Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Genre der jüngeren Literaturgeschichte im Zusammenhang mit dem Samplingbegriff. Bei dem Genre handelt es sich um Literatur, die im Internet ihren Raum und ihre Entfaltung findet. Verschiedene Internetseiten präsentieren sich dem Internetnutzer in literarischer Form. Dabei handelt es sich auf der einen Seite um Literatur, die zusätzlich zur gedruckten Buchform im Internet veröffentlicht ist und zum Lesen einlädt, und auf der anderen Seite um Literatur, die im Internet erst entsteht. Im Besonderen geht es hier um sogenanne „Mitschreibeprojekte“, an denen die Internetnutzer insofern teilhaben können, dass sie nicht nur Leser, sondern auch Schreiber sind. Ziel der Arbeit ist die Untersuchung, inwiefern sich der Samplingbegriff auf die Mitschreibeprojekte anwenden lässt. Es werden weniger die einzelnen literarischen Inhalte der Webseiten untersucht, sondern vielmehr das System, d.h. es wird geprüft, ob sich die entstehende Geschichte aus Samples – den einzelnen Beiträgen – zusammensetzt. Diese Arbeit ist in drei Teile gegliedert: Im ersten Teil wird besonders auf die verschiedenen Formen von Literatur im Internet und im Besonderen auf Mitschreibeprojekte eingegangen. Es werden die Entstehung, die Inhalte, die Regeln und Besonderheiten von den Projekten anhand von theoretischen Aussagen dargestellt. Der zweite Teil der Arbeit stellt verschiedene Mitschreibeprojekte aus dem Internet vor. Zur Visualisierung wird die Starseite der einzelnen Projekte abgebildet. Es wird auf die Herausgeber der Projekte, auf die Platzierung im Internet und auf den Inhalt eingegangen. Außerdem wird beschrieben, inwiefern sich der Leser als Autor einbringen kann. Im dritten Teil der Arbeit wird versucht zu klären, inwiefern sich Samples in den Projekten belegen lassen. Hier wird nicht so stark auf die literarischen Inhalte eingegangen, viel interessanter ist die Frage, ob das System der Projekte Sampling ist. D.h. ob sich die Geschichte aus Samples – den einzelnen Beiträgen - zusammensetzt.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Literaturprojekte im World Wide Web
III. Darstellung von verschiedenen Mitschreibeprojekten aus dem Internet anhand von 5 Beispielen
IV. Die Kategorie der Mitschreibeprojekte wird auf Samples untesucht
V. Zusammenfassung
VI. Literaturliste
VII. Linkliste
I. Einleitung:
Diese Arbeit beschäftigt sich mit einem Genre der jüngeren Literaturgeschichte im Zusammenhang mit dem Samplingbegriff.
Bei dem Genre handelt es sich um Literatur, die im Internet ihren Raum und ihre Entfaltung findet. Verschiedene Internetseiten präsentieren sich dem Internetnutzer in literarischer Form. Dabei handelt es sich auf der einen Seite um Literatur, die zusätzlich zur gedruckten Buchform im Internet veröffentlicht ist und zum Lesen einlädt, und auf der anderen Seite um Literatur, die im Internet erst entsteht. Im Besonderen geht es hier um sogenanne „Mitschreibeprojekte“, an denen die Internetnutzer insofern teilhaben können, dass sie nicht nur Leser, sondern auch Schreiber sind.
Ziel der Arbeit ist die Untersuchung, inwiefern sich der Samplingbegriff auf die Mitschreibeprojekte anwenden lässt. Es werden weniger die einzelnen literarischen Inhalte der Webseiten untersucht, sondern vielmehr das System, d.h. es wird geprüft, ob sich die entstehende Geschichte aus Samples – den einzelnen Beiträgen – zusammensetzt.
Diese Arbeit ist in drei Teile gegliedert:
Im ersten Teil wird besonders auf die verschiedenen Formen von Literatur im Internet und im Besonderen auf Mitschreibeprojekte eingegangen. Es werden die Entstehung, die Inhalte, die Regeln und Besonderheiten von den Projekten anhand von theoretischen Aussagen dargestellt.
