Vermögen eines Verstorbenen einem neuen Rechtsträger zuzuweisen, definiert werden1. Dabei gibt es verschiedene Arten
dieser Vermögenszuweisung. Von Interesse soll hier diejenige an die gesetzlichen Erben sein.
1. RECHTSHISTORISCHER TEIL
Voraussetzung für diese Arbeit ist die Kenntnis der gesetzlichen Erbfolge nach dem heutigen BGB. Daher wird diese im
folgenden grob aufgezeigt, um anschließend deren historische Entwicklung verdeutlichen zu können.
1.1. DIE GESETZLICHE ERBFOLGE NACH DEM HEUTE GELTENDEN RECHT
Die Erbfolge wird im fünften Buch des BGB, im ersten Abschnitt, §§ 1922 bis 19412, behandelt. Sie beruht auf der
Verwandtschaft, der Ehe und der Zugehörigkeit zum Staat. Dabei stehen diese Gruppen nicht gleichberechtigt nebeneinander.
An erster Stelle sind die Verwandten berufen (§ 1589 i.V.m. §§ 1924 ff.) und neben ihnen der überlebende Ehegatte (§§ 1931
ff.). Die Verwandten sind dabei in Ordnungen eingeteilt, deren Rangfolge so gestaltet ist, daß ein Verwandter dann nicht zur
Erbfolge berufen ist, solange ein Verwandter der vorhergehen Ordnung vorhanden ist, § 1930. Innerhalb der ersten drei
Ordnungen gilt die Erbfolge nach Stämmen unter der Beachtung des Repräsentations- und Eintrittsprinzips.
Unter einem Stamm versteht das Gesetz die Abkömmlinge, die von ein und demselben Kind des Erblassers abstammen, §
1924 III.
Als Repräsentationsprinzip erachtet man die Vertretung eines gesamten Stammes durch den mit dem Erblasser am nächsten
verwandten Abkömmling3, § 1924 II.
Gemäß § 1924 III tritt innerhalb eines Stammes an die Stelle eines weggefallenen Abkömmlings die durch diesen mit dem
Erblasser verwandten Abkömmlinge: Eintrittsprinzip4.
Gemäß § 1924 I bilden die Abkömmlinge des Erblassers die erste Ordnung.
Die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge bilden die zweite Ordnung, § 1925 I. Leben beide Eltern noch, so schließen
sie ihre Abkömmlinge aus und erben zu gleichen Teilen, § 1925 II. [...]
1 Mayer-Maly, S.160; vergleiche auch Mertens, S.23.
2 §§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des BGB.
3 Firsching/Graf, Rn 1.16.
4 In älteren Quellen werden Eintritts- und Repräsentationsprinzip oft gleichgestellt und kein Unterschied gesehen. Daher
umfaßt im folgenden das Repräsenationsrecht auch das Eintrittsrecht. Ältere Quellen vergleiche Hübner und Scheurer.
GLIEDERUNG
1.Rechtshistorischer Teil
1.1. Die gesetzliche Erbfolge nach dem heute geltenden Recht
1.2. Das „Erbrecht“ der Frühzeit
1.3. Das römische Erbrecht
1.3.1. Das Agnationsprinzip der Zwölf Tafeln
1.3.1.1. Die einzelnen Klassen der gesetzlichen Erbfolge
1.3.2. Das gesetzliche Erbrecht der klassischen Zeit
1.3.2.1. Die einzelnen Klassen der gesetzlichen Erbfolge
1.3.3. Das nachklassische gesetzliche Erbrecht
1.3.3.1. Die Erbfolge
1.4. Das germanische Recht
1.4.1. Die Herausbildung der Erbfolge
1.5. Vermengung germanischer und römischer Gedanken durch die Rezeption des
römischen Rechts
1.6. Die Schaffung des BGB
1.7. Änderungen der Erbfolge
1.8. Die gesetzliche Erbfolge der DDR
2.Rechtsvergleichender Teil
2.1. Das hebräische Recht
2.2. Die gesetzliche Erbfolge Frankreichs
2.3. Die dänische Erbfolge
2.4. Das gesetzliche Erbrecht in Italien
„DIE GESETZLICHE ERBFOLGE IN RECHTSHISTORISCHER UND
RECHTSVERGLEICHENDER SICHT“
Die gesetzliche Erbfolge ist ein Teil des Erbrechts. Erbrecht im allgemeinen Sinne kann als Ausdruck der Bereitschaft, das Vermögen eines Verstorbenen einem neuen Rechtsträger zuzuweisen, definiert werden[1]. Dabei gibt es verschiedene Arten dieser Vermögenszuweisung. Von Interesse soll hier diejenige an die gesetzlichen Erben sein.
