Diese Arbeit ist die schriftliche Grundlage für das Prüfungsreferat des Moduls CR II innerhalb des 4. Studiensemesters. Im Rahmen der Vorlesungen und in den Studienheften werden aus meiner Sicht leider nur Ausschnitte und Schwerpunkte dieses hochkomplexen Themas behandelt. Ein innerer Zusammenhang, ein geistiges Gesamtgefüge wird zunächst nicht so recht deutlich. Deshalb setzt der erste Schritt dieser Arbeit durch eine komprimierte Darstellung der allgemeinen theoretischen Grundlagen des CR einen Rahmen und soll ein orientierendes Verständnis für das Fachgebiet wecken, um die bisher im Studium bereits behandelten Ausschnitte und Schwerpunkte zu ergänzen und ihre Einordnung zu erleichtern. Erst im zweiten Schritt wird das spezielle Konzept des Multigrade Clinical Reasoning (MCR) vor diesem Hintergrund eingeordnet, erläutert und gewichtet.
Auf eine ausführliche Darstellung der Geschichte des CR und des aktuellen Standes der Forschung sowie auf praktische Beispiele wird aus Gründen des von vornherein begrenzten Umfangs der Arbeit verzichtet, sie sind für das inhaltliche Verständnis der theoretischen Grundlagen entbehrlich.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Clinical Reasoning: Theoretische Grundlagen
2.1 Begriffserläuterung
2.2 Zweck und Stellenwert
2.2 Bestandteile, Vorgehensweisen, Techniken
2.2.1 Grundelemente
2.2.1.1 Kognition
2.2.1.2 Wissen
2.2.1.2 Metakognition
2.2.2 Zusätzliche Elemente
2.2.2 Strategien
2.2.2.1 Hypothetisch-deduktives Denken
2.2.2.2 Mustererkennung, Denken in Krankheitsscripts
2.2.4 Formen
3 Multigrade Clinical Reasoning
3.1 Begriffserläuterung
3.2 Zweck, Stellenwert und Vorgehen
3.3 Auswirkungen auf die Gesundheitsfachberufe, Ausblick
4 Zusammenfassung
5 Literaturverzeichnis
5.1 Internetquellen
5.2 Gedruckte Quellen
6 Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
Obwohl seit 1990 beruflich im Gesundheitswesen tätig, kam ich mit dem Begriff Clinical Reasoning (CR) erstmals überhaupt im Dezember 2011 in Berührung, als ich mich im Internet über ein berufsbegleitendes Studium Bachelor für Medizinalfachberufe informierte. Aus einer Informationsbroschüre der DIPLOMA Hochschule ging hervor, dass CR zwei Semester lang Bestandteil dieses Studiengangs ist und mit insgesamt drei Modulen sowohl inhaltlich als auch zeitlich einen vergleichsweise hohen Stellenwert einnimmt[1]. Der daraufhin unternommene erste Versuch einer näheren Begriffsklärung mit Hilfe von Internetsuchmaschinen ergab ein recht unscharfes Bild, aber immerhin eine vorläufige Orientierung, worum es sich beim Clinical Reasoning wohl handeln könnte.
Diese Arbeit nun ist die schriftliche Grundlage für das Prüfungsreferat des Moduls CR II innerhalb des 4. Studiensemesters. Im Rahmen der Vorlesungen und in den Studienheften werden aus meiner Sicht leider nur Ausschnitte und Schwerpunkte dieses hochkomplexen Themas behandelt. Ein innerer Zusammenhang, ein geistiges Gesamtgefüge wird zunächst nicht so recht deutlich. Deshalb setzt der erste Schritt dieser Arbeit durch eine komprimierte Darstellung der allgemeinen theoretischen Grundlagen des CR einen Rahmen und soll ein orientierendes Verständnis für das Fachgebiet wecken, um die bisher im Studium bereits behandelten Ausschnitte und Schwerpunkte zu ergänzen und ihre Einordnung zu erleichtern. Erst im zweiten Schritt wird das spezielle Konzept des Multigrade Clinical Reasoning (MCR) vor diesem Hintergrund eingeordnet, erläutert und gewichtet. Als Quellen dienen die DIPLOMA-Studienhefte für das Fach Clinical Reasoning, deutsch- und englischsprachige Fachbücher und -zeitschriften sowie im Internet verfügbare Artikel und Ausschnitte.
Auf eine ausführliche Darstellung der Geschichte des CR und des aktuellen Standes der Forschung sowie auf praktische Beispiele wird aus Gründen des von vornherein begrenzten Umfangs der Arbeit verzichtet, sie sind für das inhaltliche Verständnis der theoretischen Grundlagen entbehrlich.
