Diese Studie untersucht die Einschätzung des Medieneinflusses von Personen auf sich selbst und auf andere, und zwar für Werbung, die für kontroversielle Produkte (Zigaretten, Likör, und Bier) und für Glücksspiel (Kasinos und Lotterien) wirbt. Diese Kommunikationsformen stellen laut den Autoren einen besonders relevanten Kontext dar, in welchem die Verbindung zwischen den Wahrnehmungsverzerrung (TPP) und der Bereitschaft zur Zensur (TPE) untersucht werden kann; und zwar deshalb, weil sich beide extensiven Rufen nach Restriktion gegenüberstehen.
Des weiteren untersucht die Studie, ob es zwei diskrete Dimensionen (Empfänglichkeit und Bedeutsamkeit) gibt, die dem Third-Person-Effect zugrunde liegen und unabhängig zur Bereitschaft zur Zensur von Medienmitteilungen beitragen.
Weil die Werbung für sozial sensible Produkte (Kontroversielle Produkte und Glücksspiel) als schädlich und gefährlich gesehen werden, sollten dritte Personen als besonders vulnerabel auf überzeugende Werbebemühungen angesehen werden. Individuen könnten nicht nur glauben, dass es eine höhere Wahrscheinlichkeit der Beeinflussbarkeit durch solche Mitteilungen auf andere gibt (Empfänglichkeit), sie könnten auch den Schluss ziehen, dass sich negative/nachteilige Medieninhalte stärker auf andere auswirken (Bedeutsamkeit).
Vom Standpunkt der Schutzmotivationstheorie aus, könnten sich laut den Autoren Einstellungen pro Zensur aus zwei Gründen im Individuum manifestieren: (a) Sie nehmen sich selbst und/oder andere als empfänglicher für Medieneinfluss wahr, oder (b) sie nehmen sich selbst und/oder andere als stärker/bedeutender beeinflussbar wahr.
Eine wichtige Motivation zur Zensurierung von Kommunikationsinhalten scheint eher aus dem Wunsch zu entstehen, andere von diesen Kommunikationseffekten schützen zu wollen, als aus den Bedenken, dass diese Kommunikationen eine Auswirkung auf einen selbst haben. Dementsprechend sagen die Autoren voraus, dass solch eine Beziehung auch für kontroversielle Produkte und Glücksspiel besteht.
Die Bereitschaft zur Zensurierung solcher Arten von Werbeinhalten steht nach den Autoren in Beziehung mit der Third-Person-Perception (sowohl auf der Empfänglichkeitsdimension, als auch auf der Bedeutsamkeitsdimension).
Inhaltsübersicht
1 Third-Person-Effect (TPE)
2 Protection-Motivation-Theory (Rogers, R.W. – 1975, 1983)
3 Zensur
4 Hypothesen – Untersuchungskonzept
5 Methoden
6 Ergebnisse – Hypothesen 1
7 Ergebnisse – Hypothesen 2
8 Diskussion
Susceptibility and Severity
Die Autoren postulieren, dass zwei perzeptive Dimensionen der Hypothese des Third-Person-Effect zugrunde liegen: Urteile der Empfänglichkeit gegenüber Kommunikationen (ein kognitiver Prozess) und der Bedeutsamkeit von Kommunikationen (ein affektiver Prozess). Um dies zu bestätigen wurden 194 Erwachsene befragt:
a) sie sollten ihre eigene und die Empfänglichkeit anderer gegenüber verschiedener Typen von
Werbeinhalten und die Bedeutsamkeit gegenüber solcher Werbeeffekten auf sich selbst und andere
schätzen
b) und sie sollten ihre Bereitschaft ausdrücken, diese Art von Werbung zu zensurieren.
Die Werbeinhalte unterteilte man in zwei Kategorien:
- Kontroversielle Produkte (Zigaretten, Liköre, und Bier)
- Glücksspiel (Kasinos, Lotterien)
Die Ergebnisse zeigen, dass der Third-Person-Effect unter den Bedingungen der Empfänglichkeit und der Bedeutsamkeit existiert, und dass diese beiden Wahrnehmungsverzerrungen mit der individuellen Bereitschaft zur Zensur solcher Werbung in Beziehung stehen.
1 Third-Person-Effect (TPE)
Aus der Hypothese des Third-Person-Effect von Davison (1983) entwuchsen viele Forschungsprojekte. Individuen schätzen demnach die Wirkung verschiedener Typen von wahrscheinlich unerwünschten Kommunikationsformen – Mediengewalt, Pornografie, Produktwerbung, und politische Mitteilungen – größer auf andere ein als auf sich selbst. Deshalb neigen sie eher dazu, die Zensur solcher Mitteilungen zu unterstützen.
