Nach Ansicht einer breiten öffentlichen Meinung, befinden sich die europäischen Staaten, so wie viele andere kapitalistisch demokratische Staaten, in einer Schuldenkrise. Es werden hierzu vor allem zwei Ursachen diskutiert, die in ihrer Addition die aktuelle Staatsschuldenkrise ausmachen:
Ein häufig genannter Grund für die prekären Haushaltslagen der Länder in der Europäischen Union (EU) ist die, zu wenig Sparsamkeit motivierende Länge der Legislaturperioden in den kapitalistisch-demokratischen Staaten. Nur wenige ihrer Regierungen neigen zur Umsetzung der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinung der
antizyklischen Fiskalpolitik (Keynesianismus). Dieses eher langzeitlich anzusehende Phänomen des „schlechten Haushaltens“ stellt die Basis einer langsam steigenden Verschuldung der Staaten dar. Diese oft genannte Ursache der hohen Verschuldung der europäischen Länder ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
Abgesehen von dieser langfristigen Entwicklung der Verschuldung gab es in den letzten Jahren besondere Ereignisse an den internationalen Finanzmärkten, die den Staaten enorme zusätzliche finanzielle Belastungen auferlegt haben und die Verschuldung so dramatisch schnell anwachsen ließen. Ausgangspunkt hierbei war die deutliche Überbewertung des US-amerikanischen Immobilienmarktes. Viele große Finanzinstitute wurden im Zuge ihrer hohen Verluste nach dem Platzen der Blase an
diesem Markt und ihrer drohenden Insolvenz mit staatlichen Mitteln gerettet. Die Höhe der geschnürten Rettungspakete brachte einzelne Staaten selbst an den Rand des Ruins. Mit den direkten Folgen der sprunghaft gestiegenen Verschuldung der europäischen Staaten wird noch für einige Zeit zu kämpfen sein.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Rolle der Rating-Agenturen in der Europäischen Staatsschuldenkrise. Das Ziel ist es, darzustellen, welchen Einfluss die Agenturen innerhalb der Finanzmärkte ausüben und wie ihr Verhalten auf die bestehende Krise wirkt. Haben die Agenturen die jetzige Situation mit herbeigeführt? Wenn ja, wie konnte dies geschehen? Welche Ziele verfolgen die „Big Three“? Dienen sie in ihren
Handlungen den langfristigen Interessen der Staaten des westlich geprägten Kapitalismus oder nur einer kleinen Gruppe von Organisationen mit ausgeprägter kapitalistischer Motivation? Sind die Agenturen grundsätzlich an einer Entschuldung und Gesundung der Staatsfinanzen interessiert? Wer profitiert von der Überschuldung Europas, und wer nicht?[...]
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der historisch-politische Kontext der RatingAgenturen: “A Century of Market Leadership”
2.1 Von der Entstehung bis zu ersten staatlichen Funktionen
2.1.1 Der Beginn und die Etablierung an den Finanzmärkten
2.1.2 Staatliche Unterstützung
2.2 Ausweitung der Einflussnahme in den USA seit den späten 1960er Jahren
2.2.1 Gegenseitige Abhängigkeiten
2.2.2 Ein neuer Status im Finanzsystem
2.2.3 Liberalisierung und (De-)Regulierung der (Finanz-)Wirtschaft
3 Rating-Agenturen heute
3.1 Der Rating-Prozess: Arbeitsweise und Bewertungskriterien
3.1.1 Ratings privater Emittenten und Produkte
3.1.2 Sovereign Ratings - Die Bewertung von Staaten
3.2 Die globale Verflechtung der Finanzmarktakteure
3.2.1 Eigentümerstruktur und Handlungsmotivation der Agenturen
3.2.2 Rating-Agenturen in der europäischen Finanzmarktregulierung
4 Finanzmarkstabilität - Ein Definitionsversuch
5 Die US-lmmobilienkrise
5.1 Entstehung und Verlauf
5.2 Die Rolle der Agenturen
5.3 Direkte Konsequenzen
6 Die Europäische Staatsschuldenkrise und der Einfluss der Rating-Agenturen
6.1 Die Finanzkrise führt zur Staatsschuldenkrise in Europa
6.1.1 Ausgewählte Rettungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte
6.1.2 Die außerordentlichen Belastungen führen zur Überschuldung
6.2 Der Einfluss der Agenturen auf die europäische Finanzmarktstabilität
6.2.1 Die Bedeutung der Meinungen von s&p, Moody’s und Fitch
6.2.2 Rating-Agenturen und Finanzmarktstabilität
6.2.3 Eingeschränkter Einfluss
7 Zusammenfassung, Aktuelles und Ausblick
7.1 Zusammenfassung
7.2 Aktuelles und Ausblick
8 Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Anzahl der Ratings von s&p und Moody's (RMBS/CDO): 2002 & 2006
Abbildung 2: Verschuldung von Deutschland, Großbritannien und Frankreich in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zwischen 2005 und 2011
Abbildung 3: Schuldenstände 2010 + „Fiscal Space“ ergeben mögliche Schuldenhöchststände in Prozent des BIP, nach Moody’s Analytics
Abbildung 4: Verschuldung der sog. PIIGS-Staaten, sowie Islands in Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zwischen 2005 und 2011
Abbildung 5: Jährliche Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen der sogenannten PIGS-Staaten und Deutschlands und im Durchschnitt aller 17 EURO-Länder zwischen Januar 2009 und November 2012 in Prozent
Abbildung 6: Durchschnittliche Renditen bei Staatsanleihen der sogenannten PIGS-Staaten und im Schnitt aller 17 EURO-Länder, aufgeteilt in die Rendite deutscher Anleihen und den Credit Spread zwischen 11/2009 und 11/2012 in Prozent
Abbildung 7: Jährliche Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen Frankreichs und Deutschlands und im Durchschnitt aller 17 EURO-Länder zwischen Januar 2009 und Dezember 2012 in Prozent
Abbildung 8: Ratings der sogenannten PIGS-Staaten zwischen 03/2010 und 12/2012 von S&P (1 entspricht „AAA“; 21 entspricht „D“)
Abbildung 9: Ratings der sogenannten PIGS-Staaten zwischen 04/2010 und 10/2012 von Moody‘s (1 entspricht „Aaa“; 19 entspricht „C“)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ratings als Instrument zur Kapitalmarktregulierung in den USA
Tabelle 2: Bewertungsskalen der Ratingagenturen
Tabelle 3: Ausfallquote von 1-jährigen und 5-jährigen Anleihen jeweils von s&p und Moody’s in Prozent
Tabelle 4: Anzahl der veröffentlichten Ratings der Rating-Agenturen 2010
Tabelle 5: Anteile von Unternehmen an S&P und Moody’s in Prozent
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Nach Ansicht einer breiten öffentlichen Meinung, befinden sich die europäischen Staaten, so wie viele andere kapitalistisch demokratische Staaten, in einer Schuldenkrise. Es werden hierzu vor allem zwei Ursachen diskutiert, die in ihrer Addition die aktuelle Staatsschuldenkrise ausmachen:
Ein häufig genannter Grund für die prekären Haushaltslagen der Länder in der Europäischen Union (EU) ist die, zu wenig Sparsamkeit motivierende Länge der Legislaturperioden in den kapitalistisch-demokratischen Staaten. Nur wenige ihrer Regierungen neigen zur Umsetzung der wirtschaftswissenschaftlichen Lehrmeinung der antizyklischen Fiskalpolitik (Keynesianismus). Dieses eher langzeitlich anzusehende Phänomen des „schlechten Haushaltens“ stellt die Basis einer langsam steigenden Verschuldung der Staaten dar. Diese oft genannte Ursache der hohen Verschuldung der europäischen Länder ist jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
Abgesehen von dieser langfristigen Entwicklung der Verschuldung gab es in den letzten Jahren besondere Ereignisse an den internationalen Finanzmärkten, die den Staaten enorme zusätzliche finanzielle Belastungen auferlegt haben und die Verschuldung so dramatisch schnell anwachsen ließen. Ausgangspunkt hierbei war die deutliche Überbewertung des US-amerikanischen Immobilienmarktes. Viele große Finanzinstitute wurden im Zuge ihrer hohen Verluste nach dem Platzen der Blase an diesem Markt und ihrer drohenden Insolvenz mit staatlichen Mitteln gerettet. Die Höhe der geschnürten Rettungspakete brachte einzelne Staaten selbst an den Rand des Ruins. Mit den direkten Folgen der sprunghaft gestiegenen Verschuldung der europäischen Staaten wird noch für einige Zeit zu kämpfen sein.