2 Clinical Reasoning: Theoretische Grundlagen
Der Terminus Clinical Reasoning hat sich in der aktuellen Fachliteratur mittlerweile fest etabliert[2]. Bis in die 1980er Jahre hinein wurden mehrere Begriffe parallel verwendet (z.B. critical thinking, clinical decision making, clinical problem solving, clinical judgment etc.), von denen sich Clinical Reasoning nach und nach abgrenzte[3],[4]. Je länger sich die Entwicklung der noch relativ jungen Fachdisziplin CR vollzieht, desto schwieriger wird es, den Begriff selbst möglichst allgemein und umfassend zu beschreiben. Zum einen wurden und werden bei der Beschäftigung mit dem vielschichtigen Thema CR immer mehr Details und Facetten aufgedeckt, zum anderen wurde und wird CR durch die vielen Fachrichtungen, Berufsgruppen und Nachbarwissenschaften der Medizin aufgegriffen, inhaltlich adaptiert und im Zuge dessen auch begrifflich spezifiziert. Sprachlich erschwerend kommt hinzu, dass sich CR aus dem englischen Sprachraum heraus verbreitete. So sind viele CR-Fachtermini zuerst inhaltlich korrekt ins Deutsche zu übersetzen, danach aber auch semantisch treffend zu fassen, was nicht immer nur mit Hilfe des Wörterbuchs gelingt, sondern mitunter abhängig vom individuellen "Sprachgefühl" ist. Gerade im Zeitalter der dominierenden wissenschaftlichen Anglizismen sollte dieser Aspekt bei der Erschließung neuer Wissensgebiete durch nicht-englische Muttersprachler nicht unterschätzt werden.
2.1 Begriffserläuterung
In der verwendeten deutschsprachigen Literatur wird der Begriff Clinical Reasoning fast ausnahmslos wörterbuchgetreu mit "klinische Beweisführung, Schlussfolgerung, Argumentation" eingeführt. Als deutschsprachige Analogie wird in dieser Arbeit "klinisches Ergründen" verwendet, weil diese Formulierung den CR-Prozess mindestens ebenso treffend widerspiegelt. Die bedeutungsmäßige Verwandtschaft zwischen dem englischen Substantiv "reason" (= "Grund, Ursache" aber auch "Vernunft, Verstand, Einsicht"[5] ) und dem deutschen Verb "ergründen" (= "auf den Grund gehen") liegt auf der Hand. Sämtliche vom Duden für das Verb "ergründen" aufgelisteten Synonyme haben zudem als Methoden des Erwerbens von Wissen und Informationen in den unterschiedlichen Formen des CR ihren Platz: "auf den Grund gehen, auf der Spur sein/bleiben, ausforschen, auskundschaften, ausspionieren, austesten, durchforschen, eindringen, erforschen, erkunden, nachforschen, nachgehen, prüfen, recherchieren, studieren, untersuchen; (schweizerisch) forschen; (gehoben) nachspüren; (bildungssprachlich) analysieren, eruieren, sondieren; (Fachsprache) explorieren".[6] Das Adjektiv "klinisch" hat sich in Ermangelung deutschsprachiger Alternativen etabliert, auch wenn ein Großteil aller in medizinischen Berufen Beschäftigten nicht in Kliniken tätig sind.
Gegenstand des CR sind Denk- und Entscheidungsprozesse in der Medizin, die sich in der Interaktion zwischen Behandelndem (z.B. Arzt, Therapeut, Pflegekraft) und Behandeltem (z.B. Patient, Klient, Kunde)[7] vollziehen. Es geht darum darzustellen, wie medizinische Entscheidungen im Einzelnen zustande kommen, welche Denkvorgänge ihnen vorausgehen und welche Faktoren in welchem Ausmaß das Denken, Ergründen und Entscheiden beeinflussen. In der engeren Definition steht das Denken im Mittelpunkt, wird CR beschrieben als Denkmodell, das "als theoretisches Konstrukt dient"[8] oder als Prozess, bei dem die Behandelnden "an vieles denken, über vielerlei nachdenken und unterschiedliche Standpunkte mit einbeziehen"[9]. Ein Beispiel für ein solches einfaches Denkmodell ist der "Clinical Reasoning Cycle" (Abb. 1)[10]. Andere Autoren erweitern diese Sichtweise. Klemme und Siegmann fassen zusammen, dass CR "ein sehr komplexer und vielfältiger Prozess [ist], der sich zudem nicht nur auf das Denken bezieht, sondern auch die Aufnahme von Informationen mit einschließt. ... Es bezieht sich auf sämtliche Aspekte, die die therapeutische Situation bestimmen oder beeinflussen."