Der zweite Teil der Arbeit stellt verschiedene Mitschreibeprojekte aus dem Internet vor. Zur Visualisierung wird die Starseite der einzelnen Projekte abgebildet. Es wird auf die Herausgeber der Projekte, auf die Platzierung im Internet und auf den Inhalt eingegangen. Außerdem wird beschrieben, inwiefern sich der Leser als Autor einbringen kann.
Im dritten Teil der Arbeit wird versucht zu klären, inwiefern sich Samples in den Projekten belegen lassen. Hier wird nicht so stark auf die literarischen Inhalte eingegangen, viel interessanter ist die Frage, ob das System der Projekte Sampling ist. D.h. ob sich die Geschichte aus Samples –den einzelnen Beiträgen - zusammensetzt.
II. Literaturprojekte im World Wide Web:
Kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs stellt der Ingenieur Vannevar Bush, zu jener Zeit wissenschaftlicher Berater des US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt, den Entwurf für eine Maschine vor. Diese Maschine, MEMEX (MEM(ory)-EX(tender)) genannt, von der Größe eines Schreibtisches, sollte alle Schriftdokumente der Menschheit auf der Basis eines Microfiche-Systems griffbereit halten. Und jeder Lesende sollte die Dokumente miteinander verknüpfen und weitere Informationen hinzufügen können. Der so gemeinsam gewobene "Welt-Text" sollte alles Wissen verfüg- und handhabbar machen. Was Vannevar Bush förderte, ist letztlich der Übergang von der passiven Mediennutzung zur interaktiven Mitautorenschaft. Und genau diese Möglichkeit bietet das Internet zum ersten Mal in der Mediengeschichte. (Auer, S. 173 – 182)
Bevor aber auf die Möglichkeiten der aktuellen interaktiven Mitautorschaft eingegangen wird, sei ein Exkurs in die Vergangenheit erlaubt. Auch vor der Erfindung des Computers entstand interaktive Literatur in kollaborativen Kommunikationsnetzen, so z.B. die poetischen Spiele der Nürnberger Pegnitz-Schäfer im 17. Jahrhundert, der Briefroman im 18. Jahrhundert, die Salonliteratur im 19. Jahrhundert und Mail Art -Dichtung wie Wolf Vostells und Peter Faeckes Postversandroman im 20. Jahrhundert. (Cramer: Warum es zuwenig interessante Netzdichtung gibt. Neun Thesen. http://www.das-deutsche-handwerk.de/s/netzliteratur/cramer/karlsruher_ thesen.html)
Fest steht jedoch, dass solche kollaborativen Schreibprojekte eher die Ausnahme bildeten und dass die damalige Zeit größtenteils als eine Zeit einsamer Poeten galt. Das alte Klischee des Autors als einsames Genie, das in seiner Dachkammer brillante Werke der Weltliteratur produziert, hat wenig gemeinsam mit den elektronischen Gemeinschaften für Schriftsteller, die sich seit Mitte der 90er Jahre im Internet entwickeln. Kommunikationsfreudige Autoren, Grüppchen und Szenen vernetzen sich miteinander. Sie haben im Internet ein elektronisches Forum gefunden, in dem sie gemeinsam arbeiten können. Kollaborative Schreibprojekte nutzen die kommunikativen Möglichkeiten des Internets. Viele dieser Projekte befinden sich auf festen Internetseiten und sind jedem zugänglich.
