„Ce récit [La Chute], désordonné et dirigé, double comme l’homme, nous
apporte les richesses et les pauvretés d’une vie humaine dans ses multiples
digressions qui retardent l’histoire pour la faire mieux avancer.“1
Camus hat für La Chute 1957 den Nobelpreis erhalten. Dieses letzte wichtige Récit stellt
einen Höhepunkt fast aller sein Hauptthemen dar.2 Camus‘ Gesamtwerk kann allerdings nur
schwer eine Etikette gegeben werden. Es wird oft als "une philosophie de l'absurde"
zusammengefaßt. Mit La Chute versucht Camus das Absurde hinter sich zu lassen, "[...] qu'il
considère comme un instrument d'analyse semblable au doute méthodique pratiqué par
Descartes."3 Man kann La Chute demnach dem dritten Zyklus seines Gesamtwerkes
zuordnen, dem des "jugement", wozu auch sein nicht vervollständigtes Le Premier Homme
zählt. Bestimmte Themen finden sich dennoch in fast allen seiner Werke wieder.
Um La Chute zu verstehen, muß man es in Zusammenhang mit seinen anderen Büchern sehen,
aber es auch in Verbindung zu der damaligen Zeit und zu Camus Leben bringen. Der Leser
muß über eine gute Literaturkenntnis verfügen, denn Clamences Sprache ist voll von
Anspielungen auf die Bibel, Dante, Janus, Du Guesclin, van Eyck, d’Artagnan, Wagners
Lohengrin und Tristan und Isolde.
Diese Arbeit, soll darstellen, unter welchen Umständen Camus La Chute geschrieben hat und
woher seine Inspiration kam. Weiterhin wird eine Interpretation der Hauptthemen geliefert.
1 Carina Gadourek: Les Innocents et les Coupables, Essai d’exégèse de l’oeuvre d’Albert Camus, Den Haag
1963, S. 187
2 Vgl.: Donald Lazere: The Unique Creation of Albert Camus, New Haven/London 1973, S.184
3 Véronique Anglard: Connaissance d'une oeuvre – Albert Camus, La Chute, Rosny 1997, S. 22
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Camus in seiner Zeit, in der Epoche von La Chute
3. Entstehungsgeschichte
4. Interpretation
4.1 Die Hölle
4.2 Das Christentum
4.3 Die Schuld
4.4 Das Verhältnis zwischen Clamence und dem Unbekannten
4.5 Das Verhältnis zu einem miterlebten Selbstmord
4.6 Camus und das Absurde
5. Camus und Clamence
6. Herkunft - Einflüsse - Naissance
7. Schlußbemerkung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Ce récit [ La Chute ], désordonné et dirigé, double comme l’homme, nous apporte les richesses et les pauvretés d’une vie humaine dans ses multiples digressions qui retardent l’histoire pour la faire mieux avancer.“[1]
Camus hat für La Chute 1957 den Nobelpreis erhalten. Dieses letzte wichtige Récit stellt einen Höhepunkt fast aller sein Hauptthemen dar.[2] Camus‘ Gesamtwerk kann allerdings nur schwer eine Etikette gegeben werden. Es wird oft als "une philosophie de l'absurde" zusammengefaßt. Mit La Chute versucht Camus das Absurde hinter sich zu lassen, "[...] qu'il considère comme un instrument d'analyse semblable au doute méthodique pratiqué par Descartes." [3] Man kann La Chute demnach dem dritten Zyklus seines Gesamtwerkes zuordnen, dem des "jugement", wozu auch sein nicht vervollständigtes Le Premier Homme zählt. Bestimmte Themen finden sich dennoch in fast allen seiner Werke wieder.
Um La Chute zu verstehen, muß man es in Zusammenhang mit seinen anderen Büchern sehen, aber es auch in Verbindung zu der damaligen Zeit und zu Camus Leben bringen. Der Leser muß über eine gute Literaturkenntnis verfügen, denn Clamences Sprache ist voll von Anspielungen auf die Bibel, Dante, Janus, Du Guesclin, van Eyck, d’Artagnan, Wagners Lohengrin und Tristan und Isolde.
