Rauchen ist nicht nur schädlich, sondern macht süchtig, also unfrei und bedeutet millionenfachen Tod unter schrecklichsten Schmerzen, die Krebskranke durchleiden. Nach Angaben der WHO starben im Jahr 2002 weltweit 4,9 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, jedes Jahr werden 1,2 Millionen neue Lungenkrebsfälle diagnostiziert1. Die EG hat, so scheint es, den Kampf für ein „tabakfreies Europa“ aufgenommen2: Seit der Rat 1986 sein Programm „Europa gegen Krebs“ startete, wurde eine Vielzahl von Richtlinie erlassen, die darauf abzielen, den Tabakkonsum durch Werbebeschränkungen in der Gemeinschaft zu verringern. Fast schon klassisch rechtfertigt die Kommission die Gesundheitsmaßnahmen, für deren Ziele sie eigentlich keine Kompetenz beanspruchen kann, mit der Notwendigkeit des Binnenmarktes3 – ein Vorgang, der sich auf eine Vielzahl anderer Bereiche übertragen ließe. Art. 95 Abs. I EG4 begründet damit eine funktional bestimmte Querschnittskompetenz der Gemeinschaft, von der nur wenige Bereiche ausgeschlossen sind5 und die daher vom Gemeinschaftsgesetzgeber am häufigsten in Anspruch genommen wird6. Und während die Bedeutung einer klaren Abgrenzung nationaler Kompetenzen von europäischen heute nicht mehr bestritten wird, scheint gerade die unzureichend geklärte Art und Weise beim Thema Tabak entschieden zu werden. Die zweite Frage, die sich stellt, ist die der grundrechtlichen Konformität. Einschränkungen in der Werbung werden vor allem als Angriff auf die Meinungs- und Berufsfreiheit von Presse und Tabakindustrie gesehen, zumal das Produkt in allen Mitgliedsstaaten legal vertrieben werden darf und mächtige privat-wirtschaftliche und staatliche Interessen dahinter stehen. Diese Arbeit wird die Frage nach den Kompetenzen der EG zum Erlass werbepolitischer Tabakrichtlinien und nach deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten der EG zu klären versuchen. Dabei soll keinesfalls die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens in Frage gestellt werden. Es soll lediglich dargelegt werden, wer den aufgrund der Gesundheitsschädlichkeit gegebenen Regelungsbedarf ausfüllen darf und welchen Umfang die Normierungen aufweisen dürfen. Das Hauptaugenmerk soll dabei auf die vom EuGH zum Thema Tabakwerbung entwickelten Prüfungsmaßstäbe gelegt werden. Um die Entwicklung der Prüfungskriterien auch aufzuzeigen, wird die genannte Rechtsprechung chronologisch betrachtet werden.