[11] Pohl beschreibt CR als " ein Werkzeug, um therapeutischem Handeln eine Struktur zu geben und inter- und multidisziplinär mit der gleichen wissenschaftlichen Systematik vorzugehen."[12]. Am weitesten dehnen Higgs und Jones die eigene Perspektive aus, von der ursprünglichen Betrachtung des reinen CR-Prozesses auf sämtliche Entscheidungsebenen und -räume, die das Gesundheitssysten bietet ("We expand our interpretation of clinical reasoning from a process view, to explore clinical reasoning as a contextualized phenomenon ... ."[13] ). Ihrer Ansicht nach ist klinisches Ergründen zugleich einfach und komplex, je nachdem, ob der Begriff enger oder weiter verstanden wird. Einerseits ist CR schlicht die Summe aller Denk- und Entscheidungsprozesse im Zusammenhang mit klinischer Praxis. Andererseits ist es aufgrund seines Stellenwerts als unverzichtbare, grundlegende, jegliches klinische Praktizieren durchdringende Fertigkeit mehr "... ein gelebtes Wunder, eine Erfahrung, eine Art des [beruflichen] Daseins und ein gewähltes Leitbild des Praktizierens, als einfach nur ein Prozess."[14]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 : CR-Cycle (Levett-Jones et al. 2009)
2.2 Zweck und Stellenwert
Das Motiv, sich intensiv mit dem klinischen Ergründen zu befassen, liegt in seiner elementaren Bedeutung für jegliches medizinische Handeln, wie dies im letzten Satz schon anklang. Es stellt eine fundamentale berufliche Fertigkeit dar, deren Ausprägung unmittelbaren Einfluss auf die Qualität und das Ergebnis jeder medizinischen Behandlung nimmt. "Die gewissenhafte und reflektierte Anwendung von Denk- und Entscheidungsprozessen ermöglicht es dem Kliniker erst, die klinischen Maßnahmen auf den Patienten/Klienten ... abzustimmen, sie begründet zum Einsatz zu bringen und kritisch zu reflektieren. Zentrales Ziel ist dabei, ... die für den Behandlungserfolg günstigste ... Maßnahme zu bestimmen."[15] Dabei steht der hier von Klemme und Siegmann gewählte Terminus "Kliniker" synonym für ärztliche wie für nichtärztliche Gesundheitsberufe. Gemäß Burtchen sollte jede Medizinalfachkraft Clinical Reasoning anwenden, weil sie zwar in Deutschland per Gesetz manche (z.B. Ärzten vorbehaltene) Aufgaben nicht ausführen darf, es aber dennoch erwartet wird, dass sie mit den verschiedenartigsten Patienten angemessen umgehen kann. Nach reichlicher Praxisübung und kritischer Reflexion der gesammelten Erfahrungen seien die vielfältigen CR-Formen verinnerlicht und würden intuitiv angewandt.[16] Jones argumentiert, dass "ohne fundiertes Clinical Reasoning [...] die klinische Praxis zu einem technischen Verfahren [wird], [... in dem] die Anweisungen von Entscheidungsträgern ohne kritische Hinterfragung blind befolgt [werden].".[17] Aiken et al. zeigten, dass in Krankenhäusern, in denen ein hoher Anteil der Pflegekräfte einen Bachelor-Abschluss besaßen, chirurgische Patienten eine niedrigere Mortalität aufwiesen als in Krankenhäusern mit geringerer Bachelor-Quote des Pflegepersonals, was auf besser ausgebildete "clinical judgment" -Fähigkeiten zurückgeführt wurde.[18]
[...]
[1] Vgl. DIPLOMA Hochschule (Hrsg.), Studienangebote mit den Abschlüssen Bachelor und Master, Juli 2011, 5. Auflage, S.58.
[2] Vgl. Klemme, B., Siegmann, G., Clinical Reasoning. Therapeutische Denkprozesse lernen. Georg Thieme Verlag Stuttgart 2006, S. 7.
[3] Vgl. Kolb, H., Clinical Reasoning in der Altenpflege. GRIN Verlag 2012, S. 1.
[4] Vgl. Jones, M.A., Clinical Reasoning in Manual Therapy. PHYS THER. 1992; 72: S. 876.
[5] Http://translate.google.de/?hl=de&tab=wT#en/de/reason, 14.01.2013.
[6] Http://www.duden.de/rechtschreibung/ergruenden, 14.01.2013.
[7] In dieser Arbeit wird auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet, um den Text besser lesbar zu gestalten. Die männliche Form meint beide Geschlechter. Die Leserinnen bitte ich dafür um Verständnis.
[8] Kolb, H. (FN 3), S. 1.
[9] Feiler, M. (Hrsg.) Klinisches Reasoning in der Ergotherapie. Springer-Verlag 2002, S. 2.