Diese Arbeit, soll darstellen, unter welchen Umständen Camus La Chute geschrieben hat und woher seine Inspiration kam. Weiterhin wird eine Interpretation der Hauptthemen geliefert
2. Camus in seiner Zeit, in der Epoche von La Chute
Als Camus La Chute 1956 verfaßte, war er ca. 40 Jahre alt (*1913). Seinen 40. Geburtstag empfand er als Einschnitt in sein Leben und Werk.1956 schrieb er an Roger Quilliot, daß er alle Gründe hätte, seine Studien über ihn nach L’Été (1954) einzustellen:
„[...] vous ne devez tenir compte ni des nouvelles ni de mes projets. Votre étude a toute raison de s’arrêter à L’Été, et à ma quarantième année, puisque, par un pur hasard d’ailleurs, ces dates coïncident évidemment avec une sorte de charnière de mon travail et de ma vie.“[4]
Diese Wende verarbeitet er z.B. auch in der Novelle Les Muets in L’Exil et le Royaume. Yvar, eine Figur der Novelle, ist 40 Jahre alt. In diesem Alter "[…] les muscles ne se réchauffent pas aussi vite. […] A quarante ans, on n’est pas encore aux allongés, non, mais on s’y prépare, de loin, avec un peu d’avance.“[5]
Camus hatte schon immer eine nur schwache Gesundheit, und sein zunehmendes Alter machte ihm seelisch zu schaffen. In dieser Zeit kümmerte er sich außerdem verstärkt um seine Frau und seine Kinder, so daß er eine sechsmonatige Schreibpause einlegte. Er schien sich über seine "vocation" als Schriftsteller Gedanken zu machen.[6]
Bekanntlich hat Camus sich seit langem politisch engagiert und schrieb für diverse Zeitungen. Seit 1939 hatte er sich im Alger Républicain über die Ungerechtigkeiten ausgelassen, die die Mohammedaner in Algerien erfuhren. Als aber 1959 ihr bewaffneter Aufstand ausbricht, wird für Camus der Algerienkrieg zur wahren Tragödie. Er schreibt weiterhin für die Zeitung L’Express und setzt sich in einer Konferenz am 22.1.56 für die Rechte und den Schutz des Zivilvolkes während der Unruhen ein. Dieser Appell wird von der Mehrheit der Franzosen in Algerien als Hochverrat angesehen und Camus wird öffentlich verhöhnt. Er ist verzweifelt und betrachtet dies als "malheur personnel".
Camus war zu dieser Zeit zutiefst in sein Inneres gekehrt und begeisterte sich leidenschaftlich für die Gerechtigkeit. Er war in gleicher Weise feindlich gegenüber einem Algerien, das die Franzosen von sich ausschloß, und einem französischen Algerien, das die „Ultras“ wollten. Er wollte nie seine Hoffnung auf Versöhnung aufgeben; in dieser Zeit entstand La Chute.
Diese Zeit der Unruhe, Besorgnis und der literarischen Sterilität ist im Leben Camus’ dennoch keine fruchtlose Zeit. Er geht unterschiedlichsten Aktivitäten nach. Nachdem er 1952 Die Besessenen von Dostojewskij adaptiert hat, ist er mit Leidenschaft ans Theater zurückgekehrt. Er bereitet Don Juan vor, nimmt im Juni 1953 am Festival von Angers teil und hält im Mai ’55 eine Vorlesung über die Zukunft der Tragödie. Im selben Jahr bearbeitet er Un Cas intéressant von Dino Buzzati und 1956 (im Jahr von La Chute) Requiem für eine Nonne von William Faulkner. Wie gesagt, läßt ihn der Algerienkrieg seine journalistischen Tätigkeiten wieder aufnehmen. Von Juni 1955 bis Februar 1956 ist Camus Mitarbeiter von L'Express sowie einigen anderen Zeitungen. Seine wichtigsten Artikel werden 1958 in Actuelles III veröffentlicht.[7] 1954 nimmt er die Arbeit an den Entwürfen zu L'Exil et le Royaume wieder auf.[8]
3. Entstehungsgeschichte
Die Wurzeln von La Chute im Leben und Werk von Camus sind tief. Nachdem er 1936 seine licence de philosophie erworben hatte, stellte er seine Diplomarbeit Métaphysique chrétienne et Néoplatonisme vor. Die darin behandelten Themen der verlorenen Unschuld und seine christlichen Ausführungen zu den Mysterien der Inkarnation und der Erlösung, lassen sich 20 Jahre später In La Chute wiederfinden.
