Als Moses I. Finley 1986 starb, schrieb Wilfried Nippel im Nekrolog: „Finleys Arbeiten zur antiken Sklaverei zeigen seine besondere Fähigkeit, in Diskussionen Ordnung zu stiften.“2 In der Diskussion um antike Sklaverei gelang ihm dies trotz der starken ideologischen Kämpfe seiner Zeit um dieses Thema. Wo sich an symbolischer Grenze eines „eisernen Vorhangs“ die Geister schieden, setzte Finley auf wissenschaftliche Analyse mit dem Ziel, Vorurteile und eigene Wertungen aus der historischen Forschung herauszuhalten - getreu dem Diktum Max Webers „sine ira et studio“3. Er wurde als einer der wenigen Wissenschaftler auf beiden Seiten des „Vorhangs“ wahrgenommen, studiert und respektiert.4
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1 Finley, Moses I. (1964), Was Greek Civilization based on Slave Labour?, in: ders.: Slavery in Classical
Antiquity. Views and Controversies,Cambridge / New York, S. 164.
2 Historische Zeitschrift, 244 (1987), S. 751. Wilfried Nippel, derzeit Professor für alte Geschichte an der
Humboldt-Universität, hat u.a. 1981/82 bei Finley am Darwin-College in Cambridge studiert.
3 Zuerst bei Tacitus in Annales 1.1., wo es „ohne Zorn und Eifer“ bedeutet. Bei Max Weber ist es das „Postulat
der Wertfreiheit der Wissenschaft“, vgl. Weber (1988), S. 146-214.
4 Als Beispiele seien hier ein paar Buchbesprechungen aus Ost- und Westdeutschland genannt, die nicht alle
ohne harte Kritik an Finleys Ausführungen sind, ihn aber alle als herausragenden Althistoriker anerkennen:
Günther, Rigobert (1982), Finley, M., Ancient Slavery and Modern Ideology, in: Gnomon 54, S. 203-204;
Deininger, Jürgen (1983), Finley, M., Ancient Slavery and Modern Ideology, in: Historische Zeitschrift, 237,
S. 671-673; Rosen, Klaus (1984), Finley, M., Die Sklaverei in der Antike. Geschichte und Probleme, in:
Historisches Jahrbuch 104, S. 173-176, und Benedetto, Vincenzo (1978), Athen und Rom – Konsum- oder
Klassengesellschaft?, in: Klio, 60, S. 619-621. Letztere ist eine Übersetzung aus dem Italienischen und stellen
inhaltlich, wie der Untertitel angibt, Bemerkungen zu Finleys Geschichtskonzeption dar, denen ein Aufsatz
der theoretischen Zeitschrift der Italienischen Kommunistischen Partei „Rinascita“ aus dem Jahre 1975
zugrunde liegt.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. 1. Das Phänomen der antiken Sklaverei und der widersprüchliche Status der Sklaven
II. 2. Finleys Modell eines Spektrums von Abhängigkeiten
III. Zusammenfassung
“One aspect of Greek history, in short,
is the advance, hand in hand,
of freedom and slavery.”[1]
I. Einleitung
Als Moses I. Finley 1986 starb, schrieb Wilfried Nippel im Nekrolog: „ Finleys Arbeiten zur antiken Sklaverei zeigen seine besondere Fähigkeit, in Diskussionen Ordnung zu stiften.“[2] In der Diskussion um antike Sklaverei gelang ihm dies trotz der starken ideologischen Kämpfe seiner Zeit um dieses Thema. Wo sich an symbolischer Grenze eines „eisernen Vorhangs“ die Geister schieden, setzte Finley auf wissenschaftliche Analyse mit dem Ziel, Vorurteile und eigene Wertungen aus der historischen Forschung herauszuhalten - getreu dem Diktum Max Webers „ sine ira et studio “[3]. Er wurde als einer der wenigen Wissenschaftler auf beiden Seiten des „Vorhangs“ wahrgenommen, studiert und respektiert.[4]
