Immer wieder drängt sich die Frage auf, ob dieser von der modernen Gesellschaft hoch gepriesene und scheinbar unverzichtbare Luxus, der sich Lebensstandard nennt, wichtiger ist als das Leben selbst und ob der Konsumrausch es wert ist, ihm unsere Freiheit zu opfern. Benedetto Croce, Vandana Shiva und Maria Mies haben die Notwendigkeit einer Lebensstiländerung erkannt. All denen, die sich dafür entschlossen haben, bietet dieses Referat einen interessanten Denkanstoß.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Von Benedetto Croces Erhalt der Naturschönheit zum ökofeministischen Landschaftsschutz
3 Vom Mythos der Nachhaltigkeit zur Subsistenzwirtschaftlichen Perspektive
4 Schlussbemerkungen und „Umdenkanstoß“
5 Quellenverzeichnis
1 Einleitung
«Ein Feminismus, der nicht ökologisch ist, reicht mir deshalb ebenso wenig wie eine Ökologie, die nicht radikal genug ist, die Strukturen der menschlichen Beziehungen zu verändern.»1 Am 25. September 1920 reichte der damalige Kultusminister der Nitti-Regierung,2 Benedetto Croce (*15. Februar 1866; †20 November 1952), den ersten Landschaftsschutzgesetzentwurf Italiens ein. Benedetto Croce berichtet in einem Brief, den er am 24. Oktober 1920 an seinen Freund Karl Vossler (*6. September 1872; † 19. September 1949 in München) schrieb, von seiner Erfahrung als Regierungsmitglied: «Le cose pubbliche, non solo delle nostre patrie, ma del mondo intero, fanno paura. E sebbene anch’io ora sia occupato nei pubblici affari, ti assicuro che questo è forse il maggiore sacrifizio che io abbia mai fatto per adempimento di dovere. Lo faccio perchè penso che tanta gente è stata chiamata per farsi ammazzare, e dunque io devo prestare una sorta di servizio militare e non lamentarmi. Non c’é affare del mio Ministero che io trascuri.»3 Die instabile Regierung Italiens trug dazu bei, dass zwischen Croces Gesetzesantrag und der Durchführung zwei Jahre vergingen. Obwohl sich Croce zum Zeitpunkt der Gesetzesgenehmigung, die am 11. Juni 1922 stattfand, nicht mehr im Amt befand, ist dieser Erfolg auf seinen unermüdlichen Kampf zurückzuführen. Das noch heute unter dem Begriff „Legge Croce“ bekannte Gesetz trug folgende Bezeichnung: « Per la tutela delle bellezze naturali e degli immobili di particolare interesse storico ».
Der bedeutende Croce-Forscher, Archäologe und Kunsthistoriker Salvatore Settis (*1. Juni 1941 in Rosarno) weist in seinem Vortrag Benedetto Croce ministro e la prima legge sulla tutela del paesaggio auf Croces entscheidende Rolle für den Landschaftsschutz hin:
Ci volle dunque molta determinazione e tenacia perché, tra governi che cadevano e brevi ministeri, la legge andasse in porto. Croce fu il protagonista di quella battaglia. Egli presentò la legge in Senato il 25 settembre 1920, e ne ottenne presto l’approvazione (31 gennaio 1921) trasmettendolo alla Camera (17 febbraio), ma dopo le elezioni anticipate del 15 maggio 1921 e prima che giurasse il nuovo governo (e il nuovo ministro) dovette ripresentarla tal quale (15 giugno 1921). I successori alla Pubblica Istruzione Orso Mario Corbino (governo Bonomi) e Antonino Anile (governo Facta) proseguirono l’iter grazie soprattutto a Giovanni Rosadi che mantenne il Sottosegretario fino al febbraio 1922. Il disegno di legge fu di nuovo approvato dal Senato il 5 agosto 1921, la discussione alla Camera si aprì il 16 dicembre e si chiuse con l’approvazione l’11 maggio 1922. Firmata dal Re l’11 giugno, la legge (nr. 778) fu pubblicata sulla Gazzetta Ufficiale del 21 giugno, quattro mesi prima della marcia su Roma. Croce non era più ministro, ma è alla sua determinazione che si deve l’approvazione della legge, ed è giusto che essa venga ancora ricordata come Legge Croce.4
Benedetto Croces Verdienst war, dass in seinem Gesetzentwurf der natürlichen Schönheit der Landschaft derselbe Wert - und somit dasselbe Recht auf Schutz und Erhaltung - wie einem historischen Denkmal verliehen wurde. Der Passus, in dem er die schützenswerte Schönheit einer Landschaft preist, kommt einem Loblied gleich:
Certo il sentimento, tutto moderno, che si impadronisce di noi allo spettacolo di acque precipitanti nell'abisso, di cime nevose, di foreste secolari, di riviere sonanti, di orizzonti infiniti deriva della stessa sorgente, da cui fluisce la gioia che ci pervade alla contemplazione di un quadro dagli armonici colori, all'audizione di una melodia ispirata, alla lettura di un libro fiorito d'immagini e di pensieri. E se dalla civiltà moderna si sentì il bisogno di difendere, per il bene di tutti, il quadro, la musica, il libro, non si comprende, perché siasi tardato tanto a impedire che siano distrutte o, manomesse le bellezze della natura, che danno all'uomo entusiasmi spirituali così puri e sono in realtà ispiratrici di opere eccelse. Non è da ora, del resto, che si rilevò essere le concezioni dell'uomo il prodotto, oltre che delle condizioni sociali del momento storico, in cui egli è nato, del mondo stesso che lo circonda, della natura lieta o triste in cui vive, del clima, del cielo, dell'atmosfera in cui si muove e respira.5
Die Landschaft spielt in Croces Augen für den Menschen eine Schlüsselrolle. Er bezeichnet die Natur in seinem Gesetzesvorschlag als unerschöpfliche Quelle der Inspiration: «Si è insomma compreso come non sia possibile disinteressarsi da quelle peculiari caratteristiche del territorio, in cui il popolo vive e da cui, come da sorgenti sempre fresche, l'anima umana attinga ispirazioni di opere e di pensieri».6 Heute, sechzig Jahre nach Croces Tod, sind Wissenschaft, Forschung und Technik in der Lage zu beweisen, dass der Landschaftsschutz nicht nur aus ästhetischen Gründen, sondern auch aus rein praktischen Gründen für den Menschen, die Tier- und Pflanzenwelt notwendig bzw. überlebenswichtig ist. Der Landschaftsschutz beschränkt sich nicht auf die Bewahrung und den Schutz von Naturdenkmäler, sondern kümmert sich auch um die langfristige Sicherstellung und Nutzbarkeit von natürlichen Ressourcen sowie die Erhaltung bzw. die Wiederherstellung von Ökosystemen. Benedetto Croce betont in seinem Entwurf ausdrücklich, dass der ökologische Aspekt seines Vorschlages auch den ökonomischen berücksichtigt: «Nulla di eccessivo è nel disegno che si sottopone al vostro esame - nulla che offenda o ferisca il diritto di proprietà o, come da taluni si teme, quello dell’attività industriale della nazione. Anzi quel che in fondo ad ogni disposizione risiede è la preoccupazione di costituire un sistema di accordi fra i privati e l’amministrazione delle Belle arti, e fra questa e le altre amministrazioni pubbliche affinché senza gravi sacrifici di ciò che è in cima a pensieri di tutti, economia nazionale e conservazione del privilegio di bellezza che vanta l’Italia, siano composti con spirito di conciliazione i vari interessi contrastati.»7
2 Von Benedetto Croces Erhalt der Naturschönheit zum ökofeministischen Landschaftsschutz
Dieser von Benedetto Croce erwähnte ökologisch-ökonomische Aspekt ist auch ein zentrales Anliegen der ökofeministischen Bewegung. Der Ökofeminismus, der erstmals von der Frauenrechtlerin Françoise d’Eaubonne (*12. März 1920 in Paris; † 3. August 2005 in Paris) geprägt wurde, bedurfte zahlreicher Proteste gegen Umweltzerstörung, Ökokatastrophen und Atomkraft, um als „alte Weisheit“ erneut an Popularität zu gewinnen.8 Die Bezeichnung Ökofeminismus setzt sich aus den Begriffen Ökologie und Feminismus zusammen. Die Ökologie ist eine relativ junge Teildisziplin der Biologie und wurde erstmals 1866 vom Biologen Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (*16. Februar 1834 in Potsdam; † 9. August 1919 in Jena) definiert: «Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ,Existenz- Bedingungen’ rechnen können.»9 Eine aktualisierte Definition von Ökologie bezeichnet dieselbe als: «Wissenschaft von den Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und natürlicher Umwelt bzw. von den Ökosystemen. Wachsende Bedeutung durch Folgen der Umweltbelastung, oft als Konsequenz eines verengten ökonomischen Denkens. Insofern enge Beziehungen zwischen Ökonomik und Ökologie, die man auch als ,Langzeitökonomie’ interpretieren kann.»10 Die Soziologin Ute Gerhard gibt in Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, eine präzise Erklärung vom Begriff Feminismus:
Der Begriff <Feminismus>, obwohl auch er zur Bezeichnung der sozialen Bewegungen von Frauen gebraucht wird, hat noch eine weiter gehende Bedeutung. Wie andere Theorien oder Gesellschaftskonzepte, die wie Liberalismus, Konservatismus, Marxismus seit dem 19. Jahrhundert als «Ismen» verhandelt werden, verweist die Rede vom Feminismus auf eine politische Theorie, die nicht nur einzelne Anliegen verfolgt, sondern die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, also einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung - auch in den intimsten und vertrautesten Verhältnissen der Geschlechter - anstrebt und gleichzeitig Deutungen und Argumente zu ihrer Kritik anbietet.“11
Ein erster Versuch, das sowohl vom Feminismus als auch von der ökologischen Bewegung angestrebte Ziel, politische und nicht individuelle Lösungen für Umweltschutzprobleme und für die Frauenfrage zu finden, fand 1974 am Institut für Soziale Ökologie in Vermont in den USA statt.12 Demnach lässt sich das Hauptanliegen des Ökofeminismus wie folgt zusammenfassen: «Einerseits herauszuarbeiten, wie männlich geprägte Werte zu ökologischer Zerstörung, Militarismus und Ausbeutung führen und andererseits daran, spezifisch weibliche Werte für den Umgang mit der Welt zu formulieren. Patriarchalische Gesellschaften, so argumentiert der Ökofeminismus, bauen seit Jahrtausenden auf hierarchische Strukturen unter dem Prinzip der Konkurrenz. Erfolg bemisst sich darin nicht nach dem Gemeinwohl, sondern nach dem individuellen Machtzuwachs, der durch repressive Kontrollmechanismen gesichert werden muss.»13
[...]
1 Menschen und Visionen: Shiva, Vandana. Portrait-Serie: Tr ä ger des alternativen Nobelpreises. http://www.eco-world.de/scripts/basics/eco- world/service/main/basics.prg?session=d9323d1b4e7dcf28_745757&a_no=215&suchbegriff=shiva
2 Das Mandat der Nitti-Regierung, mit Regierungspräsident Francesco Saverio Nitti (*19. Juli 1868 Melfi; † 20. Februar 1953 Rom), reichte vom 23. Juni 1919 bis zum 15. Juni 1920.
3 B. Croce, Carteggio Croce-Vossler: 1899 - 1949, Laterza, Bari 1951, S. 263.
4 S. Settis, Benedetto Croce ministro e la prima legge sulla tutela del paesaggio. http://www.unive.it/media/allegato/infoscari-pdf/Croce-Ca_Foscari1.pdf
5 Disegno di legge n. 204 di Benedetto Croce.
http://rivista.ssef.it/site.php?page=20040913091214766&edition=2010-02-01 (Abgerufen am 4.5.2012)
6 Ebenda.
7 Ebenda.
8 M. Mies-V. Shiva, Warum wir dieses Buch zusammen geschrieben haben, in Ökofeminismus. Beitr ä ge zu Praxis und Theorie, Rotpunktverlag, Zürich 1995, S. 23.
9 E. Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen. Allgemeine Grundz ü ge der organischen Formen-Wissenschaft, mechanisch begr ü ndet durch die von Charles Darwin reformierte Descendenz-Theorie, Gruyter, Berlin 1988, S. 286.
10 Gabler Wirtschaftslexikon: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Definition/oekologie.html
11 U. Gerhard, Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789, Beck, München 2009, S. 6f.
12 J. Biehl, Der soziale Ökofeminismus, Trotzdem, Grafenau 1991, S. 9. 6
13 Menschen und Visionen: Vandana Shiva. Portrait Serie: Träger des alternativen Nobelpreises. http://www.eco-world.de/scripts/basics/ecoworld/ service/main/basics.prg?session=d9323d1b4e7dcf28_745757&a_no=215&suchbegriff=shiva
- Arbeit zitieren
- Mag. phil. Esther Redolfi (Autor:in), 2012, Benedetto Croce, Vandana Shiva, Maria Mies: Vom Schutz der Landschaft zur subsistenzwirtschaftlichen Perspektive des Ökofeminismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/230388
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