1. RECHTSHISTORISCHER TEIL
Voraussetzung für diese Arbeit ist die Kenntnis der gesetzlichen Erbfolge nach dem heutigen BGB. Daher wird diese im folgenden grob aufgezeigt, um anschließend deren historische Entwicklung verdeutlichen zu können.
1.1. DIE GESETZLICHE ERBFOLGE NACH DEM HEUTE GELTENDEN RECHT
Die Erbfolge wird im fünften Buch des BGB, im ersten Abschnitt, §§ 1922 bis 1941[2], behandelt. Sie beruht auf der Verwandtschaft, der Ehe und der Zugehörigkeit zum Staat. Dabei stehen diese Gruppen nicht gleichberechtigt nebeneinander.
An erster Stelle sind die Verwandten berufen (§ 1589 i.V.m. §§ 1924 ff.) und neben ihnen der überlebende Ehegatte (§§ 1931 ff.). Die Verwandten sind dabei in Ordnungen eingeteilt, deren Rangfolge so gestaltet ist, daß ein Verwandter dann nicht zur Erbfolge berufen ist, solange ein Verwandter der vorhergehen Ordnung vorhanden ist, § 1930. Innerhalb der ersten drei Ordnungen gilt die Erbfolge nach Stämmen unter der Beachtung des Repräsentations- und Eintrittsprinzips.
Unter einem Stamm versteht das Gesetz die Abkömmlinge, die von ein und demselben Kind des Erblassers abstammen, § 1924 III.
Als Repräsentationsprinzip erachtet man die Vertretung eines gesamten Stammes durch den mit dem Erblasser am nächsten verwandten Abkömmling[3], § 1924 II.
Gemäß § 1924 III tritt innerhalb eines Stammes an die Stelle eines weggefallenen Abkömmlings die durch diesen mit dem Erblasser verwandten Abkömmlinge: Eintrittsprinzip[4].
Gemäß § 1924 I bilden die Abkömmlinge des Erblassers die erste Ordnung.
Die Eltern des Erblassers und deren Abkömmlinge bilden die zweite Ordnung, § 1925 I. Leben beide Eltern noch, so schließen sie ihre Abkömmlinge aus und erben zu gleichen Teilen, § 1925 II. Lebt nur ein Elternteil, so treten an die Stelle des verstorbenen Elternteils dessen Abkömmlinge nach den für die Beerbung der ersten Ordnung geltenden Vorschriften, § 1925 III 1 i.V.m. § 1924. Sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so erbt der Elternteil allein, § 1925 III 2.
Die dritte Ordnung wird von den Großeltern und deren Abkömmlingen gebildet, § 1926 I. Sofern die Großeltern noch leben, erben sie allein und zu gleichen Teilen, § 1926 II. Ist ein Großelternteil eines Großelternpaares verstorben, so treten an die Stelle des Verstorbenen dessen Abkömmlinge, § 1926 III 1; sind Abkömmlinge nicht vorhanden, so fällt der Anteil des Verstorbenen dem überlebenden Großelternteil dieses Großelternpaares an, und sofern dieser schon verstorben, dessen Abkömmlingen, § 1926 III 2. Lebt ein Großelternpaar und dessen Abkömmlinge nicht mehr, so erbt das andere Großelternpaar oder deren Abkömmlinge allein, § 1926 IV.
