Möglichkeiten des Geschichtsunterricht in Klasse 9 - Zugänge,
Wege, Fragen und Formen
Unterricht zu Beginn des 3. Jahrsiebts
Die Zeit des 14./15. Lebensjahrs öffnet für den Schüler neue Welten und Sichten. Es ist, als würden Hüllen aufgerissen, als fände eine Art Neugeburt statt. Enorme Veränderungen gehen mit und in ihm vor, der Prozeß der Geschlechtsreife wird erlebt(1), der Leib wandelt und streckt sich, wird zunächst im Wortsinne als Fremdkörper empfunden, die erlebten Wandlungen lösen Unbehagen aus. Zu diesem inneren, körperlichen Unwohlsein gesellt sich eine oft schroffe Ablehnung der
äußeren Welt(2). Der Jugendliche entwickelt zunehmend seinen eigenen Standpunkt, er ist nicht mehr in der unbewußten Selbstverständ-lichkeit seiner bisherigen Lebenswelt umfangen und bewahrt. Eigene Ideale, die gerade entdeckten Ideen, die frisch gewonnenen Überzeugungen und Wunschvorstellungen stehen in scharfer
Konfrontation zu den scheinbar deutlich zu Tage tretenden "Mängeln" und sogenannten Sachzwängen des Erwachsenenlebens. Zum Elternhaus, zur Schule wird eine skeptische Distanz eingenommen. Im Unterrichtsgeschehen selbst entwickelt der junge Mensch immer mehr kritische Fragen und Haltungen3. Auf das eigene Tun hin werden Reaktionen erwartet und diese aufmerksam geprüft. Das wache
Interesse will gepackt werden, die Schüler erwarten klare Positionen, eindeutige Aussagen und wirklich überzeugende Antworten.
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Dr. Heiger Ostertag:
Möglichkeiten des Geschichtsunterricht in Klasse 9 - Zugänge, Wege, Fragen und Formen
Unterricht zu Beginn des 3. Jahrsiebts
Die Zeit des 14./15. Lebensjahrs öffnet für den Schüler neue Welten und Sichten. Es ist, als würden Hüllen aufgerissen, als fände eine Art Neugeburt statt. Enorme Veränderungen gehen mit und in ihm vor, der Prozeß der Geschlechtsreife wird erlebt [i], der Leib wandelt und streckt sich, wird zunächst im Wortsinne als Fremdkörper empfunden, die erlebten Wandlungen lösen Unbehagen aus. Zu diesem inneren, körperlichen Unwohlsein gesellt sich eine oft schroffe Ablehnung der äußeren Welt [ii]. Der Jugendliche entwickelt zunehmend seinen eigenen Standpunkt, er ist nicht mehr in der unbewußten Selbstverständlichkeit seiner bisherigen Lebenswelt umfangen und bewahrt. Eigene Ideale, die gerade entdeckten Ideen, die frisch gewonnenen Überzeugungen und Wunschvorstellungen stehen in scharfer Konfrontation zu den scheinbar deutlich zu Tage tretenden "Mängeln" und sogenannten Sachzwängen des Erwachsenenlebens. Zum Elternhaus, zur Schule wird eine skeptische Distanz eingenommen. Im Unterrichtsgeschehen selbst entwickelt der junge Mensch immer mehr kritische Fragen und Haltungen [iii]. Auf das eigene Tun hin werden Reaktionen erwartet und diese aufmerksam geprüft. Das wache Interesse will gepackt werden, die Schüler erwarten klare Positionen, eindeutige Aussagen und wirklich überzeugende Antworten.