Inhaltsverzeichnis
A Einleitung
B Hauptteil
1. Verbot der Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse
2. Etikettierungsvorschriften für Tabakerzeugnisse
2.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
2.2. Grundrechtliche Betrachtung
2.2.1. Meinungsfreiheit
2.2.2. Berufsfreiheit
3. Verbot von Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen – erster Versuch
3.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
3.1.1. Anwendung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung für den Binnenmarkt
3.1.2. Zweck der tatsächliche Verbesserung des Binnenmarktes
3.1.3. Spürbarkeit der Wettbewerbsverzerrungen
3.1.4. Verbot der Umgehung des Harmonisierungsverbots im Gesundheitswesen
3.2. Nichtigkeit der Richtlinie
4. Strengere Etikettierungsvorschriften für Tabakerzeugnisse und Verbot bestimmter Bezeichnungen
4.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
4.1.1. Anwendung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung für den Binnenmarkt
4.1.2. Zweck der tatsächliche Verbesserung des Binnenmarktes
4.1.3. Spürbarkeit der Wettbewerbsverzerrungen
4.1.4. Verbot der Umgehung des Harmonisierungsverbots im Gesundheitswesen
4.2. Grundrechtliche Betrachtung
4.2.2. Meinungsfreiheit
4.2.1. Eigentumsfreiheit
4.2.3. Verhältnismäßigkeit des Verbots bestimmter Produktbezeichnungen
4.2.4. Verhältnismäßigkeit der Warnhinweise
5. Verbot von Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen – zweiter Versuch
5.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
5.1.1. Anwendung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung für den Binnenmarkt
5.1.2. Zweck der tatsächliche Verbesserung des Binnenmarktes
5.1.3. Spürbarkeit der Wettbewerbsverzerrungen
5.1.4. Verbot der Umgehung des Harmonisierungsverbots im Gesundheitswesen
5.2. Grundrechtliche Betrachtung
5.2.1. Meinungsfreiheit
5.2.2. Eigentumsfreiheit
5.2.3. Verhältnismäßigkeit des Werbeverbots
C Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
A Einleitung
Rauchen ist nicht nur schädlich, sondern macht süchtig, also unfrei und bedeutet millionenfachen Tod unter schrecklichsten Schmerzen, die Krebskranke durchleiden. Nach Angaben der WHO starben im Jahr 2002 weltweit 4,9 Millionen Menschen an den Folgen des Tabakkonsums, jedes Jahr werden 1,2 Millionen neue Lungenkrebsfälle diagnostiziert[1].
Die EG hat, so scheint es, den Kampf für ein „tabakfreies Europa“ aufgenommen[2]: Seit der Rat 1986 sein Programm „Europa gegen Krebs“ startete, wurde eine Vielzahl von Richtlinie erlassen, die darauf abzielen, den Tabakkonsum durch Werbebeschränkungen in der Gemeinschaft zu verringern. Fast schon klassisch rechtfertigt die Kommission die Gesundheitsmaßnahmen, für deren Ziele sie eigentlich keine Kompetenz beanspruchen kann, mit der Notwendigkeit des Binnenmarktes[3] – ein Vorgang, der sich auf eine Vielzahl anderer Bereiche übertragen ließe. Art. 95 Abs. I EG[4] begründet damit eine funktional bestimmte Querschnittskompetenz der Gemeinschaft, von der nur wenige Bereiche ausgeschlossen sind[5] und die daher vom Gemeinschaftsgesetzgeber am häufigsten in Anspruch genommen wird[6]. Und während die Bedeutung einer klaren Abgrenzung nationaler Kompetenzen von europäischen heute nicht mehr bestritten wird, scheint gerade die unzureichend geklärte Art und Weise beim Thema Tabak entschieden zu werden.
Die zweite Frage, die sich stellt, ist die der grundrechtlichen Konformität. Einschränkungen in der Werbung werden vor allem als Angriff auf die Meinungs- und Berufsfreiheit von Presse und Tabakindustrie gesehen, zumal das Produkt in allen Mitgliedsstaaten legal vertrieben werden darf und mächtige privat-wirtschaftliche und staatliche Interessen dahinter stehen.
Diese Arbeit wird die Frage nach den Kompetenzen der EG zum Erlass werbepolitischer Tabakrichtlinien und nach deren Vereinbarkeit mit den Grundrechten der EG zu klären versuchen. Dabei soll keinesfalls die Gesundheitsschädlichkeit des Rauchens in Frage gestellt werden. Es soll lediglich dargelegt werden, wer den aufgrund der Gesundheitsschädlichkeit gegebenen Regelungsbedarf ausfüllen darf und welchen Umfang die Normierungen aufweisen dürfen. Das Hauptaugenmerk soll dabei auf die vom EuGH zum Thema Tabakwerbung entwickelten Prüfungsmaßstäbe gelegt werden. Um die Entwicklung der Prüfungskriterien auch aufzuzeigen, wird die genannte Rechtsprechung chronologisch betrachtet werden.