Gesetzliche Erben der vierten Ordnung sind die Urgroßeltern des Erblassers und deren Abkömmlinge, § 1928 I. Sollten zur Zeit des Erbfalls die Urgroßeltern noch leben, so erben sie allein, § 1928 II 1.Halbsatz; mehrere erben zu gleichen Teilen ohne Berücksichtigung der Linie, § 1928 II 2.Halbsatz. Sind die Urgroßeltern nicht mehr am Leben, so erbt von ihren Abkömmlingen derjenige, der mit dem Erblasser dem Grade nach am nächsten verwandt ist, § 1928 III 1.Halbsatz. Repräsentation- und Eintrittsprinzip gelten in dieser Ordnung nicht[5].
Die weiteren Ordnungen werden durch die entfernteren Verwandten gebildet, § 1929 I, II. Dabei fällt auf, daß es keine gesetzliche Beschränkung der Anzahl der Ordnungen gibt.
Neben den Verwandten erbt, wie schon oben erwähnt, auch der Ehegatte, §§ 1931 ff. Dabei wird sein Anteil immer größer je entfernter die Verwandten vom Erblasser sind, vgl. § 1931 I, II. Voraussetzung für ein Erbrecht des Ehegatten ist eine gültige Ehe zum Zeitpunkt des Erbfalls, § 1933.
§§1934 a ff. regeln die Erbrechte eines nichtehelichen Kindes. Diesem steht beim Tode des Vaters bzw. beim Tode von väterlichen Verwandten neben den ehelichen Abkömmlingen des Erblassers an Stelle des gesetzlichen Erbteils ein Erbersatzanspruch in Höhe des gesetzlichen Erbteiles zu, § 1934 a I. § 1934 d gibt Möglichkeit des vorzeitigen Erbausgleichs in Geld.
Erst wenn weder Verwandte, noch ein Ehegatte vorhanden ist, erbt der Staat, § 1936. Dieser erhält dabei den Status des gesetzlichen Zwangserben, d.h. er kann das Erbe weder ausschlagen noch darauf verzichten. Im Regelfall wird der Fiskus des Bundeslandes der letzten Niederlassung Erbe. Dadurch wird sichergestellt, daß es keinen herrenlosen Nachlaß geben kann[6]
Die gesetzlichen Erben sind nicht kraft mutmaßlicher Zuneigung des Erblassers, sondern kraft ihrer eigenen Rechtsstellung zur Erbfolge berufen[7]. Dabei ist es gleichgültig in welchem Verhältnis sie zum Erblasser standen, d.h. ob ihr persönliches Verhältnis zum Verstorbenen durch enge Beziehungen, Gleichgültigkeit oder Feindschaft geprägt war, solange sie nicht erbunwürdig (§§ 2339 ff.) sind.
Wie oben erwähnt, wird nur beim überlebenden Ehegatten mit der Erhebung der Aufhebungsklage bzw. mit dem Antrag auf Scheidung dessen Erbrecht ausgeschlossen (§ 1933)[8].
Dies soll als grober Überblick über die gesetzliche Erbfolge nach heutigem Recht genügen. Auf das oben aufgeführte wird im weiteren mehrmals zurückgegriffen werden.
Um die Geschichte der gesetzlichen Erbfolge darstellen zu können, muß man sich vorweg verdeutlichen, welche historischen Quellen das allgemeine Erbrecht in Deutschland hat und seit wann es eine Erbfolge gibt.
Das Erbrecht des BGB bildet eine Mischung aus deutschen und römischen Gedanken[9]. Dabei ist im wesentlichen das gemeine römische Recht kodifiziert worden, wie es sich bis zum Ende des 19.Jahrhunderts entwickelt hatte[10]. Dieses gemeine römische Recht hatte seine Wurzeln im antiken römischen Recht und im deutschen Recht des Mittelalters[11]. Daher sollen hier sowohl die römische Rechtsentwicklung als auch, im Anschluß daran, die germanische aufgezeigt werden und letztendlich die Umsetzung der Gedanken beider Entwicklungen im BGB.