Die Hypothese des TPE sagt aus, dass Menschen dazu tendieren, den Einfluss von Massenkommunikationen auf Einstellung und Verhalten anderer Menschen zu überschätzen. Aus solchen Wahrnehmungsverzerrungen (Third-Person-Perception – TPP) werden Urteile und bestimmte Einstellungen geformt, die sich im weiteren in bestimmten Verhaltensweisen manifestieren können (wie z.B. Zensurbestrebungen).
Theoretiker, die sich mit dem TPE beschäftigt haben, haben sowohl kognitive als auch affektive Erklärungen angeboten, die der Grund für jene unterschiedlichen Einschätzungen des Medieneinflusses sein könnten. Implizit unterstützt dies eine multidimensionale Konzeption der Effekte.
Um die Wahrnehmungsverzerrungen des Third-Person-Effect zu erklären, haben sich viele Forscher hauptsächlich auf die zugrunde liegenden kognitiven Prozesse der Kausalattribution verlassen. Aufgrund eines fundamentalen Attributionsfehlers führen Individuen Medieneffekte auf sich selbst eher auf situative (externale) Faktoren zurück, währenddessen sie sich aber bei dem Medieneinfluss auf andere auf dipositionelle (internale) Faktoren verlassen. Gunther (1991) glaubt diesbezüglich, dass Beobachter im Allgemeinen das Bewusstsein anderer Menschen von situativen Faktoren unterschätzen (Bsp.: wahrgenommene Absicht von Medieninhalten). Deshalb werden diese Personen als vulnerabel für Medieneffekte angesehen. Beurteilen sie jedoch den Medieneinfluss auf sich selbst, so sehen sie den Grund in ihrer eigenen Aufmerksamkeit gegenüber solcher Merkmale.
Selbstwertsteigerung kann ebenfalls der Grund für die Third-Person-Perception sein. Wenn eine Mitteilung als negativ oder gefährlich erachtet wird, ist es für Individuen nützlicher, andere als empfänglicher für solch eine Mitteilung einzuschätzen als sich selbst. Solche Attributionen erhöhen den Glauben in seine eigene Unverletzlichkeit und den Glauben in seine eigene Kontrolle. Folglich werden andere als besonders empfänglich für Medieneinfluss gehalten, währenddessen sie sich selbst als weniger empfänglich sehen.
Von diesen attributionstheoretischen Erklärungen ausgehend, ist es nicht überraschend, dass die meisten Forschungsdesigns über den Third-Person-Effect die Empfänglichkeitsdimension anvisiert hatten. Teilnehmer sollten dabei, die Beeinflussbarkeit und die Stärke bestimmter Kommunikationsformen auf sich selbst und andere schätzen.
Shah et al. sind jedoch der Ansicht, dass dem Third-Person-Effect eine weitere unabhängige Wahrnehmungsdimension zugrunde liegt – die Bedeutsamkeitsdimension – und dass frühere Forschungen häufig Empfänglichkeit und Bedeutsamkeit verwechselt haben. Unterstützung für solch eine Bedeutsamkeitsdimension kann in der Tatsache gefunden werden, dass das Ausmaß des Third-Person-Effect schwächer wird, wenn die Wünschbarkeit der Kommunikation stärker wird. Von negativ beurteiltem Mitteilungsinhalt wird angenommen, dass er mehr Einfluss auf andere hat als auf einen selbst. Wenn die Mitteilung jedoch als positiv gesehen wird, so ist die Wahrnehmungsverzerrung (TPP) schwächer.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Protection-Motivation-Theory (Rogers, R.W. – 1975, 1983)
Theoretische Unterstützung findet man auch bei Rogers „Protection-Motivation-Theory“. Diese postuliert, dass Urteile über die Empfänglichkeit einer Bedrohung und die Bedeutsamkeit der Bedrohung unterschiedlich beurteilte Prozesse sind. In Kombination gestalten sie die individuelle Gefahrenkontrolle.
Rogers Theorie ist eine Erweiterung des Parallel-Response Modell von Leventhal. Leventhal meint, dass ein Furchtappell (Gefahrensituation) zwei parallel verlaufende Prozesse auslöst: zum einen eine kognitive Aktivität, die mit der Anstrengung zur Kontrolle der Gefahr verbunden ist (Gefahrenkontrolle), zum anderen die Furcht vor der Gefahr, was im folgenden zum Versuch führt, die Furcht unter Kontrolle zu bringen (Furchtkontrolle).
Die Einschätzung der Kontrollierbarkeit einer Gefahr wird durch die Information beeinflusst, welches Verhalten effektiv zur Abwendung der Bedrohung ist und ob der Rezipient das Verhalten auch ausführen kann, d.h. ob er erwarten kann, mit dieser Herausforderung fertig zu werden. Die Situation spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Die Gefahrenkontrolle geschieht v.a. durch das Ausführen der Empfehlung. Mit der Furchtkontrolle ist die Reduzierung der emotionalen Spannung gemeint.