[10] Vgl. Levett-Jones, T. et al. Clinical Reasoning. Instructor Resources. University of Newcastle, Faculty of Health, School of Nursing and Midwifery 2009, S. 5, http://www.newcastle.edu.au/Resources/Projects/Nursing%20and%20Midwifery%20Projects/Clinical%20Reasoning, 18.12.2012.
[11] Klemme, B., Siegmann, G. (FN 2), S.8.
[12] Pohl, M. Konzept zur Einbindung des Clinical Reasoning in die Ausbildung von Diätassistenten. Bachelor-Thesis Bad Sooden-Allendorf 2011, S. 16.
[13] Higgs, J., Jones, M. Clinical decision making and multiple problem spaces. In: Higgs, J., Jones, M. (eds.) Clinical reasoning in the health professions. 3rd ed., Oxford: Elsevier Ltd.; 2008, S. 3.
[14] Vgl. Higgs, J., Jones, M. (FN 13), S. 4.
[15] Klemme, B., Siegmann, G. (FN 2), S. 9.
[16] Vgl. Burtchen, I. et al. Clinical Reasoning III. Studienheft Nr. 172 i. d. F. v. 05.04.2010. DIPLOMA Fachhochschule Nordhessen, Bad Sooden-Allendorf, S. 20-21.
[17] Jones, MA. Clinical Reasoning. Fundament der klinischen Praxis und Brücke zwischen den Ansätzen der Manuellen Therapie. Teil 1. Manuelle Therapie.1997; 1: S.3-9; zit. in Klemme, B., Siegmann, G. (FN 2), S. 3.
Häufig gestellte Fragen
Was ist Clinical Reasoning (CR)?
Clinical Reasoning (CR) wird in der Regel mit "klinische Beweisführung, Schlussfolgerung, Argumentation" übersetzt. In dieser Arbeit wird "klinisches Ergründen" als Analogie verwendet. CR befasst sich mit Denk- und Entscheidungsprozessen in der Medizin, die in der Interaktion zwischen Behandelndem und Behandeltem stattfinden.
Warum ist Clinical Reasoning wichtig?
Clinical Reasoning ist von elementarer Bedeutung für jegliches medizinische Handeln. Es stellt eine fundamentale berufliche Fertigkeit dar, deren Ausprägung direkten Einfluss auf die Qualität und das Ergebnis jeder medizinischen Behandlung nimmt.
Welche Elemente umfasst Clinical Reasoning?
Clinical Reasoning umfasst sowohl kognitive Elemente als auch Wissen und Metakognition. Zusätzlich beinhaltet es Strategien wie hypothetisch-deduktives Denken und Mustererkennung.
Was ist Multigrade Clinical Reasoning (MCR)?
Das Dokument erwähnt das Konzept des Multigrade Clinical Reasoning (MCR), das im zweiten Schritt der Arbeit vor dem Hintergrund der allgemeinen theoretischen Grundlagen des CR eingeordnet, erläutert und gewichtet wird.
Welche Quellen werden für diese Arbeit verwendet?
Als Quellen dienen die DIPLOMA-Studienhefte für das Fach Clinical Reasoning, deutsch- und englischsprachige Fachbücher und -zeitschriften sowie im Internet verfügbare Artikel und Ausschnitte.
Was ist das Ziel dieser Arbeit?
Das Ziel dieser Arbeit ist es, durch eine komprimierte Darstellung der allgemeinen theoretischen Grundlagen des CR einen Rahmen zu schaffen und ein orientierendes Verständnis für das Fachgebiet zu wecken, um die bisher im Studium bereits behandelten Ausschnitte und Schwerpunkte zu ergänzen und ihre Einordnung zu erleichtern. Anschliessend wird das Konzept des Multigrade Clinical Reasoning (MCR) vor diesem Hintergrund eingeordnet, erläutert und gewichtet.
Was ist der Clinical Reasoning Cycle (CR-Cycle)?
Der Clinical Reasoning Cycle (CR-Cycle) wird als ein einfaches Denkmodell des Clinical Reasoning dargestellt. Ein konkretes Abbild dieses Zyklus wird ebenfalls erwähnt. (Siehe Abbildung 1 im Dokument)
Was ist die Rolle von Fachkräften in Bezug auf Clinical Reasoning?
Jede Medizinalfachkraft sollte Clinical Reasoning anwenden, da erwartet wird, dass sie mit den verschiedenartigsten Patienten angemessen umgehen kann. Nach reichlicher Praxisübung und kritischer Reflexion der gesammelten Erfahrungen werden die vielfältigen CR-Formen verinnerlicht und intuitiv angewandt.
- Quote paper
- Jan Sulik (Author), 2013, Das Konzept des Multigrade Clinical Reasoning, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/231456