Doch bevor mit der Entwicklung der gesetzlichen Erbfolge im römischen Recht begonnen wird, soll hier die Frage gestellt werden, wie sich das Erbrecht in ältester Zeit darstellte.
1.2. DAS „ERBRECHT“ DER FRÜHZEIT
In der Frühzeit lebte der einzelne Mensch als Glied einer Gemeinschaft in einer Sippe, auch Großfamilie oder Gens genannt[12]. Der Mensch wurde in diese Gemeinschaft hineingeboren und schied mit dem Tod aus ihr aus[13]. Daher kam als Rechtsträger, dem das Vermögen des Verstorbenen zugewiesen wurde[14] in den frühen Entwicklungsstufen des Rechts nicht nur ein naher Angehöriger, sondern auch die Sippe, der Gentilverband, in Betracht, dem der Verstorbene angehörte[15].
Die Gesellschaftsform der Frühzeit war eine bäuerliche und trug genossenschaftliche Züge. Das Wirtschaftsgut bestand im Bauerngut, d.h. dem Grund und Boden, sowie dem lebenden (z.B. Vieh) und totem (z.B. Ackergeräte) Inventar[16]. Dieses war an die Sippe gebunden und stand den jeweiligen Sippenangehörigen zur Nutzung zu[17]. Da dieses Vermögen im Gesamteigentum der Sippe stand, war für ein Erbrecht kein Raum. Denn durch den Tod eines Menschen kam es nicht zur Auflösung der Sippe, sondern nur zu einem Wechsel der nutzungsberechtigten Mitglieder dieser.
Der einzelne hatte zwar mitunter eine höchstpersönliche Habe wie Waffen, Kleider und Schmuck, diese folgten ihm aber nach seinem Tod als Grabbeigabe[18], da er sie für ein Leben im Jenseits benötigen würde. Insofern war diese höchstpersönliche Habe ebenfalls einem Erbrecht entzogen.
Das Erbrecht gewann demnach erst Bedeutung, als sich eine Eigentumsordnung entwickelte, die ein Sondereigentum einer Person kannte, sich das System der Hausgemeinschaft lockerte und infolgedessen sich die Großfamilie in Kleinfamilien auflöste[19].
1.3. DAS RÖMISCHE ERBRECHT
Auf das antike römische Recht sind die Grundsätze der Universalsukzession (successio per universitatem), der Testierfreiheit, aber auch des Verwandtenerbrechts zurückzuführen. Ebenfalls die Unterscheidung von Erbeinsetzung und Einzelzuweisung, Recht der Auflage und des Vermächtnisses, Erbanspruch sowie Pflichtteilsrecht und Ausgleichspflicht unter Miterben gründen sich auf dem römischem Recht[20]. Doch soll sich hier das Augenmerk auf die gesetzliche Erbfolge richten.
Das gesetzliche Erbrecht der römischen Gesellschaft spiegelt in seiner Geschichte die verschiedenen Etappen und Wandlungen der Gesellschaft wider. Dabei sind drei Entwicklungsstufen zu unterscheiden, auf deren letzter die noch heute geltende Regelung beruht:
Die erste Stufe soll als das „Agnationsprinzip der Zwölf Tafeln[21] “ bezeichnet werden und beginnt demnach im 5.Jahrhundert v.Chr.
Das „gesetzliche Erbrecht der klassischen Zeit“ entsteht um 100 v.Chr., ist aber erst um 200 n.Chr. fertig ausgebildet und die dritte Stufe, das „nachklassische gesetzliche Erbrecht“, bricht unter Konstantin (um 280 - 337 n.Chr.) an, um erst von Justinian (527 - 565 n.Chr.) beendet zu werden[22].
1.3.1. DAS AGNATIONSPRINZIP DER ZWÖLF TAFELN
Die römische Gesellschaft war in Patrizier (patricii) und Plebejer (plebs) aufgeteilt.