B Hauptteil
1. Verbot der Fernsehwerbung für Tabakerzeugnisse
Mit Erlass der Richtlinie über die Ausübung der Fernsehtätigkeit (im folgenden „Fernsehrichtlinie“)[7] kam es erstmalig zu einer Tabakwerberegelung auf europäischer Ebene. Der Richtlinie gingen mehrere Vorschläge der Kommission[8] und eine umfangreiche Diskussion in den Organen der Gemeinschaft voraus[9]. In ihrer endgültigen Fassung sieht sie neben spezifischen Werberegelungen für Arzneimittel, ärztliche Behandlungen und Medikamente ein absolutes Verbot der Fernsehwerbung für Tabak und Tabakerzeugnisse vor[10]. Gleichzeitig erstreckt sich das Verbot auch auf indirekte Formen der Werbung für Tabak und Tabakerzeugnisse[11], wobei insbesondere Umgehungen durch Benutzung von Markennamen oder Symbolen von Tabakerzeugnissen oder von Unternehmen, die solche herstellen, erfasst werden sollen[12]. In der Richtlinie selbst findet sich keine Begründung für die Rechtangleichungsnotwendigkeit der Werberegeln. Vielmehr wird auf die Beseitigung von Hindernissen für den Gemeinsamen Markt verwiesen[13]. Dem voraus ging eine rechtsvergleichende Untersuchung im Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“[14], die empfahl, das „in einer größeren Gruppe der Mitgliedsstaaten“[15] bereits bestehende „Verbote zu generalisieren“[16]. Im Gegensatz zu anderen Vorgaben der Fernsehrichtlinie war aufgrund der geltenden Rechtslage in vielen Mitgliedsstaaten keine Umsetzung nötig[17]. Das deutsche Recht geht beispielsweise wegen des in § 22 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetz über den Verkehr mit Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, kosmetischen Mitteln und sonstigen Bedarfsgegenständen (folgend LMBG)[18] enthaltenen absoluten Tabakwerbeverbots in Hörfunk und Fernsehen über die europäische Regelung hinaus. Trotz einer grundsätzlich gegebenen Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Erlass der Fernsehrichtlinie, unterlag das medienspezifische, absolute Tabakwerbeverbot einigen Bedenken. So ist mit der Richtlinie zwar der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit entsprochen, jedoch wird dem freien Warenverkehr der Tabakerzeugnisse als Folge des erschwerten Marktzutritts teilweise erheblich entgegengewirkt. Zum anderen ist die Beschränkung des Werbeverbots auf das Fernsehmedium zweifelhaft, da damit die besondere Gefährlichkeit dieses Kommunikationsmittel für das Verbraucherverhalten (etwa im Vergleich zum Hörfunk als ebenfalls grenzüberschreitendes, oft beschränktes Medium) unterstellt wird[19].
B Hauptteil
2. Etikettierungsvorschriften für Tabakerzeugnisse
Die Richtlinie über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen (im folgenden „Tabaketikettierungsrichtlinie“)[20] verpflichtet die Hersteller von Tabakprodukten zu präzisen Angaben des Teer- (Kondensat-) und Nikotingehalts auf der Schmalseite einer Zigarettenpackung[21]. Des Weiteren sind nach der Richtlinie deutlich sichtbare Warnhinweise in der Amtssprache des Vermarktungsstaates auf den Packungen anzubringen[22]. Trotz fehlender eigenständiger Werberegelung gehört die Richtlinie im weiteren Sinne zu Werberecht, da die Gestaltung der Packung auch eine Maßnahme zur Förderung des Absatzes darstellt[23].