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Rolle der Rating-Agenturen in der Europäischen Staatsschuldenkrise. Das Ziel ist es, darzustellen, welchen Einfluss die Agenturen innerhalb der Finanzmärkte ausüben und wie ihr Verhalten auf die bestehende Krise wirkt. Haben die Agenturen die jetzige Situation mit herbeigeführt? Wenn ja, wie konnte dies geschehen? Welche Ziele verfolgen die „Big Three“? Dienen sie in ihren Handlungen den langfristigen Interessen der Staaten des westlich geprägten Kapitalismus oder nur einer kleinen Gruppe von Organisationen mit ausgeprägter kapitalistischer Motivation? Sind die Agenturen grundsätzlich an einer Entschuldung und Gesundung der Staatsfinanzen interessiert? Wer profitiert von der Überschuldung Europas, und wer nicht?
Die drei größten Agenturen teilen sich den weltweiten Markt für die Benotung der Kreditwürdigkeit von Finanzprodukten, Unternehmen und Staaten nahezu vollständig untereinander auf. Circa 95% aller Bewertungen werden von ihnen vorgenommen. Sie heißen: Standard & Poors Corporation (S&P), Moody’s Investors Service (Moody’s) und Fitch Ratings (Fitch). Im Verlauf dieser Arbeit werden hauptsächlich die ersten beiden Agenturen erwähnt werden, was an ihrer herausgehobenen Marktstellung liegt. S&P und Moody’s teilen sich ca. 80% der weltweit getätigten Ratings ungefähr gleichmäßig untereinander auf.[1]
Ratings sind in der heutigen Finanzwelt von entscheidender Bedeutung. Ich werde in Kapitel 2 einleitend darlegen, wie der Einfluss der Agenturen, zunächst nur innerhalb und später auch auf die Finanzmärkte entstanden ist. Wie sind die Rating-Agenturen zu den zentralen Akteuren geworden, die sie heute sind? Welche Politiken und welche Richtungsentscheidungen haben dazu beigetragen, den Einfluss der Agenturen herzustellen, zu sichern und auszubauen? Da die Rating-Agenturen ihre Wurzeln in den USA haben und ihren heutigen Status hauptsächlich der US-amerikanischen Finanzmarktregulierung und der enormen Bedeutung dieses Finanzplatzes zu verdanken haben, wird zunächst die Entwicklung der Einbettung in den USA aufgezeigt. Da die Finanzmärkte heute beinahe gänzlich globalisiert sind, ist diese Entwicklung auch für die EU von entscheidender Bedeutung.
Im darauffolgenden Kapitel 3 verschafft die vorliegende Arbeit einen Überblick darüber, mit welchen Methoden die Agenturen Vorgehen. So werden verschieden Kriterien der Risikobewertung vorgestellt. Hierbei wird zwischen den Bewertungen privater Produkte und Unternehmen sowie staatlicher Kreditnehmer unterschieden. Es lohnt sich darüber hinaus einen genaueren Blick auf die Eigentümerstruktur der drei großen Agenturen zu werfen, um die Frage zu beantworten, welche Interessen möglicherweise von ihnen vertreten werden. Anhand eines kurzen Beispiels wird auch die Einbettung der Rating-Agenturen in das europäische Finanzmarktregulierungsregime dargestellt. Da die Finanzmärkte heute globalisiert sind und weite Teile der Erklärung des Einflusses auf die US-amerikanische Regulierung zurückgehen, wird dieser Abschnitt sehr kurz ausfallen.
In Kapitel 4 werde ich eine Definition und eine Eingrenzung der verschiedenen Sichtweisen auf das Konstrukt „Finanzmarktstabilität“ geben, um im weiteren Verlauf verständlich machen zu können, wie die Agenturen hierauf Einfluss nehmen.
So werden im Folgenden die verheerenden Auswirkungen der US-lmmobilienkrise (auch: Subprime[2] -Krise), die zunächst eine Krise privater Akteure war, geschildert. Kapitel 5 beschäftigt sich mit der Frage danach, welchen Einfluss die RatingAgenturen auf Entstehung und Verlauf dieser Krise hatten. Es wird argumentiert, dass die US-lmmobilienkrise und ihre Folgen zweifellos als notwendige Bedingung der heutigen Europäischen Staatsschuldenkrise angesehen werden müssen. Hierbei wird das Hauptaugenmerk auf dem Verhalten der Agenturen liegen, das einen vermeintlich großen Einfluss auf die Größe und die damit verbundenen, verheerenden Folgen der US-lmmobilienkrise hatte.
Bevor ich die vorliegende Arbeit in Kapitel 7 noch einmal zusammenfassen werde und knapp auf aktuelle Entwicklungen eingehe sowie einen kurzen Ausblick wage, beschäftigt sich die Arbeit in Kapitel 6 mit der Entstehung der Europäischen Staatsschuldenkrise und hierbei mit dem Verhalten der Rating-Agenturen. So wird der Einfluss der Agenturen auf die Finanzmarktstabilität in der Europäischen Staatsschuldenkrise untersucht. Mit Hilfe einer empirischen Studie von drei Forschern der Universität St. Gallen wird versucht, den Einfluss der Agenturen zu quantifizieren.
2 Der historisch-politische Kontext der RatingAgenturen: “A Century of Market Leadership”
„Es gibt zwei Weltmächte: Die USA und die Rating-Agentur Moody's. [3] Und glauben Sie mir, es ist nicht immer klar, wer mehr Macht besitzt.“[4] Diesen Satz prägte der „New York Times“ - Kolumnist Thomas Friedman im Jahr 1996. Natürlich kann die Macht dieser beiden so unterschiedlichen Akteure nicht direkt miteinander verglichen werden. Die Aussage veranschaulicht lediglich, dass der Einfluss der Agenturen auf die globale Finanzwirtschaft inzwischen sehr groß geworden ist. Es spricht vieles dafür, dass er sich in den letzten 17 Jahren weiter deutlich verstärkt hat.
Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie die Rating-Agenturen zu ihrem heutigen Einfluss auf die internationale politische Ökonomie gekommen sind. Die Anfänge lassen sich auf die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts datieren, doch erst in den 1930er Jahren weiteten die bis dahin etablierten Agenturen ihren Einfluss merklich aus und Übernahmen erste Staatsfunktionen. Kapitel 2.1 beschreibt den ersten Zeitraum bis in die 1930er Jahre, der auf den US-amerikanischen Markt beschränkt war. Seit Beginn des Zweiten Weltkriegs bis hin in die späten 1960er Jahre festigten die Agenturen ihre bis dahin erhaltenen Privilegien und bauten somit ihre Position im US-amerikanischen Wirtschaftssystem weiter aus.
Im darauf folgenden Unterkapitel 2.2 werden weitere wichtige Entwicklungen und neue Befugnisse für die Agenturen seit den späten 1960er Jahren aufgezeigt.
2.1 Von der Entstehung bis zu ersten staatlichen Funktionen
2.1.1 Der Beginn und die Etablierung an den Finanzmärkten
Die Geschichte der Entstehung und Entwicklung der Rating-Agenturen kann man ab 1868 beginnen lassen, als Henry William Poor „ein jährliches Eisenbahn-Handbuch [...], das Manual of the Railroads"[5], herausgab. In diesem Handbuch wurde den potentiellen Käufern von Aktien der verschiedenen Eisenbahnunternehmen in den USA eine Bewertung der Unternehmen vorgestellt, um eine Risikoabschätzung des möglichen Anleihenkaufs vornehmen zu können. Gut 40 Jahre später begannen andere in das inzwischen lukrative Geschäft der Unternehmensbewertung einzusteigen. In relativ kurzer Folge wurden die Firmen Standard Statistics Bureau (1906), Moody’s Investor Service (1909) und Fitch Publishing Company (1913) gegründet.