Furchtkontrolle und Gefahrenkontrolle sind nach Leventhal zwar parallele Prozesse, jedoch unabhängig. Das Modell besagt aber gleichzeitig, dass die beiden Prozesse in einer wechselseitigen Beziehung stehen, was sich laut Leventhal nicht mit der Unabhängigkeit stört. Beispielsweise kann eine erfolgreiche Gefahrenkontrolle automatisch zu einer Furchtreduktion führen oder eine dominante Furchtkontrolle den Probanden davon abbringen, sich überhaupt auf eine bedrohliche Thematik einzulassen, wobei sich die Gefahrenkontrolle erübrigt.
Rogers nimmt nun in seiner Protection-Motivation-Theory an, dass die Beziehung von Furchtappell und Verhalten durch wesentliche Komponenten bestimmt wird. Diese Komponenten wurden in der revidierten Fassung des ersten Modells von 1975 zu fünf ergänzt. Es sind dies folgende:
Die ersten drei Punkte beinhalten die Einschätzung
- der Schadenshöhe (wahrgenommene Bedeutsamkeit),
- der Schadenswahrscheinlichkeit (wahrgenommene Empfänglichkeit),
- und der Effektivität der Verhaltensempfehlung und der Selbsteffektivität.
Weiters kommen hinzu: die Abschätzung der
- Kosten-Nutzen Relationen
- und der eigenen Coping-Möglichkeiten (nicht-adaptierte Bedrohungsurteile und adaptierte Coping-Beurteilungsprozesse).
Rogers glaubt, dass diese Komponenten die wesentlichen Mediatoren des (Coping-) Verhaltens darstellen und dass weitere Variablen, wie Persönlichkeitsmerkmale, nur über diese Mediatoren Wirkung zeigen.
Aufgrund dieser Überlegungen bzw. Einschätzungen kommt es zu adaptierten bzw. nicht adaptierten Verhaltensweisen. Dies soll anhand zweier Beispiele dargestellt werden:
A) nicht-adaptiertes Verhalten: Sind die Belohnungen größer (Bsp.: Freude, Vergnügen) als die wahrgenommene Bedeutsamkeit der Gefahr (Bsp.: Aids ist tödlich) und ihrer wahrgenommenen Empfänglichkeit (Bsp.: Risiko der HIV-Infektion), so führt dies zu nicht-adaptiertem Verhalten (Bsp.: ungeschützter Geschlechtsverkehr).
- Belohnungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit für nicht-adaptiertes Verhalten.
- Steigt die wahrgenommene Bedrohung (Empfänglichkeit und Bedeutsamkeit) so sinkt die Wahrscheinlichkeit für nicht-adaptiertes Verhalten (bzw. die Wahrscheinlichkeit für adaptiertes Verhalten steigt).
B) adaptiertes Coping-Verhalten: Sind die Verhaltenseffektivität (Bsp.: Kondome schützen vor Aids) und die Selbsteffektivität (Bsp.: Ich kann sie benützen, um mich zu schützen) größer als die Kosten (Bsp.: Zeit, Geld, Schwierigkeit), so führt dies zu adaptiertem Coping-Verhalten (Bsp.: ein Kondom zu benützen).
- Ist die Verhaltenseffektivität und Selbsteffektivität hoch, so steigt auch die Wahrscheinlichkeit für adaptiertes Verhalten.
- Steigen die Kosten jedoch, so sinkt auch die Wahrscheinlichkeit für adaptiertes Verhalten (bzw. die Wahrscheinlichkeit für nicht-adaptiertes Verhalten steigt).
Zusammenfassend heißt das:
- nicht-adaptierte Bedrohungsurteile fördern die Risiken des Individuums
- adaptierte Coping-Strategien verhindern Risiken.
Obwohl diese Struktur im Allgemeinen für individuelle Coping-Strategien gilt – Bsp.: das Rauchen aufzuhören, ein Kondom zu benutzen –, wird sie von Shah et al. nun erweitert. Schutzmotivation (wie z.B. die Forderungen des weitläufigen Verbotes von Mitteilungen, die als bedrohend gesehen werden) könne sich dann entwickeln, wenn eine wahrgenommene Bedrohung nicht auf individuellem Verhalten begründet ist (wie z.B. die Wahl zu Rauchen oder ungeschützten Geschlechtsverkehr), sondern mehr im gesellschaftlichen Umfeld. Von diesem Verständnis (in Verbindung mit dem Third-Person-Effect) ausgehend, kann man davon ausgehen, dass Versuche, Kommunikationsinhalte zu zensurieren, von Zweifel und Befürchtungen über die Effekte dieser Kommunikation auf andere motiviert sind. Individuen wollen also andere schützen.
Von dieser Perspektive aus könnte Zensurierung eine adaptierte Antwort – eine Bewältigungsstrategie – sein, um mit dem verursachten Schaden durch Massenmedien umgehen zu können.
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