2.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
Die Zulässigkeit der Angleichungsmaßnahme wird zunächst mit der Herstellung und Sicherung des Binnenmarktes begründet, da sich aus den unterschiedlichen Rechtsvorschriften in den Mitgliedsstaaten Handelshemmnisse ergeben können[24]. Daher wird in den Erwägungsgründen Art. 100a EGV (jetzt Art. 95 EGV) als Rechtsgrundlage hervorgehoben. Der EuGH musste sich in zwei Vorabentscheidungsverfahren aus Art. 177 EGV (jetzt Art. 234EGV) mit der Tabaketikettierungsrichtlinie befassen[25]. Obwohl es dabei um Auslegungsfragen ging, nutzte der EuGH die Gelegenheit, um Art. 100a EGV als geeignete Rechtsgrundlage zu erklären, da die Richtlinie die Beseitigung möglicher Handelshemmnisse bezwecke[26]. Gleichzeitig stellt er fest, dass aufgrund des angestrebten Harmonisierungsgrades weiterhin Wettbewerbsbeschränkungen bestehen[27]. So könne es durch die Vorgabe lediglich einer Mindestgröße der Warnhinweisfläche[28] zu einer Inländerdiskriminierung kommen, wenn die nationale Vorschrift strengere Regeln als die Richtlinie vorschreibe[29]. Zweifel an der Konformität der Richtlinie mit dem Gemeinschaftsrecht werden nicht geäußert. Da die Pflicht zur Etikettierung in den jeweiligen Sprachen der Mitgliedsstaaten neue Handelshemmnisse nach sich zieht, vermutet Wägenbaur nicht zu unrecht eine Regelung, die dem Gesundheitsschutz Vorrang gibt[30].
2.2. Grundrechtliche Betrachtung
Unter dem Aspekt der Renationalisierung des Grundrechtschutzes erscheint ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes interessant[31]: Nach der bisherigen Rechtsprechung (Solange II, Maastricht[32]) und der sich daraus ergebenden subsidiären Prüfungszuständigkeit für die Rechtmäßigkeit von Rechtsakten der EG hätte das BVerfG eine Entscheidung ablehnen müssen[33] . Dennoch könne das Urteil zu Warnhinweisen bei Tabakerzeugnissen nicht als konkludentes Abrücken von den vorrangigen Grundrechtsschutzverpflichtungen des EuGH betrachtet werden[34]. Vielmehr begründet das BVerfG nicht nachvollziehbar, dass „die angegriffenen Kennzeichnungspflichten(…) auf der - vom EG-Recht unabhängigen - Ermächtigungsgrundlage des § 21 LMBG“[35] beruhe. Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden, da die Umsetzung der Richtlinie in der Verordnung über die Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen und über die Höchstmengen von Teer im Zigarettenrauch (folgend TabKTHmV)[36] als unmittelbar abgeleitetes Gemeinschaftsrecht anzusehen ist. Das BVerfG hat trotz bemerkenswerter Ausblendungen aller europarechtlichen Fragestellungen eine Grundrechtskontrolle vorgenommen.
2.2.1. Meinungsfreiheit
Die Bundesrepublik hat die Richtlinie durch die auf § 21 Abs. 1 Nr. 1 LMBG[37] gestützte TabKThmV umgesetzt. Während die Institution, von der die Warnhinweise ausgehen können, nach der Richtlinie nur genannt werden können[38], schreibt die TabKTHmV den vorangestellten Zusatz „Die EG-Gesundheitsminister:“ zwingend vor[39].In der grundrechtsdogmatischen Auseinandersetzung negiert das BVerG einen Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 GG gesicherte Meinungsfreiheit[40], da „die Warnhinweise (…) deutlich erkennbar Äußerung einer fremden Meinung wären“ und nicht „dem Produzenten der Tabakerzeugnisse zugerechnet werden könnten.[41] “ Folglich nehme der Staat lediglich einen Teil der Packungen in Anspruch, was ein Eingriff in den Schutzbereich des durch Art. 12 Abs. 1 GG zugesicherte Berufsfreiheit wäre. Di Fabio hält dem entgegen, dass wohl die Meinungsfreiheit betroffen sei[42]. Dies werde sofort klar, wenn man sich zusätzlich zum Warnhinweis ein optisch identisch aufgemachter Aufdruck der Tabakproduzenten, etwa „Die EG-Gesundheitsminister irren: Rauchen ist bei mäßigem Genuss nur ein Gesundheitsrisiko unter vielen anderen“ vorstellt, der als äußerste Konterkarierung des Verordnung verboten sei. Demnach eine Berührung der Meinungsfreiheit erst bei einem Werbeverbot zu sehen, sei unzureichend.
