In William Faulkners Kurzgeschichten, die sich mit ethnischen Minderheiten, dem
sogenannten racial theme beschäftigen, geht es hauptsächlich um Konfliktsitationen zwischen
der „weißen“ Bevölkerung und „Afro-Amerikanern“. Nur wenige seiner Geschichten handeln
von den sogenannten Indianern, den Ureinwohnern Nordamerikas. Faulkners
Indianergeschichten1, die hauptsächlich um 1930 herum entstanden und zu denen die hier
besprochene Geschichte „A Justice“ (Arbeitstitel: „Built a Fence“) gehö rt, werden meist im
Vergleich zu seinen anderen Kurzgeschichten als qualitativ minderwertiger beurteilt. Ihnen
wird oftmals unterstellt, eine rein unterhaltende Funktion zu haben, welche Faulkners Leser
zu Zeiten der Great Depression aufmuntern sollte. Als Begründung für diese abschätzende
Bewertung wird vor allem die humorvolle, fast karikative Beschreibung der darin
vorkommenden indianischen Protagonisten angeführt. Ein weiterer, häufig auftauchender
Kritikpunkt ist, dass sich Faulkners Indianer keiner realen, damals im Mississippi-Delta
lebenden ethnischen Gruppe zuordnen lassen. Da „A Justice“ und seine anderen sich mit der
indianischen Thematik befassenden Kurzgeschichten fiktive literarische Werke sind und nicht
den Anspruch haben als ethnologische Studie zu gelten, kann dieser Kritikpunkt jedoch als
unerheblich angesehen werden.
„A Justice“ ist in fünf verschiedene Kapitel unterteilt und besteht aus zwei verschiedenen,
zeitlich versetzen Handlungssträngen. Das erste und fünfte Kapitel der Kurzgeschichte (in
dieser Arbeit „Erster Handlungsstrang“ genannt) kann auch Rahmenhandlung nennen. In
einer Retrospektive berichtet der jugendliche Erzähler, der gleichzeitig einer der beiden
Protagonisten der Rahmenhandlung ist, über einen ganz bestimmten Nachmittag auf der Farm
seines Großvaters, an dem ihm der alte Sam Fathers die Geschichte seiner Namensgebung
und damit auch die Geschichte seiner ethnischen Herkunft und Identität erzählt. [...]
1 In dieser Arbeit wird der Terminus “Indianer” bzw. „indianisch“ der Einfachheit halber, in Bezug auf native
americans bzw. die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents, verwendet. Auch bei der Beschreibung der
Afroamerikaner wird der Einfachheit halber gelegentlich von „Schwarzen“ die Rede sein, ähnlich wie bei den
„Weißen“. Auch der Begriff „Rasse“ wird hinsichtlich der komplizierten Thematik mit Vorbehalt benutzt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Erster Handlungsstrang: Die Rahmenhandlung
2.1. Sam Fathers
2.2. Quentin Compson
3. Zweiter Handlungsstrang
3.1. Comic Elements
3.2. Stereotypen und der Umgang mit Klischees
3.3. Faulkners indianische Sklavenhalter
3.4. Der Einfluß der Zivilisation auf die Degeneration der Indianer
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In William Faulkners Kurzgeschichten, die sich mit ethnischen Minderheiten, dem sogenannten racial theme beschäftigen, geht es hauptsächlich um Konfliktsitationen zwischen der „weißen“ Bevölkerung und „Afro-Amerikanern“. Nur wenige seiner Geschichten handeln von den sogenannten Indianern, den Ureinwohnern Nordamerikas. Faulkners Indianergeschichten[1], die hauptsächlich um 1930 herum entstanden und zu denen die hier besprochene Geschichte „A Justice“ (Arbeitstitel: „Built a Fence“) gehört, werden meist im Vergleich zu seinen anderen Kurzgeschichten als qualitativ minderwertiger beurteilt. Ihnen wird oftmals unterstellt, eine rein unterhaltende Funktion zu haben, welche Faulkners Leser zu Zeiten der Great Depression aufmuntern sollte. Als Begründung für diese abschätzende Bewertung wird vor allem die humorvolle, fast karikative Beschreibung der darin vorkommenden indianischen Protagonisten angeführt. Ein weiterer, häufig auftauchender Kritikpunkt ist, dass sich Faulkners Indianer keiner realen, damals im Mississippi-Delta lebenden ethnischen Gruppe zuordnen lassen. Da „A Justice“ und seine anderen sich mit der indianischen Thematik befassenden Kurzgeschichten fiktive literarische Werke sind und nicht den Anspruch haben als ethnologische Studie zu gelten, kann dieser Kritikpunkt jedoch als unerheblich angesehen werden.
