In dieser Seminararbeit, deren Thema „Adel und Gutsbesitz in Rußland Nikolaj I.“ ist, wird man sich vor allem mit der Lebensweise, der wirtschaftlichen und der politischen Stellung des russischen Adels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigen.
Es ist bekannt, daß der russische Adel am Ende des 18. Jahrhunderts bei weitem die stärkste und die reichste Gruppe der Gesellschaft war, und daß er den Hauptteil des Produktionsvermögens besaß. Der Adel war am besten durch Rechte geschützt und er besaß den höchsten Bildungsgrad.
Wenn man sich jetzt den Adel am Anfang des 19. Jahrhunderts und während der ganzen Herrschaftsperiode Nikolaj I. anschaut, vor allem unter dem wirtschaft- lichen und politischen Gesichtspunkt, ist es notwendig, sich mit der Entwicklungen und den Veränderungen in dieser Schicht zu beschäftigen. Es ist wichtig herauszufinden, welche Entwicklungen und Veränderungen stattgefunden haben und ob es einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Stellung des Adels in dieser Periode gibt.
Zuerst aber, bevor man sich mit den Entwicklungen und Veränderungen im 19. Jahrhundert auseinandersetzt, sollte man sich die russische Adelsschicht dieser Zeit allgemein anschauen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Der russische Adel des 19. Jhr. als „Produkt“ der petrinischen Reformen
3. Die „neue“ Ordnung und die politische Situation des Adeltums unter Nikolaj I.
4. Wirtschaftliche Situation des Adeltums unter Nikolaj I.
5. Aufteilung der Adelsschicht und ihre verschiedene politische und wirtschaftliche Stellung
5.1. Der „arme“ Adel
5.2. Der Mitteladel
5.3. Der wohlhabende Adel
6. Fazit
LITERATURVERZEICHNIS
- Gitermann, V.: „Geschichte Rußlands“, Hamburg 1943.
- Grenzer, A.: „Adel und Landbesitz im ausgehenden Zarenreich“, Franz Steiner Verlag,
Stuttgart 1995.
- Hösch, E.: „Geschichte Rußlands vom Kiever Reich bis zum Zerfall des Sowjet-
imperiums “, Stuttgart 1996.
- Kljutschewskij, W. O.: „Russische Geschichte von Peter dem Großen bis Nikolaus I.“,
Bd. 2., Artemis Verlag, Zürich 1945.
- Lotmann, J. M.: „Rußlands Adel. Eine Kulturgeschichte von Peter I. bis Nikolaus I.“,
Böhlau Verlag Köln, Weimer, Wien 1997.
- Pipes, Richard: „Rußland vor der Revolution. Staat und Gesellschaft im Zarenreich.“,
München 1977.
- Stender- Petersen, Adolf: „ Geschichte der russischen Literatur“, Verlag C. H.
München 1993.
- Stökl, Günther: „Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart“,
- Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1983.
1. EINLEITUNG
In dieser Seminararbeit, deren Thema „Adel und Gutsbesitz in Rußland Nikolaj I.“[1] ist, wird man sich vor allem mit der Lebensweise, der wirtschaftlichen und der politischen Stellung des russischen Adels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigen.
Es ist bekannt, daß der russische Adel am Ende des 18. Jahrhunderts bei weitem die stärkste und die reichste Gruppe der Gesellschaft war, und daß er den Hauptteil des Produktionsvermögens besaß. Der Adel war am besten durch Rechte geschützt und er besaß den höchsten Bildungsgrad.
Wenn man sich jetzt den Adel am Anfang des 19. Jahrhunderts und während der ganzen Herrschaftsperiode Nikolaj I. anschaut, vor allem unter dem wirtschaft- lichen und politischen Gesichtspunkt, ist es notwendig, sich mit der Entwicklungen und den Veränderungen in dieser Schicht zu beschäftigen. Es ist wichtig herauszufinden, welche Entwicklungen und Veränderungen stattgefunden haben und ob es einen Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der politischen Stellung des Adels in dieser Periode gibt.
Zuerst aber, bevor man sich mit den Entwicklungen und Veränderungen im 19. Jahrhundert auseinandersetzt, sollte man sich die russische Adelsschicht dieser Zeit allgemein anschauen.
2. DER RUSSISCHE ADEL DES 19. JHR. ALS „PRODUKT“ DER PETRINISCHEN REFORMEN
Der russische Adel des 19. Jahrhunderts gilt als „Produkt“ der petrinischen Reformen.