2.2.2. Berufsfreiheit
Grundsätzlich bejaht das BVerfG, dass ein solcher Eingriff aus Gründen des Gemeinwohls gerechtfertigt und verhältnismäßig sei[43]. Im Hinblick auf die Begründung der Verhältnismäßigkeit bleibt die Entscheidung nach Ansicht der Literatur jedoch unbefriedigend[44]. So lasse das BVerfG die notwendige Distanz missen, wenn es das Bedrohungsszenario der Antiraucherverbände schlicht übernehme[45] und zudem die „Indienstnahme privater Organisations- und Finanzkraft für die staatliche Aufgabe der Gesundheitspolitik“ mit einem einfachen Hinweis auf die Sach- und Verantwortungsnähe der Hersteller und Händler abtäte.
3. Verbot von Werbung und Sponsoring von Tabakerzeugnissen – erster Versuch
1989 ergriff die Kommission erstmals einen Richtlinienvorschlag betreffend die Presse- und Plakatwerbung für Tabakerzeugnisse[46]. Die Idee sollte neun teilweise streitvolle Jahre später in der Richtlinie „zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen“ (folgend: „Tabakwerberichtlinie I“)[47] mittelbares Gemeinschaftsrecht werden, um sodann im Oktober 2000 vom EuGH für nichtig erklärt zu werden[48]. Die Tabakwerberichtlinie I untersagt in Art. 3 Abs. 1 generell jede Form der Werbung und des Sponsoring für Tabakerzeugnisse außerhalb von Tabakverkaufsstellen[49]. Die indirekte Werbung wird ausdrücklich in Art.3 Abs. 3 nahezu vollständig verboten[50].
3.1. Kompetenzrechtliche Betrachtung
Dieses Werbeverbot warf die Frage nach der Kompetenz der Gemeinschaft auf[51]. Neben den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, insbesondere für die Werbebranche fürchteten die Gegner einen „Dominoeffekt“[52]. Die „Verbotsgemeinschaft“ mit Werbeverboten für alkoholische Getränke, Kinderspielzeug, oder cholesterinhaltigen Lebensmitteln geisterte durch die Literatur[53]. Die Bundesrepublik Deutschland hat eine Klage auf Nichtigkeitserklärung der Tabakwerberichtlinie I beim EuGH eingereicht, dessen Urteil auf folgenden vier Kernpunkten beruht:
3.1.1. Anwendung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung für den Binnenmarkt
Der Gemeinschaftsgesetzgeber besitzt keine allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarktes, weil „ die Befugnisse der Gemeinschaft auf Einzelermächtigungen beruhen[54] “. Demgegenüber kam der Generalstaatsanwalt Fenelly in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, dass die Gemeinschaftskompetenz nach den Art. 100a EGV (jetzt Art. 95 EGV) und Art. 57 Abs. 2 EGV (jetzt Art. 47 Abs. 2 EGV ) „ihrem Wesen nach ausschließlich ist und das Subsidiaritätsprinzip keine Anwendung findet.[55] “ Diese wäre jedoch unvereinbar mit dem in Art. 3b EGV (jetzt Art. 5 EGV) niedergelegten Subsidiaritätsgrundsatz[56]. Eine ausschließliche Kompetenz ist nur dort anzunehmen, wo nach dem Sinn und Zweck einer Bestimmung die Mitgliedsstaaten unabhängig vom Tätigwerden der Gemeinschaft nicht mehr handlungsbefugt sein sollen. In der Tat besitzen die Mitgliedsstaaten im Gegensatz zur Gemeinschaft keine Harmonisierungskompetenz, die auch Rechtsordnungen anderer Mitgliedsstaaten erfassen könnte. Aber vorrangig sollten sich die Mitgliedsstaaten in ihren nationalen Regelungen so annähern, dass eine Gemeinschaftsmaßnahme hinfällig ist. Schließlich haben sich die Mitgliedsstaaten mit ihrem Beitritt zur Gemeinschaft ebenfalls dem Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes unterworfen. Bei einer ausschließlichen Kompetenz der Gemeinschaft wäre weiter den Mitgliedsstaaten der Erlass jeglicher Regelungen in diesem Bereich untersagt, was zu einer Totalblockade im nationalen Wirtschaftsrecht führen würde[57]. Daher muss sich die Tabakwerberichtlinie I wie jede Rechtsharmonisierung nach Art. 95 EGV folgerichtig am Maßstab des Subsidiaritätsprinzips messen lassen.