Er war seit Jahrzehnten der erste, der einen Ausweg aus der verfahrenen „ Bücher-Meyer-Kontroverse “[5] anbot und aus den Diskussionen um Sklavenzahlen, die die Althistorie zu seiner Zeit beschäftigten und die nach Finley am Kern des Problems der Sklaverei vorbeigingen, nämlich zu erklären, wie und weshalb sich die Sklaverei in antiken Gesellschaften ausbildete, warum sie sich nicht überall ausbreitete und welche Auswirkungen damit für die Gesellschaften verbunden waren. Ziel dieser Arbeit ist es, das von Finley entwickelte Modell eines „ Spektrums von Statusgruppen “, das mit Idealtypen[6] arbeitet, in welches sich alle gesellschaftlichen Gruppen und Individuen mit ihren je unterschiedlichen Rechten, Privilegien, Pflichten und Verboten einordnen lassen vorzustellen. Zuvor ist es für das Verständnis sinnvoll, einige Anmerkungen zum Werdegang Finleys und seiner wissenschaftlichen Prägung zu machen, wobei gleich hinzugefügt werden muss, dass von Finleys Privatleben äußerst wenig bekannt ist.
Finleys Weigerung vor dem McCarthy-Untersuchungsausschuss[7] auszusagen, führte dazu, dass er seine wissenschaftliche Stelle verlor. Wenig später ging er nach England, wo er seit 1955 bis zu seinem Tode antike Geschichte lehrte. Die oft betonte Nähe zu und Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftlern, so die Mitarbeit an der „Zeitschrift für Sozialforschung“ und die Zusammenarbeit mit Karl Polanyi[8], war prägend für seine Denkweise. In gleichem Maße waren dies jedoch auch die Auseinandersetzungen mit den Werken von Karl Marx und Max Weber. Ersteren hat er in vielen Dingen kritisiert und abgelehnt, aber immer in fairer Auseinandersetzung. Von einigen Seiten hat ihm dies lange Zeit den Ruf eines Marxisten eingebracht. Von letzterem übernahm er die idealtypische Darstellungsweise, die dem hier vorzustellenden Modell antiker Sklaverei als eines Spektrums von Abhängigkeiten methodisch zu Grunde liegt. Der schlichte Tatbestand der Lückenhaftigkeit der Überlieferung, die er oft betont hat, ist für ihn die Begründung, diese Methode zu wählen. In Zusammenhang mit dem Argument der Lückenhaftigkeit wies er oft Einwände zurück, die eine Ausnahme oder Besonderheit in den Vordergrund stellten und so seine Ergebnisse in Frage stellten. Nach Finley müsse gezeigt werden, das es sich eben nicht nur um eine Ausnahme handelt, denn diese gibt es immer.
II. 1. Das Phänomen der antiken Sklaverei und der widersprüchliche Status der Sklaven
Ausgangspunkt, aber eben erst Ausgangspunkt, wie Finley betont, ist die Feststellung, dass Sklaverei ein ubiquitäres Phänomen in der antiken Welt war, mit Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Sklaven galten als Eigentum und wurden auch so behandelt. Man konnte sie kaufen, verkaufen, vermieten etc. Ihr Nachwuchs unterlag den gleichen Regeln. Bis dahin scheint alles einfach und klar. Finley weist nun auf einige Punkte hin, wo Widersprüche auftreten. Erstens konnten Sklavinnen Kinder von freien Männern gebären, wobei sich die Frage stellt, welchen Status sie erhielten.[9] Das zweite betrifft die Tötung: sie verlangte eine Form der Reinigung, was die Sklaven insofern zu menschlichen Wesen machte. Zudem konnten Sklaven an rituellen Handlungen teilnehmen.