Als Patrizier wurden angesehene Personen bezeichnet, die oft Nachfahren der „patres familias“, der Familienoberhäupter, waren. Sie stellten nur ein Zehntel, möglicherweise sogar nur ein Vierzehntel der Gesamtbevölkerung Roms dar[23].
Die große Mehrheit bildeten die Plebejer, doch konnte eine Plebejer niemals ein einflußreiches Amt übernehmen. Dieses empörte die zu Wohlstand und Ansehen gelangten Angehörigen dieses Standes, die es sich aufgrund ihrer Vermögensverhältnisse hätten leisten können, ein Amt zu übernehmen[24]. Am Anfang des 5.Jahrhunderts v.Chr. waren die Plebejer unzufriedener denn je und es entstand eine plebejische Protestbewegung. Sie wurzelte in dem Unwissen der Plebejer um ihre Rechte. Gesetze waren zum damaligen Zeitpunkt nicht schriftlich festgelegt, sondern wurden von einem Priesterkollegium (pontifices) ausgelegt[25]. Dieses Priesterkollegium bestand ausschließlich aus Patriziern[26]. Daher erscheint es nicht verwunderlich, daß sich der Wunsch nach Rechtsklarheit entwickelte und Forderungen laut wurden, Gesetze schriftlich und für jeden zugänglich niederzulegen.
Die Plebejer brachten dieses Verlangen mit solcher Deutlichkeit und Leidenschaft zum Ausdruck, daß die normale Ernennung der Konsuln 451 v.Chr. verschoben wurde und man ein aus zehn Patriziern bestehendes Kollegium, die „decemviri“, unter dem Vorsitz des Appius Claudius einsetzte, um eine schriftliche Gesetzessammlung zu erstellen[27]. Das Ergebnis der „decemviri“ wurde von der „comit centuriata“ zum gültigen Gesetz erklärt und auf zwölf Tafeln niedergeschrieben, die auf dem Forum für jedermann zugänglich aufgestellt wurden[28]. Das Zwölf-Tafel-Gesetz (tabulae duodecim) und damit ein mit fast übertriebenem Respekt betrachtetes, als Quelle der römischen Gesetzgebung gefeiertes, Recht war geboren.
Doch die erste Veröffentlichung wurde sehr ungünstig aufgenommen, gerade von den Plebejern, auf dessen Drängen hin es entstand. Die „decemviri“ hatten es nämlich nicht für besonders wichtig erachtet, Bestimmungen zugunsten der Plebejer in die Gesetzessammlung aufzunehmen[29]: denn das Erbrecht des „tabulae duodecim“ (449 v.Chr.) setzte die intakte Großfamilie mit monarchischer Spitze, und sogar den intakten Sippenverband (gens) als Vermögensträger voraus, wie ihn eigentlich nur die Patrizier hatten[30].
Das Erbrecht des „tabulae duodecim“ setzte das Testament an die erste Stelle der Berufungsgründe. Es stellte das Mittel der Verwirklichung von Willensunsterblichkeit und Persönlichkeitsnachfolge dar[31]. Daher wurde das Testament als Regel und das gesetzliche Erbrecht als Ausnahme behandelt. Die gesetzliche Erbfolge erhielt die Bezeichnung Intestaterbfolge (successio ab intestato)[32].
Erbe wurde man aufgrund eines Testaments oder aufgrund gesetzlicher Erbfolge, wobei es außer bei Soldaten ausgeschlossen war, daß jemand zum Teil aufgrund eines Testaments und zum Teil nach der gesetzlichen Erbordnung beerbt wurde: „nemo pro parte testatus pro parte intestatus decedere potest“ (d.h. niemand kann teilweise mit Testament und teilweise ohne Testament versterben)[33]. Wer einmal Erbe wurde, blieb es für immer: „semesl heres semper heres“[34].
Doch was sah das Zwölf-Tafel-Recht bezüglich der gesetzlichen Erbfolge vor?