Mehr oder weniger kreative literarische Webprojekte und Experimente laden zum Lesen und Mitschreiben im Internet ein. In den elektronischen Foren für Autoren entstehen so Erzählungen und Romane in der Öffentlichkeit: gemeinsame Texte werden erstellt, die von allen gelesen und allen geschrieben werden. (Ortmann, S. 57)
Kollaborative Schreibprojekte sind entweder Mitschreibeprojekte oder Wandertexte. Wandertexte werden per Email von einem Autor zum nächsten geschickt, von diesen nach teilweise festen Regeln verändert und wieder an den nächsten Autor weitergeleitet. Da die Texte in elektronischer Form vorliegen, können sie am Computer leicht an jeder beliebigen Stelle verändert werden. Hier ist es möglich und erwünscht, bestehenden Text zu verändern, es kann sogar mitten in einem Wort etwas Neues eingefügt werden. „Schreibe einen Text, schicke ihn jemandem, der ihn weiterschreibt, verändert und wieder weitergibt - das Prinzip "Wandertext" ist für die Netzwelt wie geschaffen. Natürlich müssen die einzelnen Stadien des Textes archiviert werden, so dass die oft überraschenden Veränderungen besichtigt werden können.“ (Klinger: Mitschreiben und schreiben lassen. Eine Reise durch die Welt der Text-Projekte. http://www.mdr.de/kultur/ literatur/ 123018.html)
Die andere Möglichkeit der literarischen Kooperationen im Internet sind Mitschreibeprojekte auf einer Website. Ein oder mehrere Moderatoren geben Idee und Regeln vor und kümmert sich um die Pflege. „Bei den Mitschreibeprojekten soll ausgehend von einer *Grunderzaehlung* aus verschiedenen Materialien, Anfaengen, Straengen und Ebenen eine weit verzweigte Geschichte zusammengeschrieben, -getragen und -gesammelt, in der die Utopien, Szenarien, Wuensche und Erfahrungen des *Lebens im und um das Netz* von den BenutzerInnen direkt einfliessen. An jeder Stelle dieses stetig wachsenden *Textbaumes* (*treefiction*) kann eingehakt, weitergeschrieben, eine Umleitung eingeschlagen, koennen Kommentare, eigene Ideen eingefuegt werden. Auch neue Erzaehlstraenge koennen begonnen werden, ein offener Imaginationsraum, der sich beim *Einspinnen* ins Netz auftut, Strassen und Wege, die sich beim Gehen und Umherschweifen erst herausbilden - der Weg ist das Ziel.“(Idensen, S. 143 f.)
Am Strang des Textes entlang wird weiter geschrieben: einer beginnt und ein anderer knüpft an - ohne dass die Beteiligten sich kennen oder physisch präsent sind. Wenn man diesem Konzept konsequent folgt, bedeutet dies: Als Besucher einer Homepage werde ich aufgefordert, einen Krimi oder eine Erzählung fortzuschreiben. Damit beginnt die Individualität des Textes und seines Autors zu verschwinden. (Moser: Die Ohnmacht des Autors im Netz. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/2141/1.html)
Der Beitrag des Autors kann entweder direkt in das Schreibprojekt eingefügt werden, oder muss per Email oder Formular an den Besitzer der jeweiligen Homepage gesendet werden. Dieser fügt ihn daraufhin – nach Prüfung auf Tauglichkeit - in das Projekt ein. So lässt sich auch angesichts der aufgeteilten Autorenschaft in kollaborativen Schreibprojekten doch eine priviligierte Autorenrolle erkennen. Es ist der Initiator des Projekts, dem dieses zumeist sein konzeptionelles Design verdankt, unter dessen Vorgaben die Beiträge der Leser / Autoren sich vereinen. Das Konzept besteht oft einfach darin, verschiedene User sukzessive an einer linearen oder an verschiedenen Zweigen einer multimedialen Geschichte schreiben zu lassen oder mehr oder weniger voneinander abhängige Beiträge unter einem spezifischen Stichwort zu versammeln, was jeweils die Verwendung von Image- und Sound-Dateien einschließen kann. Abers schon das Stichwort und das Setting der Sammlung kann den Texten eine spezifische Bedeutung hinzufügen. (Arnold, S. 9) Die Startidee bzw. der Name des Projektes sind sehr entscheidend, denn sie müssen eilige Surfer zum Mitmachen anregen.