Diese Widersprüchlichkeit bringt Finley dazu, von einem zweifachen Aspekt des Sklaven zu sprechen, der beides war, nämlich Person und Eigentum oder wie er an anderer Stelle schreibt „ beseelter Besitz “[10]. Weitere Ausnahmen sieht Finley im Helotensystem der Spartaner und in der Einrichtung des peculiums der Römer.[11] Die Heloten sind einerseits nicht frei, wie auch die Besitzsklaven von Athen, andererseits unterscheidet sie von letzteren, dass sie nicht persönliches Eigentum einzelner Spartaner waren, sie wurden nicht gekauft, nicht verkauft, sie sicherten ihren Fortbestand selbst. Sie müssen also selbst in Familie gelebt haben. Sie werden oft als Staatssklaven bezeichnet, weil der Staat – und nur er - das Recht besaß sie zum Militärdienst zu zwingen, sie frei oder sogar töten zu lassen. In dieser Gleichheit der Bedingungen, denen die Heloten ausgesetzt waren, sieht Finley eine Voraussetzung dafür, dass es bei ihnen, anders als bei den griechischen Besitzsklaven in vorrömischer Zeit, Aufstände gab. Letztere waren meist aus unterschiedlichen Gegenden und durften keine Familien haben, d.h. sie waren entwurzelt und einander fremd.[12]
Das griechisch-römische Freilassungswesen zeigt wohl am deutlichsten den zweifachen Aspekt der Sklaven, die Tatsache, dass man sich sehr wohl darüber bewusst war, dass Sklaven etwas ganz anderes sind als der übliche Besitz an Gegenständen und Vieh.[13]
Finley schreibt dazu:
„Wenn ein Sklave ein beseelter Besitz ist, nicht eigentlich eine Person, und dennoch biologisch unzweifelhaft ein menschliches Wesen, muß man institutionalisierte Verfahren erwarten, die ihn als Menschen herabsetzen und seine menschliche Eigenschaft verdrängen, so daß man ihn von Menschen, die kein Besitz sind, unterscheiden kann. Körperliche Züchtigung und Folter stellen eines dieser Verfahren dar.“[14]
[...]
[1] Finley, Moses I. (1964), Was Greek Civilization based on Slave Labour?, in: ders.: Slavery in Classical Antiquity. Views and Controversies,Cambridge / New York, S. 164.
[2] Historische Zeitschrift, 244 (1987), S. 751. Wilfried Nippel, derzeit Professor für alte Geschichte an der Humboldt-Universität, hat u.a. 1981/82 bei Finley am Darwin-College in Cambridge studiert.
[3] Zuerst bei Tacitus in Annales 1.1., wo es „ohne Zorn und Eifer“ bedeutet. Bei Max Weber ist es das „Postulat der Wertfreiheit der Wissenschaft“, vgl. Weber (1988), S. 146-214.
[4] Als Beispiele seien hier ein paar Buchbesprechungen aus Ost- und Westdeutschland genannt, die nicht alle ohne harte Kritik an Finleys Ausführungen sind, ihn aber alle als herausragenden Althistoriker anerkennen: Günther, Rigobert (1982), Finley, M., Ancient Slavery and Modern Ideology, in: Gnomon 54, S. 203-204; Deininger, Jürgen (1983), Finley, M., Ancient Slavery and Modern Ideology, in: Historische Zeitschrift, 237, S. 671-673; Rosen, Klaus (1984), Finley, M., Die Sklaverei in der Antike. Geschichte und Probleme, in: Historisches Jahrbuch 104, S. 173-176, und Benedetto, Vincenzo (1978), Athen und Rom – Konsum- oder Klassengesellschaft?, in: Klio, 60, S. 619-621. Letztere ist eine Übersetzung aus dem Italienischen und stellen inhaltlich, wie der Untertitel angibt, Bemerkungen zu Finleys Geschichtskonzeption dar, denen ein Aufsatz der theoretischen Zeitschrift der Italienischen Kommunistischen Partei „Rinascita“ aus dem Jahre 1975 zugrunde liegt.