Diese neuen Agenturen verdienten ihr Geld zunächst mit dem Verkauf von Informationen über die wirtschaftliche Beschaffenheit der US-amerikanischen Eisenbahngesellschaften an interessierte Aktionäre.[6] Es handelte sich bei den Agenturen im Grunde um kleine Verlage die in noch kleinerer Auflage Zeitschriften heraus brachten, um eine neu entdeckte Nische zu nutzen. Diese neu entstandene Branche war die Unternehmensbewertung.
Das Interesse an der Teilhabe der US-amerikanischen Bevölkerung an den großen Unternehmen stieg zu dieser Zeit rasant an. Da immer mehr US-amerikanische Unternehmen an die wachsende New Yorker Börse Wall Street drängten, fingen die Agenturen an auch diese Unternehmen zu bewerten, um den Anlegern einen Überblick zu verschaffen, in welche der zahlreichen Firmen am besten zu investieren sei.
1923 veröffentlichte Standard Statistics seinen ersten Aktienmarktindex, der insgesamt 233 bewertete US-amerikanische Unternehmen umfasste.[7] Moody's konzentrierte sich in dieser Zeit auf den öffentlichen US-amerikanischen Anleihenmarkt und hatte nach eigener Aussage bereits 1924 nahezu 100% des Anleihenmarkts mit ihren Ratings abgedeckt.[8] Moody’s begann also schon früh mit der Bewertung der Kreditwürdigkeit staatlicher Einrichtungen und verdiente sein Geld damit.
Anders als heute war es zu dieser Zeit allerdings noch üblich, dass die Anleger, also die Käufer der Anleihen und Wertpapiere, die Rating-Agenturen für ihre Bewertung bezahlten, um das Anlagerisiko einschätzen und somit minimieren zu können. Dass es heute andersherum abläuft, also die Kreditnehmer die Agenturen für die Bewertung ihrer Kreditwürdigkeit bezahlen (siehe Kapitel 2.2), ist nur ein kleines Puzzlestück, das letztlich dazu beiträgt, die Macht der Big Three zu manifestieren. Auf die aktuell gültigen Regeln und Praktiken der Rating-Agenturen komme ich im späteren Verlauf der Arbeit noch ausführlicher zu sprechen. (Vgl. Kapitel 3.1)
Die Weltwirtschaftskrise der späten 1920er Jahre ging auch an den Agenturen nicht spurlos vorbei. So war Poor’s Publishing 1930 insolvent, wurde allerdings schnell rekapitalisiert und fusionierte dann gut 10 Jahre später, 1941, mit Standard Statistics zu Standard & Poor’s Corp.[9]. Moody’s gibt in einer Eigenbeschreibung der Geschichte der Agentur kleinlaut zu, dass ihnen im Vorlauf der Weltwirtschaftskrise Fehler bei der Bewertung von („wenigen“) Anleihen unterlaufen waren („few bonds highly-rated by Moody's missed payments“[10] ). Schon damals spielten die Rating-Agenturen eine entscheidende Rolle im Vorfeld einer großen Finanzmarktkrise, indem sie den Akteuren an den Märkten relative Sicherheit suggerierten. Dass damals wie heute eine an dieser stelle nicht weiter quantifizierte Anzahl der Bewertungen unzutreffend waren und sind, legt den Blick frei auf eine mögliche Schwachstelle des “Systems“:
Die den Agenturen zugemutete Schlüsselrolle der Finanzmarktregulierung können oder wollen sie aufgrund verschiedener Bedingungen nicht zuverlässig ausfüllen. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird an verschiedenen stellen sichtbar, dass die RatingAgenturen zwar hoheitliche Aufgaben der Regulierung übernommen haben, aber Z.T. andere Interessen vertreten als die Staaten in deren Auftrag sie handeln. Eine Beschreibung des intentionalen Handelns der privatwirtschaftlichen Agenturen als eigenständige Finanzmarktakteure mit ganz eigenen Interessen findet sich in Kapitel 3.2.1.
2.1.2 Staatliche Unterstützung
Zu den entscheidenden Teilen der Geschichte der Rating-Agenturen zählt auch und vor allem die Etablierung neuer finanzpolitischer Gesetze und Verordnungen, die den Agenturen im Laufe der Zeit immer weitere Befugnisse und mehr Verantwortung übertrugen. Hier kann als erstes der New Deal der demokratischen Regierung von Franklin D. Roosevelt ab 1933 aufgezählt werden. Die sehr umfangreichen Reformen zur Überwindung der Weltwirtschaftskrise umfassten auch finanzpolitische Maßnahmen. Schließlich war die Finanzbranche mit ihren spekulativen Exzessen maßgeblich mitverantwortlich für den Zusammenbruch der Börsen und infolgedessen der Wirtschaft im Allgemeinen.
Auch um zukünftige Finanzkrisen zu vermeiden (bzw. unwahrscheinlicher zu machen), wurde im Rahmen des New Deal der Security and Exchange Act verabschiedet, mit dem unter anderem die erste Börsenaufsicht der Welt, die Security Exchange Commission (SEC) etabliert wurde.[11] Die SEC hatte die Aufgabe verschiedene Informationen über die börslich notierten Unternehmen zu sammeln, um Anlegerbetrug, Insidergeschäfte und andere illegale und wettbewerbsverzerrende Machenschaften zu erkennen und zu unterbinden. So konnte sie auch Strafen aussprechen, wenn sich Unternehmen nicht an die Regeln (z.B. Bilanzierungsregeln, etc.) der New Yorker Börse hielten. Dieser Aufgabe geht die SEC unter anderen auch heute noch nach. Die neu geschaffene Aufsichtsbehörde der Wall Street bediente sich zur Erfüllung ihrer Aufgaben wiederum verschiedener Unternehmen. Neben Wirtschaftsprüfern, wurden vor allem die Agenturen damit beauftragt, die Kreditwürdigkeit der großen Firmen an der Börse, also "die Sicherheit von Geldanlagen [zu] bewerten. Investoren sollten somit zwischen sicheren (»Investment grade«) und spekulativen (»non investment grade«) Investitionen unterscheiden können"[12].
Darüber hinaus etablierten die meisten US-Bundesstaaten in den 1930ern neue Regeln darüber, in welche Finanzprodukte ihre großen Pensionsfonds investieren durften. Eine zentrale Rolle spielten hierbei die Bewertungen der Agenturen. Diesen damals eingeführten Restriktionen der Investitionsmöglichkeiten unterliegen die บร- Pensionsfonds auch heute noch, sodass sie neben Investmentbanken und anderen großen Finanzinstitutionen zu den Hauptkonsumenten der von den Agenturen herausgegebenen Informationen sind.[13]
Die neuen Investitionsstandards führten auch dazu, dass Anleihen anderer Länder weitestgehend vom US-Markt ausgeschlossen waren, da sie keine Bewertung der amerikanischen Rating-Agenturen aufweisen konnten.[14]
Auch die amerikanischen Banken sind seit den dreißiger Jahren diesen Auflagen unterworfen. Das บ.ร. Office of the Comptroller of the Currency (OCC) beschloss damals, dass die Banken nur Anleihen als Sicherheiten in ihren Bilanzen halten durften, die von mindestens zwei Agenturen mit „BBB“[15] oder besser bewertet wurden.[16] Dass Banken, Finanzinstitute und andere private Anleger sich zunehmend auch untereinander an den Bewertungen orientierten, erklärt sich aus der dadurch entstehenden Flexibilisierung der Geschäftsbeziehungen.