Die Grundsage des Zwölf-Tafel-Gesetzes über die Intestaterbfolge lautet:
„Si intestato moritur, cui suus heres nec escit, adgnatus proximus familiam habeto. Si adgnatus nec escit, gentiles familiam habento.“, d.h.: wenn jemand ohne Testament stirbt, der keinen „eigenen Erben“ hat, soll der nächste agnatische Verwandte sein Vermögen haben. Wenn es keine agnatischen Verwandten gibt, soll seine Sippe das Vermögen haben[35]. Daraus ergibt sich, daß die gesetzliche Erbfolge des „tabulae duodecim“ drei Klassen kannte: (1) die „eigenen Erben“ (sui heredes), (2) die agnatischen Verwandten (adgnati proximi) und (3) die Sippenangehörigen (gentiles).
Doch erbrechtlich interessant war ohnehin nur der Tod eines Hausvaters oder eines sonstigen Gewaltfreien, denn ein Gewaltunterworfener hinterließ weder eigenes Vermögen noch konnte durch seinen Tod ein unmündiges Kind seinen Gewalthaber und Erziehungsberechtigten verlieren und somit die Frage einer Vormundschaft entstehen[36].
1.3.1.1. DIE EINZELNEN KLASSEN DER GESETZLICHEN ERBFOLGE
Die erste Klasse waren, wie oben bereits aufgeführt, die eigenen Erben. Den Status des eigenen Erben (suus heres) erlangte, wer durch den Tod des Erblassers die Eigenberechtigung erhielt. Dieser Personengruppe sind jene Söhne und Töchter, Adoptivkinder bzw. -enkel, die bisher unter Hausgewalt (patria potestas) standen, zuzuordnen, d.h. emanzipierte Kinder gehörten nicht in diesen Kreis[37]. Weiter gehören die gewaltunterworfene Ehefrau des Erblassers (uxor in manu) sowie die Kinder von emanzipierten oder verstorbenen Söhnen und die gewaltunterworfenen Ehefrauen der verstorbenen Söhne in diese Gruppe[38].
Die nicht in Gewalt eines anderen übergewechselte Tochter erbt mit; jedoch kommen ihre Kinder, sofern die Tochter vorverstorben ist, nicht zum Zuge, da diese nicht in der Gewalt des Großvaters mütterlicherseits standen; möglicherweise sogar unehelich waren und damit keinen Gewalthaber hatten[39].
Die gewaltunterworfene Schwiegertochter erbte dagegen nicht, denn sie wurde durch den Tod des Erblassers nicht gewaltfrei; an die Stelle ihres Schwiegervaters trat ihr Ehemann. Nur wenn ihr Ehemann vorverstorben war, so erbte sie neben ihren Kindern, den Enkeln des Erblassers[40].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[Quelle: Liebs, Seite 131.]
Repräsentation[41] war möglich, ansonsten erbten die „sui heredes“ zu gleichen Teilen nach Stämmen, wobei die „uxor in manu“ einen eigenen Stamm bildete[42].
Die „sui heredes“ wurden unmittelbar mit dem Tod des Erblassers zu dessen Erben[43]. Daraus folgt, daß sie einen Akt des Erbschaftserwerbes nicht zu setzen brauchten[44].
Häufig teilten die Erben die Erbschaft nicht auf, sondern lebten gemeinsam in einem „consortium“[45] bzw. im „consortium ercto non cito“ (Schicksalsgemeinschaft)[46]. Ein „suus heres“ blieb als einzelner weiterhin vermögenslos, da aller Erwerb an die Genossenschaft ging[47]. Hier fallen Parallelen zur Frühzeit[48] auf, in der das Vermögen an die Sippe gebunden war und jedem nur ein Nutzungsrecht zustand. Ursache für das Leben der Erben in einem „consortium“ war möglicherweise, daß das ererbte Vermögen nicht die Masse aufwies, als daß jeder Erbe mit seinem eigenen Teil sich eine wirtschaftlich bessere Stellung verschaffen konnte. Dieses war nur durch Beibehaltung der Erbengemeinschaft machbar und unterstütze so weiterhin den Familienzusammenhalt. Letztendlich konnte jeder einzelne aber mit Wirkung für alle über die Sachen und Rechte der Genossenschaft verfügen und er konnte zu jeder Zeit die Teilung des Erbes verlangen. Dazu stand ihm das Institut der „actio familiae eriscundae“, d.h. der Klage der aufzuteilenden Familienhabe, zu[49].