[...]
[1] taz Nr. 7050 vom 10.5.2003, Seite 8, 9
[2] der EG wird ambivalentes Verhalten vorgeworfen, da sie nach wie vor den Tabakanbau in beträchtlichem Maße subventioniert
[3] Simma/ Weiler/ Zöckler, Kompetenzen und Grundrechte, 14
[4] wie auch Art. 47 Abs. 2 und Art. 47 Abs. 2 i. V. m. Art. 55 EG
[5] Art. 95 Abs. 2 EGV, Steuern, Freizügigkeit, Rechte und Interessen der Arbeitnehmer
[6] Art. 95 wird in 47 % aller Fälle als Rechtsgrundlage gewählt, Mauer: „Jahrbuch der europäischen Integration“, 2002, 59, 61
[7] Richtlinie 89/522/EWG v. 03.10.1989, ABl. 1989, L 298/23,, geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.06.1997
[8] ABl. C 179 vom 17.07.1989, 4; ABl. C 110 vom 27.04.1988, 3; ABl. C 147 vom 14.06.1986, 4; ABl. C 110 vom 27.04.1988, 3; ABl. C 147 vom 14.06.1989, 14
[9] Nanclares, Die EG-Fernsehrichtlinie, 83ff.
[10] Art. 13, RL 89/522/EWG, a.a.O.
[11] Wägenbaur, EuZW 1995, S.431, 432
[12] Nanclares, Die EG-Fernsehrichtlinie, 140
[13] 2. Erwägungsgrund der RL 89/552/EWG, ABl. L 98 vom 3.10.1989, 23; der Erlass der Richtlinie wird auch auf Art. 57 Abs. 2 (jetzt: Art. 47 Abs. 2, Niederlassungsfreiheit) und Art. 66 EGV (jetzt Art. 55 EGV, Dienstleistungsfreiheit) gestützt
[14] Grünbuch „Fernsehen ohne Grenzen“, KOM (84) 300 endgültig vom 14.06.1984
[15] mit Ausnahme von Griechenland und Luxemburg bestanden bereits totale, nationale Verbote für Tabakwerbung im Fernsehen, vgl. Grünbuch, a.a.O., 282
[16] Grünbuch, a.a.O., 282
[17] Nanclares, Die EG-Fernsehrichtlinie, 140
[18] Gesetz vom 15.08.1974, BGBl I 1974, 1945, 1946 BGBl I 1975, 2652
[19] Meyer, Produktspezifische Werberegelungen, 153f.
[20] RL 89/622/EWG, ABl. L 359 vom 08.12.1989, 1; geändert durch die RL 92/41/EWG, ABl. L 158 vom 11.06.1992, 30
[21] Art. 3 Abs. 1-4, RL 89/662/EWG, a.a.O.
[22] Art. 4 Abs. 1, Abs. 4, RL 89/662/EWG, a.a.O.
[23] Di Fabio,1997 NJW, 2863, 2864
[24] 1. und 2. Erwägungsgrund der RL 89/662/EWG, a.a.O.