Im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts [iv] für diese Alterstufe stehen entsprechend die Ereignisse und Phänomene der Neuzeit, die Phasen des geistigen Erwachens, des inneren Umbruchs der Menschheit, der revolutionäre Aufbrüche und Umtriebe bis hin zu unserer bewegten Gegenwart. Es handelt sich um einen Zeitraum von rund 500 Jahren, der eine facettenreiche und vielschichtige Fülle von Geschehnissen umfaßt, mit denen sich die Jugendlichen zu Beginn ihres dritten Jahrsiebts beschäftigen sollen. Wie sind diese Ereignisse dem jungen Menschen zu öffnen, wie findet ein Lehrer am ehesten Zugang und Verbindung zu der inneren und äußeren Situation der Schüler? [v] Selbstverständlich gibt es mehrere Wege, diesen Reichtum an Fakten, Strukturen, menschlichem Erleben, an geistigen Grundlagen, an symptomatischen wie dramatischen Menschheitsgeschehen an den jungen Menschen heranzubringen. Der Variationen sind viele; wir sollten dies als Geschichtslehrer deutlich im Bewußtsein haben, wobei wir unsere Auswahl sicher nach menschenkundlichen Aspekten und mit Blick auf die jeweilige Klassen und ihre individuelle Biographie treffen werden. Im Folgenden wird eine Unterrichtseinheit dargestellt, in der der Autor mit Blick auf die besondere menschenkundlichen Situation dieser Altersgruppe versuchte, in der konzentrierten Form eines Querschnitts, den Schülern einerseits die notwendige Anleitung zum historischen Arbeiten wie auch die gewünschte Freiheit im Gestalten zu vermitteln. In der Form eines Projektes sollten Schüler der 9. Klasse sich selbständig mit dem Zeitabschnitt III. Reichs beschäftigen:
Das Beispiel einer projektorientierten Epochenunterrrichts (III. Reich)
Zum geschichtlichen Hintergrund: Die Republik von Weimar war der erste, zunächst erfolgreiche Versuch, in Deutschland freiheitliche und demokratische Strukturen auf der Basis der Ideen von 1848 zu etablieren. Diese erste deutsche Demokratie hatte gewiß ihre Schwächen, war aber stark genug, die Krisen der Anfangsjahre 1918 bis 1923 (einschließlich Hitlerputsch) zu meistern und eine gewisse Blüte entstehen zu lassen ( die sogenannten "Goldenen Zwanziger"). Allein das "Glück" stand einzig auf dem papierenen Fundament amerikanischer Kredite, die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. stürzte die Republik in eine tiefes Chaos. Wider Erwarten schien eine Konsolidierung der Finanzen und ein Abbau der Arbeitslosenzahlen im Endjahr 1932 noch möglich. Doch vor dem Ziel einer Gesundung ließ der Reichspräsident seine Kanzler fallen und scheitern. Ohne Blick für die Realitäten, senil und vergreist, öffnete der ehemalige kaiserliche Generalfeldmarschall und Kriegsdiktator Hindenburg einem gewissen Gefreiten Adolf Hitler den Weg zur Macht. Dieser, der Totengräber der Demokratie, sprach alsbald vom nationalen Verrat der "Novemberverbrecher", die "vierzehn Jahre lang das deutsche Volk geknechtet" hätten - Freiheit oder Knechtschaft? Das III. Reich kannte als Antwort nur Unterdrückung und Gewalt - Deutschland ging seinem Untergang entgegen.
Eine Unterrichtsgestaltung dieser Phase deutscher Geschichte kann sehr verschieden verlaufen. Aussagen zur Darstellung des III. Reichs gibt es naturgemäß von Rudolf Steiner nicht, folgen wir einer anderen Aussage von ihm, die sich auf das Erleben von Geschichte und deren Verbindung zum Heute, zur Gegenwart bezieht:
" Wir müssen uns darüber klar sein, daß das Wesentliche zunächst das ist, was wir Menschen, die wir in der unmittelbaren Gegenwart stehen, als 'Geschichte' eigentlich noch erleben (...) ...wir müssen beim Geschichts-Unterricht von dem ausgehen, was wir von einer bestimmten geschichtlichen Epoche noch in der Gegenwart darinnen haben." [vi]
Eine zentrale Aufgabe des Unterrichts wird daher sein, die emotionale Ebene der Schüler zu erreichen [vii], ihnen das ganze Ausmaß des NS-Verbrechertums in seiner Abscheu affektiv bewußt werden zu lassen, Stellungnahme hervorzurufen und Bewußtsein zu wecken. Zum anderen ist auch die Fähigkeit zu schulen, kognitiv die propagandistische Seite dieser Ideologie zu erkennen und zu durchschauen, sich damit gegen totalitäre Wiederholungen jedweder Art zu wappnen. Einen im Sinne Steiners für Schüler dieser Altersgruppe höchst ansprechenden, weil aktiven Zugang bietet der doppelt Kursus:
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[i] Vgl. Rudolf Steiner: Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung, GA 302, Dornach 5.Aufl. 1986.
[ii] Siehe Ernst-Michael Kranich: Das Ich in der Entwicklung des Kindes und des jugendlichen Menschen, n: Stefan Leber (Hrsg.): Waldorfschule heute. Einführungen in die Lebensformen einer Pädagogik, Stuttgart 1994.
[iii] U. Sander, R. Vollbrecht: Zwischen Kindheit und Jugend, Weinheim u. München 1985, S.223.
[iv] Vgl. Christoph Lindenberg: Geschichte lehren, Stuttgart 2.Aufl. 1991.
[v] Dazu Olaf Oltmann: Pädagogik im Jugendalter - vom Aufwecken des Menschen zum Interesse an der Welt (I), in: Erziehungskunst, Heft 5, 1986, S.283.
[vi] Zitiert nach: E.A.Karl Stockmeyer: Rudolf Steiners Lehrplan für die Waldorfschulen. Herausgegeben von der Pädagogischen Forschungsstelle beim Bund der Freien Waldorfschulen, Stuttgart 1976, S. 157 f.
[vii] Auch die "traditionelle" Geschichtsdidaktik bemüht sich um diese Zugänge. Vgl. dazu die Beiträge in: Bernd Mütter/Uwe Uffelmann (Hg.). Emotionen und historisches Lernen. Forschung, Vermittlung, Rezeption. Frankfurt/M. 1992.