Ein sehr bekannter Pionier der Mitschreibeprojekte, Johannes Auer, sieht eine Gefahr in solchen Mitschreibeprojekten, bei denen Autoren ihre Beiträge direkt ins Netz geben können: „Im Internet ist jeder Leser gleichzeitig Autor, da er über die Links, die er anklickt, die Textgestalt bestimmt oder anders ausgedrückt, er collagiert oder kombiniert beim Lesen seinen Text, stellt sich beim Lesen seinen Text her. Dies ist auch gefährlich, denn genau in dem Maße, in dem Hypertexte (im Internet geschriebene Texte, Anm.d.Red.) auf eine Struktur, bzw. auf eine interne Kohärenz verzichten (die von einem Autor/Autorenkollektiv vorbedacht ist), um sich ganz den Entscheidungen des Lesers zu öffnen, werden sie inhalts- und sinnlos. D.h. in einem fiktionalen Text muss die Entscheidungsmöglichkeit es Lesers immer durch die Regisseure oder Autoren beschränkt werden.“ (Auer: 7 Thesen zur Netzliteratur. http://www.s.netic.de/auer/thesen.htm)
Unter welchen Sendebedingungen der Text auch im Internet landet, er ist das Produkt einer kollektiven Autorenschaft.
Für den Literaturwissenschaftler Rolf Todesco hat der entstandene Text keine Mitteilungs-Funktion, die Kommunikation liegt in seiner kollaborativen Produktion, nicht in einer nachgelagerten Rezeption. „Der kollektive Hyper-Autor ist künstlerisch autonom, er produziert für sich, nicht für eine (Einschaltquoten)-Leserschaft. Kollaboration am Hypertext ist kommunikativ im Sinne von gemeinschaftlich, weil ein gemeinsames Produkt ohne Arbeitsteilung hergestellt wird: jeder tut alles und alle tun das gleiche. Der Hypertext ist Produkt eines kollektiven Autors, der sich durch die Hyperkommunikation konstituiert.“ (Todesco, S. 118)
Der Text ist in jedem Fall ein "Appell" an den Leser, aktiv zu werden, nämlich die eingebauten Leerstellen zu ergänzen und Anschlussmöglichkeiten an andere Texte zu suchen. Die Leerstellenstruktur schafft ein "Geflecht möglicher Verbindungen". Mit anderen Worten: „Der Text ist kein fertiges Gewebe, sondern eine Webmaschine, die es nicht kümmert, wer webt. Jeder Leser bringt sozusagen sein eigenes Garn - und wenn er hat, einen roten Faden - mit. Während die Leerstellen herkömmlicher Buchtexte diskrete, unmarkierte Elemente sind, deren Reiz darin besteht, dass ... der Leser die unausformulierten Anschlüsse selbst herzustellen beginnt" (Wirth, S. 30)
Um beim Bild des Fadens bzw. des Webens zu bleiben: "Text heißt Gewebe; aber während man dieses Gewebe bisher immer als ein Produkt, einen fertigen Schleier aufgefaßt hat, hinter dem sich, mehr oder weniger verborgen, der Sinn (die Wahrheit) aufhält, betonen wir jetzt bei dem Gewebe die generative Vorstellung, daß der Text durch ein ständiges Flechten entsteht und sich selbst bearbeitet; in diesem Gewebe - dieser Textur - verloren, löst sich das Subjekt auf wie eine Spinne, die selbst in die konstruktiven Sekretionen ihres Netzes aufginge" (Barthes S. 94). Dieses Zitat von Roland Barthes enthält so etwas wie das Programm des Schreibens und Lesens von Hypertexten – im Internet entstandenen Texten. Da ist zunächst das Bild des Netzes, genauer, des "Web", das als ständig im Entstehen begriffenes Gewebe gefasst wird. Auch der Hypertext ist, zumindest der Theorie nach, "ständig im Entstehen begriffen", ein Netz von Verknüpfungen.
Wie ist die Qualität der entstehenden Werke zu beurteilen? Zwei sich gegenüberstehenden Parameter in der Netzliteratur heißen Authentizität und Literarizität, und insofern banale, schlechte Beiträge immerhin dokumentarischen Wert haben, sind Mitschreibeprojekte naturgemäß oft eher Gegenstand für Soziologen als für Philologen. (Arnold, S. 10)
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- Manuela Raser (Author), 2002, Sind Mitschreibeprojekte im Internet eine Form von Sampling?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/21611
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