"So konnten etwa in längerlaufenden Kredit- und Handelsverträgen die Zinsen und Zahlungen dem jährlich erneuerten Rating angepasst werden. Das gab den Rating-Agenturen eine wachsende Stellung im Finanz-, Wirtschafts- und Staatsapparat der USA."[17]
2.2 Ausweitung der Einflussnahme in den USA seit den späten 1960er Jahren
Wie bereits in der Einleitung dieses zweiten Kapitels festgehalten wurde, gab es in dem Zeitraum nach den dreißiger Jahren bis in die späten 1960er Jahre hinein keine entscheidenden Veränderungen bezüglich der bis dahin erreichten Stellung der Agenturen. Zwar dehnten sie ihr Geschäft immer weiter aus und festigten so ihre bisher gewonnenen Befugnisse und Marktanteile, da immer mehr Unternehmen ihre Anleihen bewerten ließen und die Gläubiger die Ratings als Fixpunkte ihrer Kontrakte ansahen. Jedoch war der relative Anteil der ausgegebenen Unternehmensanleihen aufgrund des hohen Wirtschaftswachstums und der damit verbundenen guten Kapitalausstattung der Firmen nach dem Zweiten Weltkrieg rückläufig. So kann diese Phase als Stagnation für die Rating-Agenturen angesehen werden.[18] Einerseits wurde ihr Urteil immer wichtiger, andererseits gaben die Unternehmen jeweils nur wenige Anleihen heraus, um sich zu finanzieren.
Neue spannende Entwicklungen sind erst seit Ende der 1960er und vor allem seit Mitte der 70er Jahre festzustellen, "denn ทนท begann eine Phase, in der sich der Gebrauch von Ratings stark ausdehnte."[19]
2.2.1 Gegenseitige Abhängigkeiten
1969 stellte s&p sein Geschäftsmodell um. Wie bereits erwähnt, verkauften alle Agenturen ihre Informationen über die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer bis zu diesem Jahr an die Gläubiger und forderten darüber hinaus keine weiteren Gebühren ein. Das änderte sich ทนท. s&p nutzte seinen inzwischen erreichten Stand innerhalb der US-amerikanischen Wirtschaft aus und begann das Bezahlsystem komplett umzustellen.[20] Moody’s folgte nur zwei Jahre später.[21] Von ทนท an mussten (oder durften) immer mehr Emittenten von Wertpapieren für ihre eigene Benotung bezahlen. Diesen Schritt konnten die Agenturen gehen, weil Banken, Unternehmen und staatliche Einrichtungen de facto eine Benotung erhalten mussten, um sich nicht von großen Teilen des Kapitalmarktes abzuschotten und somit Gefahr zu laufen ihre Anleihen und Wertpapiere nur schlecht oder gar nicht verkaufen zu können. Ohne die Benotung einer der Big Three ging schon zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel für Anleihen- und Wertpapierverkäufer zusammen.
Durch die Umstellung des Bezahlsystems ergab sich eine doppelte Abhängigkeit. Die Banken waren auf möglichst gute Benotungen der Agenturen angewiesen, um Kapital einsammeln und ihre Produkte verkaufen zu können. Die Rating-Agenturen hingegen waren und sind als rein privatwirtschaftliche Unternehmen ebenfalls auf ein Einkommen angewiesen, dass ทนท von den Banken kam und nicht mehr von den interessierten potentiellen Käufern. Das legt die Vermutung nahe, dass es gute Noten nur gegen gutes Geld gab oder anders herum den Auftrag zur Bewertung nur gegen gute Noten.
Es scheint als hätten die Agenturen bis in die 1960er Jahre hinein ein gut funktionierendes Oligopol aufgebaut, unterstützt durch die Politik der USA in Sachen Finanzaufsicht nach der großen Krise der 20er und 30er Jahre. Sie nutzten die Abhängigkeit der verschiedenen Emittenten von Finanzprodukten aus und stellten ihr Bezahlsystem um. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Banken und Unternehmen auf der einen Seite und den Agenturen auf der anderen ist allerdings nur ein Teil der Verflechtung und Verfilzung der Finanzbranche untereinander. Wie schon zuvor erwähnt werden die Handlungsmotive der Rating-Agenturen in Kapitel 3.2.1 etwas genauer betrachtet.
2.2.2 Ein neuer Status im Finanzsystem
Zu der genannten Umstellung des Bezahlsystems kam hinzu, dass Fitch, Moody’s und s&p im Jahr 1975 den neu eingeführten Status der Nationally Recognized Statistical Rating Organizations[22] (NRSROs) von der SEC erhielten. Fitch musste noch einige Auflagen erfüllen, um den Status zu bekommen, Moody’s und s&p hingegen waren anscheinend von vornherein als NRSRO vorgesehen und wurden ohne weitere Bedingungen ernannt. Zwar wurde das NRSRO-Konzept damals zunächst nur sehr vage und unspezifisch in der amerikanischen Gesetzgebung verankert, erhielt aber trotzdem schnell einen hohen Stellenwert bei den Akteuren innerhalb der Kapitalmärkte.[23]
Eigentlich hatte die SEC zunächst sogar sieben verschiedenen Rating-Agenturen den Status einer NRSRO verliehen. Durch Fusionen zwischen ihnen blieben aber nur die genannten Big Three übrig.[24] Das festigte das bereits bestehende Oligopol der drei großen Agenturen Moody’s, s&p und Fitch noch weiter. Bis zum Jahr 2003 verblieben lediglich diese drei als von der SEC akzeptierte NRSROs. "Erst wieder 2003 bekam die kanadische Agentur Dominion Bonds Rating Service (DBRS) als vierte eine Lizenz, was aber an der Marktbeherrschung durch die Großen Drei nichts änderte."[25] Heute sind inzwischen insgesamt zehn Rating-Agenturen von der SEC als NRSRO eingestuft. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, haben die drei größten von ihnen jedoch nach wie vor einen Marktanteil von ca. 95%.
Die New Yorker Börsenaufsicht beließ es nicht bei der bloßen Benennung der Rating-Agenturen zu NRSROs, sondern sicherte auch das Bestehen und die Expansion ihrer Geschäftsfelder. So wurde das NRSRO-Konzept in die bestehenden Regelungen des Handels mit Finanzprodukten eingebettet: Viele der seit dem Security and Exchange Act 1933 umgesetzten Regulierungen wurden ab 1975 um das Konzept erweitert.[26]
2.2.3 Liberalisierung und (De-)Regulierung der (Finanz-)Wirtschaft
Mit der Wahl des republikanischen Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagan zum Präsidenten der USA 1980 und der Amtsannahme im Januar des Folgejahres, begann für die US-amerikanische Wirtschaft und die Finanzmärkte eine Zeit der Deregulierung. Das Mittel der neuen angebotsorientierten Marktwirtschaft war es, die Unternehmen weit weniger als zuvor zu belasten, sodass diese mehr Freiräume für Investitionen bekämen, um so Wachstum generieren und Arbeitsplätze schaffen zu können. Nach seiner Wiederwahl kündigte Reagan 1985 vor der NYSE in seiner berühmten Rede an „dem Bullen freien Lauf zu lassen“[27] ("That's our economic program for the next four years. We're going to turn the bull loose. "[28] ).
In Margaret Thatcher, damalige britische Premierministerin, hatte Reagan eine enge Verbündete in Europa, die den Weg der Deregulierung auch in Großbritannien beschritt und die Ideen der freshwater economists[29] innerhalb Europas politisch etablierte. Die US-amerikanischen Präsidenten G. H. พ. Bush, B. Clinton und G. พ. Bush setzten diese Politik der weitreichenden Deregulierung fort, sodass neben realwirtschaftlichem Wachstum vor allem die Finanzmärkte einen enormen Schub erhielten. Auf europäischer Ebene waren es nach Thatcher allen voran die Politiker des Dritten Weges, Schröder und Blair, die in den (finanz-) wirtschaftlich wichtigen Zentren Europas deregulierende Maßnahmen ergriffen.
Die Rating-Agenturen, inzwischen unverzichtbarer und staatlich geschützter Bestandteil des amerikanischen und globalen Wirtschaftssystems, profitierten in drastischer Weise von der Entfesselung der Finanzwirtschaft. Im Zuge der Liberalisierung der Finanzwirtschaft nahm die Zahl der Akteure in den Finanzmärkten sowie die Anzahl der hier gehandelten Produkte deutlich zu.