[25] EuGH, Rs. C-222/91 Philip Morris Belgium U.A., Slg. 1993, I-3469; Rs. C-11/92 Queen/Gallaher Ltd. Slg. 1993, I-3545
[26] EuGH, Rs. C-222/91 Philip Morris Belgium U.A., Slg. 1993, I-3469, 3505
[27] EuGH, Rs. C-11/92 Queen/Gallaher Ltd., Slg. 1993, I-3545, 3566
[28] Art. 3 Abs. 3, Art. 4 Abs. 4 RL 89/662/EWG, a.a.O., Mindestgröße 4 v. H. der Packungsfläche
[29] die englische Verordnung schrieb 6 v. H. statt 4 v. H. der Packungsfläche vor
[30] Wägenbaur, EWS 1993, 125, 127
[31] BVerfGE 95, 173
[32] BVerfGE 73,339; Solange-II, BVerfGE 89,155
[33] BVerfGE 73,339,339 (Solange II): „Solange die Europäischen Gemeinschaften, insbesondere die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Gemeinschaften einen wirksamen Schutz der Grundrechte gegenüber der Hoheitsgewalt der Gemeinschaften generell gewährleisten, der dem vom Grundgesetz als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz im wesentlichen gleichzuachten ist, (…) wird das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit über die Anwendbarkeit von abgeleitetem Gemeinschaftsrecht (…) nicht mehr ausüben und dieses Recht mithin nicht mehr am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen
[34] Donner, Tabakwerbung und Europa, 80f.
[35] BVerfGE 95, 173, 181
[36] TabKTHmV, BGBl. I S. 2053, geändert durch die Verordnung vom 5.7.1994, BGBI. I, 1461
[37] BGBl I 1974, 1945, 1946 BGBl I 1975, 2652, neugefasst v. 9.9.1997 I 2296; zuletzt geändert durch Art. 34 V v. 25.11.2003 I 2304
[38] Art. 4, Abs. 3 RL 89/662/EWG, a.a.O.
[39] §3 TabKTHmV, a.a.O.
[40] BVerfGE 95, 173, 182
[41] BVerfGE 95, 173, 183
[42] Di Fabio, NJW 1997, 2863, 2863
[43] BVerfGE, BVerfGE 95, 173, 184
[44] Donner, Tabakwerbung und Europa, 82
[45] BVerfGE, 95, 173, 184: Bemerkungen wie „Rauchen tötet mehr Menschen als Verkehrsunfälle, Aids, Alkohol, illegale Drogen, Morde und Selbstmorde zusammen“ seien geradezu dramaturgisch
[46] ABl. C 124 vom 19.5.1989, 5
[47] RL 98/43/EG v. 06.07.1998, ABl. 1998, L 213/9
[48] EuGH Bundesrepublik Deutschland/ Europäische Kommission, Rs. 376/98, EuGHE 2000, I-08419
[49] Art. 5 RL 98/43/EWG, a.a.O.
[50] Art. 3 Abs. 3a RL 98/43/EWG, a.a.O., indirekt waren nur Marken, Namen etc. zulässig, die vor dem 30. Juni 2001 in Verkehr gebracht wurden
[51] Wägenbaur, EuZW 1998, 716, 716
[52] Simma, Weiler, Zöckler, Kompetenzen und Grundrechte, 19
[53] Stein, EWS 2001, 12, 13
[54] Rdnr. 83 Rs. 376/98, a.a.O.
[55] Rdnr. 142, GA Fennelly, Schlussantrag zu EuGH, Rs. 376/98, a.a.O.
[56] Rdnr. 83 Rs. 376/98, a.a.O.
[57] Donner, Tabakwerbung und Europa, 334
- Arbeit zitieren
- Martin Köhler (Autor:in), 2004, Tabakwerbung - Zulässigkeit und Umfang von Maßnahmen der EG, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/22110
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