„Es kommt schon mal vor, daß Leute anrufen, wenn bei uns in der
Serie eine Wohnung frei wird, weil sie dort einziehen möchten.“
(Zitat von Laurent Daniel aus der Soap Opera „Gute Zeiten,
schlechte Zeiten“ vom 22. Februar 1999 bei „Hans Meiser“ auf
RTL)
Das Fernsehen allgemein hat in unserer Wirklichkeitsgestaltung einen sehr hohen
Stellenwert erlangt und besitzt zunehmend gesellschaftliche Bedeutung (vgl. Mikos
1994: 17). In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, daß es sich nicht mehr nur auf
die Abbildung der sozialen Wirklichkeit beschränkt, sondern sie immer mehr
beeinflußt, mitgestaltet und bestimmt (vgl. Bleicher 1998: 165). Die geteilte
Wirklichkeit wird nur noch aus der Unterhaltung deutlich. Fernsehen spielt dabei eine
große Rolle, weil es semiotisches Material für Wirklichkeitsunterhaltungen darstellt.
(Vgl. Hepp 1996: 83). Viele Botschaften aus dem Fernsehen werden unbesehen als
wahrheitsgemäß akzeptiert, und die soziale Wirklichkeit wird zunehmend durch
mediale Codes vermittelt 1(vgl. Hepp 1996: 75).
Dazu muß hinzugefügt werden, daß vor allem die Unterhaltungsbranche konstanten
Zuwachs aufweisen kann. So geht der Prozentsatz der informationsorientierten
Nutzer zurück, während der der unterhaltungsorientierten Nutzer seit den letzten zehn
Jahren deutlich steigt (vgl. Vorderer: 689f). Dies erklärt vielleicht auch einen Teil des
Entstehens des momentan existierenden „Soap-Booms“. Dabei ist hinzuzufügen, daß
sich die Zuschauerzahl nicht auf „ungebildete Jugendliche“ beschränkt, sondern daß
die Soap bereits in den achziger Jahren einen enormen Zuwachs an Zuschauern
gefunden hat - ungeachtet deren Beruf, Alter, Bildungsstand, Einkommen,
Geschlecht oder gesellschaftlicher Schicht.2(Vgl. Carveth/ Alexander 1985: 259).
Wo für Baudrillard das Fernsehen „die Gewissheit (ist), daß die Menschen nicht
mehr miteinander reden, daß sie angesichts einer Rede ohne Antwort entgültig isoliert
sind“, widersprechen die Mediennutzer bereits unbewußt durch ihr Verhalten. [...]
1Kaum einer war live beim Tankerunglück der „Pallas“ dabei - trotzdem glauben wir, was uns das Fernsehen darübererzählt und
stellen den Wahrheitsgehalt der Nachricht nicht in Frage.
2Studenten richten ihre Stundenpläne nach den Sendezeiten, Geschäftsleute nutzen die Mittagspause, denn „dumb genres may not
neccessarily imply dumb viewers.“ (Borchers/Kreutzner/Warth 1994:)
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was bietet die Serienwelt?
- Rollenidentifikation und Alltagsflucht
- Die Soap Opera als Problemlöser und Phantasiewelt
- Parasoziale Interaktion und parasoziale Beziehungen
- Parasoziale Beziehungen vs. orthosoziale Beziehungen
- Soziale Wirklichkeit vs. fiktionale Wirklichkeit
- Warum Soap und nicht anders?
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Phänomen der parasozialen Interaktion am Beispiel von Soap Operas. Ziel ist es, die besondere Bedeutung von Soap Operas im Kontext der Wirklichkeitsgestaltung zu untersuchen und die Faktoren zu analysieren, die Rezipienten dazu bewegen, sich mit dieser fiktiven Welt auseinanderzusetzen.
- Die Rolle von Soap Operas bei der Rollenidentifikation und der Flucht aus dem Alltag
- Die Bedeutung von Soap Operas als Problemlöser und Quelle für Handlungspotenziale im realen Leben
- Das Konzept der parasozialen Interaktion und parasozialen Beziehungen
- Der Einfluss von Soap Operas auf die Konstruktion sozialer und fiktionaler Wirklichkeit
- Die besonderen Eigenschaften von Soap Operas im Vergleich zu anderen Fernsehformaten
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas „Parasoziale Interaktion mit Fernsehpersonen“ im Kontext der Wirklichkeitsgestaltung dar. Das erste Kapitel untersucht die Bedeutung von Soap Operas für die Rollenidentifikation und die Flucht aus dem Alltag. Es wird erklärt, wie Rezipienten durch die Identifikation mit Protagonisten verdrängte Wünsche und Bedürfnisse ausleben können. Das zweite Kapitel befasst sich mit der Bedeutung von Soap Operas als Problemlöser und Phantasiewelt. Die Arbeit analysiert, wie Rezipienten in Soap Operas nach Lösungen für Konflikte im eigenen Alltag suchen und wie diese fiktive Welt als Quelle für Handlungspotenziale dient. Das dritte Kapitel behandelt das Phänomen der parasozialen Interaktion und parasozialen Beziehungen. Es werden die Besonderheiten dieser Interaktionen und Beziehungen im Vergleich zu „orthosozialen“ Beziehungen in der realen Welt beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Parasoziale Interaktion, Soap Operas, Rollenidentifikation, Alltagsflucht, Problemlösung, Phantasiewelt, Soziale Wirklichkeit, Fiktionale Wirklichkeit, Medienrezeption, Zuschauermotivation, Gratifikationsmöglichkeiten.
- Quote paper
- Julia Barth (Author), 1999, Parasoziale Interaktion mit Fernsehpersonen am Beispiel von Soap Operas, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21849