"Die Anlagestrategien von Investoren, insbesondere der institutioneilen Anleger, änderten sich maßgeblich. Der Trend ging hin zu einer Diversifikation und Internationalisierung des Portefeuilles."[30]
Die gestiegene Komplexität der Märkte erhöhte den Bedarf an Informationen und Bewertungen des Anlagerisikos enorm. Gesteigert wurde dieser Bedarf durch die zunehmende Globalisierung, da die Einschätzung von Emittenten in anderen Ländern noch einmal deutlich schwieriger schien.[31] So stieg die Nachfrage nach Expertisen der spezialisierten Rating-Agenturen.
Hinzu kamen weitere Regulierungsvorschriften für die amerikanischen Finanzakteure, die die Rating-Agenturen betrafen und ihnen einen immer bedeutsameren Status verliehen. In den Jahren zwischen 1982 und 1987 wurden u.a. "1982 die Offenlegungspflichten für Neuemissionen vereinfacht, wenn diese von einer NRSRO mit mindestens „BBB“ bewertet wurden."[32] 1984 verabschiedete der US-Kongress den Secondary Mortgage Market Enhancement Act (SMMEA), in dem definiert wurde, welche Sicherheiten als mortgage related securities anzusehen seien, nämlich nur solche, die von mindestens einer NRSRO mit mindestens AA geratet wurden. 1987 etablierte die FED darauf aufbauend, dass hypothekarisch abgesicherte Schuldverschreibungen als Sicherheiten mit einem entsprechenden Rating versehen sein mussten.[33]
So festigte sich für die Rating-Agenturen nicht nur der Status quo in den US-amerikanischen Finanzmärkten, vielmehr profitierten sie auch von der immer tiefer greifenden rechtlichen Verankerung. Sowohl die Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte, als auch die gleichzeitig zunehmende ratingbezogene Regulierung nutzte den Agenturen. So wurden die rein privatwirtschaftlichen Rating-Agenturen zu quasi-staatlichen Regulierungsakteuren mit hoheitlichen Aufgaben, festgeschrieben in gültigem US-amerikanischem Recht.
Die immer weiter fortschreitende Einbettung der NRSRO in die Finanzmarktregulierung lief in diesem Tempo noch bis 1999 weiter. Erst nach dem Zusammenbruch des ehemaligen Energiekonzerns Enron im Jahr 2001 und der zutage getretenen krassen Fehleinschätzungen der Rating-Agenturen bezüglich der Bonität des Konzerns, wurde Kritik an den Agenturen laut, welche sich u.a. in dem 2002 verabschiedeten Sar- banes-Oaxley Act wiederfand.
So musste die SEC einen Bericht über die Funktion der Agenturen anfertigen, welcher auch als Grundlage zu diversen Senatsanhörungen genutzt wurde. Hier kamen die Rating-Agenturen nicht gut weg. Der entsprechende Ausschuss des US-Senats kommt zu einem vernichtenden Ergebnis bezüglich der abgegebenen Ratings über Enron.[34]
Enron hatte wie kein zweites Unternehmen die Liberalisierung der Finanzmärkte und die Deregulierung der Wirtschaft in den USA genutzt, um aus einem Energiekonzern einen Finanzmarktakteur mit einer Energiesparte zu machen.
Rethel und Sinclair beschreiben die Verfehlungen im Zusammenhang mit dem En- ron-Skandal wie folgt: "Enron, a Texas-based energy company, had used multiple special-purpose vehicles to keep highly leveraged activities off balance sheet."[35] So versteckte Enron einen großen Teil seiner Verbindlichkeiten. Bei genauerem Hinsehen der Regulatoren, allen voran die Rating-Agenturen, hätte dies aber durchaus erkannt werden müssen. "What unites the Enron [...] scandals with the subprime events of 2007-09 is the important role of extreme forms of financial innovation"[36], die die Kreditgeber nicht sehen konnten und die Rating-Agenturen vermeintlich nicht sehen wollten. Nur so sind die bis zum Schluss durchweg guten Bewertungen der Agenturen zu erklären.
So kamen die Agenturen der ihnen anvertrauten Aufgabe der Bewertung der Kreditwürdigkeit des Unternehmens Enron nur unzulänglich nach.
Abschließend zeigt Tabelle 1 in einer übersichtlichen Zusammenfassung die wichtigsten regulativen Ereignisse, direkt oder indirekt die Rating-Agenturen betreffend, in den USA in chronologischer Reihenfolge:
Tabelle 1: Ratings als Instrument zur Kapitalmarktregulierung in den USA [37]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3 Rating-Agenturen heute
Nachdem in Kapitel 2 bisher gezeigt wurde, wie sich die Position der RatingAgenturen innerhalb der Finanzmärkte seit der Gründung von s&p entwickelt und gefestigt hat, geht es in diesem Kapitel um die aktuell gültigen Regeln nach denen die Agenturen arbeiten. Die unumstritten starke Position innerhalb der Finanzmärkte geht einher mit einer hohen Verantwortung und viel politischem Einfluss:
"Außerdem setzen Rating-Agenturen mit ihrem Urteil Standards, die wegen diverser Regulierungsvorschriften direkt und indirekt die Entscheidungsspielräume anderer Finanzmarktakteure einschränken, Auswirkungen auf die Kapitalflüsse zwischen einzelnen Staaten haben und die Vermögenssituation privater Investoren beeinflussen."[38]
Um den Einfluss auf die Finanzmarktstabilität in der Europäischen Staatsschuldenkrise verstehen zu können ist es unbedingt notwendig die Arbeitsweise und Bewertungskriterien der Agenturen offen zu legen. Darüber hinaus sollen mögliche Handlungsmotive untersucht werden, die einen Teil der Erklärung für bestimmtes Verhalten und bestimmte Ratings liefern können. Was genau sind Rating-Agenturen, was sind Ratings und wie kommen sie zustande?
"Global finance is big business. Really big business. The bond rating agencies [...] maintain ratings on $30 trillion worth of debt issues in American and international markets. These markets are surely too big for us to ignore if we want to understand how our world works."[39]
Diese Aussage stammt von 2005, also noch von vor der US-lmmobilienkrise und lange vor der aktuellen europäischen Krise.
Da diese Arbeit den Einfluss der Agenturen auf die Finanzmarktstabilität bezüglich der Europäischen Staatsschuldenkrise untersucht, werden im späteren Verlauf der Arbeit vor allem Ratings betreffend die Europäischen Staaten mit einbezogen.
Allerdings gab es auch im Vorlauf der akuten Krise, Ratings der Agenturen, die als Katalysator gedient haben. So wurden beispielsweise die strukturierten Finanzprodükte und Derivate[40], die zu der แร-Inาทาobilienkrise führten, oft viel zu positiv bewertet. Auch hierdurch konnte die sog. Immobilienblase ihre letztliche Größe erreichen und so viele Investoren, wie Banken, Investmentbanken, Fonds und andere Finanzmarktakteure in arge Bedrängnis bringen. Dies wiederum hatte zur Folge, dass einige der großen Pleiteinvestoren von staatlicher Seite mit Steuermitteln gerettet wurden, da sie als „systemrelevant“ eingestuft wurden. Hierin liegt die Ursache der starken Verschärfung der Schuldenstände der kapitalistisch demokratischen Staaten zu Beginn der Schuldenkrise in Europa. (Vergleiche Kapitel 4.1)
Kapitel 3.1 beschreibt die offizielle Arbeitsweise und die aktuell gültigen Regeln der Rating-Agenturen, und zwar zum einen betreffend die Produkte von privaten Emittenten und zum anderen betreffend die Bewertung der Kreditwürdigkeit von Staaten. Im zweiten Unterkapitel 3.2 geht es dann um die globale Verflechtung der Finanzwirtschaft. Es stellt sich hier die Frage, welche Interessen von den Agenturen vertreten werden und ob sie ihrer Verantwortung gerecht werden.