Die Verfügungsbefugnis über Sachen und Rechte der Genossenschaft war aber nicht ohne weiteres auch den weiblichen Mitgliedern des „consortium“ gestattet, auch wenn sie durch den Tod des Erblassers an sich gewaltfrei geworden waren. Die weiblichen „sui“ und dazu die noch nicht geschlechtsreifen Knaben der Familie bekamen einen Vormund (tutor) ohne dessen Mitwirkung sie so gut wie kein Geschäft wirksam tätigen konnten[50]. Dabei war der gradnächste Verwandte im Mannesstamm zur Vormundschaft (tutela) berufen[51].
Die zweite Klasse wird von den agnatischen Verwandten, den „adgnati proximi[52] “, des Erblassers gebildet, die erst zum Zuge kamen, wenn der Verstorbene keine „sui“ hatte. Agnatisch verwandt waren Personen, die unter der gleichen Hausgewalt standen oder gestanden hätten, sofern der gemeinsame „pater familias“ noch leben würde; dabei richtet es sich nach der Zahl der Zeugungen, die diese Verwandtschaft vermittelten, ob jemand nächster agnatischer Verwandter war[53].
Zunächst kamen daher die Geschwister des Erblassers in Betracht. Seine Schwestern wurde aber nur dann beachtet, wenn sie durch eine Ehe mit „manus“ nicht in einen anderen Hausverband gelangt waren, denn durch eine derartige Ehe wurde die bisherige agnatische Verwandtschaft vernichtet[54].
Waren keine Geschwister vorhanden, dann kamen die Geschwister des Vaters und die Kinder seiner Brüder als nächste Agnaten in Betracht[55]. Mehrere Agnaten gleichen Verwandtschaftsgrades erbten zu gleichen Teilen, bildeten aber kein „consortium“. Im Unterschied zu den Erben der ersten Klasse ist hier ein Akt des Erbschaftsantritts notwendig, da das römische Recht den Anfall der Erbschaft nur für die „sui heredes“ kannte[56].
War der Verstorbene emanzipiert oder ein freigelassener Sklave, so erbte mangels eigener Erben (sui) derjenige, der ihn aus seiner Gewalt entlassen hatte, bzw. dessen gradnächsten Agnaten[57].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
[...]
[1] Mayer-Maly, S.160; vergleiche auch Mertens, S.23.
[2] §§ ohne nähere Kennzeichnung sind solche des BGB.
[3] Firsching/Graf, Rn 1.16.
[4] In älteren Quellen werden Eintritts- und Repräsentationsprinzip oft gleichgestellt und kein Unterschied gesehen. Daher
umfaßt im folgenden das Repräsenationsrecht auch das Eintrittsrecht. Ältere Quellen vergleiche Hübner und Scheurer.
[5] vergleiche das auf Seite 1 erläuterte.
[6] Firsching/Graf, Rn 1.54.; siehe zum Verfahren die §§ 1964 ff.
[7] Lange/Kuchinke, S 9 III,2., S. 213.
[8] Lange/Kuchinke, S 9 III,2., S. 213.
[9] Ebenroth, § 1 V, Rn 53.
[10] Schlüter, § 3, I, Rn 19.
[11] Schlüter, § 3, I, Rn 19.
[12] Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.
[13] Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.
[14] vergleiche die Definition des Erbrechts oben Seite 1.
[15] Mayer-Maly, S.160.
[16] Lange/Kuchinke, § 1 IV, 1., S.5; Schlüter, § 3, I, Rn 19.