„A Justice“ ist in fünf verschiedene Kapitel unterteilt und besteht aus zwei verschiedenen, zeitlich versetzen Handlungssträngen. Das erste und fünfte Kapitel der Kurzgeschichte (in dieser Arbeit „Erster Handlungsstrang“ genannt) kann auch Rahmenhandlung nennen. In einer Retrospektive berichtet der jugendliche Erzähler, der gleichzeitig einer der beiden Protagonisten der Rahmenhandlung ist, über einen ganz bestimmten Nachmittag auf der Farm seines Großvaters, an dem ihm der alte Sam Fathers die Geschichte seiner Namensgebung und damit auch die Geschichte seiner ethnischen Herkunft und Identität erzählt. Auf diese Weise wird der zweite Handlungsstrang eingeleitet, der etwa 100 Jahre vorher spielt, und dessen Protagonisten Ikkemotubbe, Craw-fish-ford und ein namenloser schwarzer Sklave des Indianerstammes sind.
Meine Analyse ist in zwei unterschiedliche Abschnitte aufgeteilt. Der erste Teil, in dem die sogenannte Rahmenhandlung analysiert wird, konzentriert sich auf die Thematik der racial identity von Sam Fathers und die Beziehung zwischen ihm und dem jungen Erzähler, der als Quentin Compson identifiziert wird.[2] Diese literarische Figur Faulkners taucht unter anderem in den Romanen The Sound and the Fury und Absalom, Absalom! und in verschiedenen Kurzgeschichten auf, auf die in diesem Zusammenhang verwiesen wird. Auf diese Weise erhält die Kurzgeschichte „A Justice“ ein zusätzliches Bedeutungselement. Obwohl sie auf auf den ersten Blick „nur“ eine triviale Indianergeschichte erscheint, wird sie zu einem ergänzendem Puzzlestein des mythischen Yoknapatawpha County und des Gesamtwerkes Faulkners.
Der zweite Teil dieser Arbeit beschäftigt sich mit dem sogenannten „zweiten Handlungsstrang“ der Kurzgeschichte, in dem es um die eigentliche Geschichte der Namensgebung von Sam Fathers, bzw. Had-two-Fathers, geht. Hier werden unter anderem verschiedene comic elements untersucht, Stereotypen und die Verwendung von bestimmten Klischees beleuchtet. Weiterhin geht es um den degenerierenden Einfluss der „weißen“ Zivilisation auf die Ureinwohner Amerikas und deren Rolle als Sklavenhalter. Obwohl der Fokus auf der Kurzgeschichte „A Justice“ liegt, werden die ebenfalls unter das Genre der Indianergeschichten fallenden short stories „Red Leaves“ und „A Courtship“ an einigen Stellen, an denen Parallelen zu finden sind, kurz erläutert.
Durch die Analyse der oben genannten Themen soll deutlich gemacht werden, dass Faulkners Indianergeschichten nicht nur belustigende Anekdoten sind, die aus Mangel an Geld geschrieben wurden um den damaligen pop-taste der Magazinleser zu befriedigen, sondern sich auf subtile Weise mit ernsten und damals kontroversen Thematiken, wie zum Beispiel die miscegenation (die Rassenvermischung) auseinandersetzen. Zusammen mit der Analyse der Präsenz des jungen Quentin Compson und dessen Kindheitserinnerungen an Sam Fathers, soll die Bedeutung von „A Justice“ im Gesamtwerk von William Faulkner betont werden.