Die Ausweitung des Einflusses auf die globale Wirtschaft ist seit den 1970er und 80er Jahren zu beobachten. Die Anfänge waren noch zaghaft, jedoch steigerten die Agenturen ihren Einfluss auch außerhalb der USA stetig. Hierbei soll deutlich gemacht werden wie weitreichend dieser Einfluss geworden ist, und darüber hinaus angedeutet werden, warum die Agenturen heute auch als politische Akteure angesehen werden können, indem sie großen Unternehmen und sogar Regierungen ihren Willen aufzwingen können.
Weiterhin wird beschrieben, wie die Rating-Agenturen in die europäische Finanzmarktregulierung eingebettet sind.
3.1 Der Rating-Prozess: Arbeitsweise und Bewertungskriterien
"“CRA” and “credit rating agency” refer to those entities whose business is the issuance of credit ratings for the purposes of evaluating the credit risk of issuers of debt and debt-like securities."[41]
Diese Definition stammt aus dem Code of Conduct Fundamentals for Credit Rating Agencies der International Organization of Securities Commissions (IOSCO).
Wir haben gesehen, dass viele Investoren wie Pensionsfonds, Versicherungsgesellschaften, Hedgefonds, Investmentbanken, „normale“ Banken usw. in den meisten Fällen nur in solche Anlagen investieren dürfen, die mit Investment Grade geratet wurden. Oft muss die Bewertung sogar mindestens „AA“ sein. Dies gilt in solchen Fällen für alle Produkte auf dem Markt, egal von welcher Seite aus sie emittiert wurden. Allerdings macht es durchaus einen nicht unerheblichen Unterschied ob ein privater Finanzmarktakteur seine mitunter sehr komplizierten Produkte verkaufen möchte oder ob ein Staat neue Kredite benötigt und diese in Form von Staatsanleihen aufnimmt. Je nachdem welches Produkt den Agenturen zur Bewertung vorgelegt wird, ändern sich die Bewertungskriterien. Kapitel 3.1.1 umfasst die Maßstäbe nach denen Ratings privater Akteure vorgenommen werden. Im zweiten Unterkapitel 3.1.2 werden die Bewertungskriterien staatlicher Emittenten erläutert.
Allen Ratings gemein ist allerdings ihr Ausdruck in Form von Noten auf einer Skala von AAA bis D, wobei die Note AAA für das geringste Kreditausfallrisiko steht und D für (kurz vor) dem Zahlungsausfall bzw. der Insolvenz des Kreditnehmers. Die IOSCO definiert ein Rating als “an opinion regarding the creditworthiness of an entity, a credit commitment, a debt or debt-like security or an issuer of such obligations, expressed using an established and defined ranking system."[42]
Tabelle 2 zeigt die Bewertungsskalen der drei großen Agenturen und ihre Unterteilung zwischen 1. Investment Grade, 2.Speculative Grade und 3. (close to) Default. Die Big Three unterscheiden sich in ihrer Notengebung nur minimal. Zwar benennt Moody's seine Ratings anders als s&p und Fitch, meint aber grundsätzlich das Gleiche. Lediglich Staaten und Unternehmen die von einem Rückzahlungsausfall betroffen sind, werden von Moody’s gar nicht bewertet, von den anderen beiden jedoch mit der Note D versehen. So ergibt sich eine Skala mit der Gesamtzahl von 20 (S&p, Fitch) bzw. 19 (Moody’s) verschiedenen Notenstufen (AAA, AA+, AA, AA-, A+, usw., อ), die jeweils auch noch mit einem stabilen, negativen oder positiven Ausblick versehen werden können, der indiziert ob die Rating-Agenturen dem jeweiligen Unternehmen oder Staat kurz- und mittelfristig ein Gleichbleiben, eine Verschlechterung oder Verbesserung der Kreditwürdigkeit attestieren. Für jede dieser Noten gibt es bei den Agenturen darüber hinaus kurze Erläuterungen.
Tabelle 2: Bewertungsskalen der Ratingagenturen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Rosenbaum (2009)
3.1.1 Ratings privater Emittenten und Produkte
"Die von Moody's erteilten Ratings sind Meinungen über die künftige relative Kreditwürdigkeit eines Emittenten basierend auf einer fundamentalen Kreditanalyse, ausgedrückt durch die bekannten Ratingsymbole von Aaa bis c."[43]
So beschreibt Moody’s selbst in dem Kapitel „Moody’s-Ratings für Unternehmensanleihen“ in seinem Special Comment von 2002 was Ratings sind.
Gemein ist den Agenturen der Standpunkt, dass es sich bei ihren Ratings immer ausschließlich um eine Meinung handelt. Obwohl fast alle Finanzmarktakteure auf Ratings der Agenturen angewiesen sind und diese auch immer einen hohen Einfluss auf die Kapitalkosten der Unternehmen haben, bleiben die Bewertungen lediglich Meinungen, was dazu führt, dass sie nicht anfechtbar oder rechtlich zu überprüfen sind. Selbst wenn, wie schon oft geschehen, ein Rating der Agenturen unzutreffend ist, lassen die Agenturen sich nicht zur Verantwortung ziehen. Auch dann nicht, wenn diese falsche Beurteilung die Grundlage für riesige Verluste ist. Vor allem in Bezug auf die massenhaft vergebenen Triple-А in der Immobilienkrise (siehe Kapitel 4.1) beriefen sich s&p, Moody’s und Co. hinterher auf das Recht der freien Meinungsäußerung, um keine rechtlichen Konsequenzen aus ihren krassen Fehleinschätzungen ziehen zu müssen. Aus dieser Einstellung könnte folgen, dass es den Agenturen im Grunde egal sein kann, welche Ratings vergeben werden. Schließlich haben Fehler, die sie begehen, keinerlei direkte Konsequenzen für sie. Obwohl die Agenturen darauf bestehen, dass ihre Ratings lediglich Meinungen sind, „they simultaneously seek to objectify and offer their views as .facts', masking the inherent tentaviness of the rating process.”[44]
Allein die Tatsache, dass das Geschäftsmodell der Agenturen zum Teil auch auf Glaubwürdigkeit beruht, lässt vermuten, dass sie sich trotzdem alle Mühe geben. Eine empirische Studie[45] der Bank for International Settlements (BIS) kommt zu dem Ergebnis, dass sich durchaus ein Zusammenhang zwischen schlechtem Rating und Kreditausfallrisiko herstellen lässt. Unten stehende Tabelle zeigt die Ausfallquote von einjährigen und fünfjährigen Anleihen im Zeitraum von 1981-1998, sortiert nach ihrer vorherigen Bewertung durch die beiden Agenturen s&p und Moody’s. Die Ausfallquote bei Investment Grade bewerteten 5-jährigen Anleihen lag bei beiden Agenturen unter 1%. Hingegen fiel bei über 15% der Non-Investment Grade- (Speculative Grade-) Anleihen die vollständige Rückzahlung inklusive Zinsen aus.
Tabelle 3: Ausfallquote von 1-jährigen und 5-jährigen Anleihen jeweils von s&p und Moody’s in Prozent
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: BCBS[46]
Weiterhin gemein ist den Agenturen die vermeintlich rein technische Vorgehensweise in ihrem Ratingprozess. Da keine der Agenturen ihre genauen Bewertungsmechanismen und -algorithmen veröffentlicht, ist es nicht möglich nachzuvollziehen, wie genau ihre Ratings zustande kommen. Jedoch kann das Bewertungsverfahren grob in fünf Schritte unterteilt werden:
„1. Antrag des Emittenten
2. Informationsbeschaffung unter Mitwirkung des Antragstellers: Sammlung öffentlich verfügbarer sowie interner Informationen
3. Auswertung und Analyse der Daten (unter Einbeziehung von länderspezifischen Risiken, Branchenentwicklung, unternehmensspezifischen Gesichtspunkten, spezifischen Anleihebedingungen)
4. Entscheidungsfindung durch Ratingkomitee, Möglichkeit zur Stellungnahme und zum Nachreichen von Informationen durch Emittenten, Publizierung (teilweise abhängig von der Zustimmung des Emittenten)
5. Überprüfung des Bonitätsurteils durch laufende Überwachung, bei Bedarf Anpassung durch Herauf- oder Herabstufung (upgrading/ downgrading)“[47]
Obige Prozedur beschreibt grob den Ablauf einer Bonitätsbewertung, wenn sie von einem Emittenten gewünscht ist. In einigen Fällen werden Unternehmen auch ohne ausdrücklichen Wunsch von den Rating-Agenturen auf ihre Kreditwürdigkeit hin untersucht. Diese Bewertungen ohne vorher gestellten Antrag und möglicherweise auch gegen den Wunsch des Unternehmens nennt man unsolicited Rating. Selbstverständlich erheben die Agenturen in solchen Fällen auch keine Gebühren für ihre Bewertung. Grundsätzlich wird ein Unternehmen nie eine Benotung erhalten, die besser ist als die Benotung des Staates, in dem es seinen Sitz hat. ("Internationally, ratings are normally limited to the sovereign ceiling rating of the nation in which the issuer is domiciled."[48] )
Weil Ratings einzig eine vorrausschauende Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Emittenten sind, handeln die Agenturen immer im Interesse des Kreditgebers, also des Kapitaleigners. Das Interesse des Kapitaleigners ist im Sinne der kapitalistischen Marktlogik die Vermehrung seines Kapitals. Hier helfen die Agenturen, indem sie das Anlagerisiko für die Investoren einschätzen. Rating-Agenturen vertreten nie die Interessen von Kreditnehmern.