La Chute ist der Versuch, das Verhalten eines Mannes mit "vices de pensée" seiner Zeit in einer kritischen , sogar ironischen Art und Weise darzustellen.[9] Als Camus 1945 in einem Interview für Nouvelles Littéraires gefragt wurde, was seine Pläne seien, antwortete er: „ Un roman sur la peste, un essai sur l’homme révolté. Peut-être faudrait-il que je me décide à étudier l’existentialisme[...]“[10]
La Chute ist allerdings kein Buch über den Existentialismus, sondern wurde als eine Schmähschrift gegen den Existentialismus empfunden. Im November 1954 sagte Camus einen Satz, der keine Zweifel über die Hauptorientierung von La Chute läßt: „Existentialisme: quand ils accusent, on peut être certain que c’est pour accabler les autres: des juges-pénitents.“[11]
La Chute ist also das Werk eines Philosophen und entstand aus polemischen Absicht um eine Art Tragödie unserer Zeit zu werden, parallel zu den Tragödien, die Camus gleichzeitig bei Dostojewskij und Faulkner entdeckte.[12]
In seinen Carnets (Carnets II: Januar 1942 bis März 1951; Carnets III: März 1951 bis Dezember 1959) hat sich Camus viele Notizen gemacht, die entweder direkt oder leicht umgeformt in La Chute wiederzufinden sind. Es handelt sich hierbei um gesehene Szenen, mitgehörte Gespräche, Notizen zu gelesenen Büchern und natürlich um seine Gedanken. All diese Bemerkungen beweisen, daß Camus sich, obwohl er La Chute relativ schnell geschrieben hat, schon lange vorher zum behandelten Thema Gedanken machte.[13] Selbst nachdem La Chute 1956 herausgegeben wurde, erhalten die Carnets weitere Notizen, die das Verständnis des Romans erleichtern. Camus hatte seinen Gedankengang über die Hauptproblematik von La Chute (innocence und culpabilité) nach der Erscheinung des Buches noch nicht abgeschlossen.
La Chute sollte ursprünglich zu L’Exil et le Royaume gehören. Clamence, wie alle anderen Hauptcharaktere von L’Exil et le Royaume, ist eine völlig von sich selbst eingenommene Person, die unfähig ist, sich in irgendeiner Weise an andere Menschen zu binden. Camus hat die 6 Novellen, die zu L’Exil et le Royaume gehören, wahrscheinlich Ende 1953 oder Anfang 1954 vollendet. Bevor er sich an die Arbeit von La Chute machte, vergingen einige Monate. Letztendes wurde La Chute am 16. Mai 1956 (zehn Monate vor L’Exil et le Royaume) veröffentlicht. Trotz seines Publikationsjahres kann man La Chute als Camus‘ letztes wichtiges Werk betrachten.[14]
La Chute ist das einzige Werk von Camus, in dem Algerien überhaupt nicht vorkommt.