2. Erster Handlungsstrang: Die Rahmenhandlung
2.1. Sam Fathers
Die beiden Protagonisten, um die es in der Rahmengeschichte von „A Justice“ geht, sind Quentin Compson[3] und Sam Fathers. In diesem Teil der Kurzgeschichte fällt die Rolle des Erzählers auf Quentin und dieser charakterisiert Sam Fathers wie folgt:
a clever carpenter from the quarters...
they said he was almost a hundred years old...
He lived with the Negroes and they – the white people; the Negroes called him a blue-gum – called him a Negro. That’s what I’m going to tell about.[4]
In der Sekundärliteratur[5] wird Sam Fathers “wirkliches” Alter in dieser Geschichte auf etwa 70 Jahre geschätzt; die “fast hundert Jahre alt” Beschreibung von Quentin, ist ein Zeichen für den kindlichen, zwölf Jahre alten Erzähler, welcher altersgerecht zu derartigen Übertreibungen neigt. Dies resultiert auch in einer fast mythenartigen Erzählweise, der Kindheitserinnerungen Quentins. Die Beziehung des Erzählers zu Sam Fathers scheint auf einer freundschaftlichen und vertrauten Basis zu verlaufen, fast mutet es wie ein “Großvater-Enkel” Verhältnis an:
I would go to Sam Fathers’ shop, where he would be making breast-yokes or wagon wheels, and I would bring him some tobacco. The he would quit working and he would fill his pipe – he made them himself, out of creek clay with a red stem – and he would tell me about the old days.[6]
Hier gibt es bereits erste Hinweise auf den ethnischen Hintergrund von Sam Fathers, ohne sich dessen bewußt zu sein, belegt Quentin ihn mit “typisch” indianischen Merkmalen: Zum einen das Stopfen der selbstgemachten Pfeife und das ausgiebige Erzählen von Geschichten (storytelling), welches in der indianischen Kultur fest verankert ist. Zu diesem Zeitpunkt weiß Quentin jedoch noch nichts von der teilweise indianischen Herkunft Sam Fathers. Quentin bemerkt nur, dass er anders ist als die anderen Schwarzen auf der Plantage seiner Familie:
He talked like a nigger – that is, he said his words like niggers do, but he didn’t say the same words – and his hair was nigger hair. But his skin wasn’t quite the color of a light nigger and his nose and his mouth and chin were not nigger nose and mouth and chin. And his shape was not like the shape of a nigger when he gets old.[7]
Es ist offensichtlich, dass es Quentin schwer fällt Sam Fathers „Rasse“, beziehungsweise seine ethnische Zugehörigkeit, zu bestimmen. Der einzige Anhaltspunkt ist der dunkle Ton seiner Hautfarbe, obwohl Quentin bemerkt, dass auch dieser anders ist. Zu der Zeit, in der die Kurzgeschichte handelt, ist das Konzept der Rassenvermischung (miscegenation) noch nicht bei der weißen Bevölkerung anerkannt, man gehörte entweder zur weißen, schwarzen, indianischen oder asiatischen „Rasse“. Dementsprechend ist Tom für die meisten Weißen nichts weiter als ein „Negro“, sein Anderssein interessiert sie nicht, aber auch in der Afro-Amerikanischen Gemeinschaft bleibt er ein Außenseiter. Obwohl er als begabter Zimmermann geachtet wird, ist er für die Schwarzen ein „blue-gum“, so nennt man in der afro-amerikanischen Folklore eine Person mit übernatürlichen Fähigkeiten, einen Hexer oder auch Wunderheiler[8]. Obwohl er zusammen mit den Schwarzen in den „quarters“ lebt, scheint Sam Fathers eine besondere Stellung auf der Compson Farm innezuhaben.