[5] Kontroverse, in der man um die Frage stritt, ob die antike Ökonomie adäquater zu erfassen sei, wenn man sie „primitivistisch“ oder wenn man sie „modernistisch“ erklärt. Für die eine Seite steht Eduard Meyer. Er lebte 1855-1930, gilt als einer der letzten Universalhistoriker seiner Zeit; sein umfangreiches Werk umfasst um die 500 Titel. Für ihn ließ sich die antike Wirtschaft nicht modern genug vorstellen, was bis zu direkten Vergleichen mit der wirtschaftlichen Entwicklung im 19. Jh. führte. Er scheute sich nicht, Begriffe wie Fabrik, Großindustrie und Kapitalisten zu verwenden. Ihm gegenüber stand Karl Bücher (1847-1930); er wollte die antike Wirtschaft auf den oikos, das Haus, verwiesen sehen. Er betonte die Andersartigkeit der antiken Wirtschaft, die es unmöglich macht, moderne Begriffe auf sie anzuwenden. Finleys Ablehnung, antikes Wirtschaften mit modernen Begriffen zu erklären, brachte ihm von verschiedener Seite den Ruf eines Primitivisten ein. Er selbst wollte sich verständlicherweise weder auf der einen noch auf der anderen Seite sehen, denn er hielt die Diskussion vom Ansatz her verfehlt. Vom Ansatz her deshalb, weil die Untersuchung griechischen Wirtschaftens von vorn herein auf die Frage einengte wurde, ob es nun modern oder primitiv war.
[6] Gemeint sind Idealtypen im Sinne Max Webers. Ich werde später näher auf sie eingehen.
[7] Finley war wohl in der Tat Mitglied der kommunistischen Partei in den USA. Als er nach England ging, hat er sich nie bei der dortigen kommunistischen Partei gemeldet.
[8] Karl Polanyi (1886-1964), vertritt in seinem wichtigsten Werk „The great transformation“ (1944) die These, dass in früheren Gesellschaften das Ökonomische im Sozialen eingebettet war, sich dieses Verhältnis aber im Kapitalismus umgekehrt hat.
[9] Durch den nicht unüblichen Vorgang der Freilassung konnte dieses Problem gelöst werden. Damit wurden auch alle später geborenen Kinder frei, auch wenn Freigelassene auch weiterhin gewissen Einschränkungen unterworfen waren.
[10] Vgl. Finley (1987), S. 114.
[11] Da diese Einrichtung in die römische Zeit fällt, wird sie hier nur kurz erwähnt, sie ist vor allem aus Rom bekannt und bedeutete so viel wie „Besitz (in welcher Form auch immer), den man zur Nutzung, zur Verwaltung und in beschränktem Maße auch zur freien Verfügung jemandem überließ, der nicht das Recht hatte, etwas zu besitzen“, was nur für Sklaven zutraf. Diese Gewährung von Besitz konnte jederzeit widerrufen werden, sie konnte aber auch von Begünstigten dazu genutzt werden, sich durch Gewinne aus dem Besitz freizukaufen. Siehe dazu ausführlich Finley (1993), S. 67.
[12] In dem Buch „Sklaverei in der antiken Welt“ untersucht Finley den psychologischen Aspekt der Sklaven, dass u.a. sich völlig entwurzelte Menschen oft ihren Herren unterwerfen und ihnen treu werden. Dieses psychologische Phänomen lässt sich auch heute noch vorfinden.
[13] In Rom ging es sogar soweit, dass ein Freigelassener automatisch das römische Bürgerrecht erhielt, in Griechenland wurden sie zu Metöken. Finley weist darauf hin, dass dies in Rom die einzige Möglichkeit war, wo jemandem durch ein privates Rechtsgeschäft - nichts anderes war eine Sklavenfreilassung – das Bürgerecht verliehen werden konnte. Vgl. Finley (1987), S. 116.
[14] Finley (1987), S. 114.
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