Wenn man sich vor allem mit dem Adel der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
beschäftigt, ist es unvermeidlich, die Zeit Peter I.[2] und seiner Reformen zu erwähnen. Seine Hauptidee der Ordnung eines „regulären“ Staates versuchte Peter I. mit allen Mitteln zu erreichen. Der Hauptleiter diese Ordnung war der Dienst für den Staat. Diese Psychologie des Standesdieners war das Fundament sowohl für die „Regularität“ als auch für das Selbstbewußtsein der Adeligen des 18. Jahrhunderts. Gerade durch den Dienst begriff sich der Adel als ein Teil des Staates.
Der Gipfelpunkt der „Regularität“ war von Peter I. die im Januar 1722 veröffentlichte Rangtabelle.[3] Diese Rangtabelle beeinflußte nicht nur stark die Entwicklung des Adeltums des 18. Jahrhunderts, sondern auch desjenigen unter Nikolaj I..
Die Idee Peter I. von einem „regulären“ Staat, in dem das ganze Leben bestimmten Regeln unterworfen war, wurde auch von Nikolaj I. bestrebt.
Die Rangtabelle teilte alle Formen des Dienstes in militärische, zivile und Hofämter ein. Die erste Form, d. h. die militärische wurde weiter in Heer- und Marinedienst aufgeteilt. Alle drei Ränge wurden in vierzehn Klassen unterteilt, von denen die ersten fünf aus der Generalität bestanden. Die Staatsoffiziere bildeten die Klassen VI - VIII, die oberen Offiziersränge die Klassen IX - XIV.
Die militärischen Dienstränge gehörten zu den privilegierten Rängen innerhalb der Rangtabelle. Das äußerte sich insbesondere darin, daß alle vierzehn Klassen im militärischen Dienst das Recht auf erblichen Adel beinhalteten, während im Zivildienst das gleiche Recht erst mit der achten Klasse erlangt wurde.
Das bedeutete, daß der unterste der oberen Offiziersränge im Militärdienst bereits in den erblichen Adelsstand erhoben wurde, während man im Zivildienst lediglich
den Rang eines Hofrates erlangen konnte.
Später, besonders unter Nikolaj I., änderte sich die Situation dahingehend, daß der Adelsstand sich zu einer abgeschlossenen Kaste wandelte. Die mit dem Amt verbundene Verleihung des Erbadels wurde auf die oberen Ränge verschoben. Er konnte im Jahre 1845 im Militärdienst erst ab der achten Klasse mit dem Stabsoffiziersrang und im Zivildienst ab der fünften Klasse erlangt werden.[4]
Daß die militärischen Dienstränge zu den privilegierten Rängen gehörten, wurde im Punkt fünfzehn der Rangtabelle festgestellt:
„Zu militärischen Dienstgraden, die sich in den oberen Offiziersstand gedient
haben und nicht dem Adel entstammen; erhält jemand einen obengenannten
Rang, wird er damit zum Adligen, ebenso seine Kinder, die während seiner
Zugehörigkeit zum oberen Offiziersstand geboren werden; werden ihm aber in
diesem Zeitraum keine Kinder geboren und hatte er bereits welche, so ist auch
diesen der Adelsstand zuzugestehen, sofern der Vater untertänigst darum ein-
kommt, jedoch nur dem einen Sohn, für den der Vater bittet. Die Kinder der
übrigen nicht dem Adel entstammenden Zivil- und Hofränge jedoch sind keine
Adligen.“[5]
Aus diesem Grundsatz ergab sich der Unterschied zwischen dem Erbadel[6] und dem persönlichen Adel.
Zum persönlichen Adel gehörten die Zivil- und Hofbeamten der XIV bis IX Rangstufe. Der persönliche Adel genoß eine Reihe von Adelsrechten: er war von der Kopfsteuer, von der Rekrutenaufhebung und von der körperlichen Strafe befreit. Jedoch durfte er diese Rechte nicht auf seine Kinder übertragen, und er besaß auch nicht das Recht an Adelsversammlungen teilzunehmen, über Bauern zu verfügen und dem Adel vorbehaltene Wahlämter zu bekleiden.
Der Militärdienst war hauptsächlich den Adligen vorbehalten, Zivildienst galt als weniger „vornehm“. Erst in der späteren nikolaischen Zeit begann der zivile Beamte Anspruch auf ein dem Offizier gleichgestelltes Ansehen zu erheben.[7]
Wie gerade erwähnt, nahm der Adel im militärischen Bereich faktisch eine Monopolstellung ein. Als Resultat der petrinischen Reformen machte er nun seinen alleinigen Anspruch auf eine weitere, sehr wichtige Seite des öffentlichen Lebens
geltend, er nahm sich das ausschließliche Recht auf die Leibeigenschaft.[8]
Dieser Umstand hatte eine unheimliche Wirkung sowohl auf die Geschichte Rußlands als auch auf den Adel selbst.