[17] Schlüter, § 3, I, Rn 19; Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5.
[18] Scheurer, § 122, S.437; Lange/Kuchinke, § 1 IV,1., S.5; Schlüter, § 3, I, Rn 19.
[19] Schlüter, § 3, I, Rn 19.
[20] Ebenroth, § 1 V, Rn 53; Schlüter, § 3, I, Rn 21; Lange/Kuchinke, § 1 IV, 2., S.5.
[21] auch „ius civile“ genannt.
[22] Liebs, S. 131.
[23] Grant, S. 65.
[24] Grant, S. 65.
[25] Wolff, S.54; Grant, S. 68.
[26] Grant, S. 68; Wolff, S.54.
[27] Wolff, S.55; Grant, S. 68.
[28] Grant, S. 68.
[29] Grant, S. 69.
[30] Liebs, S. 131.
[31] Ebenroth, § 1 V, Rn 53.
[32] Ebenroth, § 1 V, Rn 53; Scheurer, § 122, S.442; Mayer-Maly, S.160.
[33] Scheurer, § 122, S.442; Mayer-Maly, S.162; Ebenroth, § 1 V, Rn 53.
[34] Mayer-Maly, S.163.
[35] Scheurer, § 125, S.449; Mayer-Maly, S.161.
[36] Liebs, S. 131; Wolff, S. 52: Das „tabulae duodecim“ regelt Institute wie Vormundschaft, Erbrecht und Familienbe-
ziehungen umfangreich, jedoch werden solch wesentlichen Begriffe wie Familie, Hausgewalt und Heirat nicht
definiert.
[37] Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.
[38] Scheurer, § 125, S.450; Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.
[39] Liebs, S. 131.
[40] Liebs, S. 131.
[41] vergleiche Definition Seite 1.
[42] Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 131.
[43] Schlüter, § 3, I, Rn 21; Mayer-Maly, S.161; Liebs, S. 132.
[44] Vergleiche dazu Seite 3. Nach dem heutigen BGB werden die gesetzlichen Erben aufgrund ihrer eigenen Recht-
stellung zum Erben berufen, § 1922, vergleiche aber auch § 857. Ein Akt des Erbschaftsantritts, wird nicht
gefordert.
[45] Mayer-Maly, S.161.
[46] Liebs, S. 132.
[47] Liebs, S. 132.
[48] vergleiche Seite 3.
[49] Liebs, S. 132.
[50] Liebs, S. 132.
[51] Liebs, S. 132: Vormund der Witwe wurde daher der mündige Sohn, ansonsten der Bruder des Erblassers.
Grant, S. 70: Doch werden die archaischen Grundsätze der die Ehe betreffenden Gesetze durch liberale Vor-
stellungen gemildert. Während in der römischen Frühzeit der Ehemann über die Hausgewalt (manus), welche ein
Stück der Vollmacht des „pater familias“ darstellte, verfügte, wird im Zwölf-Tafel-Gesetz die Autorität des Ehemanns
gewissermaßen eingeschränkt : der Ehefrau wird nach Erreichen des 25.Lebensjahres das Verfügungsrecht über
ihren persönlichen Besitz gewährt; allerdings wird sie bei der Ausübung dieses Rechts offiziell von ihrem Vater oder
einem Vormund beaufsichtigt (dabei kommt auf Heiratsvertrag an).
[52] teilweise auch Bezeichnung als Außenerben (heredes extranei); Agnaten = männliche Nachkommen eines
gemeinsamen Stammvaters männlicher Linie.
[53] Mayer-Maly, S.161: Insofern erbten die über den Vater, Großvater, Bruder usw. Verwandten, im zweiten Grad
einschließlich der Frauen, deren Abkömmlinge aber ausgeschlossen bleiben.
[54] Mayer-Maly, S.162.
[55] Mayer-Maly, S.162.
[56] Schlüter, § 3, I, Rn 21; Liebs, S.132.
[57] Liebs, S. 133.
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