3.1.2 Sovereign Ratings - Die Bewertung von Staaten
Bei der Bewertung von Staaten, Ländern, Gemeinden und Städten gibt es viele Parallelen zu dem Verfahren der Einschätzung der Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Das Grundprinzip aus Sicht der Marktteilnehmer bleibt das Gleiche. Auf der marktwirtschaftlichen Ebene geht es letztlich einzig um die Minimierung der Kreditrisiken der Kapitaleigner durch die Bereitstellung von Informationen über den Schuldner durch die Agenturen. Hier sehen die Rating-Agenturen ihr natürliches und von Anlegern erwünschtes Aufgabenfeld. Die Bereitstellung solcher Informationen führt schließlich zu einer Reduzierung der Kosten der Kreditgeber, da diese die Informationen ansonsten selber einholen müssten. Die Rating-Agenturen sind also sozusagen, staatlich angeordnet und gefördert, ausgegliederte Informationsbeschaffungsabteilungen der Investoren und dabei hochgradig spezialisiert. Durch diese Spezialisierung der Rating-Agenturen ist es den potentiellen Gläubigern möglich, ihre Risiken so zu minimieren, wie es ihnen ohne die Hilfe der Agenturen nicht gelingen würde.
So tragen die Agenturen in zweierlei Weise zur Kostenreduzierung bei: Erstens durch das mutmaßlich zeitgünstigere Recherchieren der Kreditwürdigkeit eines Emittenten und zweitens durch eine Reduzierung der Kosten durch potentiell vermiedene Kreditrückzahlungsausfälle. Diese Funktion als Informationsbeschaffer der Agenturen ist unabhängig von der Art der gerateten Produkte oder Emittenten.
Allerdings scheint es zumindest fragwürdig, wie präzise und sorgfältig die jeweiligen Bewertungen vorgenommen werden können. Im Jahr 2010 beschäftigten die drei großen Rating-Agenturen zusammen 3.598 Rating-Analysten und Rating- Supervisoren[49], gaben im gleichen Zeitraum aber über 2,7 Millionen Ratings ab: Das sind etwa 750 Ratings pro Mitarbeiter und Jahr. Bedenkt man, dass es sich um die Beurteilung teils sehr komplexer Produkte handelt, sind 2-3 Ratings pro Tag für jeden Mitarbeiter sehr viel.
Tabelle 4: Anzahl der veröffentlichten Ratings der Rating-Agenturen 2010
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: SEC[50]
Dass Gebietskörperschaften von den Agenturen auf ihre Kreditwürdigkeit hin untersucht werden ist kein ganz neues Phänomen. In den USA ist es schon lange üblich, dass Kommunen und Städte Anleihen auf den Markt bringen, um sich finanzieren zu können. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts bewerten die Agenturen US-amerikanische Gebietskörperschaften. Jedoch ist der Trend der Bewertung von fremden Staaten noch nicht ganz so alt. Während 1975 nur fünf Staaten ein Rating durch eine der beiden großen Agenturen erhielten, waren es 1990 schon 68 und im Jahr 2002 waren insgesamt 202 Länder mit einem Rating versehen.[51] "For the creditrating companies, there's an incentive to rate as many nations as possible: They make money by directly billing each country for the service."[52]
Noch bevor die Agenturen in den 1970er Jahren anfingen Staaten zu bewerten, war es diesen nicht möglich ihre Staatsanleihen an US-amerikanische Großinvestoren zu verkaufen. Hier griff die nationale Regulierung des US-amerikanischen Finanzmarktes, die diesen Anlegern verbot Anleihen als Sicherheiten zu halten, die keine Mindestbewertung durch eine oder zwei der NRSRO erhalten hatten. Das führte, wie schon zuvor erwähnt, dazu, dass die Kapitalbeschaffung der Staaten von großen Teilen der damaligen Finanzmärkte abgeschnitten war. Zu Zeiten von weniger globalisierten Finanzmärkten, wie noch vor Ende der 1970er Jahre waren die Auswirkungen dieser Regulierung jedoch vernachlässigbar. Die jeweiligen Staaten hatten andere Geldquellen als beispielsweise die US-Pensionsfonds. Doch "durch die zunehmende Ausdifferenzierung und Spezialisierung moderner Finanzmärkte gewinnen die Entscheidungen dieser nicht-staatlichen Akteure weiter an Relevanz für die ökonomische, soziale und politische Situation der Industrienationen sowie der Entwick- lungs- und Schwellenländer."[53]
Die Rating-Agenturen als nicht-staatliche Akteure Übernahmen im Zuge der Globalisierung der Finanzmärkte und durch die konsequente Unterstützung des Regulierungssystems der USA eine Schlüsselposition zwischen den Kreditwünschen der jeweiligen Staaten und den Interessen der Kapitaleigner.
Oben stehendes Zitat von Rosenbaum ist grundsätzlich richtig. Ein Sovereign Rating einer der drei großen Agenturen hat Einfluss auf die Kapitalbeschaffungskosten eines jeden bewerteten Landes. So schreibt er weiter:
"Der Zusammenhang zwischen Ratingstufe und Kreditrisiko erklärt die je nach Rating unterschiedlichen Finanzierungskosten, denn wenn Investoren die Wahl zwischen einer sicheren und einer risikoreichen Anlage haben, wählen sie nur dann letztere, wenn das höhere Risiko durch eine höhere Gewinnchance kompensiert wird. Folglich müssen Emittenten den Investoren als Risikoprämie umso höhere Zinsen zahlen, je schlechter das Rating ist."[54]
Die Ratings beeinflussen freilich nur indirekt die zu zahlenden Zinssätze für Staatsanleihen. Die bundesdeutschen Anleihen beispielsweise werden in dem sogenannten Auktionsverfahren direkt an die Investoren versteigert. Ausgewählte Banken fungieren hierbei lediglich als Vermittler zwischen Verkäufer und Käufer und erhalten eine dementsprechend relativ niedrige Provision. Die Bundesrepublik kann dieses Verfahren wählen, da sie durch ihr einwandfreies Rating (AAA) einen guten Ruf genießt und äußerst selten auf ihren emittierten Anleihen sitzen bleibt. Anders sieht das mit dem Verkauf von Anleihen in Staaten mit niedrigerer Bonitätsbewertung aus. Solche Staaten wählen zumeist ein anderes Verfahren, das ihnen garantiert alle ihre Staatsanleihen trotz des relativ schlechten Ratings verkaufen zu können. In diesem sogenannten Syndizierungsverfahren verkauft der jeweilige Staat die zu emittierenden Anleihen komplett an eine Bank, die sich dann um den Weiterverkauf kümmert. Die zu zahlenden Provisionen an die Bank sind in diesem Fall höher, da das Risiko eines Scheiterns des Verkaufs bei der Bank liegt und nicht mehr bei dem eigentlich emittierenden Staat.[55] Entscheidend ist jedoch, dass ein bestimmtes Rating nicht die Zinssätze direkt, sondern vielmehr Angebot und Nachfrage nach den jeweiligen Anleihen beeinflusst. Dies wiederum bestimmt marktgerecht den zu zahlenden Zinssatz.