Einerseits führte er zu einer unnatürlichen Verzögerung der Bauernbefreiung und zum anderen stellte sich heraus, daß der Adel in Rußland sich trotz seines bedeutenden Beitrags zur Nationalkultur als unfähig erwies, sich der Situation nach den petrinischen Reformen anzupassen, was zu dem Ereignis führte, daß im kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Leben Rußlands ein weiterer Riß entstand.
Es ist seltsam und paradox, aber notwendig zu erwähnen, daß die Leibeigenschaft im großen und ganzen auch einige positive Aspekte für die Geschichte der russischen Kultur aufwies. Es ist absurd, aber gerade die Leibeigenschaft garantierte dem Adel eine, wenn auch im Grunde widernatürliche, so doch gewisse Unabhängigkeit von der Staatsmacht, die kulturelle Tätigkeiten erst möglich machte.[9]
Andererseits stärkte sie aber, vor allem unter Nikolaj I. das politische Desinteresse der Adelsschicht, da die Erhaltung der Leibeigenschaft vom Staat abhing.[10]
3. DIE „NEUE“ ORDNUNG UND DIE POLITISCHE SITUATION DES ADELTUMS UNTER NIKOLAJ I.
Nachdem wir von der allgemeinen Stellung des Adels am Ende des 18. Jahrhunderts und am Anfang des vorigen Jahrhunderts, die vor allem von der Rangtabelle bestimmt wurde, gesprochen haben, kommen wir zu dem Regime und der Einstellung Nikolaj I. zu dem Adeltum.
Als im Jahr 1825 Nikolaj I. an den Thron kam vertrat er die Idee von einem veränderten Programm, deren Grundlage und Hauptaufgabe:
„[...] nicht Neues einzuführen, weder bezüglich der Prinzipien noch der Formen
der staatlichen Ordnung, aber die Einzelheiten auszuarbeiten, die Maßnahmen
den Menschen, die sich ausführten, anzupassen, und dies alles ohne Beteiligung
der Gesellschaft, ja sogar mit Unterdrückung der gesellschaftlichen Selbst -
tätigkeit [...]“[11]
war.
Als Grundlage der Zarenherrschaft wurde somit nicht die Reform, sondern die Überprüfung betrachtet. Aus diesem Grund spricht man auch von einem
„Polizeiregime“ Nikolaj I..
Es ist bekannt, daß die Regierung dieses Kaisers der revolutionäre Ausbruch der Dekabristen[12] einleitete. Nikolaj hat die Dekabristen sehr ernst genommen und im Ganzen, die dem Staat von den Dekabristen drohende Gefahr überschätzt.
Es war auch im Interesse des Staates schmerzlich genug, daß mit den Dekabristen eine Elite ausschied, die andernfalls zu großen Aufgaben berufen gewesen wäre.
Schlimmer aber war, daß Nikolaj in seinem Revolutionskomplex jeden Gedanken an eine Heranziehung der Stände zu organisierter politischer Mitarbeit von sich wies, und daß umgekehrt der Adel in seinen besten Vertretern dem bürokratischen Regime des Kaisers seine Unterstützung versagte.[13]
[...]
[1] Nikolaj I. (1796-1855), 1825 nach dem plötzlichen Tod von Zar Alexander I (1777-1825)
übernahm den Thron und herrschte bis 1855.
[2] Peter I. (der Große), (1672-1728); Zar, erster russischer Kaiser.
[3] Jurij M. Lotmann: „Rußlands Adel - Eine Kulturgeschichte von Peter I. bis Nikolaus I.“,
Köln, Weimer, Wien, 1997.
[4] E. Hösch: „Geschichte Rußlands vom Kiever Reich bis zum Zerfall des Sowjetimperiums“,
Stuttgart 1996, S.258.
[5] Lotmann, S. 22, Z. 1-9.
[6] Erbadel: „aus altem Geschlecht“.
[7] Lotmann, S. 22-26.
[8] In Rußland wurde die Leibeigenschaft erst im Jahr 1861 aufgehoben, sechs Jahre nach dem Tod
Nikolaj I..
[9] Lotmann, S. 26.
[10] Nähere Erläuterung im weiteren Teil der Seminararbeit.
[11] W. O. Kljutschewskij: „Russische Geschichte von Peter dem Großen bis Nikolaus I.“,
Zürich 1945, S. 381, Z. 12-17.
[12] Dekabristen: „Dezemberleute“, Gruppe von Offizieren, die den angesehensten adligen
Familien entstammen, und den Aufstand vom Dezember 1825 leiteten. Sie wollten die
Autokratie beseitigen und entweder durch eine konstitutionelle Monarchie oder eine
Republik ersetzen.
[13] Günther Stökl: „Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Stuttgart 1983,
S. 476-477.
- Arbeit zitieren
- Daniela Hüttemann (Autor:in), 1999, Adel und Gutsbesitz in Russland Nikolaj I., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22300
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