Der 17. Dezember 2010 wurde zu einem historischen Tag, welcher ungeahnte Folgen für die gesamte arabische Welt haben sollte. An diesem Datum verbrannte sich der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi in Sidi Bouzid, einer etwa 250 Kilometer südlich von Tunis gelegenen Stadt. Aufgrund seiner perspektivlosen Lebenssituation griff der junge Tunesier zu diesem drastischen Mittel. Binnen weniger Tage kam es zu ähnlichen Aktionen in weiteren arabischen Ländern wie Ägypten, Libyen oder Syrien, sodass schließlich in nahezu jedem arabischen Staat Massenproteste ausbrachen. Ziel dieser Proteste, welche in beispielsweise Syrien oder Bahrain bis zum heutigen Tage andauern, war es, nicht nur bessere Lebensbedingungen für die Menschen der Länder zu erreichen, sondern auch die herrschenden Machthaber zu stürzen, um mehr Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit und vielleicht sogar demokratische Verhältnisse zu erlangen. Europäische Journalisten und Wissenschaftler sahen die Proteste in der arabischen Welt als Anzeichen für eine eventuell einsetzende Demokratisierung, welche letztlich ebenfalls mit einer Säkularisierung der bestehenden Gesellschaftsordnungen verbunden sein könnte. Doch was bedeutet eigentlich Säkularisierung und ist diese in islamischen Gesellschaften überhaupt denkbar? Eng hiermit verbunden ist eine weitere Fragestellung, nämlich, ob sich der europäische Säkularisierungsansatz so einfach auf islamische Gesellschaftsordnungen übertragen lässt?
Diese Arbeit soll in den folgenden Kapiteln versuchen, die aufgeworfenen Fragen zu beantworten. Hierfür wird zunächst der zentrale Begriff der Säkularisierung definiert. Dabei wird zunächst auf einen Definitionsansatz nach Ernst-Wolfgang Böckenförde und anschließend auf eine weitere Definition nach José Casanova zurückgegriffen. Im Anschluss daran erfolgt ein kurzer Überblick über die Entstehungsgeschichte sowie über die Grundlagen und das Rechtssystem des Islam. Anschließend soll versucht werden, die hier aufgeworfenen Fragestellungen zu beantworten. Der Autor geht allerdings davon aus, dass aufgrund der letzten Wahlergebnisse in Tunesien und Ägypten zum aktuellen Zeitpunkt eher ein Trend in Richtung Islamisierung der postrevolutionären Gesellschaften besteht. Deshalb vermutet er, dass zum derzeitigen Zeitpunkt mögliche Säkularisierungstendenzen in diesen Staaten in weite Ferne gerückt sein könnten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der Begriff der Säkularisierung
- Der Begriff der Säkularisierung bei Böckenförde
- Zwei Formen von Neutralität
- Der Begriff der Säkularisierung bei Casanova
- Der Begriff der Säkularisierung bei Böckenförde
- Entstehung, Grundlagen sowie Rechtssystem des Islam
- Die Entstehung des Islam
- Die Grundlagen und einige geistliche Strömungen im Islam
- Das islamische Rechtssystem
- Säkularisierung und Islam
- Die islamistische Auffassung von „Religion und Staat“
- Die Trennung von Kirche und Staat im Islam
- Die Bedeutung und Anwendung der Scharia
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Frage, ob sich der europäische Säkularisierungsansatz auf islamische Gesellschaften übertragen lässt. Sie analysiert den Begriff der Säkularisierung anhand der Definitionen von Ernst-Wolfgang Böckenförde und José Casanova und beleuchtet die Entstehung, Grundlagen und das Rechtssystem des Islam. Die Arbeit untersucht anschließend, wie sich der Islam mit der Säkularisierung auseinandersetzt und ob es Tendenzen zu einer Islamisierung in postrevolutionären Gesellschaften gibt.
- Definition des Begriffs der Säkularisierung
- Vergleich der Säkularisierungskonzepte von Böckenförde und Casanova
- Entstehung, Grundlagen und Rechtssystem des Islam
- Die islamistische Sichtweise auf Religion und Staat
- Die Bedeutung und Anwendung der Scharia in islamischen Gesellschaften
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Arbeit geht von den Protesten in der arabischen Welt im Jahr 2010 aus und stellt die Frage nach der Bedeutung und Übertragbarkeit des Säkularisierungsbegriffs auf islamische Gesellschaften.
Der Begriff der Säkularisierung
Das Kapitel erläutert den Begriff der Säkularisierung anhand von zwei Definitionen: die von Ernst-Wolfgang Böckenförde, die den Fokus auf die Trennung von Staat und Religion legt, und die von José Casanova, die die Säkularisierung als einen Prozess des gesellschaftlichen Wandels beschreibt.
Entstehung, Grundlagen sowie Rechtssystem des Islam
Das Kapitel bietet einen kurzen Überblick über die Entstehungsgeschichte, die Grundlagen und das Rechtssystem des Islam. Es beleuchtet die verschiedenen geistlichen Strömungen im Islam und geht auf das islamische Rechtssystem ein.
Säkularisierung und Islam
Das Kapitel untersucht die islamistische Auffassung von Religion und Staat und die Frage nach einer Trennung von Kirche und Staat im Islam. Es betrachtet die Bedeutung und Anwendung der Scharia in islamischen Gesellschaften.
Schlüsselwörter
Säkularisierung, Islam, Islamismus, Staat, Religion, Rechtssystem, Scharia, Trennung von Kirche und Staat, arabische Welt, postrevolutionäre Gesellschaften, Böckenförde, Casanova
- Quote paper
- Mathias Kunz (Author), 2012, Säkularisierung und Islam, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231615