Sometimes he would quit work with something half-finished on the bench, and sit down and smoke. And he wouldn’t jump up and go back to work when Mr. Stokes or even Grandfather came along.[9]
Sam Fathers wird nicht nur von den Schwarzen respektiert und als jemand Besonderes angesehen, auch die Weißen scheinen ihn zu respektieren. Nicht nur seine gehobene Stellung auf der Farm und sein Alter sind dafür verantwortlich, auch seine indianische Herkunft könnte die Ursache für sein würdevolles Auftreten sein, denn damals in den alten Zeiten war Sam Fathers ein indianischer Krieger: „I was a warrior too then.“[10]
Quentin weiß nichts über die Geschichte des Landes, auf dem sich jetzt die Farm seiner Familie befindet. Die Geschichte seiner Geburt und seines indianischen Namens „Had-two-Fathers“, die Sam ihm erzählt, scheint aus einer vollkommen anderen Welt zu stammen, in der noch nicht viele Weiße, abgesehen von dem „occasional whisky trader“ oder anderen Händlern, das Land der Indianer betreten haben. Obwohl die in der Kurzgeschichte beschriebene Geburt von Sam Fathers erst 60 oder 70 Jahre zurückliegt, kommt Quentin dies wie eine Ewigkeit vor, den sogenannten „old days“. Indem Sam Fathers ihm die Geschichte seiner Geburt und seiner teilweise indianischen Herkunft erzählt, belebt er die Tradition seiner indianischen Vorfahren wieder. Sogar seine Sprechweise gleicht die eines Indianers: „It was the Man himself that named me.“[11] ; „It was my name once. Listen.“[12].
In dieser Kurzgeschichte dreht sich alles um die Identität von Sam Fathers, die Herkunft seines indianischen Namens Had-Two-Fathers und verschiedene Thematiken, wie die Rassenvermischung, das Verhältnis Sklaven versus Sklavenhalter und das langsame Verschwinden der indianischen Kultur, die mit unnützen Dingen aus der weißen Gesellschaft solange überschwemmt wird bis nicht mehr viel von ihr übrig bleibt.
[...]
[1] In dieser Arbeit wird der Terminus “Indianer” bzw. „indianisch“ der Einfachheit halber, in Bezug auf native americans bzw. die Ureinwohner des amerikanischen Kontinents, verwendet. Auch bei der Beschreibung der Afroamerikaner wird der Einfachheit halber gelegentlich von „Schwarzen“ die Rede sein, ähnlich wie bei den „Weißen“. Auch der Begriff „Rasse“ wird hinsichtlich der komplizierten Thematik mit Vorbehalt benutzt.
[2] Siehe Fußnote 3
[3] Der jugendliche Erzähler aus der Rahmenhandlung von “A Justice” muss Quentin Compson sein, da er im ersten Absatz der Kurzgeschichte von seinen Geschwistern Caddy und Jason, und dem Angestellten Roskus spricht. Diese Figuren tauchen auch in anderen Romanen und Kurzgeschichten Faulkners auf.
[4] Faulkner, W.: „A Justice“ (S.343-360), Collected Stories of William Faulkner, New York. 1950. S. 343
[5] Horsford, H.C.: „Faulkner’s (Mostly) Unreal Indians in Early Mississippi History“, (S. 311-330) American Literature 64 (2), 1992.
[6] Collected Stories of William Faulkner, S. 344
[7] Ebd., S. 344
[8] Brown, C.S.: A Glossary of Faulkner’s South, New Haven and London: Yale University Press, 1976. (S. 33)
[9] Collected Stories of William Faulkner, S.344
[10] Ebd., S. 345
[11] Ebd., S. 344
[12] Ebd., S.345
- Quote paper
- Kummer Kathrin (Author), 2003, 'Beyond the suspension of twilight'- Eine Analyse der Kurzgeschichte "A Justice" von W. Faulkner, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21920
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