20010920-8.html (27.08.2003).
[2] Huntington, Samuel P.: Clash of Civilizations. In: Foreign Affairs, Summer 1993. http://www.foreignaffairs.org/ 19930601faessay5188/samuel-p-huntington/the-clash-of-civilizations.html (25.08.2003). Und: Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München 2002.
[3] Die Kultur ist für Huntington definiert durch gemeinsame Sprache, Geschichte, Religion, Bräuche und Institutionen, vor allem aber durch das Individuum selbst. Die Kultur eines Menschen ist somit der höchste Grad an Zugehörigkeit zu einer Gruppe, mit dem er sich identifizieren kann.
[4] Vgl. Hansen, Hendrik: Globaler Dschihad? Die Freund-Feind-Unterscheidung im Islam und in der Theorie des Gesellschaftsvertrags. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 18/2002. S. 17.
[5] „heiliger Krieg“; auch Dschihad, Dschihhâd oder Jihad. Die Arbeit übernimmt die Schreibweise aus: Elger, Ralf (Hg.): Kleines Islam-Lexikon. München 2001. S. 146.
[6] Vgl. Hansen 2002. S. 18.
[7] Vgl. Elger 2001. S. 7.
[8] „göttliche Ordnung“; Islamisches Rechtssystem, das sich aus dem Koran (heilige Schrift) und der Sunna (Aufzeichnungen über das Leben Mohammeds) legitimiert. Vgl. Elger 2001. S. 257-259 und S. 272.
[9] Vgl. Hansen 2002. S. 19; Allerdings existieren in mehreren islamischen Staaten, z.B. in Iran, reformerische Bewegungen, die sich diese Trennung nach westlichem Vorbild zu Ziel gesetzt haben. Auch der Irak unter Saddam Hussein, Jordanien, Ägypten und die Palästinensischen Autonomiegebiete wurden bzw. werden politisch-gesellschaftliches und religiöses Leben deutlicher voneinander geschieden als in anderen Staaten. Die Türkei ist nach ihrer Verfassung strikt säkular organisiert.
[10] Vgl. Heine, Peter: Terror in Allahs Namen. Extremistische Kräfte im Islam. Freiburg 2001. S. 13.
[11] Vgl. Heine 2001. S. 9.
[12] Vgl. Tibi, Bassam: Politisierung der Religion. Sicherheitspolitik im Zeichen des islamischen Fundamentalismus. In: Internationale Politik 02/2002. http://www.dgap.org/IP/ip0002/tibi.htm (27.08.2003).
[13] Vgl. Hoffman, Bruce: Terrorismus – der unerklärte Krieg. Neue Gefahren politischer Gewalt. Frankfurt a.M. 42001. S. 56.
[14] Vgl. Müller, Harald: Supermacht in der Sackgasse? Die Weltordnung nach dem 11. September. Frankfurt a.M. 2003. S. 72.
[15] Vgl. z.B. Interviews mit Osama bin Laden vom 28. Mai und 22. Dezember 1998. http://abcnews.go.com/sections/world/DailyNews/miller_binladen_980609.html (14.08.2003) und http://abcnews.go.com/sections/world/DailyNews/transcript_binladen1_981228.html (14.08.2003).
[16] Vgl. Hansen 2002. S. 18.
[17] Vgl. Heine 2001. S. 18.
[18] Vgl. ebd. S. 19.
[19] Vgl. Hansen 2002. S. 19.
[20] Vgl. Heine 2001. S. 24-26.
- Quote paper
- Paul Eschenhagen (Author), 2003, Gesellschaftsvertrag und Jihad - Die Freund-Feind-Unterscheidung im Islam, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23614
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