Kurz bevor Camus La Chute schrieb, im Oktober 1954, fuhr er selbst nach Amsterdam. Diese große handeltreibende und kosmopolitische Stadt erschien ihm vielleicht wie ein Mikrokosmos unserer modernen Zivilisation, diese Zivilisation, die Clamence, und ohne Zweifel auch Camus, anklagen.[15] Camus beschreibt Amsterdam als „une ville de canaux et de lumière froide“[16] ; Clamence spricht von ihr als „un [..] espace de maisons et d’eaux, cerné des brumes, des terres froides [...].“.[17]
4. Interpretation
Das Buch besteht aus sechs Etappen, die in sechs Kapiteln dargestellt werden. Jedes Kapitel beschreibt einen bestimmten Tag, außer dem 5. und 6. Kapitel, die sich ohne Unterbrechung fortsetzen. Insgesamt werden in dem Buch also fünf Tage geschildert, was einer Gliederung der modernen Tragödie in fünf Akten entspricht. Die Erzählung ist in zwei Teile gliederbar; der Teil vor dem Ertrinken (Kap. 1-3) und der danach (Kap. 4-6).[18]
Indem Clamence seine Geschichte nicht in chronologischer Reihenfolge erzählt und immer wieder Anspielungen auf das macht, was später noch kommt, wird in der ersten Hälfte Spannung aufgebaut und auf die Enthüllungen (die Geschichte von dem Mädchen auf der Brücke, Clamences Besitz des gestohlenen Gemäldes der „juges intègres“ und die Identifizierung des anderen) im zweiten Teil vorbereitet.[19]
La Chute ist von der ersten bis zur letzten Zeile eine einzige, monologähnliche Rede eines äußerst gewandt und wortreich sprechenden Herrn, der seinem nie in Erscheinung tretenden Gesprächspartner sein Leben erzählt. Er nennt sich Jean-Baptiste Clamence und stellt sich als „juge-pénitent“ vor. Seine Selbstcharakteristik lautet: „Mon métier est double [...] comme la créature.“[20] Clamence redet, sein neuer Bekannter schweigt. Seine Antworten und/ oder Einwände kann man nur aus Clamences Reaktionen erahnen. Trotzdem ist der Unbekannte gleichermaßen Hauptperson des Buches, denn der Fall, von dem Clamence berichtet, ist in Wirklichkeit der des anderen.
In diesem Sinne hat man das Buch, in dem la duplicité eine große Rolle spielt, aus zwei Sichtweisen zu betrachten: einmal die Erzählungen und Berichte von Clamence, und die innere Entwicklung seines Gesprächspartners.[21]
[...]
[1] Carina Gadourek: Les Innocents et les Coupables, Essai d’exégèse de l’œuvre d’Albert Camus, Den Haag 1963, S. 187
[2] Vgl.: Donald Lazere: The Unique Creation of Albert Camus, New Haven/London 1973, S.184
[3] Véronique Anglard: Connaissance d'une œuvre – Albert Camus, La Chute, Rosny 1997, S. 22
[4] Pierre-Louis Rey: Profil d'une œuvre: La Chute, Camus, Paris 1970, S. 15
[5] Albert Camus: L'Exil et le Royaume, Édition Gallimard, Paris 1957, S. 76
[6] Vgl.: Véronique Anglard: a. a. O., S. 19
[7] Albert Camus: Actuelles III, Chroniques algériennes, 1939-1958, Paris 1958
[8] Vgl.: Pierre-Louis Rey: a. a. O., S. 16f
[9] Im Vorwort der englischen Ausgabe zitiert Camus Lermontov und beschreibt sein Werk als „l’agrégat des vices d’une génération“
[10] Albert Camus: Essais, Paris 1965, S. 1224-27
[11] Albert Camus: Théâtre, Récits, Nouvelles, Paris 1962, S. 2010
[12] Vgl.: Pierre-Louis Rey: a. a. O., S. 19f
[13] Für Beispiele der Verwendung von Carnet Notizen in La Chute siehe: Jacqueline Lévi-Valensi: La Chute d’Albert Camus, Paris 1996, S. 164ff
[14] Vgl.: Pierre-Louis Rey: a. a. O., S. 24
[15] Vgl.: ebd., S. 39
[16] Albert Camus: Théâtre, Récits, Nouvelles, a. a. O., S. 2006
[17] Albert Camus: La Chute, Édition Gallimard, Paris 1956, S.17
[18] Vgl.: Pierre-Louis Rey. a. a. O., S. 25
[19] Vgl.: Donald Lazere: a. a. O., S. 183
[20] Albert Camus: La Chute, a. a. O., S.14
[21] Vgl.: Carina Gadourek: a. a. O., S. 175f
- Quote paper
- Anonymous,, 1999, Interpretation von Albert Camus´ "La Chute", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/23494
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.