Es ist also so,
"dass Ratings ein wichtiger Faktor bei der Beeinflussung staatlicher Finanzierungskosten sind. Insofern besitzt das Urteil der RatingAgenturen politische Relevanz, weil es die Rahmendaten für die Wirtschafts-, Finanz- und vor allem für die Haushaltspolitik entscheidend mitprägt."[56]
Darüber hinaus sieht Rosenbaum jedoch keinen weiteren signifikanten Einfluss der Rating-Agenturen auf die Politikgestaltung in kapitalistisch demokratischen Staaten. Allein die Einschränkung der Haushaltsmittel durch eine Herabstufung der Bonität führe, so Rosenbaum, zu einem Anpassungszwang der geplanten Politikgestaltung im Sinne der Stimmenmaximierung hinsichtlich einer angestrebten Wiederwahl der Regierung. Politiker würden ausschließlich im Sinne dieses Kalküls handeln, weil auch ihre Wähler ausschließlich politisch interessiert seien im Sinne der materialistischen Optimierung ihrer individuellen Lebenssituation.[57]
[...]
[1] Heike Buchter/Arne storn, Der schwierige Kampf gegen die großen Drei (2012). http://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-dienstleister/ratingagenturen-die-regierungen- schimpfen/6335056-3.html (09. Januar 2013).
[2] Subprime = Suboptimal
[3] Inc Moody's Investors Service, Moody's History: A Century of Market Leadership (2012). http://www.moodys.com/Pages/atc001 .aspx (6. Januar 2013).
[4] Beat Balzli/Thomas Schulz/Michaela Schiessl, Trio Infernale, in: DER SPIEGEL (2009), ร. 72-78, H.47, hierS. 73.
[5] Werner Rügemer, Rating-Agenturen. Einblicke in die Kapitalmacht der Gegenwart, Bielefeld 2012u,ร. 13.
[6] ebenda, ร. 13-14.
[7] Standard & Poor's, A History Of standard & Poor's (2009b)http://www.standardandpoors.com/about-sp/timeline/en/us/ (22. November 2012).
[8] Moody's Investors Service.
[9] Standard & Poor's.
[10] Moody's Investors Service.
[11] Rügemer, ร. 15.
[12] ebenda, ร. 16.
[13] Timothy ป. Sinclair, Private Makers of Public Policy: Bond Rating Agencies and the New GlobalFinance, เท: Adrienne Heritier (Hrsg.), Common goods. Reinventing European integration governance, Lanham, Md. Oxford 2002x, ร. 279-291, hierS. 283.
[14] ebenda, ร. 282.
[15] Eine Aufstellung der Bewertungsskalen der drei großen Rating - Agenturen findet sich เท Kapitel 3.1(ร. 22) und เทา Tabellenverzeichnis als Tabelle 2.
[16] ebenda, ร. 286.
[17] Rügemer, ร. 17.
[18] Jens Rosenbaum, Der Einsatz von Rating-Agenturen zur Kapitalmarktregulierung เท denUSA: Ursachen und Konsequenzen. REGEM Analysis 8, Trier 2004a, รโ 14.
[19] ebenda.
[20] Standard & Poor's.
[21] Rügemer, ร. 17.
[22] US-amerikanische Unternehmen erhalten Z.B. erst dann Zugang zum Kapitalmarkt, wenn sie sich von mindestens zwei der NRSROs bewerten lassen.
[23] Sinclair, in: Heritier (Hrsg.), ร. 286.
[24] Rügemer, ร. 20.
[25] ebenda.
[26] OFfice of Inspector General บ.ร. Securities and Exchange Commission, The SEC's Role Regarding and Oversight of Nationally Recognized Statistical Rating Organizations (NRSRO), ร. 2.
[27] Klassischerweise werden zwei Tiere als Symbole für unterschiedliche marktwirtschaftliche Ausrichtungen verwandt. Der Bär steht für solide und nachhaltige Wirtschaftspolitik, für Stabilität und Zurückhaltung. Der Bulle hingegen symbolisiert eine weitaus weniger regulierte Marktwirtschaft, die hauptsächlich auf die Maximierung des Wachstums ausgerichtet ist.
[28] Associated Press, Reagan Opens Day at NYSE, Says He'll Turn the Bull Loose' (1985).http://articles.latimes.com/1985-03-28/news/mn-29064_1_president-reagan (2. Januar 2013).
[29] Neoklassische Puristen innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Paul Krugman, How Did Economists Get It So Wrong?, in: The New York Times Magazine (2009).
[30] Isabelle Gras, The Power to Rate. Eine Unteruschung zur Rolle der Ratingagenturen auf den Internationalen Finanzmärkten. REGEM Analysis 6, Trier 2003İ, ร. 11.
[31] ebenda.
[32] Rosenbaum, ร. 16.
[33] ebenda.
[34] ebenda, ร. 17.
[35] Lena Rethel/Timothy J. Sinclair, The Problem With Banks, London 2012p, ร. 46.
[36] ebenda.
[37] MBS = Mortgage Backed Securities
[38] Jens Rosenbaum, Der politische Einfluss von Rating-Agenturen, Wiesbaden 2009b, ร. 16-17.
[39] Timothy ป. Sinclair, The new masters of capital. American bond rating agencies and the politics ofcreditworthiness, Ithaca 2005, ร. xi.
[40] Z.B.: ABS (Asset Backed Securities), CDO (Collataralized Debt Obligations), CDS (Credit Default Swaps), MBS (Mortgage Backed Securities). Derivate sind von ursprünglichen Finanzprodukten abgeleitete Finanzprodukte. Hierbei kann es sich u.a. um Wetten auf die Wertentwicklung der primären Produkte handeln. Für eine genauere Beschreibung und Erklärung darüber was strukturierte Finanzprodukte und Derivate sind, siehe Lars Gronewold, Investitionen von Kapitalanlagegesellschaften in strukturierte Finanzprodukte, Münster 2010, ร. 12-38.
[41] The Technical Committee Of The International Organization Of Securities Commissions, Code ofConduct Fundamentals for Credit Rating Agencies 2004y, ร. 3.
[42] ebenda.
[43] Jerome ร. Fons, Anleihe-Ratings und der Ratingprozess bei Moody's. Ein Leitfaden für die Teilnehmer am Kapitalmarkt, New York 2002, ร. 4.
[44] Andreas Kruck, Private ratings, public regulations. Credit rating agencies and global financial governance, New York 2011 m, ร. 21.
[45] Bei der Studie wurden mehrere Tausend bewertete Anleihen ausgewertet.
[46] Basel Committee on Banking Supervision, Credit Ratings and Complementary Sources of Credit Quality Information, July 2000 2000, ร. 128.
[47] Gras, ร. 8.
[48] Inc Moody's Investors Service, Ratings Policy & Approach. Some Basic Principles. http://www.moodys.com/Pages/amr002003.aspx (7. Januar 2013).
[49] บ.ร. Securities and Exchange Commission staff, 2011 Summary Report of Commission Staffs Examinations of Each Nationally Recognized Statistical Rating Organization 2011 z, ร. 8.
[50] ebenda, ร. 6.
[51] Alec Klein, Credit Raters Exert International Influence, เท: Washington Post (2004I), ร. A01, hier ร.1.
[52] ebenda.
[53] Rosenbaum, ร. 17.
[54] ebenda, ร. 19.
[55] Robert Minde, Wie werden Staatsanleihen emittiert? (2011). http://boerse.ard.de/unsichtbares/das- syndizierungsverfahren-100.html (8. Januar 2013), ร. 1-2.
[56] Rosenbaum, ร. 74.
[57] ebenda, ร. 131-132.
- Quote paper
- Sascha Lankers (Author), 2013, Europäische Staatsschuldenkrise: Der Einfluss der Rating-Agenturen auf die Finanzmarktstabilität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/233215
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